Alice Schwarzer in anderen Medien

"Demokratische Muslime müssen Farben bekennen"

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Wird sich durch das jüngste Attentat auf das Satire-Magazin in Frankreich auch unser Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland wandeln?
Alice Schwarzer Dieses Attentat in Paris ist von der symbolischen Wucht her sozusagen ein 11. September für Europa. Und es ist hoffentlich auch für Deutschland endlich ein Anlass, genauer zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden – und entschiedener gegen die Islamisten vorzugehen. Wir dürfen auch nicht länger zulassen, dass in Koranschulen und manchen Moscheen dumpfe Unterwerfung und Hass auf "Ungläubige" gepredigt wird. Das erste Opfer dieser faschistoiden Agitatoren ist schließlich die Mehrheit der friedlichen und demokratischen Muslime. Sie haben bisher geschwiegen. Auch sie müssten jetzt klarer Farbe bekennen!

Sie haben viele Jahre in Frankreich gelebt und kennen das Land gut. Was können wir im Guten wie im Schlechten von unserem Nachbarland im Umgang und in der Verständigung mit der muslimischen Minderheit lernen?
Die Franzosen haben dieselben Fehler gemacht wie wir. Sie haben zu wenig getan für eine echte Integration und die Agitation der Islamisten in den Vierteln nicht ernstgenommen. Eines aber können wir von den Franzosen lernen: die strikte Trennung zwischen Religion und Staat. In Frankreich ist das Kopftuch in der Schule für Lehrerinnen und Schülerinnen schon lange verboten, ebenso das Kreuz und die Kippa. Und die Burka, dieses Leichentuch für Frauen, ist in der Öffentlichkeit ganz verboten.

Fühlen Sie sich in Ihrer eigenen publizistischen Arbeit und Ihrer Kritik am Islamismus und der Unterdrückung von muslimischen Frauen bedroht oder eingeschränkt?
Nein. Ich bekomme allerdings seit Jahrzehnten viele besorgte Briefe von Leserinnen und vor allem Lesern. Die Männer scheinen die Gefahr einer islamistischen Unterwanderung klarer zu sehen als die Frauen, obwohl die doch noch viel bedrohter sind. Ich warne ja schon seit 1979 vor einem islamistischen Kreuzzug. Seit meinem Besuch im Teheran Khomeinis, wo uns zwangsverschleierte Frauen zu Hilfe gerufen hatten. Allerdings habe ich immer großen Wert gelegt auf eine strikte Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus. Und was die in der Tat wohl nötige Reform des Islams angeht: die scheint mir eine innere Angelegenheit der Muslime.

Waren wir in Deutschland zu lange naiv und gutgläubig, bei den Versuchen einer Integration?
Ich würde eher sagen, wir waren zu nachlässig und zu wenig selbstbewusst zu gleich. Wir haben der seit Mitte der 1980er Jahre systematischen Agitation der Islamisten – die zum Beispiel Eltern sogar Öldollars für die Verschleierung ihrer Töchter zahlen – wenig entgegengesetzt. Wir haben die Söhne nicht ernst genug genommen und die Frauen und Mädchen nicht vor den Fundamentalisten geschützt. Gleichzeitig haben wir die von uns so mühsam errungenen Werte, wie Rechtsstaat oder Gleichberechtigung, nicht wirklich verteidigt, sondern stattdessen eine unrealistische Fremdenliebe propagiert. Diese Art von Fremdenliebe aber, die den anderen nicht ernstnimmt, sondern in einem exotischen "Anderssein" belässt, ist in Wahrheit nur die andere Seite der Medaille Fremdenhass.

Werden die Demonstrationen von Pegida die Fronten in Deutschland verhärten oder sind die Proteste möglicherweise der Beginn einer neuen Diskussion?
Das ist zurzeit noch schwer zu beurteilen. Mir scheint, dass die Pegida-Demonstrationen im Osten eine auch politisch breitere Anhängerschaft haben als die im Westen, wo sie stark rechts infiltriert sind. Auf jeden Fall müssen wir miteinander reden. Ausgrenzen und Dämonisieren hat noch nie etwas gebracht. Vielleicht trägt ja jetzt der Schrecken von Frankreich dazu bei.

Viele Muslime etwa in Deutschland stehen ihrer eigenen Religion eher desinteressiert gegenüber. Ist der Islam Ihrer Meinung nach überhaupt eine Bedrohung?
Nicht der Islam ist eine Bedrohung, sondern der Islamismus; also der Missbrauch des Glaubens für eine politische Strategie. Einer Studie des Innenministeriums von 2009 war zu entnehmen, dass sich nur jeder dritte Muslim in Deutschland als stark gläubig bezeichnet. Jeder zweite ist mehr oder weniger gläubig, jeder sechste gar nicht. Es ist also falsch, die Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis über die Religion zu definieren. Übrigens ist es auffallend, dass zwar jeder zweite Mann muslimischer Herkunft "oft" oder "manchmal" in die Moschee geht, aber nur jede vierte Frau. Die Frauen werden wissen, warum. Unsere Demokratie müsste auf jeden Fall endlich auf einer strikten Trennung von Staat und Religion bestehen.

Was halten Sie von dem neuen Roman von Michel Houellebecq? Hat der Autor ein Gespür für unsere Zeit und die Ängste der Menschen?
Ich habe den Roman noch nicht gelesen. Aber es ist schon frappant, dass ausgerechnet am Tag des Erscheinens dieser satirischen Utopie, die die Machtübernahme der Muslime in Frankreich für das Jahr 2022 voraussagt, die Islamisten diese Kriegserklärung an die Demokratie und Freiheit gemacht haben.

Lothar Schröder, 9.1.2015 für die Rheinische Post

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