Alice Schwarzer schreibt

Zwei Jahre Gefängnis für Pussy Riot

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Die internationale Protestbewegung hat einen relativen Sieg errungen. Die drei Moskauer Punkmusikerinnen sind zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das ist hart. Aber es ist nicht auszuschließen, dass Putin sie begnadigen wird. Das wäre auf jeden Fall eine Geste, die sich gut machen würde für den zu recht hart Kritisierten. Und eine große Erleichterung für die jungen Frauen, die schon seit über fünf Monaten in Untersuchungshaft sitzen. Allerdings ist der Kreml-Chef nicht das einzige Problem der Punkerinnen. Mindestens ebenso ernst zu nehmen wie Oligarch Putin ist die Gefahr, die der Freiheit der Kunst, ja der Freiheit überhaupt, künftig von religiösen Fundamentalisten droht, auch im postkommunistischen Russland. In diesem Fall von christlichen Fundis, genauer gesagt: von dem orthodoxen Patriarchen Kyrill I. Er soll es gewesen sein, der von dem bisher nicht gerade für seine Religiosität bekannten Putin die Bestrafung der "gotteslästerlichen" Pussy Riot gefordert hatte. „Religiöser Hass und Feindseligkeit“ lautete die Anklage und verurteilt wurde wegen "Beleidigung der Gläubigen"; Blasphemie also. Deren Bestrafung wird neuerdings auch in Deutschland von so manchem unverhohlen gefordert. Doch Demokratie sei Dank, läuft Spott in jeweils heiligen Angelegenheiten bei uns noch unter „Meinungsfreiheit“. Aber wie lange noch?

Die drei jungen Frauen aus der Punk-Szene in Moskau – die wir uns wahrscheinlich so vorstellen müssen wie die Punk-Szene in London in den 1970er Jahren – hatten die orthodoxe Erlöser-Kirche gestürmt und vom Altar aus in wenig christlichem Vokabular die Madonna um Beistand im Kampf gegen Putins Rückkehr an die offene Macht angefleht.

Darüber wird der Herr des Kreml sich nicht gefreut haben. Schon gar nicht in diesen Zeiten, wo um ihn herum alles zusammenbricht und auch noch die letzten restsozialistischen Staaten aus dem Dunstkreis des ehemaligen Sowjetimperiums, wie Libyen oder Syrien, in die Hände der Islamisten fallen. Mit tätiger Unterstützung des Westens. Was dem zagenden Reformprozess in Russland nicht gerade förderlich ist. Die Verunsicherung des bisher nicht gerade der Gläubigkeit verdächtigten Putin scheint so groß, dass er sogar die Unterstützung von Kyrill I. sucht. In Moskau gehen jetzt die Schotten vollends runter. Zum Schaden der Bevölkerung.

Drei hübsche, übermütige junge Frauen in Blumenkleidern fordern den finsteren Herrn der Kremltürme heraus. Das waren Bilder, die die Protestbewegungen in aller Welt mitrissen – und vor denen selbst Putin zurückweichen musste. Darüber jubeln Freundinnen und Freunde der Freiheit zu Recht.

Doch kann es sein, dass der gefährlichste Gegner bisher noch gar nicht so recht ins Visier genommen wurde? Vor kurzem war zu hören, dass die römisch-katholische Kirche in Polen – ein Hort finsterster Vatikangläubigkeit – sich der orthodox-katholischen Kirche in Russland annähert. Die beiden bisher Zerstrittenen suchen neuerdings den Schulterschluss. Kyrill I. ist bereits auf dem Weg nach Warschau.

Diese Dunkelmänner werden sich von entblößten Punkerinnen nicht einschüchtern lassen. Und schon gar nicht mehr, wenn sie eines vielleicht gar nicht so fernen Tages nicht nur den Schulterschluss unter Christen, sondern auch den mit ihren schriftgläubigen Pendants im Islam geschafft haben. Die ersten Schritte dazu hatte anno 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Kairo ja schon der polnische Papst Wojtyla getan.

Die Zeiten für Punk und Protest werden in den kommenden Jahren also nicht leichter, sondern schwerer werden. Und die noch größere Gefahr als die durch autoritäre Staatschefs könnte in Zukunft von den selbst ernannten Stellvertretern Gottes drohen.

Alice Schwarzer

Weiterlesen
Weltweite Proteste für Pussy Riot (EMMAonline, 16.8.2012)
Pussy Riot: Untersuchungshaft verlängert (EMMAonline, 26.6.2012)
Free Pussy Riot (3/12)
 

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