HeldinnenAward: Cathrin hielt Wort!

Bettina Flitner hat beim HeldinnenAward die Laudatio auf Cathrin Schauer-Kelpin gehalten. - Foto: Katrhin Harms
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Wenn man Cathrin Schauer, unterwegs ist, und das war ich öfter in den vergangenen 10 Jahren, dann ist man immer wieder erstaunt, wie erstaunt sie immer wieder ist. Wie empört sie nach 30 Jahren Sozialarbeit für Frauen in der Prostitution immer noch ist. Wie sie nach einem Besuch in einem Bordell und nach einem Gespräch mit einer dort arbeitenden Frau plötzlich mitten auf der Straße stehen bleibt und ihrem weichen, so trügerisch freundlich klingenden sächsischen Akzent ausruft: „Kannst du dir so was vorstellen? Das ist doch unfassbar!“ immer wieder von Neuem empört, so als sähe sie alles zum ersten Mal.

2014 war ich das erste Mal mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter von Cathrin auf der E 55, dem längsten Straßenstrich Europas unterwegs und habe die Frauen getroffen die dort in den Gebüschen und Waldrändern arbeiten. In diesem Sommer war ich mit Cathrin in „Terminwohnungen“ in Plauen und Hof. Das sind Wohnungen, die überall im Stadtgebiet verteilt sind, in normalen Wohngebieten. Moderne Wohnungen in Hochhäusern, oder aber in baumbestandenen ruhigen Wohnstraßen mit Altbauten.

Cathrin bringt im wahrsten Sinne des Wortes Licht in diese Dunkelheit der Frauen

Diese Wohnungen mieten die Frauen oder ihre Zuhälter für eine Woche, 600 Euro Miete pro Woche und stehen von morgens um 10 bis abends um 10, manchmal auch bis Mitternacht, zur Verfügung. Diese Frauen ziehen eine Woche später weiter, in die nächste Wohnung, in einer anderen fremden Stadt. Wanderarbeiterinnen in Deutschland.

Sie sind völlig isoliert, kennen keinen Menschen. Auch die Sozialarbeiterinnen können die Kontakte nicht aufbauen.

Ich habe Cathrin also begleitet in diese Wohnungen. Man kommt in einen dunklen tristen Hausflur. Und man stellt fest, dass nur eins leuchtet in diesem dunklen Flur: Und das ist Cathrin in ihren fröhlichen bunten Klamotten und knallbunten Armreifen, ihrem kupferroten Haar und ihrem roten Lippenstift. Sie bringt im wahrsten Sinne des Wortes Licht in diese Dunkelheit und die Frauen, die gerade noch misstrauisch die Tür geöffnet haben, lächeln und lassen uns hinein.

Wer ist diese leuchtende Gestalt? Cathrin wurde 1963 im sächsischen Plauen in der DDR geboren, am 1. Mai, am Tag der Arbeit. Der Vater war Deutsch-Mathelehrer und dazu noch Schuldirektor, Mutter arbeitete im Intershop. Beide SED-Mitglieder, aber die Tochter weigert sich kategorisch in die Sozialistischen Einheitspartei einzutreten. Also durfte sie ihren Wunschberuf nicht erlernen, den der Säuglingsschwester. Und sie wurde normale Krankenschwester im Bezirkskrankenhaus.

Dann kam die Wende und Cathrins Leben nahm Fahrt auf. Sie baute das erste Frauenzentrum mit auf, sie arbeitete ehrenamtlich im Frauenhaus. Und es gab plötzlich ein Problem, das es vorher in diesem Ausmaß nicht gab: Die Prostitution. Mit der Wende explodierte die Prostitution im nur 25 Kilometer entfernten Tschechien. Auf der E 55 entstand der längste Straßenstrich Europas. Mit allem was dazugehört, Gewalt, Drogen, Geschlechtskrankheiten, HIV. Die Opfer: Frauen und Kinder. Und Cathrin begriff, dass sie handeln musste.

Du hast hunderten Frauen aus der Prostituion in ein menschenwürdiges Leben geholfen

Cathrin sagte mir im Gespräch: „Eigentlich wollte ich das gar nicht machen, aber ich hatte keine andere Wahl.“ Es war die Begegnung mit einer Frau namens Marita, eine „Edelprostitutierte“, die zu einer Freundin wurde. Und die hatte ihr kurz vor ihrem Tod, sie starb am HIV-Virus, Cathrin eindringlich an Herz gelegt, sich um die Frauen auf dem Strich zu kümmern. Und Cathrin hielt Wort.

Es waren die Frauen, aber eben auch die Kinder. Sie hatte plötzlich mit Familien zu tun, in der Regel Roma-Familien, die ihre Kinder verkauften und auch heute noch verkaufen. Sie hängen Babykleidung aus dem Fenster um zu signalisieren, dass man hier Babys missbrauchen kann. Cathrin bringt dann nach jahrelanger Erfahrung 2003, zusammen mit Unicef, das Buch „Kinder auf dem Strich“ heraus.

Und nun passiert etwas, das viele kennen, die sich mit diesen Problemen an die Öffentlichkeit wagen: Sie bekommt so richtig die volle Breitseite Gegenwind. Der eisigsten Art. Die Wahrheit über den Missbrauch von Kindern wurde in Tschechien als Angriff auf das Land empfunden, alle haben dementiert, bis hin zum tschechischen Innenminister, der behauptete, Cathrin habe sich das alles ausgedacht und den Kindern für ihre Aussagen Geld bezahlt. Es ging dann ziemlich hoch her, die Presse bis hin zur New York Times stand tagelang bei Cathrin vor dem Büro, in der Deutschen Welle hieß es: „Einen solchen Aufruhr um ein Buch hat es in Tschechien noch nie gegeben.“

Das alles hat dazu geführt, dass ihre Arbeit an der E 55 vom Sächsischen Sozialministerium von einem Tag auf den anderen nicht mehr gefördert wurde. Hier wäre normalerweise Schluss mit der Geschichte, hier würden die meisten aufgeben, nicht so Cathrin Schauer, die ja den Widerstand schon früh trainiert hat. Sie gründete den Verein Karo e.V., und warb private Spenden, darunter die rettende Spende von dir, Alice über 125.000 Euro, Geld dass Du bei „Wer wird Millionär“ gewonnen hattest.

Mit der Hilfe von vielen anderen großen und kleinen Spendern, Netzwerken gegen Kinderprostitution und Aktion Mensch zum Beispiel, konnte Cathrin „Karo“ zu einem Erfolgsprojekt machen. Das kleine Streetwork-Projekt, das mit einer Mitarbeiterin angefangen hat, hat heute ein Schutzhaus auf drei Etagen, mit 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter Cathrins Mann und ihre Tochter. Es steht nun dieses Haus da, sonnengelb und gut gesichert, für Aussteigerinnen und alle Opfer von sexualisierter Gewalt.

Cathrin, du hast mit deinem Projekt Karo hunderten von Frauen aus der Prostitution heraus und hinein in ein menschenwürdiges Leben geholfen. Es ist mir eine große Freude und Ehre, dich heute auszuzeichnen mit dem „Heldinnen Award 2025“ für deinen Mut, deine Empathie und deine nie versiegende Empörung.

BETTINA FLITNER

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