Alice Schwarzer in anderen Medien

In der Augsburger Allgemeinen

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Liebe Frau Schwarzer, die dringendste Frage zuerst: Wir haben uns immer vorgestellt, dass Sie in ihrer Freizeit französische Gedichte rezitieren, Bücher über den Existenzialismus lesen und den Fernseher höchstens einmal einschalten, um eine Doku auf Arte zu schauen. Und nun erfahren wir, dass Sie ein Fan der Serie „Bergdoktor“ sind - wie konnte das passieren?
Alice Schwarzer: (lacht) Das eine schließt das andere ja nicht aus, finde ich. Mir schien die so deutsche Teilung zwischen „hoher Kultur“ und „niedriger Unterhaltung“ schon immer falsch. Gute Unterhaltung gehört mit zum Schwersten, das weiß ich auch als Emma-Macherin. Und wenn dann auch noch der Feminismus darin angekommen ist, ist das doch schön. Denn beim Bergdoktor wollen die Männer ja Beruf und Familie vereinbaren und haben die Frauen auch schon mal einen jüngeren Liebhaber. Nur die Mutter, die ist zwar traditionell das arbeitsame Herz der Familie, hat aber so gar keine Rechte an dem Hof. Sie könnte noch einen Emanzipationsschub gebrauchen.

Sie sind nicht nur der Mensch Alice Schwarzer – sondern für viele Menschen ein Symbol. Als Männerschreck gelten sie manchen. Was macht das mit Ihnen?
Gar nichts. Weil es so absurd ist. Die Männer, die ich mag, mögen mich auch – und von Machos möchte ich gar nicht gemocht werden. Ich habe ein besonders gelassenes Verhältnis zu Männern. Schließlich war meine soziale Mutter ein Mann: mein fürsorglicher Großvater. Ich weiß also aus eigener Erfahrung, dass Männer auch Menschen sein können.

Jeder meint Sie zu kennen… Was wissen die wenigsten über Sie?
Nun, dass ich gerne lache, weiß man. Dass ich gerne tanze, habe ich in den vergangenen Wochen oft erzählt. Dass ich natürlich auch melancholische Seiten habe, kann man sich vielleicht denken.

Ohne Frauen geht heute nichts mehr, der Chauvinismus ist quasi geächtet - Ist der Feminismus „vollendet“?
Ja, wir sind mit Siebenmeilenstiefeln vorangekommen. Aber man erledigt 4000 Jahre Patriarchat nicht in 40 Jahren. Und wo Fortschritt ist, ist auch immer Rückschritt. Privilegierte geben ihre Vorteile nicht freiwillig auf. Die Rechte, die wir Frauen – und mit uns sympathisierende Männer – erkämpft haben, sind nicht garantiert, manche sind sogar gefährdet. Und neue Probleme sind aufgetaucht. Stichwort: Essstörungen, Schönheits-OPs oder die dank der neuen Medien allgegenwärtige Pornografie. Wobei ich unter Pornografie die Verknüpfung von sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt verstehe. Das degradiert nicht nur die Frauen, es beschädigt auch das Begehren der Männer, vor allem der jungen, beeinflussbaren.

Viele junge Frauen zögern, ob sie sich überhaupt „Feministin“ nennen wollen – ist das nicht paradox?
Das ist die logische Folge der systematischen Diffamierung des Feminismus: als männerfeindlich, frustriert und von gestern. Das will natürlich keine sein. Darum hören wir so oft den Satz: Ich bin emanzipiert, aber keine Alice Schwarzer… Schade eigentlich, diese Distanzierungen. Das machen Männer doch auch nicht.

Wie blicken Sie auf ihre „Nachfolgerinnen“ in der Frauenbewegung, auf #metoo, Margarete Stokowski und andere selbstbewusste Frauen, die für die Sache der Frauen streiten? Oftmals scheint es, als ob es da so etwas wie eine Kluft zwischen den Generationen gibt.
Die Differenzen mit manchen dieser in den Medien präsenten sogenannten jungen Feministinnen sind keine Generationenfrage, sie sind eine inhaltliche Frage. Ich bekomme viele Briefe von jungen Frauen, die auch Emma lesen. Doch jemand wie Stokowski zum Beispiel ist pro Pornografie und pro Prostitution, für sie ist das „ein Beruf wie jeder andere“. Doch der Meinung bin ich überhaupt nicht! Ich denke, dass Prostitution nicht nur die Frauen zerstört und die Männer verbiegt, sondern dass es wahre Gleichberechtigung nicht geben kann, solange Frauen als Ware gehandelt werden. Solange sind Frauen das „käufliche Geschlecht“ und Männer die – zumindest potenziellen – Käufer. Das finden die meisten Menschen in Deutschland auch. Eine von mir bei Allensbach in Auftrag gegebene und in Emma veröffentlichte Umfrage zeigt: drei von vier Befragten geht von Ausbeutung und Gewalt gegen die Frauen durch Zuhälter und Freier aus. Nur Berlin scheint das mit seinen von der Sexlobby diktierten Anything-goes-Gesetzen anders zu sehen.

Viele befürchten, dass Frauen zu den Verlierern der Corona-Krise werden. Sie kümmern sich um Homeoffice und Homeschooling… wie sehen Sie das?
Es ist ja unübersehbar, dass auch bei emanzipierten Eltern, wenn sie beide im Homeoffice sind, die meiste Arbeit mit Kindern und Haushalt wieder mal an den Frauen hängen bleibt. Ich hoffe, das ist ein Augenöffner für die Frauen. Und für die Männer auch.
Alice Schwarzer: "Ich kann meinen Gerechtigkeitssinn einfach nicht abschalten"

Sind Sie des Kämpfens jemals müde geworden?
Nein. Ich kann meinen Gerechtigkeitssinn einfach nicht abschalten.

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie auf ihren Weg geführt hat?
Nein. Ich bin in der Nachkriegszeit bei den Großeltern aufgewachsen, bei jungen Großeltern, die eine gewisse Rollenumkehrung hatten: Er war der Fürsorgliche, sie der politische Kopf der Familie. Sie war entschieden Anti-Nazi, hat ganz pragmatisch Opfern geholfen und konnte sich auch nach 1945 nicht mit Unrecht abfinden. Ich war die dritte im Bunde und wurde gelobt, wenn ich mutig oder klug war. Die beiden haben einfach versäumt, mich zum Mädchen zu drillen. Und als ich dann in die Welt ging, konnte ich mich nicht damit abfinden, dass eine Frau weniger wert sein soll als ein Mann.

Sie haben ein enges Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel, haben ihr ein eigenes Kapitel in Ihrem Buch gewidmet. Hätte sich die Kanzlerin mit all ihrer Macht und ihrer menschlichen Autorität stärker für den Feminismus einsetzen müssen?
Manchmal hätte ich mir schon gewünscht, dass die Kanzlerin die Sache der Frauen stärker flaggt. Aber sie hat dazu ja noch Gelegenheit bis zum Herbst 2021. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass Ursula von der Leyen ihre moderne Familienpolitik nur machen konnte, weil auch Merkel das wollte. Und vor allem: Egal, was Merkel tut, sie ist in diesen 15 Jahren einfach zum Rollenmodell für die Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt geworden.

Nun kämpfen drei Männer um den CDU-Vorsitz und auch das Kanzleramt...
Tja, ich fürchte, da wird Nostalgie aufkommen. Wer werden die bescheidene, sachorientierte, ja wurschtige Art der Kanzlerin vermissen - und uns wieder auf furchtbar wichtige Männer einstellen müssen. Aber so ganz kann hoffentlich nicht in Vergessenheit geraten, dass es eben auch anders geht.

Bereuen Sie manche Äußerung? Sie gehen etwa hart mit dem Islam ins Gericht.
Moment! Ich gehe mit dem Islam ins Gericht? Niemals! Ich habe ja sogar vor drei Jahren ein ganzes Buch über „Meine algerische Familie“ geschrieben. Zum Islam als Glauben habe ich mich noch nie geäußert. Ich gehe mit dem Islamismus, dieser Ideologie, die den Islam in Geiselhaft nimmt, ins Gericht. Und ich fürchte, mit wenig werde ich so recht in meinem Leben gehabt haben, wie mit meiner Warnung vor dem politischen Islam. Den bekämpfe ich, seit ich 1979, kurz nach der Machtergreifung von Khomeini, im Iran war und begriffen habe, was da abgeht: Abschaffung der Demokratie, des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung der Geschlechter – dafür Einführung des Gottesstaates und der Scharia. Seither hat der Islamismus seinen weltweiten Kreuzzug angetreten: über Afghanistan, Algerien und Syrien bis in das Herz der westlichen Metropolen. Das ist der Sumpf, aus dem der islamistische Terror kriecht, der nur die Spitze des Eisberges ist. Wenn wir den bekämpfen wollen, müssen wir seinen Ursprung, den politischen Islam bekämpfen – und der beginnt bei der Geschlechtertrennung im Kindergarten, beim Verbot des Schwimmunterrichts für Mädchen, bei Jungen, die Lehrerinnen nicht mehr die Hand geben wollen und Eltern, die verhindern, dass in der Schule die Darwinsche Evolutionstheorie unterrichtet wird.

Ist es nicht genauso übergriffig, Frauen das Kopftuch verbieten zu wollen?
Man muss zwischen der objektiven Bedeutung des Kopftuches und der subjektiven unterscheiden. Objektiv ist das Kopftuch wie gesagt seit 1979 die Flagge des Islamismus: Am 8. März 1979 hat Khomeini alle Frauen von der Straße, aus den Universitäten und Büros jagen lassen, die nicht „sittsam“ angezogen, das heißt nicht verschleiert waren. Denn bei den fundamentalistischen Muslimen gelten Haar und Körper der Frauen als „sündig“, nur der eigene Mann soll es sehen. Die Frauen sind also der Besitz ihres Mannes. Subjektiv haben Frauen in Ländern, wo sie das Kopftuch freiwillig tragen, die unterschiedlichsten Motive. Die sind zu respektieren, mit diesen Frauen kann man reden, ihnen aber keine Verbote erteilen. Verbieten möchte ich das Kopftuch nur in Schulen und im öffentlichen Dienst. Da haben solche rückständigen politischen Symbole nichts verloren. Meine Solidarität gilt allerdings in erster Linie den Millionen zwangsverschleierten Frauen in den islamischen Ländern. Wie der Anwältin Nasrin Sotoudeh, die in Teheran zu 38 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt wurde. Warum? Weil sie Frauen verteidigt hat, die gegen den Kopftuchzwang und für Frauenrechte protestiert haben.

Entdecken Sie Eigenschaften an sich, die Sie als „typisch Frau“ bezeichnen würden?
Und ob! Ich fühle mich immer für alles verantwortlich. Und ich bin sehr fürsorglich. Diese Eigenschaften will ich auch nicht verlieren – aber ich habe in meinem Leben schon darauf achten müssen, dass es nicht ausgebeutet wird. Ich lebe sozusagen ein Frauen- und ein Männerleben zugleich. Ich koche und kämpfe. Das macht Spaß. Kann aber auch schon mal ein bisschen viel sein.

Sie sind 77 Jahre, legen mit ihrem Buch ein „Lebenswerk“ vor - das klingt fast nach Abschied.
(lacht) Nein. Ich bin ja keine Beamtin. Ich bin eine freie Autorin, Blattmacherin und Verlegerin - alles Tätigkeiten, die Spaß machen können. Und solange das so ist, mache ich es auch. Das „Lebenswerk“ ist eher eine Zwischenbilanz: 50 Jahre feministisches Engagement. Meine Generation wird darin unsere durchaus stolze Bilanz der letzten Jahrzehnte finden. Und die Jungen können entdecken, was alles schon erreicht wurde und weitermachen, statt wieder bei Null anzufangen - sich auf unsere Schultern stellen um Weiterzusehen.

Das Interview für die Augsburger Allgemeine führte Margit Hufnagel

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