Alice Schwarzer in anderen Medien

Graz: Nicht nur ein Kölner Problem

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Frau Schwarzer, Sie haben vor fast 40 Jahren in Köln Ihr Frauenmagazin EMMA gegründet, kennen die Stadt wie Ihre Westentasche: Muss man sich heute als Frau dort mehr fürchten als damals? Wenn ja - warum? 
Alice Schwarzer: Ich halte das, was da in der Silvesternacht passiert ist, nicht für ein spezifisches Problem von Köln. In Köln gibt es zwar inzwischen rund 120 Anzeigen, dreiviertel davon wegen sexueller Gewalt, aus Hamburg aber werden schon 53 sexuelle Übergriffe gemeldet. Als 1977 EMMA erstmals erschien, hatten wir Feministinnen gerade die Omerta, die bis dahin über der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Kinder lag, gebrochen: der sexuelle Missbrauch, Vergewaltigung, Gewalt in der Ehe – das alles wurde nun erstmals Thema. Die ersten Frauenhäuser öffneten die Pforten. Und es wurde klar, dass die gewalttätigen Männer keine individuellen Ausrutscher sind, sondern dass das Problem struktureller Natur ist, die Männergewalt hatte und hat epidemische Ausmaße. Seither haben wir in Bezug auf die deutschen Männer allerdings viel erreicht. Die Öffentlichkeit ist problembewusster geworden, es gibt mehr Schutz für die Frauen und verschärfte Gesetze. Nun aber gibt es seit 20, 30 Jahren einen Schub von Männern, die aus Kulturen kommen, in denen Frauen weitgehend rechtlos sind und (sexuelle) Gewalt ein Herrenrecht ist. Hinzu kommt die verstärkte Brutalisierung der Männer durch Kriege und Bürgerkriege.

Sie bezeichnen die Horror-Nacht in Köln, die unsägliche Silvesternacht, als "Folge der falschen Toleranz": Was meinen Sie damit?
Es ist falsch, die Rechtlosigkeit und die Verachtung von Frauen zu „tolerieren“, im Namen anderer Sitten oder der „Religionsfreiheit“. Mit Glauben hat der politisierte Islam nämlich herzlich wenig zu tun. Das ist ein Missbrauch der Religion. Wir hätten das Machogehabe der Väter und Söhne sowie die Segregation der Geschlechter, die Unsichtbarkeit der Mütter und Verschleierung der Töchter niemals zulassen dürfen. Denn das ist, wie der deutsch-palästinensische Psychologe Ahmad Mansour in der aktuellen EMMA zu recht sagt, nackter Rassismus. Mansour, der viel mit muslimischen Jugendlichen arbeitet, sagt: "Wir haben es zugelassen, dass sich eine Generation von Menschen von unserer Gesellschaft entfernt, weil wir es verabsäumt haben, ihnen unsere Werte und Haltungen zu vermitteln - wir haben ihnen keinen Halt gegeben."

Noch laufen die Ermittlungen, aber als gesichert gilt, dass ein Mob aus Hunderten Männern - dem Aussehen nach aus dem nordafrikanischen bzw. arabischen Raum - Frauen regelrecht in die Enge getrieben haben, sexuell missbraucht, beraubt, verletzt und eine Frau sogar vergewaltigt haben: "Diese Männer sind das Produkt einer gescheiterten Integration", schreiben Sie: Was ist schief gelaufen?
Ja, es scheint ein bandenmäßiges Vorgehen gewesen zu sein. Und das ist das besonders Alarmierende: Eine Gruppe von ca. 1000 jungen Männern! Was verbindet die? Wie kommunizieren sie? Über welche Kanäle haben sie sich an diesem Abend zwischen Dom und Bahnhof verabredet? Woher nehmen sie die Gewissheit, so auftreten zu können? Dass das alles passieren konnte, ohne dass die Polizei vorher etwas gemerkt hat und sie dann am Abend selbst die sexuellen Übergriffe nicht bemerkt haben will – das ist schwer verständlich. Ich vermute, die Polizei hat das erstens nicht so ernst genommen und war zweitens überfordert. Wahrscheinlich hatten die Polizisten sogar selber Angst. Verständlicherweise. Aber was heißt das für den Rechtsstaat?

Sie haben in EMMA einen Forderungskatalog publiziert fuer den Umgang mit Migranten: "Was jetzt passieren muss", heißt es da. Was halten Sie für unumgänglich?
Wir wissen von Gewalt gegen Frauen, nicht selten auch durch die eigenen Männer, in den Flüchtlingslagern und von Zwangsprostitution. Der erste Schritt wäre also, diese Frauen und Kinder zu schützen: von der separaten Unterbringung bis hin zu einem spezifischen Hilfsnetz bei Problemen. Der zweite Schritt wäre die aus hart patriarchalen Ländern zu uns gekommenen Frauen und Männer aufzuklären: darüber, dass bei uns Rechtsstaat und Gleichberechtigung der Geschlechter gelten. Sprachkurse, Aufklärungskurse, Auflagen! Wenn wir das jetzt nicht endlich konsequent verfolgen, wird das Problem noch größer und das Niveau von Aufklärung und Emanzipation in unserer Gesamtgesellschaft gefährdet.

Wurden die Probleme größer, weil die Politik - auch in Österreich - diese Sorgen nicht ernst genommen hat und das Feld über Jahre nur den rechten Gruppen überlassen hat? Sie warnen ja schon lange vor dem politisierten Islam, vor den Islamisten, denen "Frauen, Juden, Homosexuelle, Kreative, „Ungläubige'" verhasst seien.
Ja, das gilt für Deutschland wie Österreich: Die etablierten Parteien haben das Problem mit dem politisierten Islam und der islamistischen Agitation mitten in Europa seit Ende der 1980er Jahre nicht ernst genommen. Die Gründe sind vielfältig: eine falsche Toleranz, auch vor dem Hintergrund unserer jüngeren Geschichte; der Kulturrelativismus, vor allem auf Kosten der Frauen und Mädchen; aber auch Opportunismus: Nur ja nicht die muslimische Wählerschaft verärgern. Das alles hat es allerlei Demagogen und Rechten leider leicht gemacht, sich als einzige Stellvertreter der durchaus verständlichen Sorgen der Menschen über diese Entwicklung darzustellen.

Sie schreibe in einem FAZ-Gastbeitrag, dass 90 Prozent der Muslime in Deutschland laut Bertelsmann-Studie nicht den Gottesstaat, sondern die Demokratie für eine gute Regierungsform halten: Wie kann es dann zu einem solchen Gewalt-Exzess in Köln kommen?
Genau das ist eines der Probleme. Die Mehrheit der Musliminnen und Muslime in Deutschland ist nicht orthodox und schon gar nicht fundamentalistisch. So haben zum Beispiel 70 Prozent aller Musliminnen in Deutschland noch nie ein Kopftuch getragen, und sogar jede zweite „streng Gläubige“ trägt kein Kopftuch. Da ist es doppelt grotesk, dass in den Medien eine Muslimin fast immer Kopftuchträgerin ist. Diese nicht fundamentalistische muslimische Mehrheit haben wir im Stich gelassen – und sie schutzlos der Agitation der Minderheit der Islamisten ausgeliefert. Man muss allerdings ebenfalls sagen: Diese demokratische muslimische Mehrheit hat auch selber geschwiegen. Aus falsch verstandener Solidarität mit der Community. Wir haben also auf der einen Seite eine falsche Toleranz und auf der anderen Seite eine falsche Solidarität.

Warum sind Sie überhaupt so streng mit dem Islam allgemein? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Ich und streng mit dem Islam? Der Islam war noch nie mein Thema. Für mich ist Glaube eine Privatangelegenheit. Ich spreche ausschließlich über den politisierten Islam. Übrigens: Zahlreiche meiner Freundinnen und Freunde in Deutschland wie in Nordafrika sind aus dem muslimischen Kulturkreis. Und wenn ich die besuche, wird viel gemeinsam gelacht und getanzt.

Gruppierungen wie Pegida in Deutschland oder Le Pens Front National in Frankreich spielen Ereignisse wie jene in Köln zu, sie sind geradezu ein gefundenes Fressen: Sorgen Sie sich nicht um den Beifall von falscher Seite?
Dass die Rechte in ganz Europa heute so mit ihrem Kampf gegen den Islamismus – und zunehmend sogar gegen den ganzen Islam – punkten kann, liegt an dem Versagen der etablierten Parteien. Von links bis rechts haben die bisher dazu geschwiegen oder schlimmer noch: Sie haben abgewiegelt und das Problem geleugnet. Jetzt kriegen sie die Quittung.

Was geht Ihnen bei den "Verhaltensregeln" für Frauen - sich diese Männer " eine Armlänge " weit vom Leib halten - der Frau Oberbürgermeisterin Reker durch den Kopf?
Diese Bemerkung der Oberbürgermeisterin war in der Tat arg naiv. Dafür kriegt Frau Reker ja auch ordentlich Kloppe in den sozialen Medien. Verhaltensregeln sollten nicht den Frauen erteilt werden, sondern diesen Männern! Wir wollen uns schließlich nicht die Burka überstülpen, um sicher zu sein.

Die große Margarete Mitscherlich hat uns einmal sinngemäß gesagt, dass viele Menschen Konflikte, die sie in ihren engen Beziehungen haben insofern lösen, als sie sich ein Feindbild suchen, auf das sie ihren ganzen Hass schütten können. Aber warum trifft es dabei - nicht nur jetzt in Köln - so häufig die Frauen?
Weil wir Frauen das unterste Glied sind. Jeder noch so mickrige Mann kann sich auf dem Rücken einer Frau groß fühlen. Aber das gilt nicht nur für Männer aus dem muslimischen Kulturkreis.

War Frau Merkel zu voreilig mit dem "Wir schaffen das?"
Nein, ich finde, dass die Kanzlerin wirklich mutig war mit dem Satz „Wir schaffen das“. Deutschland ist schließlich ein starkes und relativ wohlhabendes Land. Da können wir Menschen auf der Flucht vor Unterdrückung und Gewalt nicht die Zuflucht verweigern. Außerdem: Wie sollte das gehen? Die haben sich ja zu Fuß bis an unsere Grenzen geschleppt. Aber wir dürfen die Fehler, die wir in Bezug auf die schon länger bei uns lebende muslimische Community gemacht haben, jetzt nicht wiederholen. Diesmal müssen wir die Menschen wirklich integrieren – sonst integrieren die uns. 

www.kleinezeitung.at

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Alice Schwarzer schreibt

Die Folgen der falschen Toleranz

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Für die Glücklichen, die nicht dabei waren auf der Gang-Bang-Party rund um den Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht: Auf Focus Online steht ein Video, auf dem wir sehen können, wie junge Männer arabischer bzw. nordafrikanischer Herkunft Krieg spielen, mitten in Köln. Sie ziehen in Truppen über den Platz, bilden Fronten und feuern aus „Pistolen“ Feuerwerkskörper mitten in die Menge. Und keiner hindert sie daran.

Eine Gruppe von über tausend dieser jungen Männer hatte sich in der Silvesternacht vor der Kulisse von Bahnhof und Kölner Dom zusammengerottet. Vor Ort anwesend: 143 Polizeibeamte von der Kölner Polizei plus 50 Bundespolizisten im Inneren des Bahnhofs. Schließlich gab es in ganz Europa Terrorwarnungen und gelten Hauptbahnhof und Dom als besonders gefährdet. Doch der Terror kam (noch) nicht aus der Kalaschnikow oder von Sprengstoffgürteln, er kam aus Feuerwerkspistolen und von Feuerwerkskrachern. Und von den grabschenden Händen der Männer. Die Jungs üben noch.

Hunderte Übergriffe.
Die Polizei hat
nichts gesehen

Ein traditionell fröhlicher Anlass kippte in den Horror. Mittendrin etwa 200 Polizeibeamte in Uniform wie Zivil. Doch die hatten angeblich von den hunderten von Übergriffen nichts gemerkt. Am Tag nach der dramatischen Nacht hatte die Kölner Polizei sogar eine Pressemitteilung herausgegeben, in der behauptet wurde, die Nacht sei „friedlich und fröhlich“ verlaufen. Der Polizeipräsident war angeblich ganz „überrascht“, als in den Tagen darauf Anzeigen eingingen, bisher 553 (Stand 12. Januar), davon rund 249 wg. sexueller Gewalt, Tendenz steigend. Die Männer sollen im Alter von 18 bis 35 gewesen sein. Sie haben sich auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz aufgeführt wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo.

Wie viele dieser Anzeigen von Frauen kommen? Dazu konnte die Kölner Polizei auch Tage danach auf ihrer Pressekonferenz nichts sagen. Sie hatte wohl noch nicht die Zeit, die Anzeigen nach Geschlecht auszuwerten.

Da stellen sich eine Menge Fragen. Erstens: Wieso kriegt die Polizei nicht mit, wenn sich 1.000 überwiegend gewaltbereite und kriminelle Männer (darunter polizeibekannte Intensivtäter) am Hauptbahnhof verabreden und dort zusammenrotten? Zweitens: Warum schreitet die Polizei nicht schon ein, wenn diese Männer Feuerwerkskörper auf Menschen ballern, was ja lebensgefährlich sein kann, und verhaftet die Täter? Drittens: Wie ist es erklärbar, dass hunderte von Frauen unter den Augen eines so massiven Polizeiaufgebotes sexuell belästigt werden?

Köln ist kein
Einzelfall.
Jung-Männer-Rudel allerorten

Nimmt die Polizei sowas nicht so ernst? Oder hatte die Polizei Angst vor den Tätern: 1000 gegen 200? Und waren die Beamten im Einsatz danach zum Vertuschen verdammt worden? Hat der deutsche Staat also punktuell sein Gewaltmonopol schon verloren und gibt es längst rechtsfreie Räume, auch mitten in Deutschland?

Nachdem der Kölner Polizeipräsident zunächst behauptet hatte, unter den Randalierern seien keine Flüchtlinge gewesen, sickerte eine Woche nach den dramatischen Ereignissen durch: Es waren sehr wohl auch syrische Flüchtlinge unter den 80 an diesem Abend kontrollieren Männern. Wie viele, das ist noch nicht bekannt. Doch die Mehrheit waren vermutlich die Flüchtlinge von gestern bzw. Migranten und ihre Söhne. Die träumen davon, Helden zu sein wie ihre Brüder in den Bürgerkriegen in Nordafrika und Nahost – und spielen jetzt Krieg mitten in Europa.

Diese jungen Männer sind das triste Produkt einer gescheiterten, ja nie auch nur wirklich angestrebten Integration. Sie sind das Produkt einer falschen Toleranz, in der fast alle - Menschen, Medien, Kirchen und Politik - unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat, unsere Gleichberechtigung infrage stellen, ja mit Füßen haben treten lassen, zugunsten „anderer Sitten“ bzw. einer ominösen „Religionsfreiheit“ – in deren Namen man Parallelwelten entstehen ließ und nicht auf Integration bestand. Als hätte dieser Fanatismus etwas mit Glauben zu tun.

Die Kölner Horror-Nacht scheint kein Einzelfall zu sein. Aus zahlreichen Städten wird jetzt von Jung-Männer-Rudeln berichtet, die Frauen wie Männer überfallen, um zu stehlen und Frauen zu erniedrigen. Allein in Hamburg gingen 70 Anzeigen ein wegen sexueller Gewalt in der Silvesternacht. Einmalig ist allerdings, dass aus einer „Gruppe“ von 1000 Männern so ein Terror kommt. Jeweils 20 bis 40 Männer umringten die Frauen und malträtierten sie.

Da stellt sich die Frage: Was haben diese 1000 Männer gemein? Wie haben sie kommuniziert? Auf welchen Kanälen und Plattformen? Woher kommen sie? Haben sie sich verabredet? Es ist kaum zu verstehen, dass die Polizei das bisher nicht herausfinden kann. Und mit welchen Konzepten wollen Polizei und Politik jetzt darauf reagieren? Es eilt!

Auch diese
jungen Männer
hätten eine
Chance verdient!

Als EMMA in der November/Dezember-Ausgabe 2015 einen Forderungs-Katalog zum Schutz weiblicher Flüchtlinge und Kinder sowie zum Respekt männlicher Flüchtlinge vor Rechtsstaat und Frauenrechten in Deutschland veröffentlichte, hagelte es mal wieder die seit 30 (!) Jahren vertrauten Rassismus-Vorwürfe seitens der üblich Verdächtigen. Ein Spiegel-Kolumnist ging sogar so weit, mich des „Rassismus“ zu bezichtigen, weil ich mir erlaubt hatte, auf den traditionellen, eingefleischten „Antisemitismus und Sexismus“ vieler Männer aus der arabischen und muslimischen Welt hinzuweisen.

Nun, wir können auch weiterhin die Augen verschließen und so tun, als gäbe es diese Probleme nicht. Die fatalen Folgen dieser Ignoranz erleben wir nicht erst seit heute. 

Und übrigens, kleiner Hinweis an die selbstgerechten „Anti-Rassisten“ vom Dienst: Mit dem blauäugigen Import von Männergewalt, Sexismus und Antisemitismus gefährden wir nicht nur unsere eigene Sicherheit und Werte; wir tun auch diesen verrohten jungen Männern unrecht, die ja nicht als Täter geboren sind. Sie sind geprägt von den Erfahrungen eines traditionell gewalttätigen Patriarchats innerhalb der Familie sowie der Bürgerkriege auf den Straßen, was sie zu Tätern wie Opfer gemacht hat. Wenn wir sie nun bei uns aufnehmen, haben auch sie das Recht darauf, eine Chance zu bekommen: die Chance, anständige Menschen zu werden. Was allerdings ebenso die Pflicht zur Integration bedeutet.

Alice Schwarzer

Aktualisiert am 12. Januar 2016

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