Alice Schwarzer schreibt

Der Türkenkreis

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Ein Drittel ist im Kindergarten-Alter, zwei Drittel sind in der Pubertät. Die Jungen, Raudis, wie Softies, spielten diesmal also „Türkenkreis“. Ein Mädchen durfte auch mitspielen. Noch. Doch was, wenn der Mensch in der stürmischen Mitte des Kreises kein Losungswort hat, um STOP zu sagen? Was, wenn er – oder sie – auf dem Boden liegt? Wird dann noch nachgetreten (wie es selbst an diesem Adventstag beinahe passiert wäre)?

Soweit die Jungenspiele 2009. Und die Mädchenspiele? Die wollen verstecken spielen, Malen oder Reden oder mit mir Kakao kochen und Fritten brutzeln. Und sie kümmern sich um die Kleineren. Erst bei den, live erzählten, Gespenstergeschichten treffen sich alle wieder, unabhängig von Geschlecht und Alter. Und selbst die großen Jungen sind dann bereit, sich vor harmlos Fantastischem zu gruseln.

Doch noch nie in den letzten 30 Jahren, in denen ich immer mal wieder die Kinder aus meinem Dorf zu Gast habe, schien mir die Kluft zwischen Mädchen und Jungen so groß wie diesmal. Und es driftet immer weiter auseinander.

Dabei war das doch schon mal anders. Aber seit einigen Jahren weht der Wind wieder rauer. Jungen aus den patriarchalen, nicht aufgeklärten, wenig gleichberechtigten Familien – seien es Türken oder zum Beispiel Russlanddeutsche – mimen noch immer die Macker. Und unsere Jungs, denen wir mit viel Mühe beigebracht hatten, einfach nur Menschen zu sein, geraten erneut unter Zugzwang, fühlen sich verpflichtet, mitzuhalten beim Dicke-Hose-Getue.

Höchste Zeit, gegenzuhalten. Ja, Frau Ministerin Köhler: Jungenarbeit tut not! Eine Jungenarbeit, die aus allen Jungen, egal welcher Herkunft, Menschen macht.

So, genug räsoniert. Jetzt gehen wir beim Bauern nebenan die hoffentlich gerade gewachsene Tanne holen. Und ich wünsche allen ein ähnlich besinnliches, frohes Weihnachtsfest. Und ein gutes neues Jahr!

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