Alice Schwarzer schreibt

Kopenhagen-Attentat: Kopie von Paris

Loic Venance/AFP/Getty Images
Artikel teilen

Die lähmende Trauer über die selbstgerechte Ermordung von 17 Menschen, die tagelang über dem ganzen Land lag, mündete in der größten Demonstration in der Geschichte Frankreichs: Für die Freiheit! Für die Gleichheit! Für die Republik! 

Und so, wie unter den Opfern auch französische Muslime und Juden waren, so protestierten gegen den islamistischen Terror auch alle gemeinsam. Das offensive Bekenntnis zu der ermordeten Equipe von Charlie Hebdo, „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie), ist im ganzen Land plakatiert. An Theatern, Kinos, Museen und in den Schaufenstern von Pariser Bistros ebenso in der bürgerlichen Rive Gauche wie in Belleville, dem arabischen Viertel.

"Je suis Charlie, Flic, Juive. Je suis la République."

Und längst geht die Solidarität weit über Charlie hinaus. Sie gilt auch den drei ermordeten Polizisten – darunter ein Algerier-Franzose und eine Frau – sowie den vier in einem koscheren Supermarkt von dem Komplizen der zwei Killer ermordeten Juden. Inzwischen taucht der Slogan auf: „Je suis Charlie, Flic, Juive / Je suis la Republique“ (Ich bin Charlie, Polizist, Jude / Ich bin die Republik).

Es sieht also ganz so aus, als gebäre das Grauen die Hoffnung. Als würde das blutige Massaker zum Weckruf für die Bürger und die Politiker.

Und das nicht nur in Frankreich, sondern hoffentlich auch in Deutschland und den anderen westeuropäischen Ländern.

Höchste Zeit zu unterscheiden zwischen Islam und Islamismus, diesem faschistoiden politischen Missbrauch des Glaubens für eine politische Machtstrategie. Gemeinsam mit der Mehrheit der friedlichen und demokratischen Musliminnen und Muslime in unseren Ländern müssen wir jetzt gegen diese Gottesstaatler auf dem Kriegsfuß angehen.

Glaube muss Privatsache sein. Religion und Staat gehören strikt getrennt.

Und zwar nicht erst, wenn sie schon getötet haben, sondern bereits da, wo sie das Gift ihrer Scharia-Propaganda in unsere Gesellschaften träufeln: durch die Relativierung unserer demokratischen Werte. Im Bildungswesen zum Beispiel. Da haben die IslamistInnen und ihre SympathisantInnen es schon erreicht, dass viele muslimische Mädchen nicht mehr den gleichen Zugang zur Bildung haben wie Jungen, und die Geschlechter wieder getrennt werden.

Oder im Rechtswesen. Da wird heute in Deutschland im Zivilrecht – dem Hauptterrain der Benachteiligung oder gar Entrechtung von Frauen – nach dem jeweiligen Recht des Herkunftslandes „Recht“ gesprochen! Und selbst im Strafrecht wird so manches Mal von allzu toleranten RichterInnen das Recht im Namen der Religion relativiert (Stil: Der arme Vater konnte nicht anders, als seine Tochter nach der Disco umbringen – er ist schließlich Muslim). 

Das alles darf nicht länger hingenommen werden! Glaube muss Privatsache sein. Auch für Muslime. Religion und Staat gehören strikt getrennt. Für alle, für Christen oder Juden ebenso wie für Muslime. Das Rad der falschen Toleranz muss zurückgedreht werden – zugunsten einer echten Integration.

Alice Schwarzer

 

Artikel teilen
Alice Schwarzer schreibt

Alice Schwarzer über das Attentat

Artikel teilen

Charlie Hebdo ist das Kind der legendären Hara-Kiri. Als das von den 68ern vergötterte Anarcho-Satire-Blatt Anfang der 70er Jahre mal wieder zensiert und verboten wurde, machte die Hara-Kiri-Redaktion einfach unter einem neuen Namen weiter: Charlie Hebdo. Und erschien von nun an einmal in der Woche statt einmal im Monat. Die Versuche der Einschüchterung und Zensur haben das unabhängige Satireblatt also eigentlich immer nur stärker gemacht. Doch diesmal hatten sie keine Chance. Die Gegner richteten ihre Kalaschnikows auf die Meinungsfreiheit.

Mit Kalaschnikows gegen die Meinungsfreiheit

Amateurvideos zeigen, wie hoch professionell die Killer an diesem Vormittag des 7. Januar vorgingen. Zwei schwarz gekleidete Männer, die aussahen wie Soldaten einer Anti-Terror-Truppe, stürmten durch die ruhige Wohnstraße in den zweiten Stock des Gebäudes. Dort tagt immer mittwochs die gesamte Redaktion von Charlie Hebdo, auch die freien Zeichner sind präsent.

Die Killer richteten ihre Kalaschnikows gezielt auf die Redaktion und die beiden Polizisten, die Chefredakteur Charb bewachten. Der steht seit 2006 unter Personenschutz, seit Charlie Hebdo als einzige Zeitung in Frankreich die dänische Karikatur über Mohammed veröffentlichte (in Deutschland hat das damals auch EMMA getan).

„Allahu akbar. Wir haben den Propheten gerächt“

Jetzt aber hat niemand mehr eine Chance. Nach Sekunden liegen mehrere Schwerverletzte und zwölf Tote auf dem Schlachtfeld; darunter zwei Polizisten, Chefredakteur Charb sowie die in Frankreich berühmten und beliebten Karikaturisten Wolinski und Cabu.

Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Radiosender und Fernsehstationen unterbrechen ihre Programme und senden den ganzen Tag live vom Ort des Geschehens. Im Internet ist ein erstes Amateurvideo zu sehen - und zu hören. Die Killer verlassen den Ort mit den Rufen: "Allahu akbar! Wir haben den Propheten gerächt! Wir haben Charlie Hebdo getötet."

Frankreich hat jetzt seinen 11. September

Stunden später gehen über hunderttausend Menschen in ganz Frankreich auf die Straße, sie halten Schilder in den Händen, auf denen steht: "Ich bin Charlie". Heute gehen die Demonstrationen weiter. Der Präsident hat "nationale Trauertage" ausgerufen. Das hat ein Präsident zum letzten Mal am 11. September 2001 getan. Und 1970, zum Tod von de Gaulle. Die Staatschefs aller Nationen bekunden ihr Mitgefühl und ihre Solidarität, von Merkel bis Obama.

Frankreich hat seinen 11. September. Europa hat seinen 11. September. Denn hier sind nicht nur Menschen getötet worden. Eine ganze Zeitschrift ist ausgelöscht worden. Mehr noch: Frankreichs antiautoritärste, respektloseste, unabhängigste Stimme ist zum Verstummen gebracht worden. Hara-Kiri/Charlie Hebdo waren ein Symbol für Freiheit. Sie kannten keine Tabus. Sie zogen über alle her: Päpste, Staatschefs, Wichtigtuer – und eben auch Mohammed. Mit ihrem tiefschwarzen Humor und ihrer satirischen Zuspitzung legten sie ihre Pranken in die Wunde. Niemand ging in Frankreich gegen Kitsch und Doppelmoral so provokant vor wie sie.

Die respektlose Charlie Hebdo kannte keine Tabus

Jetzt sind diese Unerschrockensten ins Verstummen geballert worden. Und das nicht von radikalisierten Einzeltätern, sondern von hochprofessionellen Kriegern mit Netzwerk. Die sind bis jetzt zwar nicht gefasst, aber man weiß, wer sie sind. Denn die Profis haben einen Fehler gemacht: Sie haben ihre Pässe im Fluchtauto liegengelassen. Es handelt sich um die beiden Brüder Said und Cherif Kouachie, die 32 und 34 Jahre alten Söhne algerischer Eltern, beide in Frankreich geboren und im Besitz der französischen Staatsangehörigkeit. Der Polizei sind sie schon seit vielen Jahren als militante Islamisten bekannt. 

Heute Morgen hat die marokkanischstämmige Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem einen Brief an alle Lehrerinnen und Lehrer der Nation geschrieben. Sie fordert darin auf, mit den Schülerinnen und Schülern über das Attentat zu reden und die „Werte der Republik“ zu verteidigen.

Mit ihrem Ruf „Allahu akbar“ wollen die islamistischen Killer den ganzen Islam für ihr blutiges Geschäft vereinnahmen. Das scheint ihnen jedoch nicht zu gelingen. Selbst die rechtspopulistische Marine le Pen unterscheidet explizit zwischen „dem Islam“ und „den Islamisten“. Doch sie fordert einen „Krieg gegen die Islamisten“ und nutzt die Gunst der Stunde, für ein Referendum über die Todesstrafe zu plädieren. Es ist zu befürchten, dass sie nicht nur bei den Ewiggestrigen offene Türen damit einrennt.

Was tut die schweigende Mehrheit der Muslime?

Eine überwältigende Mehrheit der französischen PolitikerInnen und JournalistInnen argumentiert allerdings sehr differenziert, auch und gerade nach dem Attentat. Sie warnen vor einer Vermischung der Minderheit radikaler Islamisten mit der Mehrheit der friedlichen und demokratischen Muslime. Aber auch sie fordern ein entschiedeneres staatliches Vorgehen gegen die Agitation und Gewalt von Islamisten mitten in Frankreich. 

Und die Muslime? Der als liberal geltende Imam der Großen Moschee von Paris hat sich umgehend von dem Attentat distanziert und es als „unislamisch“ verurteilt. Auch zahlreiche andere muslimische Stimmen haben sich zu Wort gemeldet. Aber was wird die bisher schweigende Mehrheit der Millionen Musliminnen und Muslime in Frankreich nun tun? Werden sie es endlich wagen, sich offen gegen die Terroristen zu richten, die ihren Glauben missbrauchen?

Am 7. Januar habe ich auch zwei Freunde verloren

Ein persönliches Wort sei mir zum Schluss noch erlaubt. Ich war in meiner Zeit als Korrespondentin in Paris, in den späten 60er und frühen 70er Jahren, eng befreundet mit der Equipe von Hara-Kiri. Auch damals traf man sich immer am Mittwoch, um die nächste Ausgabe fertig zu machen. Am frühen Abend kamen dann wir Freunde und Freundinnen dazu. Es wurde gegessen, getrunken, diskutiert und gelacht, sehr viel gelacht.

Wir Freundinnen mussten allerdings immer wieder mal diese oder jene Hand, die sich dreist auf unseren Hintern legte oder unserem Busen näherte, energisch wegschieben. Doch wir hatten das im Griff. Denn diese scheinbar so rauen Jungs waren in Wahrheit alle feinfühlig und hochsensibel. Allen voran der so früh gestorbene Jean-Marc Reiser, aber auch der verträumte Cabu und der rotzfreche Wolinski. Am 7. Januar habe ich also nicht nur hochgeschätzte Kollegen, sondern auch zwei ganz persönliche Freunde verloren. Hätte mir damals jemand gesagt, dass Wolinski und Cabu eines Tages am Redaktionstisch abgeknallt werden wie die räudigen Hunde – ich hätte es für eine besonders makabre Übertreibung von Hara-Kiri gehalten.

Alice Schwarzer

Aktualisierung, Freitag, 9.1.2015, 18 Uhr: 90.000 Polizisten haben die Killer von Charlie Hebdo gejagt. Sie wurden aufgespürt in einer Druckerei in der Nähe vom Flughafen Charles de Gaulle, vor den Toren von Paris. Die Geisel, die sie entführt hatten, eine 24-jährige Frau, hat überlebt. Die Brüder Kouachi nicht. Sie wurden bei der Geiselbefreiung erschossen. Gleichzeitig starben vier von fünf Geiseln in einem jüdischen Supermarkt in Paris. Ein Sympathisant der Charlie-Mörder hatte heute Morgen auf der Straße eine Polizistin erschossen und fünf Geiseln genommen. Auch er überlebte nicht.

Weiterlesen
 
Zur Startseite