Corine Buchpreis 2006: Laudatio für
Nachfolgend der Wortlaut der Laudatio von Alice Schwarzer auf Necla Kelek - und ihr Dank zur Preisverleihung.
Liebe Necla Kelek,
sehr geehrte Damen und Herren!
Wir verleihen heute einen Preis für ein Buch - der auch ein Preis für ein Leben ist. Denn Necla Kelek ist eine jener Pionierinnen, die es gewagt haben auszubrechen aus den muslimischen Parallelwelten mitten unter uns. Wir Älteren erinnern uns, wie es auch in Deutschland noch vor 30 Jahren war. Vor der Frauenbewegung. Und wir sind gar nicht so überrascht über das, was sich da nebenan hinter verschlossenen Türen tut.
Auch wir Nicht-Musliminnen wissen ein Lied zu singen von Bevormundung und Gewalt. Zur Erinnerung: Noch bis 1976 konnte ein Ehemann in Deutschland die Stelle seiner Frau gegen deren Willen kündigen. Begründung: Sie macht ihren Haushalt nicht ordentlich. Noch bis 1996 war Vergewaltigung in der Ehe kein Verbrechen, sondern ein Kavaliersdelikt. Und was im muslimischen Kulturkreis bis heute als "Ehrenmord" gepriesen wird, heißt im christlichen noch immer verschleiernd "Familiendrama".
Doch - und das ist der Unterschied! - statt das Grauen auch noch im Namen Gottes zu predigen, haben Aufklärung und Feminismus es ins Unrecht gesetzt. In dieser Denktradition der von der Mündigkeit und Gleichheit der Menschen steht auch Necla Kelek. Ganz wie Ayaan Hirsi Ali, an derer statt Theo van Gogh ermordet wurde.
Auch Necla Kelek beugt sich keinen Denkverboten. Weder dem Gesetz der muslimischen Umma, noch dem Diskurs der westlichen Kulturrelativisten. Necla Kelek hat das Gesetz des Schweigens gebrochen und ist so zur öffentlichen Stimme für Millionen geworden.
Der Preis dafür ist hoch. Frauen wie sie riskieren: den Verlust der Liebe ihrer Familie, die Ächtung durch die eigene Community, die Heimatlosigkeit zwischen allen Fronten. Und die Einschüchterung - bis hin zur Vernichtung. Doch Necla Kelek weiß, dass Widerstand sich lohnt. Mit zehn zog das Mädchen mit seiner Familie von Istanbul nach Hannover. Sie war 14, als ihr Vater die verschlossene Tür ihres Zimmers mit dem Beil zertrümmerte. Die Tochter bot ihm die Stirn - Und er ging zurück in die Türkei. Mutter, Tochter und der jüngere Bruder blieben in Deutschland.
Es ist kein Zufall, dass die Soziologin Kelek nach ihrem ersten Buch über die verkauften Bräute jetzt ein Buch über das Gesetz der Väter geschrieben hat und über die verlorenen Söhne. Denn auch Männer sind Opfer im Patriarchat. Opfer und Täter zugleich.
In diesem Buch, das wir heute auszeichnen, analysiert sie den Stoff ihres Lebens. Und sie berichtet über muslimische Männer, auch solche, die sie im Gefängnis besucht hat. Männer, die ihre Frauen oder Töchter ermordet haben. Um der Ehre willen.
Keleks Blick ist unvoreingenommen, sachkundig und mitfühlend. Sie kommt zu dem Schluss, dass es sich hier nicht um Auswüchse handelt, sondern um die unvermeidlichen Folgen eines Systems. Das System Islam. Der Islam muss sich säkularisieren! fordert sie. Der Islam muss bereit sein, die Menschen zu entlassen, aus Angst und Abhängigkeit in Selbstverantwortung und Freiheit. Kurzum: Der Islam muss lernen, kritikfähig zu sein statt beleidigt.
Laudatio von Alice Schwarzer zur Corine-Preisverleihung an Necla Kelek, 24. September 2006.