Über Alice

Mein weiter Weg

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Über Frauen habe ich schon immer geschrieben. Schon als Volontärin der Düsseldorfer Nachrichten, als Reporterin bei Pardon (Foto) oder als Korrespondentin in Paris: über Prostituierte im Bordell von Mönchengladbach, Mädchen-Mütter im Heim und Fließbandarbeiterinnen bei VDO in Frankfurt oder die Kindsmörderin in der französischen Provinz. Aber aus meiner Rolle als Berichterstatterin fiel ich dabei nie. Das tat ich erst, nachdem ich im Herbst 1970 zusammen mit ein paar Dutzend Französinnen die Pariser Frauenbewegung angezettelt hatte: das Mouvement pour la Libération des Femmes, kurz MLF genannt. Allerdings vermischte ich nicht gleich Beruf und Feminismus, und beim ersten Mal in Wahrheit eher zufällig.

Zunächst begnügte ich mich damit, mein Schreibtalent in die Flugblätter des MLF zu investieren. Gleichzeitig machte ich meine Arbeit als Journalistin weiter, ging ins WDR-Studio zum Aufzeichnen meiner Beiträge für Köln, schickte meine Texte an den Stern in Hamburg, die Vrij Nederland in Amsterdam oder das Neue Forum in Wien. Darin ging es um Themen wie wilde Streiks in Fabriken oder den Studentenprotest, manchmal aber auch um die neue Mode oder die deutsch-französische Hassliebe. Meine Berichte müssen so wohl informiert geklungen haben, dass sowohl die Stasi aus der fernen DDR als auch der französische Geheimdienst nebenan versuchten, mich als Informantin anzuwerben. Vergebens.

In den Dienst der Sache habe ich meinen Beruf nur für die Frauen gestellt. Es begann an einem Tag im April des Jahres 1971. Da klingelte in meiner Hinterhofwohnung im 13. Arrondissement das Telefon. Am Apparat war Jean Moreau, ein Kollege vom Nouvel Observateur, mit dem zusammen wir das provokante "Bekenntnis der 343" Französinnen ("Ich habe abgetrieben. Und ich fordere dieses Recht für jede Frau.") organisiert hatten. Die kollektive Selbstbezichtigung der 343 hatte in Frankreich eingeschlagen wie eine Bombe.

Und nun hatte sich bei meinem Kollegen eine Zeitschrift aus Deutschland gemeldet, um die ganze Aktion "nachzumachen": Jasmin, ein bonbonrosa Partnerschaftsmagazin aus der Retorte, das es schon lange nicht mehr gibt. Meinem französischen Kollegen war die Anfrage nicht geheuer, er fürchtete um die Seriosität und den politischen Gehalt der Aktion. Ob ich da nicht etwas tun könnte? Ich überlegte nur kurz - griff zum Telefon und rief den Stern an. Ob er bereit wäre, unter bestimmten Bedingungen die deutsche Variante einer solchen Aktion zu veröffentlichen? Der Stern griff zu, obwohl er gar nicht recht daran glaubte, dass ich es schaffen würde. Ein paar Wochen später erschien der "Appell der 374" Deutschen. Und für mich begann ein Abenteuer, dessen Ende auch heute, nach über 30 Jahren, noch nicht abzusehen ist.

Im April 1971 war ich nach Deutschland gereist, in der Hoffnung, auch diesseits des Rheins auf erste Anfänge einer Frauenbewegung zu treffen, mit der zusammen ich die Aktion starten könnte. Denn schließlich gab es damals in Holland längst die Dollen Minnas und in Amerika die Women's lib. Doch im Land der Ex-BDM-Mädchen und ihrer Töchter herrschte - nach einem ersten Aufflackern der studentischen "Weiberräte" während der 68er Revolte - disziplinierte Ruhe. Erst nach langem Suchen gewann ich hie und da eine Splittergruppe zum Mitmachen. Vor allem aber waren es einzelne Frauen, die in diesem Frühling 1971 den Appell weitergaben: an Freundinnen, Kolleginnen, Nachbarinnen.

Und ich? Ich recherchierte und argumentierte ein paar Wochen lang und sammelte die Unterschriften. Dann war es soweit. Am Tag des Redaktionsschlusses blieb ich bis in die späte Nacht in Hamburg. Erst als alles stand - Text, Layout, Titel - rückte ich die 374 Namen raus. Schließlich war ich für jede Einzelne verantwortlich. Und mir als Journalistin war sonnenklar, wie riskant die Zusammenarbeit mit einem kommerzorientierten Blatt bei einer so politischen wie provokanten Aktion war. Später musste ich dann solche Risiken nicht mehr eingehen, da hatte ich die EMMA. Aber damals, da habe ich von einem eigenen Blatt noch nicht einmal geträumt.

Als am 6. Juni 1971 der Stern erschien, war ich schon längst wieder in Paris, wo meine Arbeit und mein Leben mich erwarteten. Unter dem Bericht im Stern stand zwar mein Name, aber ansonsten wusste niemand etwas von meiner Rolle bei der Aktion, ich hatte sie auch in meinem Text bewusst verschleiert, denn ich begriff mich nur als Vermittlerin der Frauen zwischen zwei Ländern. Wer das Ganze initiiert hatte, das schien mir ohne Bedeutung - dass es passierte, war wichtig. Auf der turbulenten Pressekonferenz in Hamburg stand dann Henri Nannen Rede und Antwort (der nie mit mir gesprochen hatte). Für mich war die Sache erledigt - und konnte ihren Weg gehen.

In den Wochen und Monaten danach jedoch bekam ich aus der Ferne mit, dass das so mutige Bekenntnis der 374 zwar zu einer Lawine anschwoll, die alle mitriss und zur Initialzündung für die neue Frauenbewegung in Deutschland wurde. Dass aber gleichzeitig die Medien die Kritik an dem repressiven Abtreibungsverbot zu einer Herrenrunde über ethische, juristische oder bevölkerungspolitische Aspekte verkommen ließen. Also beschloss ich, nochmals einzugreifen. Nicht mit einer zweiten Aktion, sondern mit meinem ersten Buch.

Vielleicht hätte ich nie Bücher geschrieben, wenn ich als Journalistin nicht plötzlich auf eine Art Schreibverbot in den Medien gestoßen wäre. Das war neu für mich. Obwohl ich überwiegend gesellschaftskritische Themen behandelte, waren meine Texte bis dahin immer gerne genommen worden. Aber nicht nur mir ging es so. Alle Journalistinnen, die über die bis dahin so verachteten "Frauenthemen" nun im neuen Lichte berichten wollten, stießen in den Redaktionen plötzlich auf verschlossene Türen. Wir seien "nicht objektiv", ließen uns die Herren Kollegen wissen. Frauenthemen waren ab sofort Männersache.

So kam es also zu meinem ersten Buch, das im Herbst 1971 in der damals politisch sehr geachteten Reihe der edition Suhrkamp erschien. In "Frauen gegen den § 218" spürte ich den gesellschaftspolitischen Dimensionen des Abtreibungsverbotes nach sowie den ganz persönlichen Folgen für die Frauen. Dazu war ich wieder nach Deutschland gefahren und hatte landauf landab mit Frauen gesprochen: von der 18-Jährigen, deren Freund seit drei Wochen weg und die in der siebten Woche schwanger war; bis zu der 55-Jährigen, die "einen sehr lieben Mann", sechs Kinder - und 16 Abtreibungen hatte. Es waren die Gespräche mit diesen Frauen - die ich später für mein zweites Buch über Arbeit und das dritte Buch über Sexualität fortgeführt - die mir die Augen geöffnet haben über das Leben von Frauen.

Ich selbst - und da bin ich typisch für die Pionierinnengeneration - war ja nicht aus Demütigung und Verzweiflung, sondern eher aus Stolz und Empörung Feministin geworden. "Hast du das denn nötig?", sagte ein Kollege in Paris zu mir, als er 1971 bemerkte, dass ich in der Frauenbewegung engagiert war. Nötig? Nein, eigentlich nicht. Mir ging es gut. Ich hatte meinen Traumberuf, eine glückliche Beziehung, Spaß am Leben. Aber da war etwas, was mich seit meiner Pubertät irritierte: Frauen wurden anders behandelt als Männer. Das war ich nicht gewohnt in meiner Familie - und das wollte ich nicht hinnehmen in der Welt. Doch ich hatte zunächst keine Worte für meine Irritation - die fanden wir erst zusammen in der Frauenbewegung.

Das Ausmaß des Elends von Frauen - diese Gewalt, diese Abhängig- keit, diese Unsicherheit - das war mir bis dahin fremd gewesen. Erst in diesem Sommer 1971, in dem ich den Frauen mehr zuhörte denn je zuvor, begann ich, die wirkliche Verzweiflung der Frauen und Entfremdung der Geschlechter zu ahnen. Sätze wie "Währenddessen denke ich nur daran" (während der Sexualität an die Gefahr der ungewollten Schwangerschaft) ließen mich Zusammenhänge begreifen.

Es war damals einfach selbstverständlich für mich, dass ich in mein erstes Buch einen Kollektivtext mit hinein nahm: "Das Ende der Resignation" von der besonders aktiven Münchener Frauengruppe. Und es war ebenfalls selbstverständlich, dass ich in mein zweites Buch ("Frauenarbeit - Frauenbefreiung") zwei Jahre später eine Adressenliste der ersten 45 autonomen Frauengruppen im deutschsprachigen Raum aufnahm. Denn es war ja mein Bestreben: Auch mit meiner individuellen Arbeit als Autorin ganz direkt zu der beginnenden Frauenbewegung beizutragen. Und noch war ich keine öffentliche Person, sondern nur in Frauenbewegungskreisen bekannt. Noch galt ich nicht als "Star" und alles war relativ unkompliziert.

In den vergangenen Jahren nun haben etliche Ex-Aktivisten der 68er und Nach-68er-Generation ihre eigene Geschichte geschrieben und die der Frauen dabei gleich en passant mit. Manchmal sind diese Texte aufschlussreich, weniger wegen der Fakten, eher wegen der Phantasien. Die zeigen, dass diese Ex-Genossen auch 30 Jahre danach nur sehr wenig von dem begriffen haben, was wir Frauen wollten.
Einer dieser kurzsichtigen Chronisten, Gerd Koenen, früher Mitglied in dem linkssektiererischen KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) schreibt in seinem Kapitel über "die Frauen" auch über "die Schwarzer". Da heißt es dann unter anderem über die Stern-Aktion: "Die Schwarzer hatte im Handstreich alle linken Bewegungsfrauen rechts überholt und sich als die mediale Galionsfigur und Sprecherin eines "Feminismus" plaziert, den sie nun in erheblichen Maße definieren und dominieren konnte - auch wenn sie bald auf scharfen Widerspruch und lebhafte Konkurrenz innerhalb der entstehenden feministischen Bewegung stieß."

Ignoranter kann eine Interpretation meiner Rolle und der Frauenbewegung kaum sein. Denn weder war ich zu dieser Zeit eine "mediale Galionsfigur", das kam erst Jahre später, noch wollte oder konnte irgendeine von uns "Sprecherin des Feminismus" sein. Mit ihrer dezentralisierten, antihierarchischen Struktur antwortete die Frauenbewegung ja gerade auf die traditionell männlichen Machtstrukturen, auch innerhalb der Linken. Dass genau diese Abwesenheit von institutionalisierten Strukturen und persönlicher Verantwortung später so manchen Feministinnen - die zwar im Namen des Kollektivs agierten, aber Ich meinten, wenn sie Wir sagten - missbraucht wurde, das steht auf einem anderen Blatt.

Ich jedenfalls lebte in Wahrheit damals gar nicht in Deutschland, sondern führte eine Art Doppelleben in Frankreich. Ich arbeitete weiter brav als Korrespondentin in Paris und war privat engagiert in der Frauenbewegung. Ab und an fuhr ich nach Deutschland, um Aktivistinnen der "Aktion 218", unter denen ich inzwischen einige Freundinnen hatte, zu treffen oder um für meine Bücher zu recherchieren, die von nun an im Zwei-Jahres-Rhythmus erschienen. Das Wort "Karriere" war noch nicht erfunden für Frauen, und es wäre damals auch eher peinlich gewesen, eine solche anzustreben. Angesagt war nicht Eigennutz, sondern Gemeinnutz; nicht Selbstverwirklichung, sondern Kollektiv.

Vergegenwärtigen wir uns den Zeitgeist der frühen 70er Jahre. In Paris schlug die personell bunt zusammen gewürfelte und eher anarchisch gestimmte Frauenbewegung vor Kreativität und Übermut jeden Tag neu über die Stränge. Spielregeln waren da, um gebrochen zu werden. Die Phantasie an die Macht! lautete die Parole. Sicher, oft haben wir bis in die Nacht gestritten, Flugblätter getippt oder mit streikenden Arbeiterinnen in den Fabriken und protestierenden Prostituierten in den Kneipen gehockt. Aber wir haben uns vor allem wie Bolle amüsiert. Störaktionen im Parlament oder bei Pressekonferenzen, Sit-ins in Redaktionen oder Modehäusern, vor allem aber: Feste, Feste, Feste, alle Tage und allerorten.

Warum ich trotzdem nach Deutschland zurück ging? Da war das Heimweh, trotz meiner starken Verbundenheit mit Frankreich. Und da war meine Sprache, der Stoff, mit dem ich arbeite. Und da war, trotz alledem, das Gefühl, dass ich in Deutschland dichter dran sein würde. Da war jedoch nicht die Absicht, wieder im Stil der Selbstbezichtigung der 374 aktiv zu werden. Und da war schon gar nicht die Ahnung, dass ich eines Tages eine eigene Zeitschrift machen könnte - auch wenn ich mich schon 1973 erstmals mit Gloria Steinem, der Herausgeberin des amerikanischen Feministinnen-Magazins Ms. in Paris getroffen hatte. Denn das lag einfach in der Luft, dass es so nicht weiterging und wir Frauen eine eigene öffentliche Stimme brauchten.

Doch als ich dann in Berlin landete, erlitt ich, gelinde gesagt, einen wahren Kulturschock. Die deutsche 68er Bewegung war in ein Sammelsurium sektiererischer Splittergruppen zerfallen, und die sich gerade in Deutschland vor allem aus diesem Milieu rekrutierende Frauenbewegung war trotz neuer Impulse diesem rigiden Geist von Schulungen, Geschäftsordnungen und Stellvertreter-Denken eng verhaftet (Und diese selbsternannte Avantgarde wusste immer besser als das Volk, was "die Basis" bzw. "die Frauen" wollten). Es war in der deutschen Frauenbewegung vieles so ganz, ganz anders als im MLF.

In meiner Not besann ich mich meiner guten Pariser Tradition und organisierte gleich in den ersten Monaten zusammen mit einer Hand voll Frauen das erste öffentliche Frauenfest in Deutschland, das "Rockfest im Rock" in Berlin - übrigens gegen den verbiesterten Widerstand der Hüterinnen des Frauenzentrums Hornstraße 2 ("Für sowas hat die Basis kein Verständnis"). Am 9. Mai 1974, dem Muttertag, rauschte "die Basis" mit über 2.000 Frauen in die von uns bunt geschmückte Mensa der Technischen Universität und tanzte bis zum frühen Morgen. Gezeigt wurde auf diesem Fest unter anderem mein allerorten heiß diskutierter, aber "verbotener Panorama-Film". Denn inzwischen hatte ich auch in Sachen § 218 die Ärmel wieder hoch gekrempelt.

Obwohl es zunächst so ausgesehen hatte, als werde der überfällige § 218 endlich abgeschafft oder zumindest reformiert, dachte inzwischen die SPD/FDP-Regierung offensichtlich im Traum nicht mehr daran. Nur die Liberalen waren noch für die Fristenlösung, die CDU/CSU war immer dagegen - und die SPD hielt sich (wie so oft in Frauenfragen) bedeckt. Im Herbst 1974 sollten Wahlen sein, es war klar, dass gehandelt werden musste. Wir schafften es zu sehr wenigen, im Frühling eine Welle des Protests zu initiieren, an dessen Ende die Zustimmung der Sozialdemokraten zur Fristenlösung stand (das Recht auf Abtreibung in den ersten drei Monaten). Die wurde dann einige Monate später zwar auf die Verfassungsklage der CDU/CSU hin von sechs alten Männern in Karlsruhe wieder gekippt. Aber immerhin: Der alte § 218 war gefallen.

Da diese Aktion vom Frühling 1974 besonders charakteristisch ist, will ich sie ein wenig genauer schildern: Ich entwarf, mit der tatkräftigen Unterstützung von Freundinnen, das Konzept eines Drei-Stufen-Plans, von der die Stufe 1 von Anfang an öffentlich bekannt war, die Stufen 2 und 3 aber zunächst klammheimlich anliefen. Stufe 1: die "Aktion letzter Versuch". Sie bestand in der Informierung und Mobilisierung aller autonomer Frauengruppen in Deutschland von Berlin aus. Von dort aus schrieben wir alle an (damals gab es noch kein Fax und keinen Fotokopierer: alles wurde von uns auf Matritze getippt und abgezogen). Die Gruppen schrieben zurück, ihre Reaktionen gingen wieder an alle und nach vier-, fünfmaligem Hin und Her stand der Tag: Am 9. März 1974, einem Samstag, würden in ganz Deutschland Frauen gegen den § 218 auf die Straße gehen. Fünf Tage zuvor titelte der (von uns wohl informierte) Spiegel mit dem "Aufstand der Schwestern".

Gleichzeitig bereiteten wir zu zweit klammheimlich die Stufe 2 vor, eine Selbstbezichtigung von 328 ÄrztInnen, die öffentlich erklärten: "Wir meinen, dass wir als Ärzte verpflichtet sind, Frauen unser Wissen zur Verfügung zu stellen." Auch das eine Spiegel-Titelgeschichte, und zwar eine Woche nach dem "Aufstand der Schwestern", am 11. Mai. Wochenlang hatten wir dazu Klinken geputzt bei den Ärzten. Erst als das erste Dutzend unterzeichnet hatte, wurde die Sache zum Selbstläufer.

Aufbauend auf diese, in aller Heimlichkeit vorbereitete Ärzteaktion, zündete ich gleichzeitig die Stufe 3: meinen Panorama-Beitrag - dessen Nichtausstrahlung zum eigentlichen Skandal wurde. Damals arbeitete ich als freie Journalistin auch für Funk und Fernsehen, darunter das TV-Magazin Panorama. Dem Chef der Sendung, Peter Merseburger, bot ich einen Beitrag über die (in Wahrheit von mir initiierte, was ich verschwieg) Ärzte-Aktion an und die damals in Deutschland noch unbekannte Absaug-Methode. Merseburger sagte zu, und ich lieferte meinen Beitrag pünktlich ab. Der 10-Minuten-Film dokumentierte den Ärzte-Protest und zeigte eine Abtreibung nach der schonenden Absaug-Methode. Die Abtreibende war eine von mir im letzten Augenblick angesprochene Hausfrau aus Hildesheim, die zum Schwangerschaftsabbruch nach Berlin gereist und durch Brille und Perücke unkenntlich gemacht worden war. Während des Eingriffs saß ich neben ihr.

Am Abend vor der Ausstrahlung war der Beitrag von Chefredakteur und Programmchef persönlich abgenommen worden. Doch dank des Frauenprotests und des Ärzte-Protests war die Nation schon vorab alarmiert und war der Beitrag noch vor seiner Ausstrahlung zum Politikum geworden. Wenige Stunden vor der Sendung passierte etwas noch nie dagewesenes: Die ARD-Intendanten schlossen sich via Schaltkonferenz kurz - und kippten den Beitrag. Der so zensierte Panorama-Chef Merseburger ließ sich das nicht bieten - und sendete am Abend des 11. März ab 20.15 Uhr 45 Minuten lang live ein leeres Studio. Nun war der Skandal komplett.

Welche Rolle ich dabei gespielt hatte, wusste niemand. Und auch ich hatte überhaupt kein Interesse daran, meine Aktivitäten hinter den Kulissen offen zu legen. Mir ging es ja vor allem um eine Stärkung der gemeinsamen Sache. Auf die Bühne der Ereignisse trat ich erst durch mein TV-Duell mit Esther Vilar am 6. Februar 1975. Ich wohnte in Berlin, als mich die WDR-Frauenredaktion anrief und zu dem Streitgespräch einlud. Erst viel später, nach der Sendung wurde mir klar, dass das ganze am Tag von Weiberfastnacht geplant und wohl eher als Karnevalsscherz gedacht gewesen war. Doch es sollte ganz anders kommen. Bereits zuvor war ich mehrfach gefragt worden, Vilars durch eine Talkshow berühmt gewordenes Buch "Der dressierte Mann" zu rezensieren. Ich hatte immer abgelehnt. Mir schien das Niveau des Buches nun doch gar zu niedrig und der Kalkül der Autorin gar zu durchsichtig. Langsam aber wurde mir klar, dass die Vilar-Sprüche (Alle Frauen beuten alle Männer aus. Frauen sind nichts als Löcher. Etc. etc.) in diesen Zeiten der aufbrechenden Frauenpower zu geflügelten Worten an Stammtischen und in Kantinen geworden waren. Die Männer feixten und die Frauen waren sauer.

Erst nach dem Anruf des WDR las ich endlich das Buch - und war entsetzt. Hätte in diesem Buch an Stelle von "Frauen" jedesmal das Wort "Schwarze" oder "Juden" gestanden, das Pamphlet wäre umgehend als rassistisch bzw. antisemitisch auf den Index gekommen. Aber hier ging es ja nur gegen Frauen. Ich nahm mir darum sehr bewusst vor, die in mich gesetzten Erwartungen - die Intellektuelle, die mit Sachargumenten pariert - nicht zu erfüllen, sondern das, was Millionen Frauen angesichts dieser plumpen Provokation empfanden, auszudrücken: das heißt, Betroffenheit zu zeigen statt Professionalität. Und genau das war, glaube ich, das Geheimnis des Erfolges dieses Streitgesprächs. Der Bruch der Spielregeln. Die Authentizität. Die Ernsthaftigkeit. Von "einer der wenigen originären Sendungen in der Geschichte des Fernsehens" war später die Rede. Und für den Spiegel war es gar eine "Sendung, deren Informationsgehalt Dutzende abgewiegelte Magazinbeiträge ersetzt, deren Show-Wert das gängige Moderato der Talk-Shows blamiert, deren schonungslose Direktheit noch in der Aufzeichnung high-live war".

Genau 26 Jahre später machte eine andere Sendung ähnlich Furore, auch wenn es nun keine ernsthaften Analysen mehr in den Medien gab. Wieder war es eine Begegnung, in der ich gegen eine Frau antrat: die Kerner-Talk-Show mit Verona Feldbusch. Diesmal - zeitgeistgemäß - allerdings weniger im Gespräch und eher als Spektakel. Beide Sendungen haben, trotz ihrer Unterschiedlichkeit, nicht zufällig die Menschen beschäftigt. Sie haben viel gemeinsam. Unter anderem, dass ich in beiden Fällen die Erwartungen nicht erfüllte, sondern die Spielregeln brach: indem ich im Falle Vilar nicht im Polit-Stil argumentierte und im Falle Feldbusch nicht im Spaßgesellschafts-Stil agierte, sondern beide Male Situation und Person ernst nahm. Und mich selber auch.

Bei Vilar wie bei Feldbusch war die Mehrheit der Medien gegen mich und die Mehrheit der Menschen für mich. 1975 allerdings gab es noch eine Polarisierung der Geschlechter (HörZu: "Alle Frauen waren für Alice - alle Männer für Esther"), 2001 jedoch liefen die Sympathien und Antipathien für die so unterschiedlichen Lebenskonzepte der beiden Protagonistinnen quer durch beide Geschlechter und alle Generationen, auch wenn vor allem die Jüngeren unübersehbar stärker pro Schwarzer waren.

Charakteristisch dafür ist, dass diesmal zum Beispiel im Spiegel von einem Journalisten meiner Generation ein Schwarzer-Verriss ("Punktsieg für Pumps") erschien und von einem jungen Journalisten ein Feldbusch-Verriss ("Junge Alice trifft alte Verona"). Und nicht zufällig erschien der Pro-Feldbusch-Artikel im Spiegel-Magazin und der Pro-Schwarzer-Artikel bei SpiegelOnline: Die Verknüpfung der Medien mit der Welt der Werbung, deren direktes Produkt die Marke Feldbusch ja ist, wurde bei der Rezeption der Kerner-Sendung überdeutlich. Und die relativ werbefreien Online-Medien erfreuen sich noch einer gewissen Unabhängigkeit.

Die Medien haben sich in einem weiteren Punkt geändert. Reagierten sie auf die Vilar/Schwarzer- Sendung noch fast sympathisch offen aggressiv (Bild über Schwarzer: "Mit dem stechenden Blick einer Hexe durch die Brille"), händelten sie die Feldbusch/Schwarzer-Sendung raffiniert scheinobjektiv (Bild: "Punktesieg für Feldbusch"). Und Mann lässt die Feministin vor allem durch Journalistinnen verreißen. Frau gegen Frau lautet schon seit Ende der 70er die Devise in den Medien. Die Männer sind sich längst viel zu schade für grobe Attacken gegen Feministinnen - weil sie wissen, dass wir recht haben.

Doch kehren wir noch einmal zurück zu dem auch für mich so entscheidenden Jahr 1975, dem von der UNO proklamierten "Jahr der Frau". Durch die Sendung mit Esther Vilar war ich also jetzt eine öffentliche Person geworden. Ein halbes Jahr später, im September, erschien mein drittes Buch: "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" (Es geht darin um die Rolle von Sexualität und Liebe bei der Unterdrückung der Frauen in einer Männergesellschaft und durch ihren "eigenen" Mann). Erst dieses Buch machte mich zu dem, was ich seither bin: ein Symbol für die Sache der Frauen - mit allen Vor- und Nachteilen.

Einer der Vorteile ist, dass diese Rolle mir eine öffentliche Stimme gibt, obwohl ich keine Institution oder Partei hinter mir habe und mein Leben lang ohne jegliche offizielle Funktion bin. Einer der Nachteile ist, dass diese Rolle das, was ich tatsächlich mache, meine Artikel und Bücher, oft überschattet: Meine eigene Realität verschwindet seit 1975 nicht selten unter den Projektionen und Klischees der anderen.

Doch das Erscheinen vom "Kleinen Unterschied" wurde nicht nur für mein Leben zu einem entscheidenden Einschnitt. Selten hat ein einzelnes Buch das Glück, regelrecht Geschichte machen zu können. Anscheinend waren es die richtigen Anstöße im richtigen Moment. Die Frauen waren kritischer und selbstbewusster geworden. Über vieles war öffentlich debattiert worden: über Abtreibung, Kinder, Arbeit, auch über Sexualität - aber meist aus Männersicht. Kolles "Sexwelle" in Wohnzimmern oder Partykellern und der Genossen "sexuelle Revolution" in WGs oder Republikanischen Clubs hatten zwar den Männern neue Freiheiten, den Frauen aber vor allem neue Zwänge gebracht. Hinzu kam die sogenannte "neue Zärtlichkeit" (Spiegel), ein neu aufflammendes Interesse von Frauen für Frauen, das nicht selten auch erotische Züge annahm. Und da schlug nun der "Kleine Unterschied" rein. Er ließ endlich die Frauen zu Wort kommen, nahm in unverblümtem Ton die Liebe zwischen Frauen und Männern kritisch unter die Lupe und stellte die Liebe zwischen Frauen und Frauen als selbstverständlich hin.

Ehrlich gesagt, wenn ich mir heute den "Kleinen Unterschied" durchlese, wundere ich mich überhaupt nicht mehr über den Ärger, den ich gekriegt habe. Sehr diplomatisch war ich damals nicht gerade. Ich habe einfach drauflos geschrieben. Was mich von einem Tag zum anderen zur Buhfrau der Nation machte. Für die einen. Dass die anderen hunderttausendfach den "Kleinen Unterschied" verschlangen und mir oft auch noch Recht gaben - das machte die Sache nicht gerade besser für mich. "Es ist das bundesweite 'Hau ab!', das den Mann erschüttert", schrieb damals Volker Pilgrim. Und in der Tat, das Buch lag auf den Küchen- und Nachttischen und wirkte direkt in das Leben der Menschen ein, bei Ehestreits saß ich sozusagen auf der Ritze. Oft waren die Folgen positiv, klärend, ermutigend, auch für Männer. So manches Mal aber waren sie auch entlarvend: Wo bisher Konflikte nur geschwelt hatten, sprachen die Frauen sie nun aus - und zogen so manches Mal Konsequenzen.

In den Medien war ich nun gänzlich vogelfrei. Wäre ich nicht eine erwachsene, erfahrene Frau gewesen, hätten diese Töne mich schon umhauen können: Ich hatte den "Sex einer Straßenlaterne" (AZ), war "grobschlächtig bis zur Idiotie" (Stuttgarter Zeitung), eine "frustrierte Tucke" (SZ) oder einfach: Schwanz-ab-Schwarzer! In Überlebensgröße stülpten sich nun die kollektiven Kastrationsängste der Männer in dieser Zeit des Aufbruchs der Frauen über mich. Ich ganz allein schien verantwortlich dafür zu sein, dass auch die Frauen in Deutschland unbequemer und selbstbewusster wurden - dabei war das natürlich ein Teil einer historischen Entwicklung, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts die ganze westliche Welt erschütterte, und bei der ich zwar eine Rolle gespielt habe, aber eben doch nur eine.

Die Absicht war eindeutig. Dies Brandmarkung meiner Person sollte ein Exempel statuieren, mich isolieren und zur Unberührbaren machen: Mit so einer bist du doch nicht etwa einer Meinung?! Zugegeben, es war nicht immer leicht. Doch mein schlechter Ruf hatte auch Vorteile: Persönlich konnte ich nur noch angenehm überraschen. Meine Veranstaltungen nach Erscheinen des "Kleinen Unterschieds" wurden zu regelrechten Volksversammlungen, aus denen Frauen wie Männer nachdenklicher nach Hause gingen, als sie gekommen waren. Und nicht selten war das sehr konkrete Resultat die Gründung einer örtlichen Frauengruppe: Zu der rief ich am Ende jeder Diskussion auf und setzte mich noch am selben Abend mit den Interessentinnen zusammen, damit es weiter ging. Diese Lesungen, zu denen meine Anhänger ebenso strömten, wie meine Gegner, haben mich für den Rest meines Lebens geschult.

Und sie haben mich in vielem bestätigt. Wie an dem Abend im Bürgersaal von Büdingen, wo in der Diskussion eine etwa 40-jährige Frau, weiße Bluse, Löckchen, vor etwa 600 Menschen - vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben öffentlich - das Wort ergriff und in die zunehmende Stille hinein sagte: "Ich bin seit 20 Jahren Hausfrau und habe drei Kinder groß gezogen. Mein Mann verdient ganz gut, aber ich habe nie eigenes Geld gehabt. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich seit einigen Monaten putzen gehe. Dafür kriege ich Geld. Zu Hause mache ich das umsonst. Von meinem ersten Geld habe ich mir eine Stereoanlage gekauft - das ist das einzige, was ich besitze. Und die Kinder." Folgte der pikierte Kommentar einer Genossin, die schon zuvor den Frauen beizubringen versucht hatte, dass nicht der Mann, sondern der Kapitalismus sie unterdrücke und die nun die "Konsumhaltung" der Frau rügte: "Eine Stereoanlage ist nun wirklich nicht das richtige Bewusstsein." Daraufhin ergriff die Frau noch einmal das Wort und sagte: "Ob es das richtige Bewusstsein ist, weiß ich nicht. Aber vom nächsten Geld, da kaufe ich mir ein Auto, das hat Räder und trägt mich raus..."

Es sind diese Erfahrungen, die mir immer wieder die Kluft zwischen den Medien und den Menschen klar gemacht haben. Wo die Medien oft eine Einheitsfront der Häme bildeten, begegnete ich bei den Menschen einer Vielfalt von Erfahrungen und Nachdenklichkeit. Diese Kluft ist übrigens in den letzten Jahrzehnten noch größer geworden und meiner Meinung nach einer der Gründe für die Entpolitisierung der "Spaßgesellschaft".
Damals blieben die Medienkampagnen gegen mich dennoch nicht folgenlos. Von einer regelrechten "Menschenhatz", ja einem "Pogrom" sprach 1976 mein Kollege Christian Schulz-Gerstein in der Zeit. Wie sich das dann bei den Menschen auswirkte, schrieb mir in der Zeit ein Lehrer aus Ostfriesland, der mit 14-Jährigen das Thema Emanzipation durchgenommen und dabei einen Text von mir über Hausfrauen hatte lesen lassen:
"Die Stunden, in denen wir den Text behandelten, waren sehr chaotisch. Schon der Name Alice Schwarzer löste einen ungeheuren Tumult in der Klasse aus. Zunächst musste ich mich gegen den Vorwurf wehren, überhaupt einen Text von Schwarzer vorzulesen. Besonders die Jungen waren von einer riesigen Aggressivität, die sich auch in weiteren Gesprächen nicht legte. Ganz ähnlich reagierten die Mädchen. Nur eine war begeistert. (Sie wird schon seit langem immer "Alice" genannt, ist aber darüber gar nicht froh, beklagt sich häufig bei mir, sie würde aufgezogen. Sie hat sich seit einiger Zeit auch noch einen zweiten Ehrennamen zugezogen: "lesbische Sau", ein gängiges Schimpfwort an unserer Schule.) Keiner der Jungen war in der Lage, seine Aggressivität zu verbalisieren. Als Beobachter fiel mir auf, dass die Stunden, in denen wir den Text besprachen, erstens eine gesteigerte sexuelle Aggressivität der Jungen untereinander brachten (in die Eier treten etc.) und zweitens eine intensive Protzerei mit dem späteren Beruf und dem späteren Geldverdienen einsetzte. Die Mädchen reagierten differenzierter." - Tja, so war das damals. Diese Jungs müssen jetzt Männer um die 40 sein.

Heute stehen in vielen Schulbüchern zahlreiche Texte von mir. Ich weiß nicht, wie sie inzwischen rezipiert werden, aber ich vermute, es gibt unterschiedliche Arten der Reaktion: von der neuen Gelassenheit bis zur alten Angespanntheit. Denn ich gelte zwar inzwischen quasi als "Klassikerin", gleichzeitig aber ist das meiste, was ich vertrete, weiterhin heiß umstritten.

Ich persönlich bekam ab Sommer 1976 nicht mehr so viel mit von dem Theater. Denn da ging ich nach Köln, um die EMMA vorzu- bereiten und zog mich zurück in die noch leeren Redaktionsstuben. Mein Kapital für den Start einer eigenen Zeitschrift war mein Name - der Kalkül ging auf. Mit der vergleichsweise lächerlichen Summe von einer Viertel Million Mark (dem Honorar vom "Kleinen Unterschied"), einem Zwanzigstel von dem, was für das Minimum für so eine Magazin-Gründung gehalten wurde, und dem Markennamen Schwarzer gründete ich als Journalistin die in der Bundesrepublik bis heute einzige, unabhängige Zeitschrift, die sich so lange behaupten konnte. EMMA erschien erstmals am 26. Januar 1977 - und wird heute längst auch von den Töchtern ihrer ersten Leserinnen gelesen.

Die Geschichte von EMMA würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Nur soviel sei gesagt: Ab jetzt hatte ich die uneingeschränkte Möglichkeit, nicht nur alles zu veröffentlichen, was ich wollte, sondern auch, Schreiben & Handeln direkt zu verbinden. Und genau das ist bis heute charakteristisch für EMMA: Sie informiert und interveniert, wenn es nötig ist. Diskret und hinter den Kulissen, wie zum Beispiel bei den ersten Dossiers über den Frauentod Nr. 1 Brustkrebs (1996 und 1999), zur Forderung Ganztagssschule (2000) oder zur Idee "TöchterTag" (seit 1997), wo wir nicht nur die LeserInnen, sondern auch gezielt ExpertInnen und PolitikerInnen informierten - in allen drei Fällen mit Erfolg. Oder Hand in Hand mit den Betroffenen, wie bei unserer Serie zum Frauenfußball, Motto: "Die Hälfte vom Ball für die Frauen!" (1998). Oder im Verbund mit Männern, wie bei der Ächtung der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1995 ausgerechnet an die Islamisten- Freundin Annemarie Schimmel. Oder offensiv und provokant wie bei EMMAs zahlreichen Kampagnen gegen Pornografie.

In dieses Buch nun habe ich ausschließlich Texte und Themen genommen, die ich nicht nur als EMMA-Macherin verantworte, sondern die typisch sind für mich als Autorin und bei denen ich ganz persönlich das Prinzip von Schreiben & Handeln verbinde. Beim Blick zurück und bei der Auswahl der (manchmal gekürzten, weil sich überschneidenden) Texte haben mich zwei Aspekte selber überrascht: Erstens, wie früh ich manche Themen behandle, die oft noch Jahre oder Jahrzehnte lang tabu blieben. Zweitens, wie oft ich mit diesen Themen in der direkten Kontroverse mit anderen Feministinnen gestanden habe und stehe. Da ist es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet ich zum Symbol für "die" deutsche Frauenbewegung stilisiert wurde - habe ich doch an vielen Punkten immer wieder ganz anders gedacht und gehandelt als deren Mehrheit.

Was nicht nur mit mir als Person zu tun hat, sondern auch mit der politischen Tradition, in der ich stehe. Wie alle meine Texte dokumentieren, bin ich Universalistin also Anti-Biologistin. Das heißt, ich glaube nicht an die Natur des Menschen - weder an die der Geschlechter noch an die der Rassen oder Hautfarben - sondern daran, dass der Mensch frei geboren ist und alle Menschen die gleichen Chancen haben sollte. Die Anti-Biologistinnen wurden auch von Frauen immer schon heftig bekämpft: das ging Olympe de Gouges nicht anders als Hedwig Dohm oder Simone de Beauvoir. In der historischen Frauenbewegung nannten sie sich, im Gegensatz zu den Reformistinnen, "Radikale" (darum haben auch wir neuen Feministinnen uns zeitweise "Radikalfeministinnen" genannt). Heute grenzen sie sich durch die Begriffe Universalistinnen oder Gleichheits- Feministinnen von den Differenzialistinnen bzw. Partikularistinnen ab - die an eine irreversiblen, wenn auch positiven Unterschied zwischen den Geschlechtern glauben. Eines der hartnäckigsten Klischees - alle Feministinnen seien der Auffassung, dass Frauen von Natur aus die besseren Menschen sind (und Männer die schlechteren) - ist also in bezug auf mich falsch. Ich vertrete das Gegenteil. Denn eine solche Auffassung vertrüge sich nicht mit meiner Grundauffassung vom Prinzip der Gleichheit aller Menschen. Für mich sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern keine Frage der Biologie, sondern eine Machtfrage. Jede mit der "Natur" begründete angebliche Differenz ist mir suspekt, denn immer nur der/die Eine kann bestimmen, wer der/die Andere ist - und immer beinhaltet dieser Unterschied auch eine Wertung. Und so wenig wie ich glaube, dass Frauen "von Natur aus besser" sind, so wenig glaube ich, dass Männer "von Natur aus schlechter" sind.

Natürlich hat auch meine (eher "männliche") Konfliktfähigkeit und haben meine (eher "unweiblichen") Provokationen mir nicht immer nur Freunde und Freundinnen gemacht, ganz wie meine frühe Kritik am islamischen Fundamentalismus und an Pornografie & Frauenhass oder die Benennung des weiblichen Selbsthasses. Gleichzeitig allerdings habe ich immer den Schulterschluss mit Andersdenkenden gesucht (wie etablierten Frauenorganisationen oder Politikerinnen aller Parteien). Und vor allem: Ich habe versucht, mir trotz alledem nie den Spaß an den Frauen verderben zu lassen. Der Teil meiner Arbeit, der das dokumentiert - meine Porträts und Interviews mit Frauen - fehlt leider ganz in diesem Buch, er würde das Konzept sprengen. Doch gerade in diesen Porträts spiegelt sich ein ganz zentrales Motiv meiner Arbeit: das Interesse an Menschen und die Freude an starken Frauen - inklusive dem Verständnis für ihre Schwächen.

Von Anfang an habe ich meine theoretischen Erkenntnisse immer am Stoff des Lebens überprüft bzw. sie daraus gewonnen. Bei den "Protokollen" in den frühen 70ern habe ich meine Gespräche mit Frauen zu bestimmten Fragestellungen - wie Abtreibung, Arbeit, Sexualität, Liebe - zu Monologen verdichtet und exemplarisch für Lebenskonstellationen gesetzt. Später habe ich in EMMA begonnen, auch systematisch weibliche Idole analytisch zu porträtieren, ihren "typischen" Betroffenheiten als Frauen ebenso nachzuspüren wie den Abweichungen in ihrem Lebenslauf, und der Frage, was den Ausbruch aus der traditionellen Rolle gefördert hatte. Da war es nur konsequent, dass ich diese journalistischen Porträts irgendwann erweitert habe auf umfassendere literarische Biografien, wie im Falle von Romy Schneider oder Marion Gräfin Dönhoff.

Seit 1977 aber bin ich vor allem die Herausgeberin von EMMA, eine Verantwortung, die mich als Autorin oft selbst am Schreiben hindert. Bücher kann ich seither nur zwischen den Redaktionsschlüssen schreiben. Und noch frisst EMMA 90 Prozent meiner Arbeitskraft. Doch ich hoffe, das bleibt nicht immer so, denn mir scheint es weiterhin nicht nur politisch richtig, auch außerhalb von EMMA präsent zu sein, es entspricht auch meinem Bedürfnis.

Genau darum bin ich zum Beispiel noch heute im Frieden damit, dass ich in den 90ern sieben Jahre lang die Unterhaltungssendung "Ja oder Nein?" mit Blacky Fuchsberger und Sepp Maier (mit dem ich den Sinn für Humor teile) gemacht habe. Auch wenn meine kultivierten Freundinnen und Freunde, die angeblich "sowas" nie sehen, meine Teilnahme an dem harmlosen Ratespiel am Anfang arg peinlich war. "Muss das denn sein?", hieß es immer wieder. Nein, es muss nicht sein, aber es kann sein. Denn dass eine wie ich bei einer solchen Sendung mitmacht, das ist genau die Art von Spielregelverletzung, die ich so liebe - und ohne die ich einfach anfange, mich zu lang- weilen. Da war es ein schöner Nebenaffekt (den ich erst im Nachhinein begriff), dass wenig so beigetragen hat zur Image-Korrektur der "Hexe mit dem stechenden Blick" wie diese Unterhaltungssendung.

Gibt es etwas, was ich im Rückblick bereue? Nicht viel. Und auf keinen Fall, immer geschrieben und gesagt zu haben, was ich denke. Und fühle.

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