Alice Schwarzer schreibt

Ab sofort wird nicht mehr gelächelt!

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Sogar Journalistinnen, die ja unter einem besonders starken Anpassungsdruck stehen, können es jetzt wagen, mit ihren einschlägigen Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen – wie gerade im Stern und Spiegel geschehen. Ja, mehr noch: Sie werden nicht nur ernst genommen und gedruckt - das beklagte sexistische Verhalten disqualifiziert endlich auch den Mann:

Seit die 29-jährige Stern-Autorin Laura Himmelreich Tacheles geschrieben hat, ist FDP-Chef Brüderle kein Politiker mit Zukunft mehr, sondern ein Mann von gestern.

Wie gründlich sich die Stimmung bei den jungen Frauen geändert hat, zeigt auch der Vergleich mit der Reaktion einer Journalistin der alten Garde. Die 74-jährige Wibke Bruhns kritisierte in Tagesspiegel und Süddeutscher Zeitung (beides nicht gerade Hochburgen der Emanzipation) die jungen Kolleginnen scharf für ihren „unseriösen“ Journalismus. Sie findet das Ganze „übertrieben“. Sie habe die Männer schließlich immer dank ihrer „Autorität“ auf Distanz halten können. Will sagen: Die jungen Kolleginnen sind selber schuld, vermutlich waren Rock und Verstand zu kurz.

Eine solche Reaktion ausgerechnet von Wibke Bruhns, das ist ganz besonders bemerkenswert, um nicht zu sagen komisch. Denn Bruhns ist in meinen Augen das bekannteste Sexismus-Opfer unter den Journalistinnen der 1970er Jahre: Damals glaubten in Politik wie Medien quasi alle dem Gerücht, sie habe ein Verhältnis mit Kanzler Willy Brandt. Hat ihr das geschadet? Oder gar genützt? Ich jedenfalls fand’s peinlich. Und erst ihren späten Memoiren habe ich jüngst entnommen, dass sie das Verhältnis entschieden dementiert.

Annett Meiritz, 30, vom Spiegel, hat nicht so lange gewartet. Sie analysierte jüngst in ihrem Blatt die Folgen des Gerüchts, sie habe ein Verhältnis mit einem Mann aus der Piraten-Partei. Und das Interessante dabei war, dass gerade die Piraten-Partei, die sich ja als „post-gender“ versteht, also längst der Geschlechterproblematik entwachsen, diesem Gerücht besonders enthemmt Raum gab.

Noch bemerkenswerter allerdings ist das Brüderle-Porträt im Stern. Titel: „Der Herrenwitz“. Hahaha. Kaum eine Frau, die nicht schon gequält gelacht hat über die Scherze à la Brüderle, über „Körbchengrößen“ etc. Doch das Besondere an diesem Text ist, dass Himmelreich ihre Erfahrungen ganz en passant und unter anderem berichtet, nämlich im Rahmen eines Porträts über Brüderle. Wir erfahren darin so einiges über den alten neuen Mann der FDP, den die Autorin offensichtlich seit Jahren politisch begleitet. Wir erfahren auch, dass er sich anscheinend an junge Journalistinnen ranschleicht und ihnen zotige Angebote macht.

Genau das ist neu im Rahmen eines Politikerporträts in einem politischen Magazin! Es ist neu, dass diese Art von sexistischem Verhalten nicht im besten Fall als peinlich abgetan, sondern als politisch gewertet wird. Dass es also einer der Faktoren ist, an denen wir messen müssen, ob dieser Mann geeignet ist für eine politische Spitzenposition. Das ist neu in Deutschland.

Aber der Zeitpunkt! Warum Himmelreich das denn nicht schon vor Jahren geschrieben habe, wenn das übergriffige Verhalten von Brüderle sie gestört habe, wird ihr vorgeworfen. Wohl ganz einfach aus drei Gründen: Erstens, weil das Verhalten von Brüderle so üblich ist, dass es in der Tat journalistisch unangemessen gewesen wäre, es in einem Extra-Artikel zu outen. Zweitens, weil es gleichzeitig ein Zug ist, der in einem Porträt im Jahre 2013 nicht länger verschwiegen werden sollte. Drittens, weil Brüderle gerade aktuell ist. Darum jetzt.

Beim Spiegel sprang die Online-Redakteurin Patricia Dreyer ihren Kolleginnen zur Seite und forderte ein großes „Stopp!“ Stoppt den Sexismus! Und sie beklagte: „Bei allen politisch-gesellschaftlichen Debatten, die in Deutschland über Frauen geführt wurden – ob Gleichberechtigung, Abtreibung, Herdprämie, Frauenquote - eine fehlte bisher: die große Debatte um alltäglichen Sexismus.“

Tja, so schnell kann das gehen mit dem Vergessen. Der „alltägliche Sexismus“ war ab Mitte der 1970er Jahre eines der zentralen Themen der Frauenbewegung und der „Sexismus am Arbeitsplatz“ in den 1980er Jahren in aller Munde. Nicht nur die UN machte Sexismus-Studien und entwickelte Gegenstrategien (eine neue Studie wäre fällig!). Auch die deutsche Politik und die Gewerkschaften erkannten das Problem.

Doch alle miteinander vergaßen es wieder in den ach so spaßigen und beliebigen 1990er Jahren. Da wurde den Frauen erzählt, sie müssten sich nur qualifizieren und so tüchtig sein wie die Männer, dann wäre das Problem gelöst. Doch die Anmache und damit Abwertung der Frauen ging weiter. Nur waren die neuen, stolzen jungen Frauen, die sich ja für gleichberechtigt hielten, darüber jetzt so beschämt, dass sie noch nicht einmal mehr wagten, öffentlich darüber zu reden. Denn Sexismus – das war doch ein Begriff aus dem Spaßbremsen-Arsenal der Alt-Feministinnen, oder?

Aber jetzt scheint die Schmerzgrenze überschritten. „Jede von uns kann ohne langes Nachdenken solche Geschichten erzählen, und wir erzählen sie“, schreibt Katja Bauer in der Stuttgarter Zeitung. Aber, fährt sie fort, „meistens nicht laut, nur untereinander. Zu unserem Alltag gehört das Runterschlucken und Weglächeln. Wer will schon einen Konflikt, womöglich mit einem Vorgesetzten? Welche Journalistin will sich zurückziehen, wenn die männliche Konkurrenz an der Bar mit dem Politiker einen hebt?“
Genug runtergeschluckt. Genug gelächelt. Jetzt wird es wieder ernst.

Alice Schwarzer war am 27.1. 2013 zu Gast bei Günther Jauch, Thema: "Herrenwitz mit Folgen – hat Deutschland ein Sexismus-Problem?"

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