Alice Schwarzer schreibt

Der Gipfel der Scheinheiligkeit

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Der Skandal, dass zwei katholische Krankenhäuser in Köln die Notfall-Betreuung einer offensichtlich vergewaltigten Frau abgewiesen haben mit dem Argument, sie müssten dann ja gegebenenfalls die „Pille danach“ verschreiben und das verstoße gegen ihre Überzeugung, hat das Land erschüttert. So erschüttert, dass nicht nur die Krankenhäuser sich bei dem Opfer entschuldigen mussten, sondern auch Kardinal Meisner sich jetzt persönlich dieser Entschuldigung anschloss („So etwas darf sich auf keinen Fall wiederholen.“). Gleichzeitig aber nutzte der Statthalter des Papstes diesseits der Alpen die Gelegenheit, den Versuch der Entrechtung der Frauen in einem skandalösen Maße noch weiter voranzutreiben.

Meisner bezeichnet die Vergewaltigung als ein „schlimmes Verbrechen“, was selbstverständlich ist, und geht sodann ausführlich auf die ethische Diskussion ein: „Der Schutz eines Menschenlebens gilt uneingeschränkt und von der Zeugung an. Der Lebensschutz ist eine unüberschreitbare Grenze und jedem menschlichen Eingriff entzogen.“

Das ist reine Theorie, Lichtjahre vom Leben entfernt. Denn die Abtreibung ist im realen Leben ja keineswegs dem „menschlichen Eingriff“ entzogen. Frauen, auch katholische, treiben ab, wenn sie ungewollt schwanger sind, unter allen Umständen. Egal, was die Kardinäle verkünden: Gläubige Katholikinnen, das belegen Studien, treiben nicht weniger ab als alle anderen Frauen.

Wir reden hier also wieder einmal von der unerträglichen Kluft zwischen menschlichem Leben und katholischer Doktrin. Eine Doktrin allerdings, die alles andere ist als eine reine Lehre.

Denn es ist vor allem dem Einfluss der katholischen Kirche und der Willfährigkeit der Politik zu verdanken, dass wir in Deutschland auch 40 Jahre nach Beginn des Protestes gegen den § 218 keine lebenswirklichen Gesetze haben, sondern Abtreibung selbst in den ersten drei Monaten noch immer eher eine Gnade ist als ein Recht wie in unseren Nachbarländern (inklusive Italien). Ungewollt Schwangere in Deutschland müssen um Erlaubnis bitten und sich zwangsberaten lassen.

In katholisch beherrschten Bundesländern, wie Bayern, gibt es schon heute einen Abtreibungs-Tourismus. Denn ÄrztInnen an katholischen Krankenhäusern dürfen ungewollt schwangeren Frauen nicht medizinisch beistehen, sonst riskieren sie ihren Job. Und in katholisch dominierten Regionen wie Südamerika herrscht dank der ach so linken „Befreiungstheologen“ inzwischen eine Terrorherrschaft über Frauen, die illegal abtreiben müssen, unter Lebensgefahr. Weltweit ist vor allem die katholische Kirche für die jährlich über 80.000 toten Frauen verantwortlich, krepiert bei illegalen Abtreibungen. Das nennen Kirchenmänner wie Meisner „Lebensschutz“.

Nun hat der Kölner Kardinal ausgerechnet die Gelegenheit seiner Entschuldigung genutzt, um seine so unethische Ethik nicht nur noch einmal zu bekräftigen, sondern tatsächlich noch weiter auszudehnen. So sprach er sich explizit gegen alle „Maßnahmen“ aus, „welche die Tötung eines möglicherweise schon gezeugten Kindes bedeuten“. Damit meint er die „Pille danach“, die direkt nach einem riskanten oder ungewollten Geschlechtsverkehr verabreicht werden kann, um die Befruchtung bzw. die Einnistung des Eis zu verhindern.

Der Chef der Kölner Universitäts-Frauenklinik, Prof. Peter Mallmann, ergriff die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass die „Pille danach“ die lediglich Einnistung des Eis verhindere – auch wenn es nicht befruchtet ist – und damit „eine ganz normale Empfängnisverhütung“ sei. Es handele sich also selbstverständlich nicht um Abtreibung.

Der papsttreue Meisner sieht das ganz anders. Und auch dabei waren die Parteien und Parlamente in Deutschland seine getreuen Erfüllungsgehilfen: Im Ausland können Frauen die harmlose „Pille danach“ einfach in der Apotheke kaufen – hierzulande muss sie verschrieben werden (Was sich hoffentlich bald ändert). Mit der erneuten Verdammung der „Pille danach“ will der Kardinal auch in Zukunft nicht nur den Schwangerschaftsabbruch schon in der Stunde Null verhindern – sondern er will noch viel mehr: Er will sogar nicht gewollte Befruchtungen erzwingen!

Sehr geehrter Herr Kardinal, Sie sind schon oft unerträglich weit gegangen in der Abtreibungsfrage. Zum Beispiel, als Sie die Abtreibung „Babycaust“ nannten und mit dem Holocaust verglichen. Jetzt wollen Sie die Frauen also auch noch zwingen, sich befruchten zu lassen? Wie scheinheilig.

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