Alice Schwarzer schreibt

Denk ich an Frankreich in der Nacht…

Alice Schwarzer im Café Select in Paris. © Bettina Flitner
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Ich mache Verabredungen in der Regel im Select, im Herzen vom Montparnasse. Da habe ich als junge Frau noch die deutschen Exilanten deutsche Kreuzworträtsel lösen sehen – auch wenn sie mit mir ausschließlich Französisch sprachen. In diesen Märztagen des Jahres 2017 bin ich dreimal dort verabredet. Und immer geht es vor allem um „Marine“, wie die Franzosen die Parteichefin des Front National familiär nennen.

Das erste Treffen ist mit einem jüngeren Freund, der homosexuell ist. Er kommt gleich zur Sache. „Also ich sage es dir ganz offen: Ich wähle Marine! Und so denken viele Freunde von mir.“ Er berichtet vom steigenden Homosexuellen-Hass unter Migranten und tätlichen Übergriffen. „Wir haben einfach die Schnauze voll!“, sagt er. „Und Marine ist die einzige, die das Problem angeht.“

"Wir haben einfach Angst! Aber alle anderen Parteien gucken weg."

Die zweite Verabredung ist mit einem 68er aus einer jüdischen Emigrantenfamilie, der noch immer sehr stolz darauf ist, neben „Dany“ (Cohn-Bendit) auf den Barrikaden gekämpft zu haben. „Fast alle in meiner Familie werden diesmal Le Pen wählen. Und auch viele in meinem Freundeskreis“, sagt er. „Wir haben einfach Angst. Aber alle anderen Parteien gucken weg. Sie ist die einzige, die etwas tun will gegen die Islamisten.“

Verabredung Nummer drei ist eine feministische Weggefährtin aus den 1970er Jahren. Seit einigen Jahren engagiert sie sich für die aufbegehrenden jungen Musliminnen in den Vorstädten, die von ihren Vätern eingesperrt und ihren Brüdern tyrannisiert werden. Ja, tatsächlich: Auch sie! „Die Konservativen haben über Jahre weggeguckt und die Linken paktieren bis heute mit den Islamisten. Ich bin es leid!“, sagt sie. Meine Bedenken will sie nicht gelten lassen, ihre Stimme wird lauter: „Ich hätte nie in meinem Leben gedacht, dass ich jemals den Front National wählen würde – aber jetzt tue ich es!“

Mich überrascht das nicht wirklich. Redet doch meine nette Nachbarin in Südfrankreich, wo ich einmal im Jahr Urlaub mache, seit Jahren so. Sie wohnt im Stadtzentrum von Lyon. „Da kann ich manchmal die Straße kaum überqueren, weil hunderte von Muslimen da öffentlich beten.“

Hinzu kommen ihre beruflichen Probleme. Sie ist Ende Fünfzig, in der Immobilienbranche und hat ihre Stelle verloren. Sie erhofft sich ganz persönlich etwas von der emanzipierten Marine. Auch sie unterscheidet schon längst nicht mehr zwischen Islam – gegen den sie früher nichts hatte – und Islamismus. Als ihr Mann ihr genervt vorhält: „Wie kannst du so etwas sagen, Dominique! Dein Vater war doch in der Resistance!“ antwortet sie schnippisch: „Na und! Was weißt denn du. Der würde heute vielleicht auch den Front National wählen.“ Resistance von rechts.

Kann Sunnyboy Macron die Chefin des Front National aufhalten?

Man hätte es schon lange wissen können. Wie groß das Unbehagen in der Bevölkerung über die Provokationen des politisierten Islam ist. Wie explosiv die Stimmung unter Migranten in den seit Jahrzehnten vernachlässigten Vorstädten. Und wie gewaltig die Gefahr für die Demokratie.

Wahrscheinlich kann nur noch Sunnyboy Emmanuel Macron die Chefin des Front National aufhalten in der Stichwahl am 7. Mai. Der hat übrigens jüngst die Kolonialherrschaft der Franzosen in Algerien als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gebrandmarkt. Das war mutig. Über die Islamisten, auf deren Kosten der Bürgerkrieg in Algerien mit über 200.000 Toten in den 1990er Jahren geht, hat allerdings auch er bisher kein Wort verloren.

Doch vielleicht kommt Europa ja noch einmal mit einer Schramme davon. Aber auch dann sollten die demokratischen Parteien endlich begreifen: Die viel beklagten tödlichen Terrorakte sind nur die Spitze des Eisberges; darunter liegt die von Saudi-Arabien & Co. befeuerte alltägliche Agitation der Scharia-Propagandisten. Wohin es führen kann, wenn die demokratischen Parteien dieses Problem den Rechten überlassen, sehen wir gerade in Frankreich.

Alice Schwarzer

Der Text erschien zuerst in der ZEIT vom 20. April.

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Der neue Mann an der Macht

Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte. Foto: AP
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Punkt 21 Uhr trat der frisch gewählte Präsident vor die Kameras: Emmanuel Macron, 39. Er ist der jüngste Präsident, den die Grande Nation je hatte und der erste Parteilose. Seine Rede war ungewöhnlich. Frei von jeglicher Phrasendrescherei, nachdenklich und differenziert. Er wirkte selbst ernsthaft erschüttert über seinen Sieg. 2 von 3 Franzosen haben für ihn gestimmt und in Paris sogar 9 von 10 - und gegen die Radikalen von Rechts. Allerdings: Jede und jeder Dritte hat nicht oder ungültig gewählt, nicht zuletzt dem Rat der radikalen Linken folgend ("ni l'un ni l'autre"  - Weder der eine, noch der andere).

Die Macron-WählerInnen haben sich gegen den Hass entschieden und für einen Versuch der Versöhnung. Gegen die Hetze einer Marine Le Pen, die zuletzt auch völlig enthemmt auf Deutschenfeindlichkeit und Merkel-Hetze gesetzt hatte. Der Mehrheit fällt ein Stein vom Herzen. Macron ist jetzt ihre ganze Hoffnung. Das wird nicht einfach für ihn sein. Er wird die zerstrittene Linke und das zerfallene bürgerliche Lager so stark wie möglich in sein Kabinett einbinden müssen, um wirklich Front zu machen gegen den Front National. Und er wird handeln müssen. In Frankreich stehen unbeliebte Reformen an: darunter die Abschaffung der 35-Stunden-Woche und der Rente mit 60. Aber auch Filz, Korruption und Eliten-Arroganz wird der Parteiunabhängige bekämpfen müssen.  

Doch eines ist schon jetzt klar: die deutsch-französische Freundschaft hat der junge Nordfranzose gerettet.

Er hat Frankreich vor Marine Le Pen bewahrt und die EU gerettet. Dabei hat er erst ein halbes Jahr vor der Wahl seine Kandidatur erklärt. Und das Programm des Sozialliberalen ist noch recht vage, auch wenn er den „totalen Wandel“ verspricht. Er ist der erste parteilose Präsident Frankreichs, müsste also gegebenenfalls gegen eine Mehrheit im Parlament regieren. Doch eines, was eine Schwäche hätte sein können, gilt schon jetzt als seine Stärke: Brigitte, die Ehefrau des 39-jährigen Kandidaten, ist 24 Jahre älter als er. Das hat es in Frankreich noch nie gegeben.

Von den Jungen wird er auf Veranstaltungen bejubelt wie ein Popstar

Aber statt sich zu verstecken, ging das Paar Hand in Hand nach vorne. Seine Ehefrau sei „unverhandelbar“, erklärte Emmanuel Macron. Verständlich, schließlich hat er sich diese Frau hart genug erkämpft, gegen alle Widerstände.

Er war 16 und Schüler an der Jesuiten­schule von Amiens, einer Kleinstadt in Nordfrankreich, als er sich in Madame Auzière verliebte. Die Französisch- und Lateinlehrerin leitete die Theater-AG und Emmanuel spielte unter ihrer Regie eine Vogelscheuche, wie jetzt eine pünktlich zum 8. März erschienene Doppelbiografie verrät.

Die Gefühle des Jugendlichen für seine Lehrerin blieben nicht unerwidert. Doch die Hindernisse waren groß. Schließlich ist Brigitte eine Tochter aus gutem Hause, war verheiratet und Mutter dreier Kinder. Um einen Skandal zu vermeiden, ging Emmanuel nach Paris und machte dort das Abitur.

Als er 18 war, wurden die beiden offen ein Paar – und Brigittes Familie stand Kopf. „Man erklärte uns, dass wir gegen die guten Sitten und die herrschende Ordnung verstoßen“, erinnert sich Macron. „Wir sollten verzichten.“

Die beiden taten das Gegenteil. Brigitte ließ sich scheiden, doch erst vor zehn Jahren heiratete sie Emmanuel. Inzwischen sind ihre Kinder erwachsen, sie ist siebenfache Großmutter.

Doch bevor hier weiter von dem ungewöhnlichen Paar, das ganz Frankreich bewegt, die Rede sein soll, ein paar Informationen über den nächsten Präsidenten Frankreichs. Beide Eltern waren Mediziner, seine Großmutter, eine Lehrerin, hat ihn nach eigenen Aussagen stark geprägt. Der Junge aus der Provinz schaffte es auf die angesagte Pariser Elite-Hochschule ENA, aus der sich bis heute die überwältigende Mehrheit der Spitzenpolitiker und Wirtschaftsführer rekrutiert. Aber das ist auch genau das Milieu, von dem die Mehrheit der Franzosen die Nase voll hat und das Marine Le Pen als „elitär“ und „gestrig“ anprangert.

Emanuel Macron war Berater der 2007 gescheiterten sozialistischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal und danach zwei Jahre lang Investmentbanker bei Rothschild. Er folgte sodann dem Angebot von Präsident Hollande und wurde für zwei Jahre Wirtschaftsminister der Parti socialiste. Im  April 2016 stieg Macron aus der glücklosen und heillos zerstrittenen Hollande-Partei aus - vermutlich bereits mit Blick auf seine Präsidentschaftskandidatur.

Aber mit nichts in der Hand und keiner Partei im Rücken, nur „Bibi“, wie er Brigitte nennt. Dank seiner 1953 geborenen Lebensgefährtin dürfte der 39-Jährige sich die so euphorischen und politisierten Jahre des Aufbruchs von Frankreich, die späten 60er und die 70er Jahre, hautnah angeeignet haben. Der 39-Jährige verkörpert also eine Erfahrungsspanne, die breiter ist als sein Leben.

So mag sich auch das einzige Thema erklären, in dem Macron bisher herausgetreten ist aus dem Vagen und mutig Position bezogen hat. Bei einem Besuch in Algerien im März 2017 erklärte der Kandidat als erster französischer Spitzenpolitiker, die Kolonialisierung Algeriens durch Frankreich sei „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gewesen. Was die Algerier gefreut hat, die nach der Befreiung 1962 geflüchteten Algerier-Franzosen jedoch erbost. Sie protestierten und demonstrierten gegen den Verrat. Macron machte also einen halben Rückzieher. Er versuchte, seine Kritiker mit den Worten zu besänftigen: „Ich habe Sie verstanden“ (ein de-Gaulle-­Zitat) und fuhr fort: „Ich bedauere, Sie verletzt und Ihnen wehgetan zu haben.“

Seiner einzigen ernst zu nehmenden Gegnerin begegnet der Parteiunabhängige mit Schärfe: der weit über ihre Parteigrenzen hinaus populären und beliebten Marine Le Pen. Macron bezeichnete den Rechtspopulismus des Front National als „Lepra der Demokratie“ und wirft Le Pen einen „Verrat der Freiheit“ vor: „Sie behaupten, im Namen des Volkes zu sprechen, aber Sie sprechen nur für sich selbst.“ Le Pens zentrales Thema, die Kritik am Islamismus, hat er ­bisher gemieden.

Die Euphorie, die dem gut, wenn auch ein wenig zu glatt, aussehenden und für Politikerverhältnisse jungen Mann entgegenschlägt, ist durchaus mit der deutschen Schulz-Begeisterung zu vergleichen. Als Person wäre er eher dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau ähnlich.

Bei Macrons Veranstaltungen sind die Säle überfüllt, und er wird bejubelt wie ein Popstar. Vor allem junge Leute schwärmen für ihn. Und viele Frauen, egal welcher Generation, finden es sympathisch, dass für ihn der Altersunterschied zu seiner Frau nicht nur keine Rolle spielt, sondern dass er so stolz ist auf „Bibi“. Die hat in der Wahlkampagne zwar keine offizielle Funktion, weicht jedoch nicht von seiner Seite und gilt als graue Eminenz.

Umgekehrt wäre der Altersunterschied kein Thema (Melania Trump zum Beispiel ist ebenfalls 24 Jahre jünger als ihr Mann). So herum allerdings hat es das nicht nur auf dem roten Teppich des Elysée noch nie gegeben. Relativ neu ist für Frankreich auch, dass eine First Lady im Rampenlicht steht.

Die Frauen mögen, dass der Altersunterschied zu "Bibi" für ihn keine Rolle spielt

Die Ehefrauen von de Gaulle und ­Mitterrand waren relativ diskret – und die Diskreteste war bei Mitterrand seine Dauergeliebte, mit der er auch ein Kind hatte. Die Medien wussten Bescheid, schrieben jedoch erst nach seinem Tod darüber. Die Miete und den Lebensunterhalt für seine Zweitfrau bezahlte der Sozialist Mitterrand übrigens aus der Staatskasse. Das wäre heute, nicht zuletzt unter dem Druck von Marine Le Pen und ihrem Vorwurf der durchgängigen Korruption der politischen Klasse, nicht mehr möglich.

Es war Nicolas Sarkozy, der der Öffentlichkeit neben seiner Ray-Ban-Sonnenbrille und seiner Rolex-Uhr auch seine Ehefrau vorführte. Triumphierend, denn die attraktive Sängerin Carla Bruni war vor ihm ein Schwarm in der Linken- und Intellektuellen-Szene gewesen. Einmal die Türe geöffnet, geriet auch die 17 Jahre jüngere Geliebte von Hollande in die Klatschspalten, eine Schauspielerin: Der Präsident war morgens vor ihrer Türe beim Croissant-­Holen abgeblitzt worden.

Haltlose Gerüchte, er sei in Wahrheit homosexuell, wies Macron souverän zurück und spottete, das hätte seine Frau merken müssen, schließlich verbringe er „Tag und Nacht mit Bibi“. Auch politisch präsentiert der Sozialliberale sich als über allem stehend. „Ich will die Blockaden überwinden“, sagt er und „Frankreich die Angst nehmen“.

Aktualisierte Fassung vom 8. Mai 2017.

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