Alice Schwarzer schreibt

Adieu, George!

George Troller und Alice Schwarzer in Paris. - Foto: Bettina Flitner
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Zu seinem 103. Geburtstag empfing George Troller im fünften Stock seines Pariser Wohnhauses im Hausrock. Auch diesmal waren Menschen aus aller Herren Länder angereist, von Wien bis New York. Doch zum ersten Mal ließ George spüren, dass es ihm mit dem rituellen Geburtstagsempfang, bei dem der Champagner immer in Plastikbechern serviert wurde, langsam doch etwas zu viel wird.

Ich rückte meinen Stuhl neben seinen Sessel. Er beugte sich zu mir und sagte mit gesenkter Stimme: "Weißt du, als ich jünger war, hättest du mir auch gefallen." Effektvolle Pause. "Aber …  ich hätte Angst vor dir gehabt." Koketter Augenaufschlag.

Selbstverständlich hat der Wiener Jude bis zum letzten Atemzug nicht aufgehört zu flirten. Die Regeln zum geschlechtergerechten Umgang mit Frauen haben ihn nicht mehr erwischt – und er hätte sich ganz gewiss auch nicht darum geschert.

Kennengelernt haben George und ich uns auf Ralph Giordanos 80. Geburtstag im Jahr 2003. Wir hatten zuvor schon beruflich korrespondiert (es ging um Romy Schneider), aber persönlich begegnet sind wir uns da zum ersten Mal. Als ich ihn sah, habe ich mich gleich neben ihn gesetzt. Denn erstens fand ich schon immer, dass er ein brillanter Journalist ist, und davon gibt es nicht viele. Und zweitens hat mich natürlich auch sein "jüdisches Schicksal" berührt.

George Troller mit Zitrone.
George Troller und die Zitrone.

Sohn eines Pelzhändlers in Wien, mit 16 vor den Nazis nach Prag geflohen, dann nach Frankreich, Internierung, schließlich Flucht über Marseille nach Amerika. Auch die Eltern konnten fliehen, über Portugal. Als GI war er bei der Befreiung des KZs Dachau dabei, wurde von der U. S. Army, weil er deutschsprachig war, als Übersetzer bei den Verhören der Nazis eingesetzt. Dann Studium in Amerika, 1949 ein Fulbright-Stipendium für die Sorbonne in Paris. Doch zum Studieren kam George nicht mehr. Er rutschte gleich in den Journalismus.

Da startete George Troller in den 1960er-Jahren beim WDR. Sein Pariser Journal und seine Personenbefragungen waren bekannt und beliebt. Wer gute Interviews machen will, muss offen und neugierig sein und die Menschen lieben. Wie hat George, der zu viel wusste, das nach dem Krieg geschafft? Woher hatte er nach alldem die Kraft, so zugewandt und liebenswürdig zu sein? Gegen Ende seines Lebens sagte der einst so lebensbedrohlich Verachtete und Verfolgte: "Ich wollte eigentlich immer nur akzeptiert und geliebt werden." Dass er Jude war, hat er lange verschwiegen. "Ich wollte mich beim deutschen Publikum nicht gleich wieder unbeliebt machen." Der Sarkasmus gehört eben auch dazu.

Es gab früher mal alljährlich einen Negativpreis: eine "saure Zitrone" für den sexistischsten Journalisten. So ganz ungeschoren sollte mein geliebter, charmanter Freund nun doch nicht davonkommen, fand ich. Bei dem Essen im kleinen Kreis zu seinem 100. Geburtstag verlieh ich ihm die verdiente "saure Zitrone". Er hat noch beim Dessert darüber gelacht.

Adieu, George. Je t’embrasse.

ALICE SCHWARZER

Der Text erschien zuerst in der ZEIT.

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