Corine Buchpreis 2006: Dankesrede von
Nachfolgend der Wortlaut Dankesrede von Necla Kelek - und die Laudatio von Alice Schwarzer.
Liebe Alice Schwarzer,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
als ich dreizehn Jahre alt war, fand ich nicht nur meine Eltern und die Schule, sondern auch Deutschland schrecklich. Ich vermisste die Sonne, den Bosporus und meinen Kater in Istanbul. Es gab keine Hoffnung für das kleine Mädchen, das nicht zum Schwimmen, nicht Fahrrad fahren und nicht auf das Klassenfest durfte. Ich legte mich ins Bett und stand nicht wieder auf. Weil mir irgendwann der Schneewittchenschlaf langweilig wurde, schrieb ich das Tagebuch meiner Fantasien. Dort fand ich jetzt Eintragungen wie: „17.25 Uhr Heiratsantrag. 17.35 Uhr abgelehnt.“
Ich las, was mir in die Finger kam. Irgendwann war es „Vom Winde verweht“ von Margaret Mitchell. Dieses Buch veränderte mein Leben. Scarlett war eine Frau, die illusionslos durchs Leben ging. Ich wurde Scarlett O'Hara. Ich verließ unser abbruchreifes Haus und zog nach Tara in die Südstaatenvilla und schwor mir: „Ich will nie mehr hungern!“ - was für mich hieß: ich werde mir nichts mehr gefallen lassen!
Bücher sind für mich seitdem das Symbol für die Freiheit, denken zu dürfen. Aus dem Denken entsteht die Vernunft und die Vernunft machte den Glauben zu einer positiven Kraft. Mein Forschungsthema ist der Islam und was er für die Menschen bedeutet und mit ihnen macht.
Wenn heute islamische Kreise jeden Anlass nutzen, um das Nachdenken über die Geschichte und ihre Lehren abzustrafen und stattdessen das Beleidigtsein zu einer Tugend erheben, dann werden sie damit scheitern. Auch diese Religion braucht die Aufklärung, wenn sie das Mittelalter hinter sich lassen will.
So sehr ich manchmal bei den Deutschen vermisse, dass sie selbstbewusst zu ihren Werten und Erfolgen stehen, so sehr bin ich davon begeistert, wie der kritische Diskurs das Leben in diesem Land bestimmt:
Und sperrt man mich ein in finstere Kerker,
das alles, das sind rein vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei, die Gedanken sind frei!
Dieses deutsche Volkslied aus dem Jahr 1780 habe ich als Studentin gesungen. Das war für mich die Revolution. Und angeführt wurde für mich diese Revolution auch von Alice Schwarzer und ihrer Zeitschrift EMMA, die jetzt 30 Jahre alt wird. Ich lernte, dass Frauen für sich sprechen können, und Alice war später eine der ersten, die auf die Gefahr des Islamismus aufmerksam machte. Dafür danke ich ihr von ganzem Herzen.
Wenn ich heute mit meinen Büchern ein Stück dieser Freiheit und von diesem Mut weitergeben kann, macht mich das stolz. Wenn junge Menschen mir schreiben, sie hätten sich nach der Lektüre meiner Bücher entschlossen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, ist das Lohn und Ansporn.
Ich danke Scarlett, ich danke Alice. Ich danke allen Männern und Frauen, die mich unterstützen. Ich danke allen für die Corine und bitte Sie: verschenken Sie keinen Zentimeter unserer Freiheit!
Dankesrede von Necla Kelek zum Corine Buchpreis, 24.9.2006.