Alice Schwarzer in anderen Medien

"Ich bin es leid, eine Frau zu sein"

© Bettina Flitner
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Frau Schwarzer, Sie sagen: Seit 5000 Jahren herrsche die Diktatur des Patriarchats...
Richtig. Aus Ihrem Mund höre ich das besonders gerne.

Sie übertreiben doch maßlos. Hannah Arendt hat sinngemäß geschrieben: Jede Macht, die sich diktatorisch nur auf die Gewehrläufe stütze, werde zusammenbrechen. Wenn die angebliche Diktatur des Patriarchats, wie Sie behaupten, noch heute besteht, dann vielleicht deshalb, weil es gar keine Diktatur ist.
Lesen Sie doch mal eine andere Emigrantin: die Historikerin Gerda Lerner. Die beweist in ihrer Forschung über den «Beginn des Patriarchats» 5000 Jahre Entrechtung und Versklavung der Frauen. Das Patriarchat ist immer noch nicht zusammengebrochen, weil es sich nicht nur auf die Gewehrläufe stützt, sondern ebenso auf die Liebe. Die Frauen sind die Einzigen, die mit ihren Unterdrückern Tisch und Bett teilen. Völker leben in verschiedenen Ländern, Klassen in verschiedenen Stadtvierteln, Rassen in verschiedenen Terrains. Im Fall der Geschlechter ist das komplexer.

Sind die Frauen denn derart schwach, dass sie sich mit ihren Unterdrückern noch freiwillig ins Bett legen?
Da müssen Sie diese Frauen fragen. Mich hat nichts so radikalisiert wie meine systematischen Gespräche mit Frauen. Da tun sich Abgründe auf. Man lernt deren Männer kennen, sympathische Zeitgenossen – doch kaum fangen die Frauen an zu reden, graust es einen. Eine Amerikanerin hat in den Siebzigern mal gesagt: «Die Feministinnen haben den Geschlechterkrieg nicht erklärt, sie haben ihn nur benannt.» Es gibt eine große Fremdheit zwischen den Geschlechtern, die mit Liebeskitsch und Leidenschafts-Tamtam übertüncht wird. Wie im Falle Bertrand Cantat gegen Marie Trintignant oder Gerd Bastian gegen Petra Kelly. Irgendwann wird dann totgeschlagen.

Die Frau als das geborene Opfer – glaubt Ihnen das heute eigentlich noch jemand?
Mir muss das niemand glauben. Ich mache mich seit dreissig Jahren damit unbeliebt, dass ich nicht nur das Modell Männlichkeit in Frage stelle, sondern auch das Modell Weiblichkeit. Frauen werden, wenn sie wirklich etwas ändern wollen, immer zuerst bei sich selbst anfangen müssen. Denn es hat weder den Frauen noch den Männern gut getan, über Jahrtausende so ungleich zu sein. Zu viel Ohnmacht macht so hässlich wie zu viel Macht. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat sich dank des Feminismus zum Glück einiges verändert. Doch dieser Fortschritt provoziert, wie jede große gesellschaftliche Veränderung, auch einen gewaltigen Backlash.

Wo sehen Sie den Backlash?
Überall. Im Schlankheitswahn. Im Schönheitswahn. Im angeblichen Babyboom. Das ist nicht ohne Komik, dass man in den Medien überall Stars mit platzenden Bäuchen sieht. In Wahrheit geht die Geburtenrate aber dramatisch zurück. Wir haben keinen Babyboom, sondern einen Babystreik. Wem das nicht passt, der sollte sich also eher mal fragen, warum.

Warum?
Weil die Frauen unter diesen Bedingungen nicht mehr mitmachen. Es flattern keine Fahnen. Und die Frauen machen auch nicht jeden Tag eine Demo. Aber sie bekommen einfach keine Kinder mehr. Fertig. Aus. So. Und wenn Ihr Herr Blocher – wie ich in der Weltwoche gelesen habe – nun auch noch die Kindergärten und Krippen abschaffen will...

...nicht abschaffen, aber vom privaten Sektor und nicht vom Staat finanzieren lassen...
...dann wird es noch schlimmer werden. Zusätzliche Kinderbetreuung durch Privatinitiativen: ja! Aber nicht statt staatlicher Hilfe – das würde das Elend nur vergrössern. Dann stirbt die Schweiz aus. Schade eigentlich.

Sprechen wir über staatliche Hilfe. Deutschland steht kurz vor dem Bankrott. Wie groß ist Ihr Vertrauen in die aktuelle Landesregierung?
(Lacht) Vertrauen sollte man in eine Regierung nie haben. Kontrolle ist besser. Die Regierung Schröder hat es in Zeiten des Umbruchs sicher nicht leicht. Aber sie will den Kleinen alles wegnehmen und den Großen alles lassen. Das erwarten wir nicht ausgerechnet von einer sozialdemokratischen Regierung.

Wer sind Ihrer Meinung nach die Hoffnungsträger in der deutschen Politik?
Mich interessieren natürlich vor allem die Politikerinnen. Und genau daran fehlt es. In den Siebzigern und Achtzigern gab es noch weibliche Persönlichkeiten in den Parteien. Aber die hat man alle gebrochen.

Was ist mit Frau Merkel? Hat man die auch weggeknickt?
Na ja... Wir werden sehen. Sie ist nach oben gespült worden, als die Basis der CDU die männerbündische Korruption in der Partei satt hatte. Da kam diese Frau aus dem Osten und redete plötzlich Tacheles. Doch dort oben ist die Luft für eine Frau sehr dünn. Sie muss sich jeden Tag neu erfinden: Wie trete ich auf, eher weiblich oder eher männlich? Trage ich Rock, trage ich Hose? Bin ich verbindlich oder dominant?

Was halten Sie von George W. Bush?
Ein christlicher Fundamentalist, der mir wie alle Fundamentalisten Angst einflößt. Und dass er auch noch ein Überzeugungstäter zu sein scheint, macht es nicht besser.

Immerhin hat er sich zum Ziel gesetzt, den Islamismus einzudämmen, die neuste «Spielart des Faschismus», wie Sie selber behaupten.
Quatsch. Den Amerikanern geht es doch gar nicht um den Kampf gegen den Islamismus. Im Gegenteil. Sie haben die Gotteskrieger jahrelang nach Kräften unterstützt, um so den so genannten «grünen Gürtel» um die alte Sowjetunion zu legen. Wenn Bush heute seinen Feldzug im Namen von «Menschenrecht und Demokratie» führt, dann werde ich als erfahrener politischer Mensch hellhörig. In neun von zehn Fällen steckt hinter diesen edlen Begriffen inzwischen etwas ganz anderes.

Bleiben wir beim Islamismus, Ihrem neuen Lieblingsfeindbild.
Neu? Ich kämpfe seit 1979 gegen den Islamismus, und das in Deutschland über zwanzig Jahre ziemlich allein. Schon damals, als ich 1979 in Chomeinis Gottesstaat war, haben die Mullahs kein Geheimnis daraus gemacht, was sie wirklich wollen. So wie die Nazis 1933. Deren Programm stand ja auch schon in «Mein Kampf». Der Kreuzzug der Islamisten gegen Menschen- und Frauenrechte begann mit der Revolution im Iran. Saudi-Arabien hat das Geld geliefert. Die USA haben es geduldet und gefördert: im Kampf gegen den Kommunismus und zur Destabilisierung des Nahen Ostens. Jetzt haben wir den islamistischen Fundamentalismus auch mitten in Europa.

Sie haben das muslimische Kopftuch für Frauen auch schon als «Flagge der Kreuzzügler» bezeichnet. Viele halten Ihren Kampf gegen die Integration islamischer Werte in Europa für rassistisch.
Der Vorwurf des Rassismus war immer nur ein Trick gewisser Linker und Liberaler, um Leute wie mich einzuschüchtern. Ich meine, dass die anderen die Rassisten sind. Da sie die Mehrheit der toleranten Musliminnen und Muslime dem Terror der fanatischen Minderheit der Islamisten ausliefern. Es ist Zeit für einen Schulterschluss der Demokraten: egal, welcher Kultur.

In der Schweiz haben wir eine so genannte Rassismuskommission. In einer ihrer Broschüren hat sie zu mehr Verständnis für Gewalt in muslimischen Familien aufgerufen. Diese sei kulturell bedingt.
Wenn das stimmt, ist das ein Skandal und der nackte Rassismus! Es wird ja damit unterstellt, Muslime seien eine andere Art von Menschen. Diese Art von Pseudotoleranz und Kulturrelativismus ist die Gönnerhaftigkeit von Herrenmenschen. Die anderen, die sind nun mal so... Es stimmt, auch Untersuchungen in Deutschland zeigen, dass die Gewalt in türkischen Familien besonders groß ist. Dies aber nicht, weil Türken «anders» sind, sondern weil es dort bei der Landbevölkerung noch ein unerschüttertes Patriarchat gibt. Wie bei uns vor fünfzig Jahren. Und verunsicherte Männlichkeit ist gefährlich bis lebensgefährlich. Vor allem für Frauen und Kinder.

Sie meinen, wenn man Arabern zu lange in die Augen guckt, schlagen sie zu?
Nicht bei Ihnen, Herr Köppel, Sie haben das richtige Geschlecht. (Lacht) Reden wir ernsthaft: Ein Kölner Polizist hat mir kürzlich erzählt, siebzig oder achtzig Prozent der Vergewaltigungen in Köln würden von Türken verübt. Ich habe ihn gefragt: Warum sagen Sie das nicht, damit wir an die Wurzeln des Problems gehen können? Er antwortete: Das dürfen wir ja nicht, Frau Schwarzer, das gilt als Rassismus.

Was sagen Sie zu folgendem Phänomen: Ein Mann ist mit einer intelligenten, verständigen und äußerst humorvollen Molekularbiologin verheiratet. Trotzdem wird er früher oder später mit seiner Sekretärin durchbrennen, weil die zwanzig Jahre jünger ist und eine bessere Figur besitzt.
Sie halten die Männer für so dämlich?

Wir beobachten nur die täglichen Ehedramen.
Sie glauben also wirklich, dass ein Mann, der eine interessante und lebendige Frau gewohnt ist, plötzlich mit irgendeinem Mädchen... Was soll daran spannend sein? Das bekannte Oben/Unten? Ist Gleichheit nicht viel aufregender, erotischer? Also ich habe neulich einen ganzen Abend lang neben einem bekannten Fotomodell gesessen. Ich habe weiss Gott nichts gegen hübsche Frauen, die können ja auch sehr klug sein, aber bei der brach mir nach zehn Minuten der Schweiß aus. Ich wusste schlicht nicht mehr, was ich sagen sollte, weil mir nur Leere entgegenschlug. Da war nur runtergehungerte Dürre, die kaum zu lachen wagte wegen der Faltengefahr. Ist es das, was Sie wollen?

Joschka Fischer, Gerhard Schröder sind nur die Klassiker des Phänomens.
Ich beobachte, dass viele dieser Männer, die sich stereotyp Jüngere suchen, immer den haargenau gleichen Typ Frau nehmen, den sie schon hatten, nur eben zwanzig, dreissig Jahre jünger. Das finde ich totenkomisch, weil sie mit der Neuen automatisch wieder in die gleiche Falle rasseln. Das sind Männer, die immer Frauen wollen, die abhängig von ihnen sind. Irgendwann wird es ihnen langweilig, dann wird die eine halt durch die nächste ersetzt.

Die interessante Frage lautet doch: Worin sind Männer und Frauen grundsätzlich verschieden?
Ja, worin denn?

Für eine Frau ist es entscheidend zu wissen, dass sie begehrt wird. Hierfür wird sie alles tun. Der Mann hingegen muss sich und seiner Umwelt beweisen, dass er Frauen erobern kann.
Die Mehrheit der Frauen ist tatsächlich sehr abhängig davon, geliebt und begehrt zu werden. Das liegt einfach daran, dass die Männer seit Jahrtausenden das Gesetz machen. Und der einzige Wert einer Frau lange nur der als Objekt war. Und viele Männer – wer verstehe diese unbekannten Wesen! – haben in der Tat noch immer diese klägliche Eroberungsmacke. Bei diesen Männern ist erotisch gesehen vermutlich wenig los. Kann ja auch gar nicht. Weil der Eroberer, kaum hat er erobert, schon wieder zur Nächsten muss...

...aber auch Sie würden das Vorhandensein biologischer Sachzwänge nicht ganz leugnen...
...jetzt kommen Sie mir nicht mit dem Affen, der von Ast zu Ast springt! Wir sind ja schon länger Kulturwesen. Liebe Kollegen, nur weil Sie mit Ihrer Zeitung jetzt auf Erfolgskurs sind und plötzlich zu den guten alten Männerbünden gehören, können Sie doch nicht alles vergessen, was Sie schon einmal gewusst haben!

Sie meinen: Das ewige Kokettieren der Frauen, die Eroberungsmasche der Männer, das ließe sich abschaffen?
Was heißt ließe? Es gibt schliesslich genug Frauen und Männer, die anders leben. Und was sind denn lächerliche dreißig Jahre öffentlichen Nachdenkens über Frauen und Männer gegen die seit Jahrtausenden festgeschlagenen Rollendiktate, gegen Tausende von Jahren des Patriarchats?

Die Fakten sehen anders aus: In den Schulen, in der Universität sind die Frauen meistens besser als die Männer...
...weil sie begeistert sind, dass sie endlich mal was lernen dürfen. Und weil sie doppelt so gut sein müssen wie die Männer, um überhaupt eine Chance zu haben...

...zwischen dreissig und vierzig kommt dann der Knick. Die Frauen sagen: Ich will doch nicht an den Massstäben des männlichen Erfolgs gemessen werden und in eine Firmenkarriere aufsteigen, wo ich mit 45 auf der Straße lande, wie es heute vielen Managern passiert. Sie suchen sich eine viel stabilere Machtsphäre.
Was ist stabil? Die Familie? (Lacht)

Aber natürlich. Macht ist ein Resultat von Beziehungen. Gibt es stabilere Beziehungen als die zwischen Müttern und ihren Kindern?
Jetzt werden Sie nicht sentimental. Reden wir über Macht und Tradition. In der Holocaustforschung gibt es den Begriff der zweiten und dritten Generation. Man weiß, wie die Erfahrungen und Traumata auch wortlos weitergegeben werden. Das gilt natürlich nicht nur für das dramatische jüdische Erbe, das gilt auch für andere unterdrückte und verfolgte Gruppen, für Schwarze oder Frauen. Das heißt: Wir Frauen von heute sind die Enkelinnen und Töchter von Frauen, welche noch ganz und gar rechtlos und Besitz ihrer Väter und Ehemänner waren. In der Schweiz – aber das ist ja ein Running-Gag – dürfen Frauen überhaupt erst seit dreißig Jahren wählen. Die Finninnen dürfen seit 1903 wählen. Die stehen auch darum heute schon anders da als zum Beispiel die Deutschen und die Schweizerinnen.

Es gibt Frauen in der Schweiz, die haben vor der Einführung des Frauenstimmrechts gesagt: Ich will kein Stimmrecht, weil mein Mann mich sowieso fragt, was er wählen soll.
Aargh! Das sind ja Abgründe! Aber ich will nachsichtig sein, liebe Kollegen: Sie kommen wirklich von weit her. Aber so was ist ja die reine Sklavenmentalität: Mein Herr wird es schon richten... Nein, wir wollen, dass jeder Mensch eine eigene Stimme, gleiche Rechte und gleiche Chancen hat. Der Traum der Zukunft ist für mich eben weder «weiblich» noch «männlich», sondern schlicht menschlich.

Der Feminismus hat schon bessere Zeiten gesehen. Könnte es sein, dass das Postulat von der absoluten Gleichheit die Geschlechter überfordert?
Man bekommt Freiheit natürlich nicht geschenkt. Man hatte sich eingerichtet in der Hierarchie, in den Abhängigkeiten, es wurde geschwiegen, die Türe zugemacht. Jetzt versucht frau den aufrechten Gang. Natürlich löst das Verunsicherung aus, bei beiden Geschlechtern. Sie gleiten ja nicht von der die Menschen verbiegenden Ungleichheit strahlend in die Gleichheit. Und trotzdem ist in diesen wenigen dreißig Jahren eine wahre Revolution in den Köpfen passiert. Für die jungen Frauen von heute ist es selbstverständlich, neben der Familie einen Beruf zu haben. Wir sind für solche Forderungen früher ausgelacht worden. Auch den jungen Männern von heute tut es gut, auch mal Mensch sein zu dürfen und nicht nur Maschine wie ihre armen Väter und Großväter.

Sie reden von «Verunsicherung». Ihre Kritiker, wie der deutsche Soziologe Rainer Paris, sprechen von einer aktuellen «Eiszeit». Die permanente Ideologisierung des Geschlechterverhältnisses, die Tatsache beispielsweise, dass jedes Kompliment als plumpe Anmache interpretiert wird, habe das Grundvertrauen zwischen Mann und Frau zerstört.
Ach wissen Sie, so ein Wissenschaftler steht ja auch nicht außerhalb seiner Haut. Dem ist vielleicht gerade die Frau weggelaufen, schon fängt er an, von einer «Eiszeit» zu reden. Statt subjektiver Spekulationen gebe ich Ihnen lieber ein paar objektive Zahlen: Eine aktuelle Geschlechterstudie des CDU-nahen Allensbach-Forschungsinstitutes hat soeben Folgendes zutage gefördert: 78 Prozent aller deutschen Frauen und 44 Prozent aller Männer meinen, dass in Sachen Gleichberechtigung noch einiges getan werden müsse. Fast jeder zweite Mann wünscht sich mehr Gleichberechtigung. Und für eine neue Frauenbewegung sind 49 Prozent aller Frauen und 18 Prozent aller Männer. Überraschend, nicht? Wo doch die Medien seit 25 Jahren schreiben, Feministinnen seien von gestern, alles Hysterikerinnen und frustrierte Lesben.

Trotzdem diskreditieren Sie mit Ihrer Behauptung, dass das Biologische zu vernachlässigen sei, die große Mehrheit der Frauen, die in ihrer traditionellen Rolle großes Talent an den Tag legen. Es ist, als würde man zu mir sagen: Du bist zwar ein guter Journalist, aber versuch dich doch mal als Ballerina, das solltest du auch können.
Ich wäre auch eine schlechte Ballerina, Kollege Köppel. Das hat rein gar nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Bitte beantworten Sie mir eine Frage: Was ist denn der grundlegende Unterschied zwischen Ihnen und mir? Wir haben ja denselben Beruf. Wir beide sind Blattmacher. Uns trennen nur ein paar Jährchen. Was also ist der irreversible Unterschied zwischen Alice Schwarzer und Roger Köppel?

Sie meinen als Mann und Frau?
Nein. Ich meine Sie und mich. Sie sagen, wir beide seien als Individuen biologisch unterschiedlich determiniert. Sind Sie rationaler, bin ich emotionaler? Also wo liegt der Unterschied?

Die Frage ist abstrus, die Unterschiede sind offenkundig.
Tja, da gehen Ihnen die Argumente aus. Alles nur Behauptungen. Ich gebe Ihnen einen ganz heißen Tipp: Lassen Sie diese ganzen windigen Spekulationen mit dem biologischen Unterschied auf der Seite. Lassen Sie uns als fortschrittliche Menschen miteinander abtragen, was wirklich noch an gesellschaftlich unterschiedlichen Bedingungen für die Geschlechter existiert – ökonomisch, sozial, psychologisch etc. –, und gucken wir dann, was bleibt. Denn heute leben wir noch immer in einer Welt, die für jeden Mann und jede Frau in jeder Minute unterschiedlich ist. Selbst ich werde nach wie vor für den geringsten Verstoß gegen das weibliche Diktat abgestraft.

Zum Beispiel?
Fragen Sie zu Hause in der Schweiz. Fragen Sie Ihre Kolleginnen, Schwestern, Freundinnen. Sie werden hören, dass eine Frau immer und überall anders angesehen, anders bewertet, anders beurteilt wird. Und glauben Sie mir: Ich bin die Erste, die das abschaffen möchte. Ich bin es leid, eine Frau zu sein. Ich wäre schrecklich gerne einfach nur Mensch.

Ihre ärgsten Feindinnen sind oft Frauen.
Stimmt. Es gibt tatsächlich etliche Männer, die mir näher sind als manche Frau. Das war ja auch vielfach der Weltwoche zu entnehmen, wo die hämischsten Artikel meines Lebens über mich erschienen sind. Aus Frauenfeder – von Männern in Auftrag gegeben und redigiert. Wenn wir uns alle einig wären, hätten wir kein Problem mehr. Ich meine: 52 Prozent der Weltbevölkerung sind Frauen... Die Sache wäre schnell geregelt.

Und alle Männer werden abserviert?
Herr Köppel, ich finde, Sie sollten Ihre männliche Verunsicherung konstruktiver umsetzen, nicht nur in Phantasmen und Aggression. Gerade Ihr Männertyp hat doch vom Feminismus mächtig profitiert. Auch mal schwach sein dürfen... Locken tragen...

Was ist das größte Missverständnis des Mannes über die Frau?
Den Mann gibt es nicht – und die Frau auch nicht.

Das war eine grammatische Hilfskonstruktion. Also: Was ist das größte Missverständnis der Männer über die Frauen?
Auch das ist mir zu pauschal.

Das größte Missverständnis über Alice Schwarzer?
Zum Glück habe ich etliche Missverständnisse nicht zuletzt dank sporadischer Fernsehpräsenz direkt aus dem Weg räumen können. Das Klischee der Humorlosigkeit zum Beispiel. Ich kann nicht singen – aber lachen kann ich nun wirklich, vor allem über mich selber.

Wie interpretieren Sie den aktuellen Schönheitskult unter jungen Frauen? Vom feministischen Gedankengut scheint hier nicht viel hängen geblieben zu sein.
Es gibt viele Arten von jungen Frauen, wie auch schon in meiner Jugend. Der Zuwachs unter den EMMA-Leserinnen zum Beispiel kommt derzeit hauptsächlich aus dem jungen Segment. Aber natürlich gibt es reichlich Opfer des Schönheits- und Jugendkultes. Der ist ein Teil des Backlash, so wie die Magersucht und die Kotzsucht. Früher hatten wir äußere Fesseln. Die sind weg. Nun gibt es innere.

Wieso rennen alle diese Leute freiwillig in die falsche Richtung?
Es sind nicht alle. Es gibt auch viele, die in die richtige Richtung rennen. Sie gehen ja wohl auch nicht ins Muskelstudio (zeigt auf die Oberarme von Roger Köppel).

Ich gehe leider zu wenig. Aus Zeitmangel.
Ja, Sie sind gestresst, Herr Köppel. Sie strahlen eine gewisse Anstrengung aus. Es ist ja auch völlig legitim, dass Sie das stresst mit Ihrer Zeitung. Nur haben Sie als Journalist die verdammte Pflicht, die Zeitung nicht einfach nach Ihren Launen zu machen, nicht nur Meinung, sondern auch Fakten zu berichten und die Verhältnisse auch mal zu reflektieren. Sie neigen dazu, die Sachen einfach so rauszuhauen... wenn ich das sagen darf, als ältere Kollegin... (lacht). O mein Gott, das artet hier ja noch zu einer Therapiestunde aus (lacht noch mehr).

Bereuen Sie es, dass Sie nie eine Familie gegründet haben?
Nein, überhaupt nicht. Abgesehen davon, dass ich die EMMA nicht hätte machen können, wenn ich ein Kind gehabt hätte. Außerdem ist es heutzutage für eine Frau sehr schwer, dem Muttersein gerecht zu werden. Ich bin froh, dass mir dieser Konflikt erspart geblieben ist. Ich glaube auch nicht an den Urwunsch, um jeden Preis biologisch Mutter – oder Vater – sein zu müssen. Und noch etwas – ich senke meine Stimme: Ich kenne viele entsetzliche Mütter. Nicht jede Frau sollte Mutter sein. Aber ich wäre vermutlich sogar eine gute Mutter geworden: Kinder haben gemeinhin einen dicken Draht zu mir.

Gibt es historische Männer, die Sie bewundern?
Bewundern wäre der falsche Begriff. Jean-Paul Sartre war herausfordernd und anregend zugleich.

Sartre? Der, der den sowjetischen Gulag verteidigt hat?
Das hat er sehr rasch zurückgenommen.

Er wird von Zeitgenossen als eingebildeter, autoritärer Typ mit absoluten Wahrheitsansprüchen geschildert.
Wie absurd. Er war das totale Gegenteil. Ich habe ihm einmal wegen eines sehr dummen Interviews zur Frauenbewegung die Meinung gegeigt. Ich war früher ja kaum zu bändigen. Ich schüttelte die Fäuste in der Luft und wetterte: «Sartre, Sie haben vollkommenen Blödsinn geredet!» Daraufhin schaute er mich an, mit einem leichten Glitzern in den Augen, und sagte nur: «So, finden Sie, Alice?» Das war der Beginn unserer Freundschaft. Nichts interessierte ihn mehr als das Infragestellen und das Leben.

Warum sind Sie eigentlich hauptberuflich Feministin geworden?
Bin ich? Ich dachte, ich wäre hauptberuflich Journalistin und Essayistin. Das allerdings seit langem aus einer bestimmten politischen Erkenntnis und Haltung heraus. Nämlich, dass es Machtverhältnisse gibt zwischen Menschen – nicht nur, aber auch zwischen den Geschlechtern. Gegen diese Machtverhältnisse habe ich etwas.

Ihre Texte waren früher gesellschaftspolitischer Sprengstoff, heute füllen sie die Schulbücher. Freut oder beelendet Sie diese Feststellung?
Ich finde es großartig, dass der Feminismus seinen Weg durch die Institutionen bin hin in die Schulbücher gegangen ist. Da gehört er hin!

Wieso gibt es in Deutschland nur Alice Schwarzer und keine andere große Feministin mit Ihrem Status?
Das müssen Sie doch nicht mich fragen. Ich finde es eher anstrengend, immer allein dazustehen. Ich bin ja auch gar keine urdeutsche Feministin. Ich bin ein Import aus Paris, wo ich Anfang der Siebziger eine der Pionierinnen der Pariser Frauenbewegung war. Als ich 1971 mit der berühmten Stern-Aktion «Ich habe abgetrieben!» den provokanten Aktionismus nach Deutschland getragen habe, war hier feministisch leider überhaupt nichts los, das war der totale Friedhof. Die Frauen, die im Zuge der 68er Bewegung aufgemuckt hatten – Stichwort Tomatenwurf, Stichwort «Die Herrschaft der Schwänze hat ihre Grenze» –, waren völlig zurückgesunken in die linken Kadervereine. Die machten nur noch «Kapital»-Schulung. Man darf auch nicht vergessen, dass die Pionierinnen der Frauenbewegung in Deutschland die Töchter der BDM-Mädchen waren. Ich persönlich nicht, ich komme aus einer Familie, die die Nazis gehasst hat. Aber viele deutsche Feministinnen saßen in den Siebzigern mit dem Strickzeug im Frauenzentrum.

Besagte Stern-Aktion gilt als Initialzündung der deutschen Frauenbewegung. Unter Ihrer Federführung outeten sich damals 374, zum Teil sehr berühmte Frauen mit den Worten «Ich habe abgetrieben!». Stimmt es, dass viele dabei waren, die gar nie abgetrieben hatten?
Ja, einige. Ich selber habe auch nie abgetrieben. Aber ich hätte es getan, wenn nötig.

Der Stern-Titel lautete eindeutig: «Ich habe abgetrieben!»
Das war eine politische Provokation und kein persönliches Bekenntnis.

Es gibt Leute, die bezeichnen Ihren Stil als «feministischen Boulevard»? Beleidigt Sie das?
Im Gegenteil. Ich bin Journalistin mit Leib und Seele, und es interessiert mich überhaupt nicht, für eine Minderheit zu schreiben. Mich interessiert die maximale Kommunikation. Und ich will meinen Beruf nicht trennen in: hie seriös, langweilig und nicht lesbar – und da zeitgeistig, unterhaltsam und konsumierbar. Auch in Sachen Lesbarkeit und Lebendigkeit stehe ich eher in der französischen Tradition als in der deutschen.

Ist EMMA mehr als nur das Megafon von Alice Schwarzer? Sie haben sich ja selber schon aufs Cover gesetzt. Das hat selbst Rudolf Augstein im Spiegel erst nach seinem Tod geschafft.
Herr Köppel, nach allem, was über Sie in der Branche erzählt wird, sollten gerade Sie nicht mit Steinen werfen.

Aber Sie haben sich doch aufs EMMA-Cover setzen lassen von Ihrer Redaktion.
Schön, dass Sie so aufmerksam die EMMA lesen. Stimmt. Ich war in der ersten Nummer der EMMA 1977 zusammen mit Kolleginnen auf dem Cover und zum 20-Jahr-Jubiläum. Na und?

Hat der Feminismus aus Ihrer Sicht nie übers Ziel hinausgeschossen?
Wie meinen Sie das?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Früher hat das Scheidungsrecht die Frauen eindeutig deklassiert. Heute ist es so, dass Sie keinen Richter mehr finden werden, der sich in diesen heiklen Belangen auf die Seite des Mannes schlägt. Eine neue Ungerechtigkeit.
Das gibt es, ist aber die Ausnahme. Die Regel sieht immer noch anders aus. Selbstverständlich bin ich auch im Scheidungsrecht für absolute Gerechtigkeit, auch für Männer. Ich halte die Frauen weder für die besseren Menschen, noch möchte ich, dass sie bevorzugt werden.

Wieso interessiert Sie vor allem die Gewalt zwischen den Geschlechtern?
Weil Gewalt der Kern jedes Herrschaftsverhältnisses ist. Es gibt keine Herrschaftsverhältnisse ohne die Ausübung oder Androhung von Gewalt. Das gilt eben auch für die Geschlechter. Und da ist es zumeist die sexuelle beziehungsweise sexuell gefärbte Gewalt. Was meinen Sie, wo die Männer laut empirischen Untersuchungen bei pornografischen Fotos zuerst hingucken?

Ich weiss es nicht.
Raten Sie doch mal.

Ich würde sagen, Männer betrachten drei Körperteile, während die Frauen jeden Quadratmillimeter ihrer Konkurrentinnen aufs minuziöseste begutachten.
Die Männer schauen zuerst in die Augen! Sie werden die wirkliche Pornografie immer an der Demut der Augen erkennen. Es kommt nicht darauf an, wie riesig der Busen ist. Es ist alles nur eine Machtfrage.

Können Sie sich denn gar nicht vorstellen, dass Frauen eigenverantwortlich und freiwillig in den bestehenden Verhältnissen glücklich werden?
Wenn Sie so weitermachen, Herr Köppel, bekommen Sie mal eine Frau, welche zu ihren Freundinnen sagt: Ich gebe ihm einfach immer Recht, und hinter seinem Rücken mache ich, was ich will. Wollen Sie solche unwürdigen Verhältnisse? Wollen Sie von einer weiblichen Sklavenseele manipuliert werden? Ich verrate Ihnen ein schmutziges kleines Geheimnis: Wenn Sie hören könnten, wie manche Frauen so über ihre Männer reden – gerade die weiblichen, die, die Sie so gerne wollen –, sie würden weinend zusammenbrechen. Also, ich möchte nicht dieser Mann sein, der so behandelt wird.

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