Alice Schwarzer in anderen Medien

"Niedrigkeit bündelt meinen Zorn"

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Erstmals stünden Frauen alle Tore offen, sagt Alice Schwarzer. Ist damit der Feminismus am Ziel? Mitnichten. Die EMMA-Gründerin hat längst neue Gefahren ausgemacht: Magersucht, neuer Mütterkitsch und gekränkte männliche Amokläufer.

Frau Schwarzer, was machen Sie eigentlich, wenn Sie sich nicht mit der Sache der Frau beschäftigen?
Mich interessiert alles außer Sport. Diesen Luxus leiste ich mir. Dann gibt es Domänen, in denen ich bedauerlicherweise nicht ausreichend gebildet bin, Naturwissenschaften zum Beispiel. Sonst bin ich in Bewegung. Mich interessiert, was aufkommt.

Was war das letzte Buch, das Sie beeindruckt hat?
'Narben der Gewalt' von der amerikanischen Psychiaterin Judith Herman. Sie untersuchte die Folgen der privaten Gewalt mit dem Instrumentarium, das durch die Analysen der Traumata von Kriegsveteranen und KZ-Überlebenden erarbeitet wurde. Und siehe da: Prostituierte haben ähnliche Traumata wie Vietnam-Veteranen. Das Thema ist düster, aber die Brillanz der Argumentation mitreißend.

Haben Sie den Bestseller 'The Female Brain' gelesen? Darin wird festgehalten, dass Frauen anders denken als Männer. Das Buch liest sich wie eine Widerlegung der meisten Ihrer Thesen.
Na, da hat die Weltwoche ja jüngst auch drei Folgen zu gebracht: zum eternellen kleinen Unterschied. Und am Schluss haben Sie einen Züricher Neurologen befragt – und der hat Ihnen alles vom Tisch gewischt. Gene, Hormone, Hirnhälften – das alles sind einzelne Elemente eines großen Bündels von Faktoren, die uns prägen. Aber kein einzelner dieser Faktoren determiniert den Menschen. Alles ist im Fluss. Wissen Sie, für mich ist diese ganze neu aufflammende Biologismus-Debatte einfach die westliche Variante des islamischen Fundamentalismus. In beiden Fällen geht es um Angst vor Freiheit und Verantwortung – und die Flucht in ewige, unverrückbare Gewissheiten. Und nicht zufällig geht es auch beide Male um die Gewissheit, dass Männer Männer bleiben – und Frauen Frauen.

Stören Sie Etiketten wie 'Feministin' und 'Emanze'?
Ich habe noch nie ein Abzeichen getragen. Mir ist jede Etikettierung fremd. Selbst in den Hoch-Zeiten des Feminismus habe ich keine Frauenzeichen getragen…

Weil Sie selber eins waren.
Unsinn. Ich war auch in meinen eigenen Kreisen immer die Dissidentin, die Unangepasste. Ich habe auch in den Augen meiner Kreise oft das Falsche getan, manchmal vorsätzlich. Aus Übermut. Als alle Frauen in Parka und Jeans herumliefen, kam ich mit Kleidern. Der Feminismus ist eine große Denktradition mit Strömungen, mit denen ich wenig zu tun habe. Meine Grundprämisse lautet: Das Verhältnis der Geschlechter ist ein Machtverhältnis. Und es ist wünschenswert, dass alle Menschen Menschen sind, unter anderem auch Männer oder Frauen, Deutsche oder Schweizer. Und dass Frauen und Männer gleiche Rechte und Chancen haben. Das lasse ich mir nicht peinlich reden.

Welche Ihrer Eigenschaften werden verkannt?
Man hat die Differenziertheit meiner Argumentation oft auf stumpfsinnige Thesen reduziert. Alle Frauen seien Opfer, alle Männer Täter. Das ist dummes Zeug. Diese Einengung kränkt mich bis heute.

Hat man Sie bestraft dafür, dass Sie aus dem Mainstream ausgebrochen sind?
Ganz klar. Man wollte mich einschüchtern, vielleicht auch ins juste milieu zurückholen. Als ich von Frankreich nach Deutschland kam, wurde ich als unbeschriebenes Blatt noch nach meinen Meinungen gefragt, zur französischen Innenpolitik, zum Gaullismus, zu den Arbeitskämpfen. Das hörte schlagartig auf, als ich mich für die Sache der Frauen zu engagieren begann. Plötzlich hieß es, selbst von einst Kolleginnen: Mein Gott, Alice, du warst so eine brillante Journalistin, aber jetzt machst du nur noch dieses Frauenzeugs.

Wurden Sie jemals wankelmütig?
Nein, die Versuchung hat es nie gegeben. Ich kann nicht hinter einmal Erkanntes zurückfallen. Und wenn man mir niedrig begegnet, macht mir das keine Angst. Das Leben hat mir eine wunderbare Fähigkeit mitgegeben: Niedrigkeit empört mich. Niedrigkeit bündelt meinen Zorn. Dann schlage ich zurück.

Sie wirken gelöst. Waren Sie früher aggressiver?
Heute bin ich etwas subversiver, schlauer. Ich arbeite stärker mit Ironie und Humor, was mir entgegenkommt.

Sie haben für die Frauen einen Befreiungskampf ausgetragen. Was ist das Wichtigste, um solche Kämpfe zu gewinnen?
Ich habe schon in meiner frühen Kindheit in meiner vielfach marginalisierten Familie – als Antinazis, als deklassierte Bürgerliche, als städtisch-rheinische Evakuierte im fränkischen Dorf – lernen müssen, die Navette vom Rand zur Mitte zu machen. Ich war immer die Vermittlerin. Wir waren Rheinländer und Kulturprotestanten, ich ging in dem fränkischen Dorf in die katholische Kirche, habe Blümchen gepflückt und war die Erste in der Prozessionsreihe. Ich musste verhindern, dass wir ganz abdriften. Ich halte es also sehr gut aus, danebenzustehen, ohne eine Außenstehende zu sein. Ich habe aber nicht um jeden Preis das Bedürfnis dazuzugehören. Mein Maßstab sind die Menschen, die ich schätze. In meinem Umfeld fordere ich Kritik heraus: Kritik, die mich an meinen eigenen Möglichkeiten und Maßstäben misst.

Heute stimmen Ihnen doch alle zu. Es traut sich fast niemand mehr, Sie zu kritisieren.
Tatsächlich? Und wenn, es stört mich nicht, recht zu haben.

Sie haben Ihre Karriere aus dem Nichts aufgebaut. Beneiden Sie Leute, die aus besseren Startpositionen heraus ihr Leben gestalten konnten?
Beneiden? Warum sollte ich? Eine Karriere scheint mir keinesfalls erstrebenswert um ihrer selbst willen. Ich bin Schritt für Schritt vorangegangen, weil mich die Art der Tätigkeit und die Inhalte interessierten. Ich habe lediglich darauf geachtet, finanziell unabhängig zu bleiben. Und meine persönlichen Wünsche richten sich praktischerweise immer nach meinen jeweiligen Möglichkeiten. So bleibe ich unkorrumpierbar. In den Kategorien der Konkurrenz oder des Erfolgs, die heute viel präsenter sind, habe ich nie gedacht. Natürlich, wenn ich Leute treffe, die aus alten Familien kommen mit altem Geld, mit altem Adel, sehe ich, wie reibungslos alles laufen könnte. Aber da gibt’s nichts, was meinen Neid beflügeln würde.

Warum waren Sie erfolgreich?
Ich glaube, weil ich mein Leben lang sehr sachorientiert war. Und das mit Leidenschaft. Und gleichzeitig versuche ich immer, meine Arbeit maximal gut zu machen. Ich schreibe eine Bildzeile in EMMA mit derselben Intensität wie ein Editorial oder ein Buch.

Wie war Deutschland, als Sie Mitte der siebziger Jahre zurückkamen?
Das war ein Kulturschock für mich. Am unerträglichsten war das Schwarzweißdenken. Vor allem in Berlin herrschte eine hochneurotische Stimmung. Es gab nur links oder rechts, richtig oder falsch, Parole. Man musste sich in einem bestimmten Vokabular ausdrücken, sonst gehörte man nicht dazu. Das hat manchen Widerstand geweckt.

Die legendäre, jahrhundertealte deutsche Stammesgesellschaft?
Ja, alles in Schubladen. Vom Paris der sechziger und frühen siebziger Jahre war ich gewohnt, dass sich Leute aus diversen Ländern, Milieus und Generationen mischen. Bei Treffen des MLF, Mouvement de libération des femmes, mussten Sie bisweilen auf einen Stuhl steigen, um die anderen zu übertönen. Das kam mir natürlich entgegen. In einem deutschen Frauenzentrum streckten die Frauen zwei Hände hoch, um 'Meldungen zur Geschäftsordnung' zu machen. Ich musste meinen Hang zur Anarchie schwer eindämmen. In deutschen Frauenzentren wurde viel gestrickt. Es waren eben doch auch die Töchter der BDM-Führerinnen. Man war umstellt, bis in die beliebigen neunziger Jahre, mit Denkverboten. Endlich sortiert sich das jetzt neu.

Und die Männer?
Die reagierten erstmals ganz hart – entsprechend mussten wir Feministinnen dagegenhalten. Mein erster Auftritt im Fernsehen war eine Guerilla-Aktion. Das muss 1972 gewesen sein. Da wurde über Abtreibung diskutiert, Bischöfe, Politiker und so weiter, ein Altherrenverein. Und ich kaperte zusammen mit einer Freundin in der Live-Sendung das Mikrofon und sagte: 'Wissen Sie, das reicht mir jetzt!' Aber so etwas war nicht strategisch geplant. Das hat einfach großen Spaß gemacht.

Der feministische Befreiungskampf als dadaistische Selbsterfahrungsparty.
Ja, auch das. Spaß muss es schon machen, zur Märtyrerin bin ich nicht geboren. Aber es ging auch oft hart her in den Siebzigern. Auf meinen ersten Lesereisen zum 'Kleinen Unterschied' bin ich für die Ewigkeit gestählt worden. Je mehr Spannung in der Luft lag, je größer der Widerstand, desto mehr Spaß hat es mir gemacht.

Was war der größte Rückschlag?
Was mir sehr zu schaffen gemacht hat, waren Angriffe von innen, aus der Frauenbewegung. Ein Beispiel: 1980 wurde in der Frankfurter Rundschau ein offener Brief von 32 Frauen veröffentlicht: Frauen, die angeblich bei EMMA gearbeitet hatten, machten mir Vorwürfe. Motto: Schwarzer verrät ihre eigenen feministischen Ideale. Der Witz daran war: Ich kannte nur 5 von 32 persönlich. Aber der Makel blieb. Diffamation funktioniert ja immer nach dem Motto: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Erst viel später habe ich begriffen, dass die ja sehr SPD-nahe Frankfurter Rundschau diesen Brief wohl veröffentlicht hatte, weil ich im Frühling 1980 einen EMMA-Sonderband mit der ketzerischen Frage 'Wahlboykott?' publiziert hatte. Schon damals ging es darum, die SPD, die dank der Wahl der 'neuen Frauen' 1972 an die Macht gekommen war, unter Druck zu setzen.

Wie haben Sie reagiert?
Ich wollte mich nicht in Auseinandersetzungen erschöpfen. Ich konzentrierte mich aufs Weitermachen. Aber ich war schon sehr verletzt – aber ohne öffentliche Tränen. Frauen haben genug geweint. Ich glaube, von hundert Prozent meiner Kraft sind nicht einmal fünf Prozent auf Streitereien gegangen. Ich hänge nicht am Negativen. Ich bin eher chronisch optimistisch.

Hatten Sie männliche Vorbilder?
Natürlich ist Heinrich Heine ein Vorbild! Aber es gibt auch reichlich weibliche Vorbilder. Denken Sie nur an Simone de Beauvoir.

Hat die Frauenbewegung die Männer verändert?
Es brauchte ja nicht die Frauenbewegung, um die Männer etwas menschlicher werden zu lassen. Mein Großvater, der ein sehr liebenswerter Mann war, hätte doch als junger Mann nie einen Kinderwagen angefasst – mich, seine Enkelin, aber hat er gewickelt und gefüttert. In den Vierzigern. In den letzten dreißig Jahren nun hat eine wahre Kulturrevolution stattgefunden. Frauen und Männer haben sich verändert. Alle Untersuchungen, auch die von EMMA in Auftrag gegebene aktuelle Allensbach-Befragung, zeigen: Zwei Drittel der Männer sind auf unserer Seite, finden die Emanzipation gut. Nur ein Drittel bleibt hart dagegen.

Die Männer sind weiblicher und damit für Frauen unattraktiver geworden.
Ach was? Weil sie mal Ohrringe oder Kajal tragen? Nein, im Ernst, natürlich sind Zeiten der Veränderung Zeiten der Verunsicherung. Aber wir schaffen das schon. Es gibt eine viel problematischere Verunsicherung im Weltmaßstab: den verunsicherten Mann im Islam, den gekränkten jungen Amokläufer. Hier ist die von Ihnen belächelte Verweiblichung nicht eingetreten. Leider.

Sind die Frauen heute glücklicher als früher?
Das Wort 'Glück' ist eine schwammige Ware. Wie will man Glück definieren? Glück ist subjektiv und relativ. Es gibt heute sicher auch Probleme zwischen Frauen und Männern. Aber ich kenne noch die Probleme von früher. Die Abhängigkeit, die Minderwertigkeitsgefühle, die Entwertung, die Perspektivlosigkeit. Die Möglichkeiten einer 18-Jährigen heute haben sich aus einem Fortschritt mit Siebenmeilenstiefeln ergeben. Die neuen Probleme spielen sich auf einem hohen Level ab. Wir haben eine Frauengeneration, die die erste Frauengeneration ist, der alle Tore offenstehen, sogar in der Schweiz. Nun befallen die Fröste der Freiheit diese Frauen und bringen neue Probleme wie die Hungersucht in Ländern des Überflusses mit sich.

Warum?
Frauen sollen sich dünnemachen. Sehen Sie sich doch diese Geschöpfe auf den Laufstegen an: Das sind keine Frauen, das sind unterernährte Kinder, die jeder Mann umpusten kann. Politisch gesehen sind die Essstörungen ein Teil des Backlash – auch wenn sie psychologisch gesehen oft komplexe Gründe haben. Die befreiten Frauen von heute sind die Töchter und Enkelinnen ihrer unfreien Mütter und Großmütter.

Sie reden von Backlash. Haben wir es nicht mit einer Abkehr von allzu extremen Postulaten des Feminismus zu tun, der Männer in Frauen und Frauen in Männer verwandeln wollte?
Frauen und Männer werden Menschen. Sie holen sich die geraubte Hälfte zurück: 'weibliche' Eigenschaften auch für Männer und 'männliche' auch für Frauen. Wo ist das Problem? Und rein erotisch gesehen gibt es eh nichts Öderes als klassische Männer.

Vielleicht wollten Frauen einfach nicht arbeiten gehen und haben den Mann vorgeschoben.
Vielleicht sind Frauen in der Tat manchmal in die Ehe geflüchtet: Eine junge Frau, die Probleme im Beruf hat, stiehlt sich in die Mutterrolle davon, und die Umwelt lächelt milde. Die junge Frau genießt das erste Jahr, aber schon im zweiten Jahr fällt ihr die Decke auf den Kopf. Sie verliert schrittweise die Bezüge zu ihrem früheren Leben und ihr Selbstwertgefühl. Ich bin nicht gegen Familien und finde wirklich, dass Frauen und Männer, die wollen, Kinder haben sollen unter Bedingungen, die sie nicht versklaven. Väter und Mütter sind dafür zuständig, der Staat, die Wirtschaft, die Gesellschaft sollen Strukturen schaffen. Ich sehe aber mit Unruhe die neue Glorifizierung der Mutterrolle, aus der die Frauen, wenn sie einmal drin sind, nicht mehr herauskommen. Ich halte diesen neuen Mütterkitsch für einen Teil des Backlash.

Was denkt die Pornografiekritikerin Schwarzer über die Freizügigkeit unter Teenager-Mädchen?
Wenn Sie an einer Kölner Straßenecke ein Mädchen sehen, wissen Sie manchmal nicht, ob es sich um eine Prostituierte handelt oder ob eine auf ihren Freund wartet. Die sehen identisch aus.

Was ist der Grund?
Die Frauen können heute alles, was Männer können. Und in dem Augenblick wird ihr gesagt: Sei weiblich und begehrenswert. Doch was ist begehrenswert? Die heutige Männergeneration ist leidgeprägt durch eine pornografisierte Kultur. Die verbindet erotische Lust mit der Lust an Erniedrigung und Gewalt.

Auf Pausenplätzen werden Pornovideos auf dem Handy getauscht. Verstärken diese Bilder eine Verrohung der Sexualität?
Eindeutig. Wir wissen aus ungezählten Prozessen, dass Jungs das regelrecht nachstellen. Das sexuelle Begehren ist ja nicht Natur, es ist Kultur.

Warum bedienen die Mädchen freiwillig diese Fantasien?
Was heißt freiwillig? Für Frauen ist es noch immer Gebot Nummer eins, begehrenswert zu sein. Was also tun? Der Weg von Madonna ist eine Gratwanderung. Wenn man schon so provoziert, dann sollte man mindestens Madonnas Mundwerk haben – oder Madonnas Bankkonto. Aber die kleinen Mädchen, die solchen Vorbildern nacheifern, haben weder die Power noch die Millionen. Die sind dann nur noch Objekt.

Sie haben die Frau aus dem Unterdrückungszusammenhang der Väter und der Familien befreit. Finden Sie nicht, dass man die jungen Mädchen etwas stärker in den Unterdrückungszusammenhang der Familie rückintegrieren müsste?
Unterdrückung ist immer schlecht. Ich setze auf Aufklärung und Selbstverantwortung. Ich meine aber auch, die Eltern müssen klarer Haltung beziehen.

Die Kinder gehen immer früher miteinander ins Bett. Ein Problem?
Ich finde ja. Sexualität hat etwas mit Reife zu tun. Wir haben in EMMA große Debatten darüber geführt. Ich könnte meine Tochter nicht zwingen, aber ich würde mein Haus einer Minderjährigen nicht für die Nacht mit einem Mann zur Verfügung stellen. Ich wäre allerdings jederzeit für sie da, wenn es dennoch passiert wäre.

Gesetzt, die minderjährige Tochter hat eine sexuelle Beziehung: Würden Sie ihr die Pille kaufen?
Wenn ich weiß, sie hat eine sexuelle Beziehung? Ja. Aber ich würde meinem 15-jährigen Sohn keine Kondome kaufen, wie eine Freundin es tut. Ich finde es bedauerlich, dass sich so viele Eltern so opportunistisch den Jugendmoden anpassen.

Wie erklären Sie sich die zunehmende sexuelle Gewalt unter Jugendlichen?
Das ist eine Folge der Pornografisierung und Brutalisierung der Medien.

Oder eine Folge der Migrationen?
Gewalt in Familien bedeutet oft: Gewalt von Vätern gegen Kinder und Frauen. Mit dem Resultat, dass die Töchter sich mit den Opfern identifizieren – und die Söhne mit den Tätern. Natürlich ist die Gewalt in Familien grösser, wo die Verachtung von Frauen und die Allmacht von Männern ein Teil der Kultur ist. Oder die aus ehemaligen Militärdiktaturen und Bürgerkriegsgebieten kommen, wo Männer getötet haben und gefoltert wurden – und Frauen vergewaltigt. Das sind Gesellschaften, die noch nichts von der Kulturrevolution der Frauenbewegung gehört haben.

Für viele Linke und Angehörige Ihrer Generation ist es schmerzhaft, den Tatsachen ins Auge zu blicken. Man will keine 'ausländerfeindlichen' Positionen vertreten. Sie haben da keine Berührungsängste.
Ich war nie eine klassische Achtundsechzigerin. Ich bin eine Feministin. Und für mich ist es der erste Schritt, die Fakten zu benennen. Nur so kommen wir an die Wurzeln des Übels.

Soll man türkische Familien, die Ehrenmorde dulden, aus dem Land ausweisen?
Nicht, wenn sie einen deutschen Pass haben. Dann ist es zu spät. Aber Deutschland bewegt sich endlich in die richtige Richtung. Man verlangt von den Zuwanderern heute ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz und Deutschkenntnisse.

Reicht das?
Nein. Man muss versuchen, ein Klima zu schaffen, in dem man das Gesetz der Gewalt diskreditiert. Das muss auch an den Schulen einfach uncool werden, statt mit Worten mit den Fäusten zu argumentieren.

Sie haben eine deutsche Kanzlerin. Angela Merkel ist seit einem guten Jahr im Amt und wurde zuletzt heftig kritisiert. Was ist Ihre Bilanz?
Mir gefällt ihre gelassene Sachorientiertheit. Sie hat einen neuen Stil geprägt. Sie regiert nicht mit Macht und Schrecken, sondern achtet darauf, dass niemand sein Gesicht verliert. Im Ausland hat sie bella figura gemacht. Aber die Zwänge für sie sind groß, der Spielraum ist gering. Angela Merkel ist festgezurrt in einer großen Koalition.

Jetzt sagen Sie sicher, Frauen werden in Spitzenpositionen härter angegriffen als Männer.
Ja, das sage ich. Gleichzeitig sage ich: Es ist eine deutsche Unart, erst hochzujubeln und dann niederzumachen. Die Deutschen haben einfach vor nicht allzu langer Zeit für den Falschen geschwärmt. Und in dieser Achterbahn der Gefühle sitzt auch die Kanzlerin. Aber gerade hat sie ja mal wieder Höchstwerte. Dennoch: Ein bisschen kühner könnte sie schon manchmal sein.

Teilen Sie die Einschätzung: Der Einfluss der Frau auf den Mann ist größer als der Einfluss des Mannes auf die Frau?
Solange die Frau es nötig hat, über den Mann zu wirken, ist es so. Wenn sie das nicht mehr nötig hat, dann stimmt auch der Satz nicht mehr. Ich finde die Existenz als Sklavin, die im Hintergrund die Strippen zieht, nicht besonders erstrebenswert.

Hat die Frauenbewegung die Frauen zu sehr verunsichert und verwirrt?
Natürlich hat eine Verunsicherung stattgefunden. Die ist aber heilsam.

Welche erotischen Bilder haben eigentlich Sie geprägt?
(Lacht) Da fallen mir spontan Elvis’ Hüften ein. Oder Marilyns Silhouette. Und natürlich Jimmys Grübchen.

Das Interview führte Roger Köppel, Weltwoche, 21.12.2006
Weltwoche, 21.12.2006

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