Alice Schwarzer schreibt

Adieu, Benoîte Groult!

© Bettina Flitner
Artikel teilen

Jüngst habe ich mich mal wieder mit Benoîte Groult getroffen. In Deutschland kennt man sie vor allem dank ihres so erotischen, autobiografisch geprägten Romans „Salz auf unserer Haut“. In Frankreich ist sie seit Mitte der 70er Jahre bekannt, seit sie im „Jahr der Frau“ das Buch „Ainsi soit elle“ (So soll sie sein!) veröffentlichte. Darin gab es ein Kapitel über Genitalverstümmelung – damals noch ein totales Tabu. Entdeckt hatte Benoîte das Thema in der Bibliothèque Nationale. Da stieß sie auf ein Buch mit dem Titel „Pourquoi les femmes-orientales pleurent“ (Warum die orientalischen Frauen weinen). „Das machte mich neugierig. Ich habe mir das Buch besorgt und war entsetzt“, erzählt sie mir 38 Jahre danach.

Damals, 1977, fragte Benoîte, wie ich das denn angestellt hätte mit der EMMA?

Wir haben mal wieder eine gute Gelegenheit genutzt, uns wiederzusehen, denn wir sind seit langem befreundet. Damals, 1977, kam Benoîte von Paris nach Köln, um mich zusammen mit der Journalistin Claude Servan-Schreiber zu befragen: Wie ich das denn nur angestellt hätte mit der EMMA? Die beiden gründeten bald darauf das F Magazin, eine wirklich sehr mutige feministische Zeitschrift. Sie hatte nur einen Haken: Sie wurde finanziert von Claudes Ehemann. Der verlor nach ein paar Jahren die Lust – und Schluss war mit dem F Magazin.

Was Benoîte angeht: zum Glück! Denn die schrieb nun mit Verve ihre Bücher: Romane, Erinnerungen, Streitschriften. Die jüngste ist eine Biografie über die todesmutige Olympe de Gouges (1748-1793). Die Frau, die es wagte, den Herren der französischen Revolution die „Menschenrechte der Frauen“ unter die Nase zu halten – was sie mit dem Tod auf dem Schafott bezahlte. Von Benoîte nun erfahren wir endlich, wer Olympe war: nämlich eine atemberaubend mutige und radikale Kämpferin.

Aber zurück zu Benoîte. Wir nutzen seit über 30 Jahren jede gute Gelegenheit, uns zu sehen. Denn „Wir sind nicht viele!“, wie Benoîte zu sagen pflegt. Wir treffen uns entweder in ihrem kleinen Fischerhäuschen mit dem prächtigen Garten am Rand eines bretonischen Hafenbeckens (Sie war eine leidenschaftliche Seglerin). Oder in ihrem mittelalterlichen Haus an der Côte d’Azur, das im Zentrum von Hyères am Schlossfelsen klebt. Oder eben wie diesmal: in Paris.

Benoîte wohnt mittendrin, sehr atmosphärisch und auffallend bescheiden

Auch da wohnt Benoîte mittendrin, sehr atmosphärisch (2. Hinterhof links, 2. Stock), auffallend bescheiden und allein, seit ihr Mann, Paul Guimard, ein bekannter Linksintellektueller und Intimus von François Mitterand, vor neun Jahren gestorben ist.

Auf der Klingel steht noch „Groult-Guimard“. Ich klingele – und bin mit einem Schritt mittendrin in Benoîte Wohnzimmer. „Wir müssen noch einen Moment warten“, sagt sie. „Eben hat ein Mann angerufen, der sich von mir meine Olympe signieren lassen will.“ Aus dem Moment wird eine gute halbe Stunde, inzwischen trinken wir Whisky, wie alle Pariser Intellektuellen dieser Generation.

Benoîte ist 1920 geboren, das heißt, sie ist heute 93. Unglaublich. Mir scheint: Sie sieht aus wie immer und ist von einer ungeminderten Präsenz und Neugierde. Und es war diesmal gar nicht einfach, sie in Paris zu treffen. Ein Vortrag in Straßburg, eine Konferenz in Lyon, ein Treffen in Marseille. Benoîte ist die meiste Zeit unterwegs. Die Paris-Aufenthalte sind eher Ausnahmen.

Als der erwartete Mann endlich auftaucht – auch er klingelt und steht mit einem Schritt in ihrem Wohnzimmer –, löchert sie ihn mit Fragen. Ich löchere mit. Es stellt sich heraus: Er wohnt in der Provinz, das heißt: nicht in Paris, ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist beeindruckend gebildet: literarisch wie cinematographisch. Er fängt an, vom „Cinema allemand“ zu schwärmen – und natürlich hocken wir noch ein rundes halbes Stündchen mit ihm zusammen. Er trinkt Wasser, wir noch einen Whisky. Bis ich an unsere Restaurantreservierung erinnere.

Wir versuchen, uns mit erotischen Geständnissen zu übertrumpfen

Das Restaurant ist gleich gegenüber. Benoîte bestellt als erstes eine Flasche Wein („Du bist mein Gast!“) und dann legen wir los. Der Ablauf ist immer der gleiche: 1. Die Frauen und die Politik (na ja). 2. Der neueste Klatsch (schon besser). 3. Sexualität (am besten!). Wir versuchen, uns mit erotischen Geständnissen gegenseitig zu übertrumpfen. Benoîte gewinnt. Und ich habe keinesfalls den Eindruck, dass das Thema ein abgeschlossenes Kapitel für sie ist. "Och, zurzeit habe ich keine Lust", sagt sie. Und lächelt vielsagend.

Dann reden wir auch noch mal genüsslich darüber, dass ihr Fischer aus „Salz auf unserer Haut“ gar kein Fischer war, sondern ein deutsch-amerikanischer Soldat, der in die USA emigriert war und dann mit der US-Army Deutschland befreit hatte. Benoîte hat ihn nach Kriegsende in Paris kennengelernt. Da gingen lebenshungrige Mädchen wie sie tanzen; zu dem Jazz, den die GIs mitgebracht hatten, kamen die Schokolade, die Seidenstrümpfe und die Lebenslust. Diese Lebenslust hat meine Freundin Benoîte sich bis heute uneingeschränkt erhalten. Wie wunderbar.

Wie sehen uns bald wieder! Demnächst in Hyères.

Alice Schwarzer

Artikel teilen
 
Zur Startseite