Alice Schwarzer in anderen Medien

Sollten wir Kopftuch & Kreuz verbieten?

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Köln wurden Hunderte von sexuellen Übergriffen begangen. Trotzdem wurden fast kein Schuldige ermittelt. Wie schätzen Sie die Ermittlungen ein?
Ich gehe davon aus, dass nicht ein einziger Täter verurteilt werden wird. Aus zwei Gründen. Zum einen ist es sehr schwer, bei dieser Methode überhaupt einen individuellen Täter dingfest zu machen. Auf dem Platz waren in dieser Nacht 1000 bis 2000 Männer. Aus dem Schwarm lösten sich kleine Gruppen von sechs, sieben, acht Männern, umringten die Frauen, drängten eventuelle Begleiter weg und malträtierten ihre Opfer. Sodann tauchten sie blitzschnell wieder in der Menge unter. Da ist es sehr schwer, einen Einzelnen individuell wiederzuerkennen und ihm die Schuld nachzuweisen. Zum zweiten ist die so genannte „sexuelle Belästigung“ in Deutschland bis heute kein Straftatbestand. Vergewaltigungen – also die Penetration in Vagina, After oder Mund – ja, aber nicht das „Betatschen“. Also selbst wenn ein Täter überführt würde, hätte er nicht viel zu befürchten.

Glauben Sie an einen politischen Willen, die ethnische Herkunft der Schuldigen zu verstecken und zu verschweigen?
Ja, dafür gibt es viele Belege und Hinweise. Schon 2008 erging eine ministerielle Order in NRW, dass die ethnische Herkunft bei Tätern nicht benannt werden soll. Und bei der Polizei in Köln herrscht seit Jahrzehnten ein Klima der politischen Korrektheit und die Angst, sonst als Rassist beschuldigt zu werden.

Gehört der Islam zu Deutschland? Ist die islamische Kultur mit moderne deutschen Lebensstile kompatibel? 
Was ist „der Islam“? Den gibt es nicht. Es gibt hunderte Arten, den Islam zu interpretieren und zu leben. Der Islam als Glaube ist Privatsache und selbstverständlich mit der deutschen Art zu leben kompatibel. Der Islam als politische Strategie ist nicht vereinbar. Denn für den Islamismus steht die Scharia über dem Gesetz und die Frau unter dem Mann.

Soll der Vollschleier verboten werden? Das Halsketten-Kreuz auch? 
Scherzen Sie? Ein Kreuz um den Hals ist ja wohl kaum vergleichbar mit der behindernden und menschenunwürdigen Vollverschleierung! In den islamistisch beherrschten oder terrorisierten Ländern riskieren Frauen ihr Leben, wenn sie die Burka nicht tragen. Diese Unsichtbarmachung der Frauen durch die Vollverschleierung ist die niedrigste Stufe der Frauenverachtung. – Aber apropos Kreuz: Ich bin durchaus für das Verbot jeglicher „religiöser“ Zeichen in den Schulen, also das Verbot von Kopftuch und Kreuz an der Wand. Aber dass sich heutzutage auch westliche Politikerinnen in Teheran auch ohne Not verschleiern, ist kläglich und ein Verrat an den Millionen Frauen, die unter den Schleier gezwungen werden. 

Was möchten Sie anregen (inspirieren) bei den Frauen, die das Buch lesen werden? Und bei den Männern?
Ein differenziertes Denken. Und den Mut, hinzusehen, sich nicht den Blick verstellen lassen durch Tabus und political correctness.

Wie denken Sie, dass die Gewalt gegen Frauen in Angriff von Regierungen genommen werden sollte? Und von der Zivilgesellschaft?
Ich gehöre zu einer Feministinnen-Generation, die seit über 40 Jahren gegen die sexuelle Gewalt kämpft: vom sexuellen Missbrauch über Vergewaltigung und Prostitution bis hin zum Sexualmord. Selbstverständlich auch gegen die sexuelle Gewalt von Deutschen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten nicht alles, aber viel erreicht. Und dahinter möchten wir nicht zurückfallen! Was nun Migranten und Flüchtlinge angeht: Auch für sie gilt selbstverständlich der Rechtsstaat und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Ohne Abstriche.

Unterscheiden Sie zwischen häusliche Gewalt zwischen zwei Europäer und sexuelle Übergriffe von Ausländer gegen europäische Frauen?
Die sexuelle Gewalt ist immer eine Machtfrage. Egal, welcher Nation, Ethnie oder welchen Glaubens man ist. Bis Mitte der 1970er Jahre war die sexuelle Gewalt auch in Westeuropa noch ein totales Tabu. Wir Feministinnen haben sie dann öffentlich gemacht, rasch waren die Frauenhäuser überfüllt. Und allmählich änderten sich auch Bewusstsein und Gesetze. Es ist viel b esser geworden. Dennoch gibt es diese epidemische und strukturelle Gewalt bis heute: Sie ist der dunkle Kern des Machtverhältnisses zwischen den Geschlechtern. Die islamischen Gesellschaften haben diesen Bewusstwerdungsprozess noch nicht durchgemacht, haben also reichlich Nachholbedarf. Die Frauen in diesen Ländern sind ja auch weitgehend rechtlos, haben den rechtlichen Status von Unmündigen. Verstärkend hinzu kommt die öffentliche Dimension der Gewalt: Diese Gruppenüberfälle haben ja die Funktion, Frauen Angst einzujagen und sie aus dem öffentlichen Raum zu verjagen. Das haben wir in Europa bisher nicht gekannt. Darum ist Köln ein solcher Wendepunkt.

Kann man Feminist sein ohne sich um die andere Minderheiten zu kümmern? (intersectional Feminism)
Nein, selbstverständlich nicht. Der Kampf meiner Feministinnen-Generation ist ein Kampf für Gerechtigkeit für ALLE Menschen. Doch da wir Frauen sind - und sich um die Frauen niemand kümmert außer wir selbst -  haben wir in den 1970er Jahre begonnen, uns nicht nur um die Rechte der Schwarzen oder Proletarier zum Beispiel zu kümmern, sondern auch um die Rechte der Frauen, unsere eigenen Rechte.

Was ist ihre Meinung über Homo-Ehe?
Ich bin dafür. Ich habe das in EMMA schon im Jahr 1985 gefordert.

Bleiben Sie gegen die Legalisierung der Prostitution? Ist das nicht elitär, wenn es Frauen gibt, die das machen wollen?
Frauen, „die das machen wollen“? Wie viele kennen Sie denn? Vier? Fünf? Oder sogar zehn? In Deutschland sind 90 bis 95 Prozent der Hunderttausenden von Frauen Zwangs- oder Armutsprostituierte aus Osteuropa. Oft können sie kein Wort Deutsch, außer „Ficken“. Sie werden wie Ware von Bordell zu Bordell verladen, alle drei Wochen „Frischfleisch“ für die Freier. Deutschland ist mit dem von den Sozialdemokraten und Grünen 2002 deregulierten Prostitutionsmarkt heute die europäische Drehscheibe von Frauenhandel & Prostitution und ein Einreiseland und Paradies für Sextouristen. Prostitution ist weiße Sklaverei. Eines Tages werden wir zurückschauen und uns fragen: Wie konnte es sein, dass wir zugelassen haben, dass mitten unter uns weibliche Menschen verkauft und gekauft wurden wie Vieh? Genauer gesagt: Schlimmer!

Daniel Mosseri für Libero Quotidiano

 

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Alice Schwarzer (Hg).: „DER SCHOCK – die Silvesternacht von Köln“ (KiWi, 7.99 €). Im EMMA-Shop

 

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