Alice Schwarzer schreibt

Vive l’amitié franco-allemande!

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Ein französischer Präsident und eine deutsche Kanzlerin legen unter dem Arc de Triomphe zum Jahrestag vom Ende des 1. Weltkrieges – bei dem es Millionen Tote auf beiden Seiten gab – gemeinsam einen Kranz nieder: neben die Flamme auf dem Grab des Unbekannten Soldaten. Ich muss zugeben, dass mir einen Moment lang das Herz gestockt hat.

Als ich als Sprachstudentin zum ersten Mal nach Paris ging, lasteten die "Erbfeindschaft" und die Hypothek von Nazideutschland noch schwer auf meinen Schultern mit dem so verräterisch blonden Schopf. Und selbst die Wohlmeinendsten fanden mich nett, "obwohl" ich eine Deutsche war. Und wenn ich einem unerwünschten Verehrer einen Korb gab, zischte der auch gerne schon mal: "Nazi-Fräulein!".

An der Alliance Francaise war ich in meiner Klasse bald die einzige, die, Dank eines französischen Lebensgefährten, "unter Franzosen" lebte. Alle anderen blieben Fremde, blieben deutsch.

Als ich dann 1969 zum zweiten Mal nach Paris ging, diesmal als politische Korrespondentin, waren die Voreingenommenheiten schon weniger geworden – nicht zuletzt innerhalb der sehr international besetzten Pariser Frauenbewegung. Doch selbst da konnte es passieren, dass mir schon mal der Kosename "Schwarzer SS" an den Kopf flog – bis ich genervt klarstellte: "Das ist gar nicht lustig."

Mein geliebter Großvater hatte sich 1914 noch freiwillig gemeldet, um "allen Franzosen in die roten Hosen zu schießen!" – und das wohl schon am ersten Kriegstag in Verdun bitter bereut. Und meine eigentlich so frankophile Großmutter – für die die französische Revolution lebenslang der Inbegriff der Befreiung war – hatte als junges Mädchen und gute Deutsche bei Kriegsbeginn 1914 gleich ihren Schmuck abgeliefert, nach dem Motto: "Gold gab ich für Eisen."

Ich glaube, die beiden wären wohl noch gerührter gewesen als ich, hätten sie das erlebt.

Nun also Nicolas und Anschela. Sie sprach an dem so symbolgetränkten Ort vom "unschätzbaren Wert des Friedens". Und er sagte: "Niemand darf vergessen, wohin der Wahn des Menschen führen kann."

Nicolas Sarkozy, den die Franzosen le President blincblinc nennen, weiß, wovon er redet. Seine Großeltern, bei denen er aufgewachsen ist, mussten, als die Deutschen in Paris einrückten, als Juden in die so genannten "befreite Zone" flüchten,– und zitterten dort Stunde um Stunde um ihr Leben. Es war Zufall und Glück, dass sie und seine Mutter überlebt haben.
"Vive la France, vive l’Allemagne, vive l’amitié franco-allemande", sagte Merkel. Ich schließe mich an.

PS: Im Mai 1970 legte eine Handvoll französischer Feministinnen am Grab des Unbekannten Soldaten einen Kranz nieder – für die unbekannte Frau des unbekannten Soldaten. Die wurden nicht so ehrenvoll eskortiert wie die deutsche Kanzlerin, sondern erst einmal verhaftet. Das mit den Frauen & Männern braucht eben noch ein bisschen länger als das mit den Franzosen & Deutschen.

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