Alice Schwarzer schreibt

Ist EMMA islamfeindlich?

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Seit Erscheinen des Buches (und meiner Interviews und Fernsehsendungen dazu) erreicht mich eine Flut von Briefen. Die überwältigende Mehrheit ist zustimmend, eine Minderheit kritisch und ein paar Briefe sind dazwischen, die geben natürlich besonders zu knacken. Aber fast alle Reaktionen der LeserInnen eint: Sie sind sachbezogen und differenziert. Was man von der Mehrheit der Medienreaktionen leider nicht sagen kann. Sicher, da gibt es einige präzise Rezensionen (wie die von Iris Radisch in der Zeit). Doch es überwiegen die polemischen, ja ideologischen Texte.

Zwei Motive ziehen sich durch diese Art von Pseudo-Rezensionen, bei denen man nicht selten den Verdacht nicht los wird, die RezensentInnen hätten nicht eine Zeile des Buches gelesen:

  1.  Die Psychologisierung und Privatisierung des Problems.
  2.  Die Zurückweisung einer Trennung von Religion und Staat, meist aus christlicher Sicht.

Bei der Psychologisierung schoss ein zweiter Artikel in der Zeit, der der positiven Rezension von Radisch auf dem Fuße folgte, den Vogel ab. Eine offensichtlich jüngere Deutsch-Türkin rechnet da mit den „Frauenrechtlerinnen alter Schule“ ab, für die es „schwierig zu sein scheint, Musliminnen mit einem Gesicht zu sehen“. Denn die „eröffneten ein neues, spezielles Kampfgebiet: die muslimische Frau“. Festgemacht wird das Ganze unter anderem am Cover des Buches, das keinen Menschen zeigt, sondern die anonyme Silhouette einer Burka.

„Warum sollte eigentlich ein Schleier unterdrückendere Wirkung haben als eine schlechtere Bezahlung oder der ewige Vorwurf mangelnder Emanzipation durch Altfeministinnen?“, fragt Özlem Topcu in der Zeit. Sie muss jünger sein. Noch. Und sie muss gehört haben, dass das mit den „Altfeministinnen“ immer gut kommt. Sie trägt vermutlich kein Kopftuch und sie wird wahrscheinlich auch nicht schlecht bezahlt bei der florierenden Hamburger Wochenzeitung. Aber sie möchte ihre umsonst zu Hause arbeitenden verschleierten Schwestern vor diesen ewigen „Altfeministinnen“ schützen. Und sie findet, dass die „Altfeministinnen“ mal wieder gar nicht den subjektiven Faktor bedacht haben. Wie üblich.

Dabei ist ihr eines leider entgangen: Darum geht es in diesem Buch überhaupt nicht. Es geht nicht um die so vielfältigen, subjektiven Motive von Frauen, die in Demokratien, wo sie nicht zur Verschleierung gezwungen werden – wie inzwischen in zahllosen Ländern der Welt –, das Kopftuch oder den Ganzkörperschleier tragen. Das wäre durchaus auch ein Thema. Sogar ein sehr interessantes. Und es könnte das Thema des dritten EMMA-Buches in Sachen Islamismus werden.

Nein, in diesem Buch geht es um die objektive Bedeutung des Kopftuches und die internationalen politischen Machtverhältnisse und Zusammenhänge.

Ein Missverständnis also? Oder Strategie? Die Strategie der Entpolitisierung durch Psychologisierung? Die Strategie, Frauen für so blöd zu halten, dass sie nicht über ihren eigenen Tellerrand bzw. ihren Kopftuchrand hinweg blicken können?

Das zweite „Missverständnis“, das eigentlich keines sein kann, ist die Behauptung, in diesem Buch ginge es gegen „die Muslime“ und den gesamten Islam und damit um einen Angriff auf die Religionsfreiheit. Auch das ist falsch. Im Gegenteil. In wenigen Texten wird in Deutschland zurzeit vermutlich so strikt zwischen Islam und Islamismus unterschieden wie im EMMA-Buch: Ja zu der Mehrheit ungläubiger, feiertagsgläubiger oder tiefgläubiger MuslimInnen! Nein zu der Minderheit radikalisierter Islamisten, also Schriftgläubiger, die uns in das 6. Jahrhundert von Mohammed zurückschleudern wollen!

Meist kommen diese „Missverständnisse“ aus der christlich argumentierenden Ecke. Denn gewisse, zum Fundamentalismus neigende Christen scheinen den fundamentalistischen Islam schonen zu wollen, damit auch sie weiterhin frei agieren können. Allen voran Patrick Bahners. Schon seine Texte zur Abtreibung zeigen seit Jahren, wo dieser kluge Dunkelmann steht. Über das EMMA-Buch nun veröffentlichte der Feuilleton-Chef der FAZ ein ganz und gar entlarvendes Pamphlet. Er bezichtigt uns, einen „jakobinischen Kreuzzug“ gegen die „liberalen Rechtsstaat“ zu führen. Nun ja.

Ihm zur Seite Britta Baas, Redakteurin des christlichen Journals Publik-Forum. Baas nennt mich „Sarrazins Wasserträgerin“ und hält das Kopftuch für einen Ausdruck von „Weiblichkeit“. Oh weh.

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