Interview Italienische

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ANSA, 11.9.05

Interview mit der Italienischen Nachrichtenagentur ANSA

Das nachfolgende Interview führte die italienische Nachrichtenagentur ANSA mit Alice Schwarzer am 11.9.05.

Hätten Sie sich zum Beginn der Frauenbewegung vorstellen können, dass Sie es erleben würden, das eine Frau Kanzlerkandidatin wird und möglicherweise auch Bundeskanzlerin?

Alice Schwarzer
Ganz ehrlich: Anfang der 70er Jahre haben wir Feministinnen über so etwas gar nicht nachgedacht. Wir wollten eher die Hausfrauen und Arbeiterinnen befreien, statt Kanzlerin zu werden. Das Wort "Karriere" gab es nicht - und wenn, war es verpönt. Aber seit den 80ern warte ich auf eine Kanzlerin.

Wie erklären Sie sich, dass die möglicherweise erste deutsche Kanzlerin ausgerechnet aus der Union und aus der SPD kommt? Demnach also aus einer Partei, die sich nicht sonderlich mit der Frage der Gleichberechtigung auseinandergesetzt hat.


Das ist eine interessante Frage. Es scheint so zu sein, dass die Strukturen in den Ex-Arbeiterparteien noch patriarchalischer sind als in den bürgerlichen Parteien. Das hat ja auch die sehr männerbündische Attitüde des sozialdemokratischen Kanzlers Schröder gezeigt: Cohiba-Zigarren, Brioni-Anzüge und Herrenrunden im Kaminzimmer. Zum anderen sind die linken Männer vom Feminismus natürlich direkter und stärker betroffen gewesen: die Frauen auf den Barrikaden waren ihre eigenen Freundinnen und Ehefrauen. Von daher haben Sie auch gereizter reagiert. Fakt ist auf jeden Fall, dass auch für 2009 keine potenzielle Kanzlerkandidatin in der Linken in Sicht ist. So manche Genossin ist zwar tüchtig und engagiert, aber wird klein gehalten.

Was hat sich in diesen Jahren Rot-Grüne geändert im Hinblick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft?


In den letzten dreißig Jahre haben wir eine Revolution in den Köpfen zu verzeichnen. Forderungen, für die wir früher ausgelacht wurden, sind heute selbstverständlich: die Hälfte der Welt für die Frauen - die Hälfte des Hauses für die Männer! In den sieben Jahren rotgrüner Macht aber sind die Frauen zwar formell weitergekommen - ein Drittel in Regierung und Parlament sind Frauen - gleichzeitig aber haben die Männer neue, informelle Machtzirkel gebildet, von denen Frauen ausgeschlossen sind. Die rotgrünen Chefs Schröder und Fischer waren die Kings der Männerbünde. So dass die Frauen zwar immer mehr wurden - aber immer weniger zu sagen hatten. Fraueninteressen waren tabu. "Frauen" ist in der Berliner Republik ein Unwort.

Sie haben kürzlich Frau Merkel vor der Attacke von Frau Doris Schröder-Köpf in Schutz genommen, die Frau Merkel mehr oder weniger vorgeworfen hatte, keine Kinder zu haben. Ist Ihrer Meinung nach diese Attacke als emotionale Reaktion der Ehefrau Schröder-Köpf zu verstehen oder eher Ausdruck, wie Sie sagten, einer rückständigen Vision der SPD, die weit hinter der CDU liegt?


Ja, das scheint eine Welt verkehrt: Die konservative Kanzlerkandidatin ist von Beruf Physikerin und führt eine moderne partnerschaftliche Ehe mit einem Kollegen, der ein international renommierter Wissenschaftler ist. Der sozialdemokratische Kanzler heiratet eine zwanzig Jahre jüngere Journalistin, die sofort ihren Beruf aufgibt und seither mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter kokettiert. Mehr noch, sie hat es gewagt, die Kanzlerkandidatin wegen ihrer Kinderlosigkeit anzugreifen - was nun wirklich ein Frauenbild aus dem 19. Jahrhundert ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Attacke nicht mit dem Kanzler abgesprochen war. Und sei passt ja auch in das Geschlechterbild des zum vierten Mal verheirateten Kanzlers. Was mich aber fast noch mehr schockiert, ist, dass die Frauen aus der SPD und auch die bei den Grünen bisher kein einziges kritisches Wort über diesen Skandal verloren haben. Im Gegenteil: Sie propagieren, unter einer CDU-Kanzlerin würden die Frauen zurück ins Haus geschickt - was reine Polemik ist. Denn die sogenannte "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" ist längst allgemeiner Konsens in Deutschland, über alle Parteigrenzen hinaus. Fakt aber ist, dass das sozialdemokratische Kanzlerpaar eine solche Ehe demonstrativ vorlebt: die Frau zurück in die Küche!

Sie kennen Frau Merkel persönlich: Sie entspricht nicht dem klassischen Bild einer "emanzipierten" Frau, dennoch kann man nicht bestreiten, dass sie es als Frau in einer Männer-Domäne sehr weit gebracht hat. Was halten Sie von ihr? Eine Physikerin, eine Ostdeutsche, eine die sich nicht besonders um Ideologien und die üblichen Klischees von Mode und Schönheit kümmert.


Ja, ich kenne Frau Merkel seit 1992 - seit sie als Frauenministerin in der Regierung Kohl so verspottet wurde als "Kohls Mädchen" und der "Trampel aus dem Osten". Der hämische Ton gefiel mir nicht, darum habe ich ihr ein gemeinsames Essen vorgeschlagen. Sie kam, und ich habe eine hochintelligente, sachorientierte, mir integer scheinende Frau kennengelernt. Das gefällt mir natürlich. Und auch, dass sie nicht ins Weibchen-Klischee passt und offensichtlich mehr Zeit mit Denken als mit Schminken verbringt. Gleichzeitig bin ich nicht naiv: Ich sehe viele Inhalte, die sie vertritt, kritisch. Zum Beispiel ihre sehr naive Amerikagläubigkeit.

Die Tatsache, dass heute in Deutschland eine Frau Kanzlerin werden kann, ist das - ihrer Meinung nach - das Resultat eines gesellschaftlichen Wandels, des Zeitgeistes, der sieben Jahre Rot-Grün oder einfach ein Zufall?


Ohne die Entscheidung Kanzler Schröders, die Wahlen ein Jahr vorzuziehen, wäre Merkel vermutlich nicht Kanzlerkandidatin. Die Bestrebungen der Männerbünde innerhalb ihrer Partei, sie noch zu verhindern, waren groß - und die hätten das bis 2006 vielleicht sogar geschafft. Das ist also die Ironie der Geschichte: Angela Merkel verdankt ihre Kandidatur Kanzler Schröder.

Würden Sie die Frauen in diesem Land auffordern, Merkel zu wählen, gerade weil sie eine Frau ist?


Nein. Denn das Geschlecht der Kandidatin ist ja nur ein Faktor, der zweite sind die vertretenen Inhalte. Also ist die Antwort nicht ganz so einfach. Außerdem ist es nicht meine Funktion als Journalistin und Feministin, Ratschläge zu geben, sondern zu informieren und zu analysieren. Als autonome Feministin gehöre ich keiner Partei an und habe mich auch noch nie für einen Wahlkampf einspannen lassen.

Frau Merkel unterstreicht immer, dass sie nicht nur Frauen ansprechen will, sondern Kanzlerin aller Deutschen werden will. Trotzdem die Frage, ob sich etwas ändern wird im Bewusstsein der Menschen was das Verständnis der Beziehung Frau-Mann in der Gesellschaft angeht?


Merkels Dilemma ist, wie das jeder Karriere-Frau, dass sie zwar eine Frau ist und auch weitgehend so behandelt wird, es die Männer in den oberen Etagen aber nicht zu sehr merken lassen darf. Denn eine Ausnahmefrau lassen die noch durchgehen, aber eine Frau, die sagt: Ich bin die erste von vielen - die kriegt Ärger. So wie ich. Also verstehe ich Merkels Zurückhaltung in Frauenfragen im Wahlkampf, auch wenn ich sie bedauere. Nur: Sollte sie Kanzlerin werden, erwarte ich selbstverständlich von ihr, dass sie die Frauen mehr beachtet als ihre Vorgänger. Schließlich ist sie selber eine Frau - und verdankt sie ihre Existenz ausschließlich der Frauenbewegung.

Was wird sich ändern unter einer Kanzlerin in Deutschland?


Wir werden sehen. Nur eines ändert sich ganz bestimmt: Die deutschen Frauen können sehen, dass heute für eine Frau im Prinzip alles möglich ist - und die kleinen Mädchen können überlegen, ob sie später mal Bundeskanzlerin werden wollen. Eine Kanzlerin Merkel wird, egal was sie tut, ein formidables Rollenbild sein.

Was würden Sie sich wünschen von einer Kanzlerin Merkel?


Ich wünsche mir, dass sie den Männerbünden Frauennetzwerke entgegen setzt - und dass sie die Frauen nicht ganz vergisst.
Das Interview führte Flaminia Bussotti, ANSA, 11.9.05.

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