Alice Schwarzer schreibt

Ich habe nichts gegen Männer

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Muss nun ich, Alice Schwarzer, wirklich etwas dazu sagen? Eigentlich nicht. Ein Blick ins Bücherregal oder Internet genügt ja. Und da ist zu sehen: Wohl kaum eine Autorin hat seit 40 Jahren ein so breites Themenspektrum wie ich: von Abtreibung und (Familien)Arbeit über Sexualität und Identität bis hin zu (Sexual)Gewalt und religiösem Fundamentalismus. Und schon immer hatte ich die Haltung: weder gegen „die Männer“ noch für eine „weibliche Zukunft“, sondern „für die Vermenschlichung der Geschlechter“ (Zitat von 1973 in „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“).

Und die von mir verantwortete EMMA? Die hat viele Themen, die heute aktuell sind, schon vor 20, 30 Jahren überhaupt erst zum Thema gemacht. Und sie denkt weiter. Ein Blick ins Heft genügt, um zu wissen, was die Themen der nächsten Jahre sein werden.

Aber die so gern beschworenen „jungen Frauen“? Keine Frauenzeitschrift hat so junge Leserinnen wie EMMA (jede Dritte unter 30 und Altersdurchschnitt 39!). Und bei meinen Lesungen sind diese jungen Frauen in ungewöhnlicher Dichte anzutreffen. Aber wen scheren schon die Fakten?

Kommen wir also zu der Frage nach den Männern. Die sind in der Tat die Wasserscheide zwischen: ehrlich oder anbiedernd? Die Frauen der Anbiederfraktion hören nicht auf zu beteuern: Ich bin nicht so wie die… Das ist eine Männerhasserin… Ich aber habe nichts gegen Männer… Mehr noch: Ich liebe Männer!

Die Ehrlichen aber sagen: Ja, wir leben in einer männerdominierten Welt, in der Männer Vorteile auf Kosten von Frauen haben. Das muss sich ändern. Und zwar weltweit. Nicht nur in Bezug auf meine ganz persönlichen Bedürfnisse und meine „Karriere“. Doch Privilegierte geben bekanntermaßen ungern ihre Privilegien ab. Das ist verständlich. Also müssen die Nicht-Privilegierten die Machtfrage stellen.

ArbeitnehmerInnen brauchen Gewerkschaften, um ihre Interessen gegen Arbeitgeber durchzusetzen. Schwarze brauchen Blackpower, um die Weißen vom Herrenrassethron zu stoßen. Und Frauen brauchen Frauenpower, um ihre kollektiven Interessen in einer Männergesellschaft durchzusetzen. Diese Frauenpower hieß in den 1970er Jahren Frauenbewegung. Und hat eine Menge in Bewegung gesetzt. Doch da sie weder in irgendeiner Art von Organisation bzw. Partei gemündet ist, sind Frauenwut und Frauenpower heute kein politisch fassbarer Faktor. Frauen haben in Deutschland im 21. Jahrhundert keine Lobby. Und der „Feminismus“ ist zur inflationären Währung geworden, von innen ausgehöhlt und so manches Mal sogar in sein Gegenteil verkehrt.

Den wahren Feminismus erkennen wir daran, dass er unbeirrt weiterhin die Machtfrage stellt: Die Machtfrage zwischen Frauen und Männern, gesellschaftlich wie individuell.

Es stimmt: Ich habe etwas gegen die Männergesellschaft. Und gegen alle Männer und Frauen, die das männliche Prinzip stützen – weil sie von ihm profitieren. Ansonsten sind Männer bekanntermaßen auch Menschen, viele finde ich interessant, manche mag ich sogar – so wie ich einige Frauen gar nicht mag. Es ist eben keine Frage der Biologie, sondern eine Frage der Ideologie.

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