Frauen sind das käufliche Geschlecht
Prostitution geht uns alle an. Nach Umfragen ist jeder vierte Mann in Deutschland ein Freier. Das ist verdammt viel. Manche tun es einmalig, andere sind Stammfreier. In Schweden ist nur noch jeder zehnte Mann ein Frauenkäufer.
Übrigens ist eine der höchsten Frequentationszeiten von Prostituierten die Mittagspause. Dann geht der normale Mann von nebenan sich mal eben eine Frau kaufen. Und wenn er zurückkommt ins Büro und er hat womöglich eine Chefin, dann hat er schon den richtigen Blick auf diese Sorte Mensch: auf die Frauen, die ihm hier im Büro was erzählen wollen, die er aber doch auch ganz anders kennt.
Es geht also um uns alle. Das war für Feministinnen - und auch die historischen Frauenrechtlerinnen, die gegen die gesellschaftliche Akzeptanz der Prostitution und gegen die Doppelmoral gekämpft haben - immer schon klar. Um die Jahrhundertwende kam die Ware Frau überwiegend, grausame Parallele, aus Osteuropa, damals aus den jüdischen Ghettos. Heute ist es genauso, aber es sind häufig Roma-Frauen, die in der Prostitution landen. Da kommen das materielle Elend und die patriarchalen Strukturen zusammen. Das Problem ist also nicht neu.
Materielles Elend und patriarchale Strukturen treiben Frauen in die Prostitution
Ich möchte Ihnen ein Zitat vorlesen und dann werden Sie gleich staunen, von wem und von wann es ist:
„Die Prostitution und das sie begleitende Übel des Menschenhandels zum Zwecke der Prostitution sind mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar. Die Vertragsparteien dieser Konvention kommen überein, jede Person zu bestrafen, die 1. eine andere Person, selbst mit deren Einwilligung, zu Zwecken der Prostitution beschafft, sie dazu verleitet oder verführt; 2. die Prostitution einer anderen Person, selbst mit deren Einwilligung, ausnutzt." Außerdem solle jede Person bestraft werden, die "1. ein Bordell unterhält oder leitet oder wissentlich finanziert oder an dessen Finanzierung beteiligt ist; 2. wissentlich ein Gebäude oder eine andere Stätte oder irgendeinen Teil davon zum Zwecke der Prostitution anderer vermietet oder mietet.“
Das sind die UN-Konventionen von 1949.
Heute, 76 Jahre später, redet man in Deutschland, in der Politik immer noch darüber, ob man die Prostitution überhaupt verbieten soll… Da müssen wir aber erstmal noch eine Evaluation machen. Denn man weiß ja gar nicht, was davon zu halten ist. Also, veräppeln können wir uns selber.
Es schon immer klar gewesen, was Prostitution ist. Ich selbst war 1968 als Volontärin zum ersten Mal im Bordell. Ich war damals empört, dass Prostituierte Steuern zahlen sollten, denn sie hatten noch keine vollen Menschenrechte. Man konnte ihnen das Mieten einer Wohnung verweigern, man konnte ihnen die Kinder wegnehmen und so weiter. Ich bin also damals, als Volontärin - Mitte 20, blond und langbeinig - mit gesenkten Kopf stramm durch den Kontakthof gegangen und habe mich zu den Prostituierten in die Küche gesetzt.
"Ich habe mich zu den Prostituierten in die Küche gesetzt - und diese Frauen nie vergessen!"
Und dann haben wir über ihr Leben geredet. Ich habe natürlich verstanden: Was gab es da auch nicht zu verstehen? Ich bin heute noch stolz darauf, dass mich zwei Tage später eine dieser Frauen anrief und sagte: "Fräulein Schwarzer, sollen wir nicht zusammen eine Zeitung machen?" - Das konnte das Fräulein Schwarzer damals noch nicht, aber später hat es eine Zeitung gemacht - und die Prostituierten nie vergessen.
Es geht bei der Prostitution nicht um Sexualität, es geht um Macht. Mir hat mal eine Prostituierte gesagt: Weißt du, das Schlimmste ist eigentlich nicht der Geschlechtsverkehr. Das Schlimmste ist, dass man ihnen immer recht geben muss.
Wir haben in Deutschland heute 250.000 bis 400.000 Prostituierte. Sie werden überwiegend aus Osteuropa importiert und hin- und hergekarrt als sogenanntes „Frischfleisch“. Viele dieser Frauen sprechen kaum ein Wort Deutsch und oft hat man ihnen ihre Pässe abgenommen, ihnen Gewalt angetan.
Ende der 1970er gab es in Deutschland eine Wende in der Prostitutionsdebatte in Deutschland und der Haltung vieler Feministinnen. Wir hatten ursprünglich gesagt: Wir sind auch Frauen, wir könnten auch Prostituierte sein, wir Frauen halten zusammen! Diese Haltung wurde pervertiert in: Prostitution ist ein Beruf wie jeder andere. Und aus der Solidarität mit den Frauen in der Prostitution wurde plötzlich die Solidarität mit dem System Prostitution. Ein Beispiel dafür ist das Prostitutionsprojekt Hydra in Berlin. Hydra machte unter anderem „Einstiegsberatung“ und so genannte „Hurenbälle“, mit „Huren“ und Zuhältern.
Ende der 70er wurde aus der Solidarität mit den Frauen in der Prostitution Solidarität mit dem System
Die neue Lässigkeit in Deutschland im Umgang mit der Prostitution gipfelte 2001 in dem fatalen Gesetz, verabschiedet von Rot-Grün. Dieses Gesetz hat den Handel mit der Ware Frau auf allen Ebenen - also für Zuhälter, Freier, Bordellbesitzer - total entkriminalisiert. Sodass erstens die Prostituierten in Deutschland seither noch ausgelieferter sind, denn je zuvor. Und zweitens hat die Polizei ohne beweisbarenn Anlass gar keine Handhabe zum Eingreifen mehr. Ihr sind die Hände gebunden.
Prostitution ist ja legal. Das geht heute so weit, dass es z.B. in dem Kölner Großbordell Abiturfeiern angeboten werden. Vielleicht kriegen manche ja auch Gutscheine von besonders modernen Eltern…
Deutschland ist heute ein Einreiseland für Freier. Deutsche Freier mussten vor 2001 nach Thailand fahren. Jetzt kommen unsere Nachbarn, zum Beispiel die Franzosen, zu uns. So ist Deutschland die Drehscheibe des europäischen Frauenhandels geworden, denn Prostitution ist ohne Frauenhandel nicht möglich. Beides ist eng verknüpft, das gehört zusammen.
Gleichzeitig aber gab es in unseren Nachbarländern die genau gegenteilige Entwicklung. In Schweden vorweg. Da führte man die Bestrafung der Freier ein und gleichzeitig Ausstiegshilfe für Frauen, das sogenannte „nordische Modell“. Warum eine Bestrafung der Freier? Weil erst sie überhaupt den Markt schaffen. Gäbe es keine Nachfrage, gäbe es keine Prostitution. Die Freier sind die Quelle, die gestopft werden muss.
Das funktioniert in Schweden - darüber gibt es viele detaillierte Berichte - und es hat dazu geführt, dass nur noch jeder zehnte Schwede, zum Teil eben im Ausland, ein Freier ist. Das ist im Vergleich zu Deutschland - jeder vierte Mann - schon ein gewaltiger Fortschritt.
Die tapfere kleine EMMA hat ab 1977 mit aller Kraft dagegen gehalten. Ich habe es mal zählen lassen und bin selbst ganz gerührt: Seit 1977 hat EMMA 385 Artikel über Prostitution veröffentlicht!
2013 haben wir dann eine Kampagne gestartet, weil wir das Gefühl hatten, die Zeit ist reif. Und tatsächlich: Wir hatten 90 Erstunterzeichner und Erstunterzeichnerinnen aus dem öffentlichen Leben, aus Politik, Kultur, Gesellschaft und schon nur in den allerersten drei, vier folgenden Wochen weitere 13.000 UnterzeichnerInnen. Wir sind also schon lange mehr nicht die einzigen, die sagen: Das kann man nicht mehr hinnehmen! Nun regte sich auch etwas in der Politik.
CSU-Frauen waren die ersten, die die Bestrafung der Freier gefordert haben. Dem folgten CDU-Frauen. Und es stand im Programm, dass die Union die Freier-Bestrafung einführen will, wenn sie erstmal an der Macht ist. Aber siehe da: Im Koalitionsvertrag ist davon quasi nichts übriggeblieben. Die SPD soll es rausverhandelt haben.
Doch auch das Unbehagen und die Empörung der Menschen, die selber weder Freier noch Prostituierte sind, wächst. Wir erwarten, dass endlich auch mal von der Menschenwürde die Rede ist.
Es gibt Sprüche wie „Prostitution hat es immer schon gegeben. Das war der erste Beruf für Frauen.“ Nein, das waren die Hebammen. Oder auch: „Da kann man auch nichts ändern. Das bleibt immer so.“ Nein, auch die Sklaverei hat es ewig gegeben. Und es gibt sie zweifellos bis heute an einigen Stellen in der Welt, aber in der gesamten westlichen Welt ist die Sklaverei geächtet.
Und das, mindestens das, sollten wir auch für die Prostitution erreichen (die im englischen Sprachraum auch white slavery, weiße Sklaverei, heißt). Ich bin der tiefen Überzeugung, dass eine wahre Gleichberechtigung der Geschlechter unmöglich ist, solange es Prostitution gibt; Frauen das käufliche Geschlecht und Männer die (potenziellen) Käufer sind.
ALICE SCHWARZER

