Alice Schwarzer in anderen Medien

Interview: Schwarzer & Stokowski

Alle Fotos: Horst Galuschka
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Frau Stokowski, Frau Schwarzer, treffen Sie sich heute zum ersten Mal?

Stokowski: Ja, zum ersten Mal in echt. Neulich waren wir gleichzeitig beim Festakt zu 100 Jahre Frauenwahlrecht.

Schwarzer: Ach, da warst Du auch? Ich darf doch das feministische Du verwenden?

Frau Stokowski, was ist Alice Schwarzer für Sie – Inspiration, Vorbild – oder der große historische Schatten, aus dem es für eine jüngere Feministin schwierig ist, hinauszutreten?

Stokowski: Ich habe sehr unterschiedliche Gefühle. Das eine ist sehr viel Respekt, Dankbarkeit, Mitgefühl. Das andere ist Unverständnis.

Unverständnis wofür?

Stokowski: Ich frage mich, wann es bei Alice Schwarzer diese Wende gab, hin zu einer Konzentration auf islamkritische oder -feindliche Positionen. Unsere größten Differenzen haben wir bei diesem Thema. Aber ich bin auch mit vielen Angriffen gegen Dich nicht einverstanden. Viel von dem Hass und der Häme, die Du abbekommst, sind Frauenhass oder Hass auf alles, wofür wir uns gemeinsam einsetzen.

Drehen wir die Frage um: Was ist Margarete Stokowski für Sie – Inspiration, Erbin oder Teil einer jungen Feministinnen-Generation, mit der Sie wenig anfangen können?

Schwarzer: Ich lebe ja, ich brauche noch keine Erbin. Und ich habe auch nicht die Frauenbewegung zu vererben. Die ist vielfältig. Margarete ist einfach eine andere Feministin. Wir haben in der Tat an zwei entscheidenden Punkten eine unterschiedliche Meinung – im Verhältnis zur Prostitution und zum politischen Islam. Aber wir müssen zuvor über eines reden, Margarete.

Stokowski: Ja?

Schwarzer: Ihr Buch, Untenrum frei, fand ich intelligent und habe darüber positiv in Emma geschrieben, sonst habe ich Sie noch nie erwähnt. Vor unserem Gespräch habe ich aber nochmal recherchiert und entdeckt, dass Sie Dinge über mich geschrieben haben, dass selbst ich staune, obwohl ich einiges gewohnt bin. Nicht nur, dass Sie mich permanent als „Rassistin“ beschimpfen. Sie haben auch in der taz 2013 über mich geschrieben: „Und Oma erzählt von der heiligen Alice und wie sie ihre letzten Jahre im Krankenhaus verbringen musste, weil sie sich den Hintern auf Günther Jauchs Sesseln wundgesessen hatte. Vom fusseligen Mund ganz zu schweigen.“

Stokowski: Finden Sie das arg beleidigend?

Schwarzer: Ich nenne das den nackten Frauenhass und Menschenverachtung.

Stokowski: Der Text war eine Satire darauf, wie man später auf die heutige Zeit zurückschauen könnte. Es ging auch darum, dass man in der Zukunft Eiscreme ausdrucken kann.

Schwarzer: Und Ihre Phantasie ist, dass ich dann mit wundgescheuertem Hintern und fusseligem Mund im Krankenhaus bin?

Stokowski: Vielleicht war das nicht so nett. Allerdings habe ich über Ihre Rolle in der Frauenbewegung der 70er Jahre auch schon Positives geschrieben. Natürlich wünsche ich Ihnen nicht, dass Sie ins Krankenhaus kommen.

Schwarzer: Wie liebenswürdig. Aber in diesem Satz steckt auch Generationenhass. Ich aber halte den auch von Ihnen so propagierten Bruch zwischen den Generationen von Feministinnen für eines der größten Probleme. Solange Feministinnen nicht lernen, sich auf die Schultern ihrer Vorgängerinnen zu stellen, werden sie immer wieder bei Null anfangen. Da machen Sie ganz nett mit. Sie tun so, als hätten Sie das Rad neu erfunden und alles vorher müsse verachtet werden.

Stokowski: Nee, nee, nee. Ich habe immer wieder kritisiert, wenn sich jemand auf die Suche nach der nächsten Alpha-Feministin machte. Das soll Frauen isolieren und die Bewegung auseinanderbringen. Dann heißt es, die Alten sind fertig, jetzt kommt was Neues. Und es gibt nur einen Platz, der besetzt werden kann. Das sehe ich extrem kritisch, daran sollten wir uns nicht beteiligen.

Schwarzer: Dann tun Sie es doch einfach nicht! Mich hat eines sehr geprägt: Als wir Anfang der 70er aufbrachen, hielten auch wir uns für die ersten. Wir dachten, jetzt kommen wir, die schicken kühnen Feministinnen, und räumen auf. 1974 machte ich dann mit Freundinnen den Frauenkalender, wir recherchierten im Archiv des Akademikerinnenbundes. Eine Freundin zeigte mir ein Buch und sagte: Alice, hast Du die Frau schon einmal gesehen? Auf dem Titel war eine spektakulär schöne Frau, die ich nicht kannte. Hedwig Dohm, die berühmteste feministische Autorin um die Jahrhundertwende. Was ich sagen will: Eine deutsche Feministin kannte 1974 noch nicht einmal Hedwig Dohms Namen. In diesen Jahren haben wir langsam unsere eigene Vergangenheit entdeckt, die auch wegen der Nazis verschüttet war. Wir haben entdeckt, dass vieles von dem, was wir neu dachten und taten, schon einmal gedacht und getan worden war.

 

„Wir sollten uns nicht nur darauf konzentrieren, patriarchale Strukturen bei denen zu sehen, die nicht urdeutsch und christlich sind.“ Margarete Stokowski

Stokowski: Bei mir war es genau anders herum. Ich hatte während meines Studiums das Gefühl, es gibt wahnsinnig viel an feministischer Literatur und ich habe keine Ahnung, ob ich das jemals überblicke. Ich wusste auch nicht, ob ich mich Feministin nennen soll. Ich hielt das für so etwas wie einen Parteieintritt, das wollte ich nicht. Aber dann habe ich gemerkt, dass die Inhalte genau das waren, was ich dachte, also habe ich mich Feministin genannt. Ich kenne dieses Phänomen übrigens von vielen in meinem Alter. Die sagen, irgendwie bin ich schon für Gleichberechtigung und Feminismus, aber ich kann mich nicht so nennen. Offenbar ist das immer noch ein großer Schritt. Manchmal sind es Vorurteile, manchmal aber auch Ehrfurcht.

Schwarzer: Das finde ich interessant. Natürlich hatten wir damals auch alle unsere Simone de Beauvoir gelesen, ‚Das andere Geschlecht’, ein Schlüsselwerk. Aber ansonsten haben wir uns ins Leben geworfen, auf der Straße getanzt statt zu marschieren. Wir haben uns am Anfang auch nicht Frauenbewegung genannt. Unsere Bewegung war eine Reaktion auf das alte Patriarchat und die machohafte Linke. Damals haben wir begriffen, dass die Kerle noch den letzten bolivianischen Bauern befreien wollten, aber die eigene Freundin sollte weiter Kaffee kochen und die Beine breit machen.

Sie beide bezeichnen sich als Feministinnen. Was bedeutet das für Sie?

Stokowski: Für mich bedeutet es, Teil einer Bewegung zu sein, die sich dafür einsetzt, dass alle Menschen gleiche Rechte und Freiheiten haben, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Aussehen und Körper.

Schwarzer: Ich sehe das ähnlich. Gleiche Chancen und Rechte und Pflichten unabhängig vom Geschlecht. Natürlich spielen da auch andere Machtverhältnisse hinein: Wir sind nie nur Frau, sondern auch Deutsche oder Nicht-Deutsche, privilegiert oder nicht privilegiert, weiß oder schwarz. Aber das Fundament, auf dem alle anderen Machtverhältnisse aufbauen, ist das zwischen den Geschlechtern.

Frau Schwarzer, Sie haben noch gegen den Abtreibungsparagraphen 218 gekämpft und für das Recht von Frauen zu arbeiten. In ‚Untenrum frei' stellt Margarete Stokowski fest, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern kleiner geworden sind, damit weniger sichtbar und vielleicht auch schwieriger zu bekämpfen. Welche Ziele hat der Feminismus in Deutschland heute, wenn es keine rechtlichen Ungleichheiten mehr gibt?

Schwarzer: In den ersten Jahren der Revolte hätte meine Generation sich nicht erträumen lassen, dass wir da ankommen, wo wir jetzt sind. Wir haben unvorstellbar viel erreicht. Das ist ein Fortschritt. Gleichzeitig ist aber die brachiale Unterdrückung sichtbarer. Bis 1976 konnte zum Beispiel der Ehemann zum Chef seiner Frau gehen und sagen, hiermit kündige ich ihre Stelle, die macht ihren Haushalt nicht ordentlich. Heute gibt es innere Fesseln, die schwerer zu erkennen sind als die äußeren.

Früher durften Männer ihren Ehefrauen verbieten zu arbeiten. Heute gehen Frauen freiwillig in Teilzeit oder ziehen sich aus der Arbeitswelt zurück, wenn sie Kinder bekommen.

Stokowski: Wenn wir von Freiwilligkeit reden, lenken wir davon ab, dass es nach wie vor Machtstrukturen gibt. Wir alle möchten weiter an das Bild der selbstbewussten emanzipierten Frau glauben. Und dann merken wir, die Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, Ungleichheit zu erhalten – Frauen treffen immer wieder dieselben Entscheidungen und stehen immer wieder vor denselben Hürden. Wenn wir diese Entscheidungen einfach nur als freiwillig ansehen, ist es schwieriger, über die politische Dimension zu reden. Stattdessen heißt es, das ist doch der freie Wille, und wir können Frauen nicht zwingen, sich die Hälfte der Macht zu nehmen.

Schwarzer: Das mindestens 4.000 Jahre währende Patriarchat lässt sich nicht in 40 Jahren aus den Angeln heben. Was man Frauen früher aufgezwungen hat, machen sie heute scheinbar freiwillig. Der gesellschaftliche Druck ist immer noch groß, ein bestimmtes Ideal zu erfüllen. Das läuft subtil ab, der Zwang ist weniger sichtbar. Die Schlacht spielt sich dabei wieder auf unserem Körper ab. Ich habe eine ähnliche Rückwärtsbewegung schon einmal Mitte der 70er Jahre erlebt. Da hat man auch innerhalb der Frauenbewegung von einer sogenannten „neuen Weiblichkeit“ oder der „neuen Mütterlichkeit“ geredet. Das war aber in Wahrheit die alte.

Gesellschaftliche Bilder von Weiblichkeit oder Männlichkeit prägen schon von Kindheit an. Heute gibt es unterschiedliches Lego für Mädchen und für Jungs, es gibt pinke und „normale“ Überraschungseier. Drängt unsere Konsumwelt Kinder stärker als früher in bestimmte Rollen?

Schwarzer: Das ist längst eine eigene Millionen-Industrie, die es vor ein paar Jahrzehnten noch gar nicht gab.

Stokowski: Bei Kinderspielzeug und Kinderkleidung ist es extrem. Aber das gibt es auch für Erwachsene. Der Drogeriemarkt DM hat jetzt ein Männerregal, damit Männer nicht aus Versehen Waschmittel kaufen, sondern nur Männercreme. Das macht im Kapitalismus natürlich Sinn, weil man Produkte in zwei Varianten herstellen kann.

Schwarzer: Und die für Frauen sind oft teurer, oder?

Stokowski: Häufig. Natürlich kann man sagen, dass Frauen freiwillig rosa Rasierklingen kaufen und selbst entscheiden, in Teilzeit zu gehen. Aber die Frage ist, was mit denen passiert, die von der aufgestellten Norm abweichen. Was ist, wenn eine Frau sofort nach der Geburt des Kindes wieder anfängt zu arbeiten? Sie wird beleidigt oder muss sich anhören, dass sie eine schlechte Mutter ist. Man kann schon von freiwilligen Entscheidungen sprechen, aber solange abweichendes Verhalten bestraft wird, ist es mit der Freiheit nicht weit her.

Wie kann Feminismus gegen solche Marketing- und Erziehungsmechanismen ankommen?

Schwarzer: Aufklären und ermutigen abzuweichen. Meine Großmutter war Schneiderin, ich habe mich mein Leben lang für Mode interessiert. Aber ich habe mich nie einzwängen lassen. Ich muss mich nicht jeden Morgen schminken und auf Schuhen gehen, in denen ich nicht laufen kann.

Stokowski: Wir müssen die Leute ermutigen, nicht jeden Scheiß mitzumachen. Gleichzeitig ist es gerade bei den Kindersachen eine extreme Klassen- und Geldfrage. Die billigen Sachen sind häufig viel stärker gegendert als die teuren. In einem Bio-Öko-Fairtrade-Kinderladen ist alles bunt, bei Kik oder anderen Textil-Discountern sind Sachen für Mädchen und Jungen klar unterteilt. Manche Leute haben gar nicht die Wahl, genderneutrale, nicht rollenkonforme Sachen zu kaufen. Die, die es sich leisten können, das zu vermeiden, sagen dann auch noch, naja, die Leute, die das kaufen, sind ein bisschen dumm und unemanzipiert und stecken ihre Mädchen in rosa Sachen.

Die AfD agitiert gegen „Gender-Wahn“, eine Gruppe von Schriftstellern und Prominenten hat gerade in einem offenen Brief das „Gender-Sprech“, also geschlechtergerechte Sprache, kritisiert. Ist das das letzte Aufbäumen des Patriarchats? Oder hat sich der moderne Feminismus verrannt und zur Sprachpolizei gemacht?

Stokowski: Ich fürchte, es ist nicht das letzte Aufbäumen. Ich kenne aber keine Feministin, die sagt, wir müssen uns auf eine Variante festlegen. Es gibt Binnen-I, Sternchen, Unterstrich, manche wechseln sich ab und sprechen mal von Lehrerinnen und mal von Lehrern, andere erfinden neue Formen wie die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch.

Schwarzer: Die Gegner stürzen sich natürlich auf Dinge, wo der Mann und die Frau von nebenan sagen: ‚Sind die denn verrückt geworden? Man kann es aber auch übertreiben.' In Wahrheit gibt es auch in feministischen Kreisen sehr unterschiedliche Weisen, mit Sprache umzugehen. Wir sollten uns davor hüten, eine bestimmte Sprache vorzuschreiben. Es stimmt zwar: Sprache ist der Stoff, in dem wir fühlen und denken. In den 70er Jahren mussten wir Feministinnen erstmal dafür sensibilisieren, dass es oft nur die männliche Form gibt und die Frau in der Sprache gar nicht vorkommt. Als Journalistin weiß ich aber auch, dass Sprache lebendig ist und man sie sprechen können muss. Einen Unterstrich oder ein Sternchen im Wort kann ich nicht sprechen. Das verhunzt die Sprache.

Frau Stokowski, Sie verwenden das Sternchen in Ihren Texten.

Stokowski: Ich verwende unterschiedliche Varianten. In meinen Büchern gibt es ein Sternchen, das mitten im Wort steht, um es von den Fußnotenzeichen abzugrenzen. Meine Erfahrung ist, dass viele das überlesen. Es wäre mir aber auch egal, wenn ein Sternchen die Leute zunächst aus dem Text rauswirft. Wir haben uns schon an viele Sachen gewöhnt. Und es gibt auch die Möglichkeit, Sternchen oder Unterstrich als Pause auszusprechen.

Kommen wir zu dem Thema, das Sie beide am meisten trennt: Frau Schwarzer, Sie haben den politischen Islam neulich als „Faschismus des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Was meinen Sie damit?

Schwarzer: Eines möchte ich zum hundertsten Mal klarstellen: Es geht mir nicht um den Islam, den Glauben, ich rede ausschließlich über den politisierten Islam, den Islamismus, der 1979 mit Khomeini im Iran begonnen hat. Das ist keine Religion, sondern eine Ideologie, die von Anfang an die Trennung der Geschlechter im Fokus hatte. Im Iran wurde gerade eine Anwältin zu 148 Peitschenhieben und 38 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie es gewagt hat, Frauen zu verteidigen, die gegen den Kopftuchzwang protestieren und für Rechte der Frauen. Es ist das offene Grauen.

„Für den neuen Rassismus sind die Kräfte verantwortlich, die immerzu den Kulturrelativismus gepredigt haben. Da gehörst du dazu, Margarete.“ Alice Schwarzer

Frau Stokowski, nicht nur Alice Schwarzer, auch Politikerinnen wie Julia Klöckner und Malu Dreyer haben die Einwanderung von Männern aus patriarchal geprägten Gesellschaften problematisiert. Ist der politische Islam eine Gefahr für die Emanzipation in Deutschland?

Stokowski: Wir sollten uns nicht nur darauf konzentrieren, patriarchale Strukturen bei denen zu sehen, die nicht urdeutsch und christlich sind. Natürlich sehe ich als Feministin vieles kritisch, Zwangsverschleierung, Zwangsverheiratung, fehlende Hilfe für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Ich glaube nur, dass der Feminismus nicht auch noch bei der Stimmungsmache gegen Musliminnen und Muslime mitmachen sollte. Die gibt es ohnehin schon genug. Wir sollten nicht so tun, als sei es das eigentliche Problem, dass durch geflüchtete Menschen frauenfeindliche Ideologien nach Deutschland kommen. Damit tut man den Nazis leider einen sehr großen Gefallen.

Frau Schwarzer, stellen Sie Flüchtlinge unter Pauschalverdacht?

Schwarzer: Ich? Das ist einfach lachhaft! Im Gegenteil: Ich schaue genau hin. So hatten wir in der Emma im Herbst 2015 einen Vater auf dem Titel, die fünfjährige Tochter auf den Schultern, zwei Menschen auf der Flucht. Im Blatt finden Sie einen Forderungskatalog, was für die Frauen und Kinder in den Flüchtlingsunterkünften getan werden muss. Um die hat sich zu dem Zeitpunkt noch kein Schwein gekümmert. Aber mit den Flüchtlingen hat das Problem ja auch gar nicht angefangen.

Womit denn?

Schwarzer: In Westeuropa gibt es seit mindestens 25 Jahren eine Agitation des politischen Islam, der Islamisten. Manche Imame geben den Eltern Geld, wenn sie ihre Töchter verschleiern. Den jungen Männern sagen sie, ihr braucht nichts zu lernen, weil ihr mehr wert seid als eure Frauen und die Ungläubigen und mal heilige Krieger werdet. Dieser Verhetzung haben wir im Westen nichts entgegengestellt. Wir haben die Mehrheit der Muslime in Europa, die aufgeklärt sind und Demokratie wollen, im Stich gelassen und dem Druck der radikalen Minderheit ausgeliefert. Und wir haben uns nicht nur in Deutschland den ungeheuren Luxus erlaubt, nicht genau zu unterscheiden: zwischen normalen Muslimen und islamistischen Ideologen und Hetzern. Und jetzt wundern wir uns, wenn die Rechte da aufsattelt. Für diese neue Art von Rassismus sind die Kräfte verantwortlich, die immerzu diesen Kulturrelativismus gepredigt haben, die gesagt haben: Das ist eine andere Religion, das sind andere Sitten, die sind eben so. Du gehörst dazu, Margarete. Es gäbe keine AfD, wenn Liberale und Linke nicht so versagt hätten.

Frau Stokowski, sind Sie mitschuldig am Aufstieg der AfD?

Stokowski: Nee. Die Liste aus der Emma mit den Forderungen für geflüchtete Frauen ist doch ein gutes Beispiel. Es gibt sexualisierte Gewalt in Flüchtlingsunterkünften, aber in der Debatte hört man eben nicht die Forderung nach mehr Plätzen in Frauenhäusern oder speziellen Beratungsangebote für muslimische Mädchen und Frauen. Viele konzentrieren sich darauf, gegen die Männer zu sprechen und nicht für die Frauen. Man hört dann nur: Die haben eine komische Kultur, die wollen wir hier nicht haben. Für mich heißt das: Das Thema wird rassistisch instrumentalisiert.

Schwarzer: Liebe Margarete, da wird leider überdeutlich, dass Du Emma nicht liest. Du weißt aber trotzdem genau, was drin steht. Realität ist, dass all die Forderungen, die du jetzt erhebst, bei uns schon sehr lange Thema sind. Du gehörst ja auch zu den Frauen, die Emma Anfang 2016 dafür angegriffen haben, dass wir nach der Silvesternacht in Köln die Wahrheit über die Übergriffe am Hauptbahnhof geschrieben haben. Von den 2.000 Männern waren die meisten Algerier und Marokkaner, viele Illegale, 690 Frauen haben Anzeige erstattet wegen sexueller Gewalt. Das haben wir geschrieben – und es schallte uns der Ruf „Rassismus“ entgegen. Und da antworte ich Ihnen, nein Dir – siehst Du, kaum sind wir so kontrovers, falle ich ins Sie, wir sind eben zwischen Du und Sie – ich antworte: Ich finde es rassistisch, zweierlei Maß einzuführen und zu sagen, das sind Algerier, aber wir dürfen das nicht sagen, sonst wird es missbraucht. Damit nehmen wir diese jungen Männer nicht ernst. Denn die müssen die Tausende von Kilometern, die sie zu Fuß zurückgelegt haben, auch noch mal im Kopf zurücklegen, wie Kamel Daoud gesagt hat. Sie kommen schließlich aus Ländern, in denen Gewalt gegen Frauen und Kinder eine Selbstverständlichkeit ist und Frauen rechtlose Unmündige sind.

Stokowski: An diesen Ausführungen kann man sehr gut sehen, wie Rassismus funktioniert: Man nimmt die Taten von einigen und sagt, die ganze Gruppe sei potenziell kriminell. Linken Feministinnen wird sehr häufig vorgeworfen, sie würden muslimischen Männern alles durchgehen lassen und andere schon für ein Anlächeln verurteilen. Das ist der Versuch so zu tun, als gäbe es in Deutschland keine Probleme von weißen deutschen Männern, die übergriffig wären.

Schwarzer: Es geht nicht um Einzelne, es geht um Strukturen. Du hörst einfach nicht zu! Die Realität interessiert dich nicht.

Wir würden gerne noch einmal das Thema wechseln. Auf die erste Kanzlerin der Bundesrepublik folgt wahrscheinlich die zweite Kanzlerin. Angela Merkel hat sich immer geweigert, sich als Feministin zu bezeichnen. Annegret Kramp-Karrenbauer hält das anders – ein Fortschritt?

Stokowski: Ich glaube, Annegret Kramp-Karrenbauer ist kein Fortschritt für den Feminismus. Also wirklich nicht. Ich habe im Moment das eigenartige Gefühl, dass ich traurig sein werde, wenn Angela Merkel weg ist. Frau Kramp-Karrenbauer ist homofeindlich und sehr polemisch gegen alles, was Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellt. Es bringt dem Feminismus nichts, wenn eine Frau an eine obere Position kommt und dann weiter frauen- oder minderheitenfeindliche Positionen vertritt.

Schwarzer: In Relation zu Frau Merkel ist Frau Kramp-Karrenbauer allgemeinpolitisch eindeutig konservativer. Aber aus feministischer Perspektive gesehen ist sie eindeutig feministischer. Das hat was mit ihrem West-Lebenslauf zu tun.

Stokowski: Woran machen Sie das fest?

Schwarzer: An konkreten Aussagen in meinem Interview in der aktuellen Emma. Aber auch daran, wie sie selber lebt, zum Beispiel, dass ihr Mann Hausmann war. Aber ich finde grundsätzlich interessant, in welchem Maße der Begriff Feminismus in Deutschland im Verschiss ist. Deutschland, das Land der sogenannten Rabenmütter, ist innerhalb der westlichen Welt ja auch in Sachen Pay Gap Schlusslicht.

Ist es nicht ein bisschen cool geworden, sich zum Feminismus zu bekennen? Es gibt sogar entsprechende T-Shirts.

Schwarzer: Ja, das ist zurzeit Modetrend. Aber was steckt hinter dem Label? Ehrlich gesagt interessiert mich schon lange nicht mehr, ob eine Frau sich als Feministin bezeichnet. Entscheidend ist nicht, was sie sagt, sondern was sie tut. Und da sind eben manchmal Nicht-Feministinnen in Wahrheit feministischer als vorgebliche Feministinnen, die krass antifeministisch sind.

Dann kommen wir zu den Taten. Wenn Sie am Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung mitschrieben könnten – was würden Sie reinschreiben?

Stokowski: Abtreibung raus aus dem Strafgesetzbuch, eine bessere Schulung von Menschen, die in Beratungsstellen, Gerichten oder bei der Polizei mit Opfern sexualisierter Gewalt arbeiten. Die Position von Alleinerziehenden stärken, die Möglichkeit zur Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit verbessern, das Ehegattensplitting abschaffen. Und ich würde einen besseren Umgang mit Hate Speech und anderen Formen von Gewalt im Internet durchsetzen. Die trifft häufig Frauen und die Strafverfolgungsbehörden tun sich immer noch sehr schwer damit.

Schwarzer: Das ist doch schön, Margarete. Zu guter Letzt haben wir ein Happy End zu vermelden. Ich schließe mich uneingeschränkt diesen Forderungen an. Ich möchte nur eines hinzufügen: Wir brauchen dringend gesetzliche Maßnahmen zum Schutz vor Altersarmut. Auf die rasen gerade die Töchter der Frauenbewegung mit 180 Sachen zu, weil sie die Lüge geglaubt haben, sie hätten die Wahl und könnten alles: auch Teilzeit arbeiten oder aus dem Beruf aussteigen. Da kommt ein Drama auf Millionen Frauen zu.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Anna Sauerbrey. Es erschien am 7. April im Tagesspiegel.

Hier den Podcast zum Gespräch hören.

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