Alice Schwarzer schreibt

Mein Lebenslauf

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10. Mai 2011. Es ist der letzte Tag. Ich bin erleichtert und wehmütig zugleich. Denn seit Sommer letzten Jahres sitze ich an jedem freien Tag an meinem Schreibtisch auf dem Land. Und mich herum türmen sich die Briefe, Notizbücher, Taschenkalender, Dokumente. Draußen ist mal Sonne, mal Regen, mal Sommer, mal Winter. Die letzten Wochen waren traumhaft. Ein strahlender Frühling, in dem, nach einem viel zu langen Winter, alles auf einmal blüht: von den Narzissen bis zu den Kirschblüten, von den Tränenden Herzen bis zu den Rhododendren. Das ist mein Lohn für einen nicht immer leichten Weg, den ich seit dem letzten Sommer gegangen bin.

Denn „neben“ der EMMA - die auch nach der Umstellung im Zentrum meiner Arbeit steht -, neben so etwas Unsäglichem wie diesem nicht endenden Kachelmann-Prozess, neben all dem habe ich gerade das persönlichste Buch meines Lebens geschrieben: meine Lebenserinnerungen. Vom ersten Tag Alice bis zum ersten Tag EMMA.

Zuvor war ich wieder einmal an den Orten meines bisherigen Lebens: in meiner Heimatstadt Wuppertal, die nur 50 Kilometer entfernt liegt von Köln, wo ich seit 34 Jahren lebe; in dem fränkischen Dorf, in dem ich bei Kriegsende sechs Jahre lang evakuiert war; nach München, wo ich in den frühen 1960er Jahren im Swinging Schwabing gefeiert und gejobbt habe; in Düsseldorf, Hamburg und Frankfurt, wo ich als junge Journalistin gestartet bin; nach Berlin, wo ich Mitte der 1970er Jahre bei meiner Rückkehr aus Frankreich einen wahren Kulturschock erlitt – und in meinem geliebten Paris, das mich so entscheidend geprägt hat und wo ich gleich zwei Mal gelebt habe: als Sprachstudentin in den 1960er und als Korrespondentin in den 1970er Jahren.

Herausgekommen sind 345 Seiten, sind Höhen & Tiefen, Freundschaften & Lieben, Arbeit & Politik, frühe Prägungen & späte Erkenntnisse. Ein wahres Abenteuer, diese Zeitreise. So manches hat mich bei meinen Recherchen in eigener Sache selber überrascht. Und manchmal haben mich die Erinnerungen an Vergessenes oder Verdrängtes schier überwältigt.

Nun werde ich erst einmal die nächste Ausgabe von EMMA machen. Und nach Ferien am Meer beginnt das Kramen in den Fotokisten für das Buch. Denn Fotos, die sagen ja oft genau so viel wie Worte.
Mein „Lebenslauf“ wird Mitte September erscheinen. Ich bin schon jetzt gespannt auf die Reaktionen. Doch ein bisschen beklommen macht der Gedanke mich auch, mich so auszuliefern. Dennoch scheint mir das immer noch besser, als diese seit 36 Jahren (seit dem TV-Duell mit Esther Vilar und dem Erscheinen vom „Kleinen Unterschied“) nicht enden wollenden Projektionen und Klischees über mich. Also: Was war wirklich?

 

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