Über Alice

Sonia Mikich: Ayatollah Alice?

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Man konnte der prüfenden Beurteilung etwas abgewinnen oder sie ärgerlich und dumm finden. Aber die Gehässigkeit erschreckt mich zutiefst. Sie ist zu mächtig, zu selbstbewusst, zu erfolgreich, zu reich, zu gut gelaunt, zu raumergreifend. Zu Sehr Da. Das geht eben gar nicht: dass sich jemand – im Rentenalter – so vorlaut in die Mitte stellt, alles an sich gut findet. Und der Rest?

Ich habe Alice Schwarzer über drei Jahrzehnte erlebt, gehört, gelesen. Wir lernten uns Mitte der 1970er kennen, als Frauen sich in autonomen Zentren trafen. Wenn ich richtig erinnere, hatten wir beide keine haarigen Beine, trugen niemals, niemals lila Latzhosen und konnten gut feiern, auch mit Champagner. Es gab immer schon ein hedonistisches Lebensgefühl im Feminismus, und – allen Klischees zum Trotz – wurde aus den Frauenzentren, die ich kannte, keine Schwester wegen Männerfreundlichkeit rausgeschmissen. Feministin sein hieß: gemeinsam die aufregenden neuen Bücher diskutieren, Flugblätter verteilen, Motorräder reparieren oder Beratungsstellen organisieren. Hieß für gleiche Löhne kämpfen und überhebliche Chefs oder Professoren zu konfrontieren. Hieß Kabarett, Punkband und Klampfe. Hieß, in schmierigen Pornokinos die Polstersitze vollzupinkeln, damit das Haus ein paar Tage lang dicht machen musste. Apropos: Wir fanden Pornos vor allem doof und unästhetisch und „machten etwas dagegen“. Die Analysen kamen später.

Alice Schwarzer war eine große Aktivistin in einer Bewegung von Hunderttausenden. Ich kam nie auf die Idee, dass diese Frau von Köln aus diese Bewegung kaperte. Sie machte Lust auf Unbotmäßigkeit und blies viele Köpfe frei. Und schon ihre ersten Bücher – vor der EMMA-Gründung – waren so dicht an der Lebenswirklichkeit normaler, arbeitender Frauen mit Familie, wie es sich heutzutage manche KritikerInnen nur wünschen könnten.

Mein eigenes Verhältnis zur Schwarzer war mir von vornherein klar: große Schwester, kleine Schwester. Die oft überbordende Vitalität stiftete die Einen zur Nachahmung an, die Anderen zu Neid und Unmut. Eine Projektionsfläche, die sehr unterschiedlich bespielt wurde. Immer wieder antwortete man mit Gehässigkeit und Schadenfreude auf ihre „Art“. Gönnen können? Weder in Bewegungen noch in den Medien eine Kardinaltugend.

Mit Schwarzers Stärken kann ich bis heute leben, ohne den heimlichen Wunsch zu haben, Muttermord zu begehen. Und dies scheint mir der kapitale Fehler ihrer KritikerInnen zu sein: Sie glauben, das Terrain freibaggern zu müssen, bevor sie selbst zum Zuge kommen. Weil sie ahnen, dass die eigenen Argumente doch nicht so viel neue Substanz haben? Weil sie ahnen, dass Radikalität nicht geschenkt wird? Vielleicht ist es ganz banal: Alle zehn Jahre oder so entdecken junge Frauen „den Feminismus“ aufs Neue, bzw. sie erleben, dass Gleichberechtigung und Gleichbehandlung doch noch nicht so doll klappen, und dann wollen diese Frauen kämpfen und kritisieren. Aber dazu müssen sie die Vorgängerinnen in Bausch und Bogen verleumden. Denken sie.

Gerade Alice Schwarzer ist seit Jahrzehnten eine der unabhängigen Köpfe in der Republik, den eigenen Erkenntnissen verpflichtet. Sie hat ein tiefes Verständnis von Geschichte, und so ist es schön anzusehen, wenn sie mit ihrer Börne-Rede in der Paulskirche Geschichte wieder ins Leben ruft. Fortschritt! Befreiung! Emanzipation! Die ollen Vokabeln klingen taufrisch, wenn Schwarzer mit Stolz nachweist, dass wir Frauen von heute deswegen unsere Freiheiten genießen, weil wir auf den Schultern von Gigantinnen stehen. Ayatollah Alice? Nicht wirklich. Sie hat allerdings feste Standpunkte, die Frauen meiner Generation teilen, so lange es Machtverhältnisse gibt, die zwischen Männer und Frauen unterscheiden. Und Rechthaben wollen viele große Geister.

Gewiss, sie hat zu manchen Themen Argumentationsmuster einer 1970er-Jahre-Linken, und es passt vielen nicht mehr ein Auf treten, das wenige Ambivalenzen erlaubt. Dafür oder dagegen – solche Entscheidungen stellen sich nur noch in Kernfragen des menschlichen Zusammenseins. Wenn ich an Schwarzer heute denke, fällt mir vor allem ein Freigeist ein. Sie ist so viel länger Pop als Agitprop gewesen. Ausgerechnet in der kleinen, unglamourösen EMMA – und nicht in den Feuilletons der bürgerlichen Presse – tauchten kulturelle Massenphänomene sehr früh auf: von Magersucht zu Gorilla Grrrls, von Laurie Anderson zu – hmmm – MTV und Charlotte Roche. Und Berichte über Sex aller Couleur? Die gab es zur Genüge. Drall und prall bereits vor Jahrzehnten. Der Grimm einer Andrea Dworkin neben der Libertinage eines Marquis de Sade.  Fröhliche Kolumnen neben Dossiers zu Frauen in der Wissenschaft. Die Bandbreite der EMMA und der Herausgeberin ist immer wieder erstaunlich. Man müsste das Blatt nur lesen.

Gibt sie tatsächlich den Takt vor in Frauenfragen, ist sie das einzige Sprachrohr des Feminismus? Ja, wenn man sie lässt. Aber die Einladungspolitik der Talkshows und Diskussionsveranstaltungen wird nicht von Schwarzer gestaltet, sondern die Zeitschriften und Sender haben sich selten um Alternativen bemüht. Die Medien, meine Kolleginnen und Kollegen, haben übersehen, wie viel interessanter (und gelegentlich aufreizender, siehe Birma) Schwarzer ist, wenn sie eben nicht zur Frauensache gefragt wird.

Neulich schimpfte eine junge Schwarzer-Gegnerin, dass sie nie die EMMA lese und keinen kenne, der das tue. Wusste gleichzeitig, dass die EMMA überholt sei. Ich selbst lese bis heute die EMMA gern so, wie man halt Magazine liest: Zwei, drei Themen sind immer neu, manche Porträts sind brillant, ein paar weitere Informationen inspirieren oder amüsieren, den Rest überfliege ich. Ich verbinde damit keine befreiende Tat, sondern eine frauenaffine, interessante Ergänzung zu anderen publizistischen Angeboten. Und dass die Zeitung nicht so hochglänzt wie Neon? So what.

Die in EMMA politisch definierte Kluft zwischen Pornografie und Erotik kann ich weiterhin nachvollziehen, sie ist so plausibel. Aber das muss nicht für alle LeserInnen gelten. Die Definitionen von Isla mismus, Imperialismus, Kolonialismus mögen missfallen, weil man die Ismen überwunden glaubte. Aber sie machen doch niemanden sprachlos und handlungsunfähig. Wer fühlt sich also aus welchen Gründen bedroht?

Soll man Schwarzer verbrennen? Einige Kolleginnen und Kollegen sammeln schon das Brennholz. Mir ist rätselhaft, warum auch kluge und sonst entspannte Menschen dabei sind. Ist es Neid? Ein Komplex? Mangelnde Lust selbst mal etwas loszutreten, das Wellen schlägt? Wer hat diese ScharfrichterInnen je daran gehindert, ihre eigenen Vorstellungen von Frauen und Männern und Geschlechterpolitik zu publizieren? Warum gründen sie nicht eine Zeitschrift oder organisieren eine Kampagne?

Die große Verwechslung der in regelmäßigen Wellen immer wieder neu anbrandenden Hatz auf Schwarzer: Sie ist eben keine Abgeordnete und auch nicht Stammesälteste; sie wurde nicht gewählt, sie hat kein Mandat und muss deswegen nicht zurücktreten. Ich bin jedenfalls zufrieden, wenn sie nicht daran denkt, es sich gemütlich zu machen. Wir können in der Publizistik Sauerstoff-Schübe gebrauchen, von alten und neuen Feministinnen. Noch lieber von radikalen.

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