Alice Schwarzer schreibt

Glückwunsch, Frau Bundeskanzlerin!

Angela Merkel und Alice Schwarzer im Jahr 2000 in Berlin. Foto: Bettina Flitner
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Während im postfeministischen Westen etliche potente Politikerinnen bei dem Griff zur Staatsmacht kläglich scheiterten, ging die Pfarrerstochter aus der DDR unbeirrbar ihren Weg. Vermutlich war es ihr am Anfang gar nicht klar, dass dieser Weg für eine Frau in unserer Gesellschaft eigentlich unmöglich ist. Die gelernte Physikerin dachte wohl: Ich bin ein tüchtiger Mensch, also kann ich es doch einfach mal versuchen.

Als sie mir anno 1992 beim Italiener in Köln erstmals gegenüber saß, war ich rasch beeindruckt von ihrer spürbaren Integrität und Intelligenz. Ich hatte ihr das Treffen vorgeschlagen, weil die Häme, mit der die frischgebackene Frauenministerin (!) in den Medien überschüttet wurde, mich hellhörig gemacht hatte. Und sie hatte spontan zugesagt.

Ausgerechnet 'Kohls Mädchen' soll Kanzlerin werden?

Einige Monate später hat sie dann für EMMA Susan Faludis fulminantes feministisches Manifest "Backlash" besprochen, das sie auf einer Amerikareise noch vor uns entdeckt hatte. Dieses Buch war für Merkel ein Augenöffner: die manipulative Funktion der so genannten "Trendstories" in den Medien, die entgegen aller Fakten suggestive Lügen verbreiten (Zum Beispiel die, immer mehr Mütter blieben zu Hause - was die Statistiken schlicht widerlegten); oder auch die Notwendigkeit einer neuen Männerrolle: der Mann, "der sich auch um Nachbarn kümmert und das Klo putzt". Merkel O-Ton: "Ich verstehe unter Gleichberechtigung das gleiche Recht für Frauen auf Gestaltung des eigenen Lebens und die gleichmäßige Verteilung aller Pflichten (...) Individualisierung allein wird uns nicht voranbringen."

In den darauf folgenden Jahren hat Angela Merkel dann sehr rasch gelernt, über das Thema "Frauen" nicht mehr öffentlich zu reden. Zu heiß. Wie über das Thema DDR. Zu heiß. Bei ihrer Antrittsrede als Parteichefin der CDU im Jahr 2000 widmete sie von 26 Seiten ganze drei Zeilen den Frauen - und nahm darin ausgerechnet die Hausfrauenehe in Schutz. Bis heute macht die Kanzlerin ihre Konzessionen an den rechten Flügel der Union gerne auf Kosten der Frauen. Wie bei dem absurden, kontraproduktiven Betreuungsgeld, das Kindern wie Frauen schadet. Seehofer zuliebe.

Doch gleichzeitig handelt die Kanzlerin, indirekt. Die emanzipierte Mutter von sieben Kindern und Familienministerin von der Leyen war ihre Ministerin. Die kompetenten, selbstbewussten Frauen im Kabinett sind auch ihr Werk. Und vor allem: Ihre Vorbildfunktion ist Gold wert. Seit Merkel wissen die kleinen Mädchen: Ich muss nicht Friseurin, ich könnte auch Kanzlerin werden. Allein dafür hat es sich schon gelohnt.

"Die kann das nicht." Das dachte nicht nur der selbstverliebte, von ihr enttrohnte Altkanzler Schröder, das dachte bis 2005 auch so manche Feministin, die sich zwar 87 Jahre nach Erringung des Frauenwahlrechts endlich auch mal eine Frau an der Staatsspitze wünschte, aber wenig überzeugt davon war, dass das ausgerechnet "Kohls Mädchen" sein könnte.

Doch das Sein prägt das Bewusstsein. Das haben wir schon bei Marx gelernt. Zwar waren auch die Frauen aus der DDR doppelbelastet - und selbst die Kanzlerin erzählt bis heute gerne Journalisten, dass sie ihrem Mann, dem Spitzenphysiker, immer das Frühstück macht. Soviel Frau muss sein. Aber...

Aber irgendwie hatten sie den Genossinnen in der realsozialistischen DDR nicht deutlich genug eingebläut, dass sie nur Frauen sind. Auf dem Papier gleichberechtigt, in "Männerberufen" wie Kranführer oder Physiker präsent, vom Staat bei der Kindererziehung mit ausreichend Krippen etc. entlastet; und vor allem: nicht 24 von 24 Stunden beschäftigt mit Diäten, Schminktipps und Modefirlefanz. Das setzt Kräfte frei. Und schafft Selbstbewusstsein.

Sie hat gelernt, über das Thema Frauen nicht mehr öffentlich zu reden

Da kann dann auch mal sowas Unglaubliches bei rauskommen wie eine Frau, die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts das höchste Staatsamt endlich zutraut - und es auch ausfüllt. National bekrittelt, aber international bewundert. Eine Frau, an der die Kritik wg. mangelnder "Weiblichkeit" (eiskalt etc.) abzuperlen scheint. Eine Frau, die auch in Zeiten heftigster internationaler Krisen immer besonnen geblieben ist und sich vom Vorwurf der "Langweilerin" nicht hat provozieren lassen.

Und nun also: La Gloire. Am 17. Juli wird Angela Merkel 60, die Mächtigen der Welt werden gratulieren. Kinder, wie die Zeit vergeht.

Auch ich gratuliere, Frau Bundeskanzlerin!

Alice Schwarzer

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Als sie noch von der Macht träumte

Angela Merkel über Susan Faludis Buch "Die Männer schlagen zurück". - © imago
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Susan Faludi beschreibt in ihrem Buch ,Backlash. Die Männer schlagen zurück' die 80er Jahre als eine Dekade der Stagnation in der Frauenpolitik und der Reaktion der Männer auf den Feminismus. Sieht es in Deutschland anders aus? Da haben wir zwar die rechtliche Gleichberechtigung garantiert, eine nüchterne Analyse der Teilhabe von Frauen im öffentlichen Leben aber zeigt ein eher erschreckendes Bild. Ich habe dieses Buch im Januar 1993 in Amerika gelesen, in einer Zeit, als nach Bill Clintons Wahlsieg Frauen im politischen Leben der Vereinigten Staaten wieder eine größere Rolle zugedacht wurde. In den Monaten danach haben wir aber erlebt, wie amerikanische designierte Ministerinnen abserviert wurden. Wer hat je einen Mann gefragt, woher sein Kindermädchen kommt?

Das Rollenbild wird immer noch von Männern vorgegeben 

Susan Faludi schildert, welche Erwartungen heute an Frauen gestellt werden und wie die Realität aussieht. Das Rollenbild wird immer noch von Männern vorgegeben, lautet die Botschaft von Susan Faludi. Sie erspart sich dabei nicht die Mühe, mit Fakten nachzuweisen, in welcher Weise Trends und Modeerscheinungen, die in der Realität weder relevant noch typisch sind, gemacht und schein-wissenschaftlich untermauert werden.

Wer sind die Trendsetter? Wer macht die Meinung? Wer bestimmt, wovon wir erfahren dürfen, was wir wollen und wohin wir gehen sollen? Faludis Antworten auf diese Frage zeigen, dass es auch in Amerika vor allem Männer sind. Mit Unterstützung von ein paar Alibi-Frauen vermitteln diese Männer uns ein Meinungsbild, das Frauen nicht gerade ermutigt.

Ich sehe das in Deutschland genauso. Denn ich merke, dass Frauen so lange schwer vorankommen, wie sie nicht im gleichen Maße teilhaben am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben. So lange sie nicht in den Führungspositionen der Medien, der politischen Parteien, der Interessenverbände, der Wirtschaft und der sozialen Bereiche vertreten sind; so lange sie nicht zu den Modeschöpfern und Spitzenköchen gehören; so lange werden Leitlinien eben von Männern festgelegt. Deshalb ist eine meiner Lehren aus diesem Buch und aus meinen Erfahrungen: Wir Frauen müssen weitergehen auf dem Marsch durch die Institutionen und teilhaben an der öffentlichen Macht! Ob dies auch die Botschaft von Susan Faludi ist, vermag ich nicht ganz zu erkunden. Ich glaube, dass die Frauenbewegung in dieser Frage unentschieden ist.

Durch Schuldgefühle kann man den Mut, den Aufbruchsgeist und den Willen zur Selbstgestaltung des Lebens bei Frauen am besten unterbinden, lautet die zweite Erkenntnis von Susan Faludi. Man muss nur den Frauen immer wieder statistische irrelevante Zahlen vorhalten und falsche Fragen in den Medien publizieren und diskutieren, um sie in arge Selbstzweifel zu stürzen. Welche Heiratschancen habe ich, wenn ich eine führende Position bekleide? Wie hoch ist die Gefahr einer Fehlgeburt? Was leiden meine Kinder, wenn ich versuche, Beruf und Familie zu vereinbaren? Diese Fragen werden immer wieder an für Frauen entmutigenden Negativ-Beispielen diskutiert. Es ist der Versuch der Männer, sich in den von ihnen besetzten Positionen zu halten oder zumindest die einsteigenden Frauen mit einem schlechten Gewissen zu deckeln.

Wir Frauen müssen teil-haben an der öffentlichen Macht!

Susan Faludi zeigt an unglaublichen Beispielen, wie bestimmte wissenschaftliche Tatsachen so oder so ausgelegt werden können, und wie Statistik genutzt wird, um ein scheinbar unumstößliches Glaubensbekenntnis zu untermauern.

So stieg die Frauenerwerbsquote Anfang der 80er Jahre in den USA erstmals auf über 50 Prozent. Prompt behauptete Präsident Reagan, die berufstätigen Frauen seien ,schuld' an der Arbeitslosigkeit. In Wahrheit war es die der Rezession. Die Frauen profitierten nämlich in Reagans Amtszeit von jährlichen Stellenzuwachs so wenig wie zu Eisenhowers Zeiten. Und ein Drittel der neuen Frauenjobs lag unter dem Existenzminimum. Faludi: "Das waren keine Stellen, die Frauen den Männern wegnahmen; das waren Dreckjobs, die Männer ablehnten und Frauen aus Verzweiflung annahmen- um ihre Familie zu ernähren, wenn der Mann abwesend, arbeitslos oder unterbeschäftigt war."

Was lässt sich hieraus lernen? Zunächst muss die Frage beantwortet werden: Wer tut die Arbeit, die Frauen heute leisten, wenn sie stärker und richtigerweise am öffentlichen Leben beteiligt werden? Diese Arbeit kann nur von den Vätern und Großvätern, den Männern also geleistet werden. Das müssen Frauen immer wieder auf den Tisch bringen, auch wenn es unendlich viel Kraft braucht.

Wir müssen wegkommen von den stereotypen Rollenvorstellungen und neue Leitbilder propagieren: Der Mann, der sich um die Nachbarn kümmert; der Mann, der nachmittags in der Theatergruppe der Schule mitmacht; der Mann, der spült und das Klo putzt. Denn das habe ich der DDR gelernt: Wenn Frauen nur zusätzlich zu all den Arbeiten, die sie zu erledigen haben, noch die Erwerbstätigkeit oder die Teilhabe an öffentlichen Ämtern ausüben, dann schwindet die Kraft, sich über die eigene Lebensgestaltung klar zu werden, gar in sie zu investieren.

Leider gibt Susan Faludi keine Antwort auf die Frage, wie diese Änderung des Rollenverständnisses von Männern bewirkt werden kann. Die gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen und privaten Leben ist ja keineswegs allein durch Gesetze und Verordnungen zu verwirklichen. Der Kampf um die Gleichberechtigung ist nach Susan Faludi eine spiralförmige Entwicklung, immer wieder verbunden mit Rückschritten, die sich nur langsam an die eigentliche Gleichberechtigung herantastet. Wie diese eigentliche Gleichberechtigung letztendlich aussieht, bleibt in dem Buch an vielen Stellen im Dunkeln.

Ich verstehe unter Gleichberechtigung das gleiche Recht für Frauen auf Gestaltung des eigenen Lebens und die gleichmäßige Verteilung aller Pflichten, die für das Gesamtwohl unserer Gesellschaft unerlässlich sind. Individualisierung allein wird uns nicht voranbringen. Susan Faludi zeigt, dass Frauen ihre Anliegen selbst artikulieren müssen, und dies kontinuierlich. Das Unwissen nachwachsender Frauengenerationen über die Forderungen ihrer Vorkämpferinnen hat immer wieder zu Brüchen in der feministischen Entwicklung der USA geführt. In Deutschland wird es nicht anders sein. Faludi zeigt, dass Frauen sich selber auf den Weg machen müssen, wenn sie für sich etwas erreichen wollen.

Gleiches Recht für Frauen auf Gestaltung des eigenen Lebens

Faludi argumentiert nicht, und das macht den Reiz dieses Buches aus, auf emotionaler Ebene. Sie bedient sich wissenschaftlicher Methoden, um zu beweisen, dass so mancher Trend oder Skandal mehr System hat, als auf den ersten Blick erkennbar ist.

Mitte der 80er Jahre erschienen in der amerikanischen Presse eine Fülle von Trendstories über Mütter, die angeblich Angst hatten, ihre Kinder in Horte zu geben. 1988 taucht dieser Trend dann erstmals in einer nationalen Erhebung auf: 40 % der Mütter sprachen nun von dieser Angst', das Vertrauen in die Horte sank von 76 Prozent im Vorjahr auf 64 Prozent. In den 80er Jahren wurde von den Medien ebenso hartnäckig behauptet, immer mehr Frauen gäben ihren Beruf auf, um bessere Mütter zu sein. Tatsächlich aber sank die Frauenerwerbsquote in dieser Zeit bei Frauen zwischen 20 und 44 nur um 0,5 Prozent.

Faludi: "Die Frauen-Trendstories der 80er Jahre, die nur so taten, als brächten sie Fakten, dienten einem politischen Programm, obwohl sie den Frauen weismachten, was mit ihnen geschehe, habe nichts mit Politik oder gesellschaftlichen Zwängen zu tun."

Für mich eröffnet Susan Faludis Buch eine völlig neue Sichtweise auf die Entwicklung der letzten zehn bis 15 Jahre in Amerika. Es zeigt aber vor allem uns in Deutschland, die wir zur Zeit in einem Prozess der Annäherung von sehr verschiedenen Biographien in Ost und West sind, aufweiche Gefahren Frauen stoßen werden.

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