Alice im Männerland: Abtreibung, die unendliche Geschichte

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Nicht der FAZ, nein der taz-Autorin Miriam Lau blieb es vorbehalten, Ende der 90er zu schreiben: Der Ton in dem Frauen über Abtreibung berichten sei nicht mehr ganz so triumphal wie noch in den 70er Jahren, als auf einem Stern-Titelblatt stolz bekannt wurde: `Ich habe abgetrieben.`- Damals muss die Autorin noch ein Kind gewesen sein. Ein Kind übrigens, deren Mutter eine der Bekennerinnen gewesen ist (was die Erwachsene verschweigt).

Handelt es sich hier also um die persönliche Verletzung bzw. Rache einer Tochter? Oder um das schlichte Missverständnis einer schlecht Informierten? Oder ist es Ausdruck eines Zeitgeistes, der es geschafft hat, die Geschichte zu manipulieren und die Befürworterinnen des Rechtes auf eine selbstbestimmte Mutterschaft wieder in die Defensive zu drängen? Denn längst sind die religiös motivierten Abtreibungsgegner ja wieder diskussionsführend, reden sie unwidersprochen von einem Kind, wenn der Fötus gemeint ist, und firmiert die 0,01 Millimeter messende Stammzelle unter dem Etikett werdendes Leben.

Doch wie war das wirklich, damals, 1971? Der Ton war alles andere als triumphal. Der Ton dieser 374 war verzweifelt, entschlossen und todesmutig. Sie wagten zu einer Zeit, in der eine Frau noch nicht einmal mit der eigenen Mutter oder besten Freundin über ihre Abtreibungsnot sprach, öffentlich das Schweigen zu brechen. Und nicht eine dieser 374 darunter ein Dutzend Prominenter und hunderte Unbekannter (wie eben auch Barbara Nirumand, die Mutter von Miriam Lau): Sekretärinnen, Hausfrauen, Studentinnen wusste was morgen geschehen würde: Würde ihr Mann sich scheiden lassen? Würden ihre Nachbarn noch mit ihr reden? Würde ihr Chef ihr kündigen, der Produzent dem Star keine Rolle mehr geben? Würde sie ins Gefängnis kommen?

Ich habe damals unter abenteuerlichen Umständen den Appell der 374 und die Zusammenarbeit mit dem Stern eingefädelt. Die Veröffentlichung trat eine Lawine los. Hunderttausende Frauen folgten, schickten Unterschriftenlisten, gingen auf die Straße. Der Bann war gebrochen. Unter dem Druck der Mehrheit der Bevölkerung musste die sozial-liberale Regierung das entmündigende Gesetz reformieren sie wäre sonst 1974 nicht wieder gewählt worden.

Doch erst die Gespräche mit betroffenen Frauen für mein erstes Buch (Frauen gegen den § 218), das im Herbst 1971 erschien, haben mir wirklich die Augen geöffnet. Das Ausmaß des heimlichen Elends der Frauen die destruktiven Folgen der Angst vor der ungewollten Schwangerschaft für die Sexualität, die Beziehung zu Männern und das ganze Leben war mir bis dahin nicht klar gewesen. Das Thema hat mich weiter verfolgt. Bis heute habe ich über kein Problem so oft geschrieben, in keiner Sache so oft gehandelt.

30 Jahre nach dem dramatischen Appell der 374 haben in Deutschland im Jahre 2001 genau 134.964 Frauen legal und mit medizinischem Beistand abgetrieben, drei von vier waren bereits Mutter. Ist das Problem also heute von gestern? Leider nein. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Abtreibungsgegner in der ganzen Welt in der Offensive, von der Vatikan-Connection bis zu den terroristischen Lebensrechtlern, die schon Dutzende von Menschen abballerten. Auf ihr Konto geht es auch, dass Jahr für Jahr weltweit noch immer 200.000 Frauen sterben: an unsachgemäßen weil illegalen Abtreibungen. Und in Amerika lernen MedizinstudentInnen unter dem Druck der Lebensrechtler heute diesen meist praktizierten medizinischen Eingriff nicht mehr. Solche Verhältnisse könnten eines Tages in Deutschland wieder herrschen. Das Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft steht auch mitten in Europa auf sehr wackeligen Füßen.

Alice Schwarzer in "Alice im Männerland - eine Zwischenbilanz" (Kiepenheuer & Witsch, 2002).

Weitere Texte zu Abtreibung
Der Appell der 374 (Stern 1971)
Und ewig zittere das Weib (EMMA 9/1990)
Gesamtdeutsches Recht - oder Unrecht? (EMMA 4/1993)
Nur ein halber Sieg (EMMA 4/1993)
Neue Offensive der Dunkelmänner (EMMA 2/1998)
EMMA Kampagne Abtreibung

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