Alice Schwarzer in anderen Medien

Freierbestrafung erster Schritt!

2014: Die CDU-Abgeordnete Sylvia Pantel hält Bordellbetreiber Wollersheim für einen „netten Mann“. © Meike Wirsel/BILD
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Der Lockdown bietet aktuell viele Chancen; eine davon ist, über die Prostitution in Deutschland grundsätzlich nachzudenken. Wie nehmen Sie die aktuelle Debatte wahr?
Alice Schwarzer Ermutigend! In den vergangenen Monaten haben erstmals Bundestagsabgeordnete aus mehreren Fraktionen sowie die gesamte CDU-Frauenunion sich für ein Verbot der Prostitution ausgesprochen. Das heißt, für die Bestrafung der Freier und verstärkte Ausstiegshilfen für die Frauen. Umso erstaunlicher, dass die CDU-Frauenunion NRW einen genau gegenteiligen Kurs einschlägt, allen voran die Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Silvia Pantel. Die Mutter von fünf Kindern schäkert aber offensichtlich gerne mit Bordellbetreibern wie Felicitas Schirow und Bert Wollersheim rum, wie Fotos belegen. Letzteren bezeichnete die Christdemokratin als einen „netten Mann“. Das ist schon sehr irritierend.

Ein Argument jener, die alles so lassen wollen wie es ist, lautet: Mit einem Sexkaufverbot werden Prostituierte in die Illegalität abgedrängt. Stimmt das Ihrer Meinung nach? Und ist  das in Deutschland nicht schon lange der Fall?
Das Gegenteil ist der Fall! Das aktuelle Prostitutionsgesetz hat Deutschland zum „Bordell Europas“ und zum Einreiseland für Sextouristen gemacht.  Es ist ein Freifahrtschein für Menschenhändler, Zuhälter und Bordellbetreiber. Die Frauen aber lässt es im Stich. Die Schätzungen belaufen sich heute in Deutschland auf 200.000 bis 400.000 Frauen in der Prostitution. Das muss man sich mal vorstellen! Wir haben keine Ahnung, wieviel Hunderttausende es überhaupt in Deutschland gibt. Nur 76 Prostituierte haben sich sozialversicherungspflichtig angemeldet – und rund 40.000 bei der jeweiligen Stadt, der Rest ist in der Illegalität. Aber was bedeutet Legalität? Wenn zum Beispiel eine 18-Jährige Rumänin, die von ihrer Familie in ein deutsches Bordell geschickt wird und jeden Tag 20 Freier bedienen muss, ist das in Deutschland legal. Wollen wir das?   

Bordellbetreiberin Schirow 2015 zu Besuch bei Christdemokratin Pantel in Berlin. - Foto: Rolf Kremming/imago images
Bordellbetreiberin Schirow 2015 zu Besuch bei Christdemokratin Pantel in Berlin. - Foto: Rolf Kremming/imago images

Ist Prostitution also Menschenhandel?
Die heutige Prostitution ist ohne Menschenhandel gar nicht denkbar. Sie liegt weitgehend in den Händen der Organisierten Kriminalität. Die Frauen, die oft kein Wort Deutsch sprechen und aus Osteuropa oder Afrika importiert werden, karrt man als „Frischfleisch“ alle paar Wochen von Bordell zu Bordell. Eine Unterscheidung zwischen „Zwangs“- und „Elends“-Prostitution ist nicht möglich, diese Frauen tun es alle aus ökonomischen Zwängen und unter Gewaltandrohung. Und die maximal zehn Prozent „freiwilliger“, also der deutschen Prostituierten, sind so manches Mal Opfer von Loverboys – oder Betreiberinnen sogenannter Studios, in denen andere Frauen für sie anschaffen, also selber Zuhälterinnen.

Das sogenannte Schwedische Modell kriminalisiert die Sexkäufer, nicht die Frauen. Was halten Sie von diesem Weg?
Es ist der einzige Weg! Denn erst die Käufer schaffen den Markt. In dem Moment, wo es keine Kunden mehr gibt, gibt es auch keine Prostitution mehr. Darum ist die Bestrafung von Freiern – mit Geldstrafen und Aufklärungskursen – der erste Schritt im Kampf gegen die Prostitution. Die Frauen in der Prostitution aber dürfen nicht kriminalisiert werden, im Gegenteil: Denen muss geholfen werden. Durch Möglichkeiten zum Ausstieg zum Beispiel. Oder am besten noch früher: Durch Aufklärung über die große Gefahr in deren Heimatländern. Damit sie gar nicht erst kommen.

Seit 1999 gibt es in Schweden das Sexkaufverbot. Der Sexmarkt dort sei dadurch inzwischen tot, heißt es. Zudem sind Gewaltdelikte gegenüber den Frauen drastisch gesunken. Warum wird Ihrer Ansicht nach in Deutschland darüber erst jetzt diskutiert und zudem noch kontrovers?
Nicht nur Schweden bestraft Freier, auch Frankreich und Israel tun das heute, und es werden immer mehr Länder. Heute sind in Schweden drei von vier Männern und acht von zehn Frauen für die Ächtung der Prostitution und die Bestrafung der Freier. Ein Mann, der sich erwischen lässt, ist unten durch – und prahlt nicht mit seinen Bordellbesuchen in der Boulevardpresse, wie in Deutschland. Wie kann es sein, dass gerade Deutschland gegenüber diesen Verstößen gegen die elementarsten Menschenrechte so ignorant ist? Ja, das muss die Politik sich fragen!

Überwiegt in Deutschland immer noch ein uraltes, diskriminierendes Frauenbild? Und findet das unter anderem seinen Ausdruck in der verachtenden Formulierung vom „ältesten Gewerbe der Welt“, womit zugleich Vieles legitimiert zu sein scheint?
So ist es. In Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter ist Deutschland im Vergleich mit der westlichen Welt traditionell das Schlusslicht, in allen Bereichen. Auch die Lohnschere ist ja bei uns die breiteste. Was durchaus zusammenhängt: Ein Geschlecht, das man kaufen kann, achtet man nicht – und bezahlt es schlecht.

Wieviel Rassismus schwingt in der Debatte über Prostitution mit – vor dem Hintergrund, dass 80 Prozent aller Prostituierten Ausländerinnen sind und zumeist aus den ärmsten Länder der Welt kommen.
Natürlich spielt es bei der Gleichgültigkeit in Deutschland gegenüber den in der Prostitution hunderttausenden malträtierten, ausgebeuteten Frauen gleich nebenan eine Rolle, dass die betroffenen überwiegend Ausländerinnen sind. Weggesperrt in Großbordellen oder auf dem Straßenstrich am Stadtrand. Wir haben das Problem sozusagen outgesourct. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass es unsere eigenen Söhne, Brüder und Väter, unsere Lebensgefährten und Kollegen sind, die zu Prostituierten gehen – und dann mit den entsprechenden Phantasien und einem gewissen Blick auf Frauen zurückkommen. Auch das ist ein Grund zur Ächtung der Prostitution: Solange der Frauenkauf gesellschaftlich akzeptiert wird, ist meiner Überzeugung nach eine wirkliche Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nicht möglich.

Die EU hat vor sieben Jahren zur Prostitution erklärt, dass mit ihr die Menschwürde verachtet würde und mit der Gleichstellung der Geschlechter unvereinbar sei. Das hat hierzulande offenbar wenig Spuren hinterlassen …
Generell benötigt Deutschland ja immer mehrere Aufforderungen, endlich mit dem EU-Recht gleichzuziehen, sobald es um die Gleichberechtigung der Frauen geht. Nach sieben Jahren wird es nun in der Tat höchste Zeit, dass auch die deutsche Politik sich um diesen Skandal kümmert. Gerade werden ja die Wahlprogramme geschrieben. Eine gute Gelegenheit, das Ziel der Ächtung und des Verbots von Prostitution festzuschreiben. Die Vereinten Nationen haben übrigens schon 1949 erklärt, dass „die Prostitution und das sie begleitende Übel des Menschenhandels mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar“ sei. Und das gilt laut UN auch für die sogenannte freiwillige Prostitution.

Das Gespräch führte Lothar Schröder, es erschien am 28.1.2021 in der Rheinischen Post.

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