Zukunftskommission NRW: Integration ist

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Die Landesregierung von NRW hat am 27. Juni 2006 einen breitgefächerten "Aktionsplan Integration" verabschiedet, auf dessen konkrete Resultate man gespannt sein darf. Unmissverständlich signalisiert NRW damit, dass die politisch Verantwortlichen ein Problembewusstsein in Sachen Integration haben und entschlossen sind zu handeln. Ergänzend zu dem Paper von Prof. Hubert Kleinert möchte ich nachfolgend einige zusätzliche Anregungen geben. Ich gehe dabei von folgenden Prämissen aus:
I. Ziel einer gelungenen Integration kann nicht die Tolerierung von Parallelgesellschaften mit Parallelsitten und Parallelwerten sein. Wir dürfen nicht länger erlauben, dass einem menschenverachtenden Kulturrelativismus das Wort geredet wird. Im Gegenteil: Integration muss – bei aller Akzeptanz kultureller, religiöser und mentaler Unterschiede – eine Integration auf der Basis unseres Rechtsstaates sein, inklusive der Gleichberechtigung der Geschlechter.
II. Wir haben es in diesem Fall nicht nur mit der üblichen Herausforderung bei der Integration Zugezogener zu tun – wie Ende des 19. Jahrhunderts z.B. bei den Polen oder Mitte des 20. Jahrhunderts den Italienern – plus einem anderen Kultur- und Glaubenskreis, sondern vor allem mit einer politischen Offensive: Seit Mitte der 80er Jahre agitieren Islamisten, also Anhänger eines Islam nicht nur als Glaube, sondern auch als Weltanschauung und Gesellschaftssystem (inklusive Gottesstaat und Scharia) auch mitten in Deutschland.
Das ideologische Rüstzeug kommt, wie wir längst wissen, aus Iran und Pakistan, das Geld überwiegend aus Saudi-Arabien. Vor allem dieser politischen Agitation in lange auch vom Gastland vernachlässigten Stadtvierteln, Familien, Koranschulen und Moscheen verdanken wir das ungewöhnliche Phänomen einer Rückwärtsentwicklung der Migranten:
So spricht heute die dritte Generation schlechter Deutsch als die zweite, sind die Kinder der hier lebenden Türken schlechter ausgebildet als die in der Türkei und steigen Religiosität und Fanatismus der Jugendlichen, allen voran bei den jungen Männern: 2007 bezeichneten sich bereits 28 Prozent der MuslimInnen in Deutschland als "streng religiös" (2000: nur 8 Prozent); und 47 Prozent befürworten das Kopftuch (2000: nur 27 Prozent). Diese Entwicklung beschleunigt sich seit einigen Jahren dank der modernen Medien (Internet) rasant.
Die Agitation fällt also auf fruchtbaren Boden, für den es vielerlei Gründe gibt: von der Vernachlässigung der billigen Arbeitskräfte in ghettoisierten Vierteln, über die falsche Toleranz gegenüber den brachialen Verstößen gegen die Menschenrechte von Frauen, bis hin zu einer Laissez-allez-Haltung mancher Migranten, die sich der Illusion hingegeben hatten: Wir gehen sowieso zurück in die Türkei. Und all das hat man in Deutschland fast ein Vierteljahrhundert lang schleifen lassen, hat eine falsche Toleranz geübt und einen schiefen "Dialog" geführt.
Die islamischen Fundamentalisten hatten bis 2001 aus ihren Zielen auch mitten in Deutschland kein Geheimnis gemacht. Seit 2001 hat so mancher islamischer Funktionär Kreide gefressen und redet von Demokratie, wo er Gottesstaat meint. Auch das müssen wir lernen, zu durchschauen. Eine besondere Rolle bei dieser Verhüllungs-Strategie spielen bemerkenswerterweise KonvertitInnen.
Im Namen dieser falschen Toleranz ("andere Sitten", "anderer Glaube") haben wir es geschehen lassen, dass die Mütter eingesperrt, die Töchter entrechtet und die Söhne verhetzt wurden. Väter wie Söhne bleiben in der muslimischen Community gefangen im Männlichkeitswahn, im Teufelskreis der Verklärung männlicher Dominanz und Gewalt: zur Hebung des Selbstwertgefühls und Rekonstruktion von "Männlichkeit".
Nicht zufällig sind es die jungen Frauen zwischen zwei Kulturen, zerrissen zwischen der traditionellen Entrechtung und dem neuen Emanzipations-Versprechen, die als erste ausgebrochen sind. Doch erst seit 2003 wagen einige Deutsch-Türkinnen der zweiten Generation, öffentlich ihre Stimme zu erheben (z.B. die deutsch-türkische Soziologin Necla Kelek in "Die fremde Braut", 2005, und "Die verlorenen Söhne", 2006, oder die deutsch-türkische Juristin Seyran Ates in "Der Multi-Kulti-Irrtum", 2007).
Wir, die "Deutschstämmigen" sowie die Migranten und ihre Kinder, lebten so ignorant nebeneinander her, dass wir noch nicht einmal bemerkt haben, wie der durchaus ja auch noch vorhandene latente deutsche Rassismus zum Bumerang wurde: Unter dem Druck der fundamentalistischen Propaganda verachten inzwischen zunehmend viele gläubige MuslimInnen uns "Ungläubige" und "Unreine". Höchste Zeit also, auf breiter Front zu handeln.
Dabei kann es nicht nur darum gehen zu "tolerieren" und zu "helfen", sondern muss es auch darum gehen zu fordern und unsere Werte, die ja auch für die Mehrheit der MuslimInnen ein Gewinn wären, selbstbewusst darzustellen: Demokratie, Rechtsstaat und Gleichberechtigung der Geschlechter. Hier ein paar konkrete, keinesfalls neue Vorschläge:
1. Die Mütter sind der Schlüssel zur Integration.
Die Integration fängt bei der Familie an. Die Mütter müssen aus dem Gefängnis ihrer vier Wände geholt werden und Gelegenheit bekommen, Deutsch zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Denn am Modell der Eltern orientieren sich die Kinder. Und die Erfahrung lehrt uns, dass sich in patriarchalen Familien die Töchter mit den Müttern identifizieren, und die Söhne, oft selber Opfer, mit den Vätern (siehe dazu auch die Langzeituntersuchung von Prof. Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Institut in Hannover). Bei der Integration der Mütter müssen wir offensiv sein. Passive Angebote verlaufen im Sande. Die in NRW 2007 gegründeten "Familienzentren" scheinen mir ein Schritt in die richtige Richtung. Es bietet sich an, die Integration der Mütter mit den Deutschkenntnissen zu verknüpfen. Das sollte jedoch durchaus auch mit Pflichten und Sanktionen verbunden sein.
2. Welche Rolle kann die Schule spielen?
Jeder Versuch einer Trennung der Geschlechter und der Sonderbehandlung von Mädchen beim Mathematik- bzw. Schwimmunterricht etc.) muss entschieden zurückgewiesen werden. Wenigstens in der Schule sollen auch die Mädchen und Jungen aus orthodoxen muslimischen Familien die Erfahrung der Gleichheit der Geschlechter machen können. Zwei Jahre Vorschulpflicht zur Erlernung der deutschen Sprache wären nach Meinung von ExpertInnen Voraussetzung für eine wirkliche Chancengleichheit der Kinder. Die Erfassung in NRW des Sprachstatus aller Kinder zwei Jahre vor Einschulung seit 2007 war ein erster Schritt. Dabei stellte sich heraus, dass jedes fünfte Kind Nachholbedarf hat. Die Ganztagsschule erhöht bekanntermaßen die Chancengleichheit aller bildungsarmen Kinder, also auch der Kinder von MigrantInnen. Die in NRW bis 2010 geplante Erhöhung eines Ganztagsschulplatzes für jedes vierte Kind genügt meiner Meinung nach jedoch nicht. Deutsch als Pflichtsprache für alle in der Schule sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Die Einführung eines praxisorientierten Demokratiekurses sollte erwogen werden, ggf. mit speziellen "Jungenkursen" und "Mädchenkursen". Ein Islamunterricht in deutscher Sprache an den Schulen wäre eine wünschenswerte Alternative zu den demokratiefeindlichen Koranschulen.
3. Den Töchtern sind wir die Chancengleichheit schuldig.
Wir müssen die zweite und dritte Generation bei ihren Hoffnungen auf die gleichen Chancen wie ihre deutschen Freundinnen unterstützen und ggf. auch schützen. Für den Konfliktfall müssen ausreichend Beratungsstellen an Schulen und in Stadtvierteln sowie Zufluchtswohnungen zur Verfügung stehen. Das Mentoring-Projekt für junge Migrantinnen im Ruhrgebiet ist ein positiver Ansatz. Doch wie viele nehmen daran wirklich teil? Dasselbe gilt für die START-Stiftung.
4. Den Söhnen sind wir die Chancengleichheit schuldig.
Den Jungen muss klargemacht werden, dass ihr Rückzug aus der "westlichen Dekadenz" und Bildung, sowie ihre Flucht in die Gewalt eine Sackgasse ist, auch für sie selbst. Es sollte unbedingt spezielle "Jungenprogramme" in Stadtvierteln und Schulen geben. Der gemischte! Sport könnte da eine positive Rolle spielen.
5. Recht und Rechtsprechung – die Rolle der Richter.
Seit Mitte der 80er Jahre haben wir eine systematische Unterwanderung des Rechtsstaates zu verzeichnen und den Versuch einer „Schariaisierung“ des deutschen Rechts (EMMA-Artikel von Januar/Februar 2003). Das darf nicht länger verharmlost werden. Denn es geht von der Unterhöhlung des Zivilrechts (Krankenversicherungen für Zweit- und Drittfrauen, also Tolerierung der Polygamie), bis hin zur Relativierung des Strafrechts (Milde bei Mord wg. Verletzung der "Familienehre").
Die Islamwissenschaftlerin und Gerichtsgutachterin Prof. Ursula Spuler-Stegemann warnte bereits vor Jahren vor einem „massiven Angriff auf unser Rechtssystem“ und einer drohenden „Zweigesetzlichkeit in Deutschland“. Dringend zu empfehlen sind aufklärende Schulungen für Richter, die das Problem oft zu verkennen oder zumindest zu unterschätzen scheinen.
6. Studien und Statistiken
Bei allen Studien und Maßnahmen muss die herrschende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in einem traditionellen muslimischen Milieu berücksichtigt werden. Das heißt, alle Statistiken sollten grundsätzlich immer differenzieren zwischen Frauen und Männern, alle Integrationsmaßnahmen müssen der unterschiedlichen Ausgangslage Rechnung tragen. Dies gilt übrigens nicht nur für MuslimInnen. Auch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft wären geschlechtergetrennte Statistiken in allen gesellschaftlichen Bereichen – Bildung, Beruf, Recht etc. – dringend notwendig. Im Ausland ist das schon lange eine Selbstverständlichkeit. Denn nur so werden Unterschiede bei den Geschlechtern überhaupt sichtbar – und können thematisiert und bekämpft werden.
7. Das Kopftuch – Privatsache oder politisches Symbol?
Ganz und gar unabhängig von den jeweils subjektiven, persönlichen Motiven eines Mädchens bzw. einer Frau, die Kopftuch trägt – was sich im laufe ihres Lebens immer auch ändern kann – ist das Kopftuch seit Beginn der islamistischen Revolution 1979 im Iran objektiv und politisch die Flagge der islamischen Fundamentalisten. Es ist alles andere als nur ein "Stückchen Stoff", es ist ein islamische Kopftuch, das die Haare als "haram", als Sünde, gänzlich verdeckt, und der islamische Mantel, der den Frauenkörper als "haram" verhüllt, ist eine Art branding für Mädchen und Frauen und hat eine vielfache Bedeutung: Erstens macht das Kopftuch den weiblichen Menschen schon als kleines Mädchen zum Sexualobjekt (indem es die kopftuchlose Frau als sexuell provokant deklariert). Zweitens betont und vergrößert das Kopftuch der Frauen – und der Bart der Männer – den Unterschied zwischen den Geschlechtern, bis hin zur Unüberbrückbarkeit. Drittens weist es Frauen und Männer aufgrund dieses "Unterschiedes" fundamental unterschiedliche Rollen in der Welt zu. Danach ist die Frau nach islamischem Recht, der Scharia, abhängig vom Mann, bis hin zur Unmündigkeit. Viertens behindert das islamische Kopftuch/Gewand Frauen sehr konkret in ihrer Bewegungsfreiheit und Sicht, gefährdet sie auf der Straße und schränkt ihren Blick auf die Welt ein.
Ich halte darum das Kopftuchverbot für Lehrerinnen in der Schule nur für einen ersten Schritt und befürworte dringlich auch ein . Nur eine

kopftuchfreie Schule würde den kleinen Musliminnen aus traditionellen Familien eine Ahnung von Freiheit und die wahre Wahlfreiheit geben. Und es erspart Mädchen, die kein Kopftuch tragen, den Druck und die (wie es an vielen Schulen schon beobachtet wird). NRW sollte sich kundig machen in bezug auf die

Erfahrungen, die Frankreich gemacht hat. Unser Nachbar hat bereits 2007 ein Kopftuchverbot für Schülerinnen an der Schule erlassen. Soweit ich weiß: Mit Akzeptanz und Erfolg.
Alice Schwarzer, 2009 - Der Text ist ein Auszug aus dem Abschlussbericht der „Zukunftskommission NRW“: „Innovation und Soldarität“.

Weitere Texte zum Thema Integration und Kopftuch:

 

Dossier EMMA 5/2009:

  • Kein Kopftuch in der Schule!
  • Freie, kopftuchfreie Schulen!
  • Mobbing gegen Mädchen, die kein Kopftuch tragen
  • Erfolgreiches Kopftuchverbot: Frankreich
  • Burka-Alarm!
  • Das Kopftuch ist ein Symbol
  • Nicht vor dem 14. Lebensjahr
  • Ein Verstoß gegen die Menschenwürde
  • Wäre Gott heute für das Kopftuch?
  • Das Kopftuch ist zur Waffe geworden
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