Alice Schwarzer schreibt

Alice Schwarzer über den Fall Hunt

© Antonio Olmos
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Als die Nachricht kam, war ich in Urlaub und dachte: Dazu muss nicht auch ich noch meinen Senf geben. Denn es ist doch klar, wie absurd das ist. Oder? Doch seither wurde der Mann, der für seine Krebsforschung 2001 den Nobelpreis erhielt, all seine (Ehren)Ämter los und ist, schwerst gebeutelt, noch immer Thema. Ich rede von Tim Hunt und seiner Tischrede bei der Tagung des Weltkongresses der WissenschaftsjournalistInnen in Süd-Korea.

Was aber hat Hunt eigentlich wirklich gesagt, dass man ihn seither nicht nur in seiner Heimat Großbritannien, sondern weltweit als „Sexisten“ ächtet? Es gibt keine Niederschrift seiner Rede, die ein spontaner Beitrag beim Mittagessen war. Nur eine Passage, die heiße, ist wörtlich überliefert. Und da sagt der Biochemiker über „die Mädchen im Labor“:

„Drei Dinge geschehen, wenn sie im Labor sind: Man verliebt sich in sie, sie verlieben sich in einen, und wenn Sie sie kritisieren, weinen sie. Vielleicht sollten wir getrennte Labors für Jungen und Mädchen haben.“

Sexistische Ent-
gleisung oder englischer Humor?

Sexistische Entgleisung oder englischer Humor? Zur Beantwortung dieser Frage sollte man wissen – und die anwesenden WissenschaftsjournalistInnen wussten es –, dass Hunt seine Frau Mary Collins, eine Professorin für Immunologie, im Labor kennengelernt hat. Und, dass er seine Worte eingeleitet hatte mit der Bemerkung, es sei schon seltsam, „dass ein chauvinistisches Monster wie ich gebeten wird, über Naturwissenschaftlerinnen zu reden". Der Mann fuhr fort: „Lassen Sie mich Ihnen über mein Problem mit Mädchen im Labor erzählen.“

Seine – zu? – launige Tischrede schloss Hunt mit den Worten: „Spaß beiseite“, denn: „Ich bin beeindruckt von der wirtschaftlichen Entwicklung Koreas. Und Wissenschaftlerinnen haben ohne Zweifel eine wichtige Rolle dabei gespielt.“ Die Wissenschaft brauche die Frauen, fuhr er fort, und die sollten sich auf keinen Fall „durch Monster wie mich“ abhalten lassen.

„Nobelpreisträger würdigt den Beitrag naturwissenschaftlicher Journalistinnen“, twitterte noch während der Rede eine der Anwesenden. Andere sahen das anders. Wie Connie St. Louis, die an der Uni London einen Master-Kurs für naturwissenschaftlichen Journalismus leitet. Sie twitterte: „Warum sind die Briten im Ausland so peinlich?“ – und trat damit die Lawine los, die Timothy Hunt überrollte.

Ohne jede Rücksprache und noch während Hunt auf dem Rückflug von Seoul nach London war, schassten ihn daraufhin sowohl das University College wie auch die Royal Society aus ihren ehrwürdigen Reihen. Und der Europäische Forschungsrat, in dessen Vorstand der Mann lange war, nahm seinen „Rücktritt“ widerspruchlos an.

Humorfreien Dogmatismus gab es schon in den 70ern

„So blitzschnell (kann) ein Ruf ruiniert werden, wenn Twitter das Gericht der öffentlichen Meinung mobilisiert, wo der Grundsatz der Unschuldsvermutung so wenig vorhanden ist wie in jeder Diktatur“, kommentierte Gina Thomas, die London-Korrespondentin der FAZ, das Geschehen.

Und all das im Namen des Feminismus und der Gleichberechtigung. Das ist bitter, finde ich.

Zum Trost sei erinnert, dass diese Art von humorfreiem Dogmatismus keineswegs so neu ist, wie manche vermuten. Die Denkverbote werden via Twitter & Facebook nur wuchtiger befördert.

Ich zum Beispiel erinnere mich noch nur zu gut an das harsche Meinungsdiktat, das in den 1970er Jahren innerhalb der Linken und der Frauenbewegung herrschte. Ein falsches Wort – und Frau wurde von der Rednerinnenliste gestrichen und von der stummen Mehrheit geschnitten.

Dabei hatte „die Basis“ (wie die „Mehrheit“ früher hieß) eigentlich noch gar keine Chance gehabt, sich eine Meinung – oder auch viele Meinungen – zu bilden. Die Denkverbote und Parolengebote kamen von den Verwalterinnen der Basis, von den Funktionärinnen der ihrer Natur nach doch eigentlich anarchischen und hierarchiefreien Bewegung. Sie, diese höchst überflüssigen und unkreativen Magglerinnen, zogen ihre einzige Existenzberechtigung daraus, im Namen der „Basis“ zu sprechen.

Auch meine Wunden sind noch nicht geheilt

Heute ist das nicht anders. Es genügen ein paar AnführerInnen und HetzerInnen – und schon braut sich das letzte Gericht zusammen. Was nicht immer ohne Komik war (und ist). So wurde ich zum Beispiel Ende der 70er Jahre per „Offenem Brief“ von dem Neuisenburger Frauenzentrum „aus der Frauenbewegung ausgeschlossen“. Warum? Ich hatte etwas angeblich nicht Bewegungskonformes zum Thema Mutterschaft geschrieben. (Wobei ich eigentlich ausschließlich Nicht-Mehrheitsfähiges zu schreiben pflege – Mehrheitsfähiges muss ja nicht mehr gesagt werden.)

Nun, wie auch immer, wir sehen: Auch meine Wunden sind noch nicht ganz verheilt. Darum will und kann ich zum Fall Hunt nicht schweigen. 

Im Namen der Gedankenfreiheit. Und im Namen des Rechts, auch mal einen matten Scherz machen zu dürfen - ohne dafür Berufsverbot zu kriegen.

So, lieber Netzschwarm, jetzt kannst du wieder loslegen. Schon lange keinen Shitstorm mehr gehabt.

Alice Schwarzer

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