Alice Schwarzer in anderen Medien

Zwischen High Heels & Verschleierung

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Sie steigen in Ihr neues Buch „Meine algerische Familie“ damit ein, wie Sie selber laut wehklagen, weil Sie für die bevorstehende Hochzeit des Sohnes Ihrer Familie nur ein Festkleid mitgebracht haben – statt fünf wie die anderen Frauen, oder sieben, wie die Braut. Das ist überraschend.
Alice Schwarzer (lacht): Na, da schwingt natürlich eine Portion Selbstironie mit, wenn ich so was erzähle. Aber in der Tat: Ich interessiere mich natürlich für Mode, und ich passe mich auch gerne anderen Sitten an, wenn ich Gast bin. Ich bin grundsätzlich respektvoll gegenüber Menschen und stülpe ihnen nicht meine Sicht der Dinge und meine Sitten über. Und so eine algerische Hochzeit ist eben prächtig. Klar ist auch, dass selbst in meiner relativ fortschrittlichen Familie die Männer zuerst bedient werden. Das war bei uns ja vor 40 Jahren auch noch so. Vor der Frauenbewegung.

Ihr neues Buch handelt von Ihrer facettenreichen Beziehung zu Djamilas Familie, die zwischen Tradition und Moderne pendelt. Wie haben Sie die Journalistin Djamila kennen gelernt?
Wir haben uns 1989 bei meinem Seminar in Tunis für Journalistinnen aus Nordafrika kennen gelernt. Djamila arbeitete für die APS, die staatliche algerische Presseagentur. 1994 musste sie aufgrund der islamistischen Übergriffe das Land verlassen. Ich habe sie nach Köln geholt.

Inwiefern hat die Begegnung mit Djamila Ihr Leben geprägt?
Ich habe hautnah miterlebt, welche tiefgreifenden Veränderungen Menschen in muslimischen Ländern miterleben mussten. Die ersten Opfer dieser Islamisten – damit meine ich jene, die den Islam für ihre politische Machtstrategie missbrauchen – waren die Muslime selbst. Algerien hatte in den 90er-Jahren syrische Verhältnisse. Über 200.000 Tote in dem von den „Gotteskriegern“ angezettelten Bürgerkrieg. Der Westen hat weggeschaut, und jetzt wird es Zeit, sich diesem Land zu widmen. Wir müssen zwischen den ganz normalen Muslimen, die nicht unbedingt ein Kopftuch tragen und auch nicht demonstrativ beten (weil ihr Glaube Privatsache ist), und jenen islamistischen Propagandisten, die uns bedrängen, unterscheiden.

Djamila hat nicht geheiratet, auch hat sie auf Kinder verzichtet. War das wirklich der einzig mögliche Weg?
Es war für viele Frauen ihrer Generation – sie ist jetzt Mitte 60 – auch im Westen der einzig mögliche Weg. Bei Djamila und bei ihren zwei Schwestern zeigt sich diese unglaubliche Diskrepanz zwischen Tradition und Moderne. Djamilas beide Schwestern sind von der Mutter verkuppelt worden und haben ihren Ehemann am Tag der Hochzeit zum ersten Mal gesehen. Deren Töchter wiederum leben zum Teil im Ausland, sind Akademikerinnen, tragen High Heels. Algerien ist ein Land mit großen Spannungen, dennoch zeigt sich, dass Veränderungen möglich sind. Gerade deshalb sollten wir diesem Land dabei helfen, einen Weg in die Moderne zu finden.

Wie stellen Sie sich diese Hilfe vor?
Der Westen sollte sich mehr für Algerien interessieren und Algerien wiederum muss sich öffnen.

Sind Sie zuversichtlich, dass sich die Frauen in Algerien durchsetzen werden?
Die Algerierinnen kämpfen seit 50 Jahren gegen das islamische Familienrecht, das in allen muslimischen Ländern noch gilt und das Frauen rechtlich zu Unmündigen macht. Sie sind abhängig von ihren Vätern, Brüdern oder Ehemännern. Wenn ein muslimisches Land eine Chance hat, dann ist es Algerien, das sich 1962 aus eigener Kraft von den französischen Kolonialherren befreit hat. Nicht zuletzt aufgrund seiner stolzen Vergangenheit könnte Algerien im muslimischen Kulturraum unser demokratischer Verbündeter werden.

Die #MeToo-Debatte hat vieles bewegt. Allerdings sind feministisch denkende Männer übervorsichtig geworden. Wird damit die lustvolle Begegnung zwischen Männern und Frauen verdrängt?
Sexualität, Lust und Begehren haben ein schweres, dunkles Erbe. Wir, die Frauenbewegung, waren die Ersten, die Sexualität als Machtausübung in Frage gestellt haben. Aber man kann nicht aus einer tiefen Ungleichheit kommen und dann zu einer gelassenen Gleichheit übergehen. Dieses Pendel schlägt hin und her. Da müssen sich Frauen wie Männer zurechtfinden. Doch ich bin optimistisch. Wir werden hoffentlich auf dem Weg der Gleichheit und des gegenseitigen Respektes bleiben, der das Begehren ganz und gar nicht ausschließt. Im Gegenteil: Nur ein gegenseitiger Respekt garantiert auch ein gegenseitiges echtes Begehren.

Das Interview führte Gerlinde Tamerl, es erschien am 29. März in der Tiroler Tageszeitung.

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