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Alice Schwarzer: Die Antwort

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Wer im September 1975 noch Kind war, nicht einmal sprechen konnte, als der Bestseller "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" Furore machte, dann weder lesen noch schreiben konnte, als EMMA auf den Markt kam oder das Magazin Stern wegen sexistischer Titelbilder verklagt wurde - wer also die wilden ersten Jahre verpasst hat, die Prozesse, Beschimpfungen und Erregungen, der kennt sie ja vielleicht daher: aus Joachim Fuchsbergers Fernsehsendung "Ja oder nein". Berufe ratend. Im Team mit Sepp Maier. Gut gelaunt. Lachend. Fünfmarkstücke in ein Keramikschwein schmeißend.

Jetzt sitzt sie in Köln vor einem: Alice Schwarzer. Die berühmteste deutsche Feministin. Bestsellerautorin, Journalistin, Medienphänomen. Meine Kinder-Fernsehstimme. Von heute an werden wir ihr neues Buch 'Die Antwort' exklusiv vorabdrucken. Die Antwort: Das sind zwölf Kapitel zu zwölf Fragen, die plötzlich wieder im Raum stehen. Seit einem Jahr erscheint fast jeden Monat ein neues Buch, in dem es um Familienpolitik geht, um Krippenplätze, Rollenverhalten, Berufsbilder, Väter, Mütter, Magersucht oder die Stellung von Frauen im Islam.

Feminismus war lange ein Unwort

Die Fäden dieser Themen führen untergründig zu einem Begriff, der schon als ausrangiert galt: Feminismus. Und auffallend stumm war in den letzten Monaten Alice Schwarzer. Das Ergebnis ihres beredten Schweigens liegt jetzt als Buch vor, das wir in den nächsten Wochen auf diesen Seiten vollständig vorstellen werden. Es ist zu den heutigen Themen Lagebericht, Analyse und Argument zugleich. Wo stehen wir? "Feminismus war so lange ein Unwort", sagt Schwarzer, "und das ist ja kein Zufall."

Eine schmale Stiege führt in Köln in den zweiten Stock des Bayenturms, ein Wehrturm aus dem zwölften Jahrhundert, mit dicken Mauern und der feuchtkühlen Luft alter Bauten. Der englische Landschaftsmaler William Turner zeichnete den romantischen Trutzzylinder am Rhein auf seinen Deutschland-Reisen; seit 1994 befindet sich darin die EMMA-Redaktion, zusammen mit dem Archiv und Dokumentationszentrum FrauenMediaTurm.

Von Alice Schwarzers Schreibtisch blickt man auf den Rhein, die Aussicht ist ein wenig schmaler geworden, seitdem mallorcahaft weiße Apartementhäuser ans Flussufer gebaut wurden. Riesige Sonnenterrassen mit Liegestuhlreihen. Im Innern des Bayenturms sind im Treppenhaus hinter den schießschartengroßen Fenstern Leseecken eingerichtet. Die neue EMMA liegt aus. Um den Kleidungsstil von Politikerinnen geht die Titelgeschichte: Ségolène Royals Schuhe, Angela Merkels Anzüge, die Kostüme von Condoleezza Rice.

Alice Schwarzer trägt ein schwarzes Wickelkleid mit blauem Muster, schlicht, elegant, dazu flache Schuhe. Ihr Büro ist in Bücherregale eingefasst, an der Wand hängen Fotos von Freunden, das größte Bild: die französische Philosophin Simone de Beauvoir.

Das muss man einfach benennen

Bei unserem Treffen spricht Schwarzer schnell, präzise, ein Ton, der auch ihr Buch kennzeichnet. Es sind kurze, oft lakonische Sätze, die den Fluss von mündlicher Sprache haben, unterbrochen von eigenwilligen Wendungen, die zärtlich sein können - oder auch ruppig.

"Männliche Menschen" wird sie etwa im Gespräch sagen, und es klingt nach einer besonderen, aber sympathischen Personengruppe; als "Nuttenmode" beschreibt sie im Buch die textilarme Mode der achtziger und neunziger Jahre, die Fetischisierung von Unterwäsche, hohen Absätzen und anderen Kleidungsstücken. "Nuttenmode" zieht in einem harten Wort die im Buch formulierte These zusammen: dass die Pornographiebranche nicht nur mehr Geld umsetzt als Hollywood, sondern auch die Gesellschaft unterwandert.

Provoziert gefühlt haben sich von Alice Schwarzer ganz unterschiedliche politische Lager. Einordnen lässt sie sich bis heute nicht. Der vielleicht erstaunlichste Satz im Gespräch fällt, als es auf junge muslimische Frauen kommt. "Es gibt vieles, was wir gemeinsam haben", sagt Alice Schwarzer und führt aus: "Sie finden natürlich interessant, dass jemand wie ich gegen Pornographie ist, dass ich von der Würde der Frauen spreche."

An eine islamistische Frauenbewegung unter dem Kopftuch glaubt sie allerdings nicht: "Leider muss ich sagen, was ich sehe: Die Kernidee des Islamismus ist ein wertender Unterschied zwischen den Geschlechtern. Und ist ein Ausschluss von Frauen aus vielen Bereichen, die Männern offenstehen. Das muss man einfach benennen."

Gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten

Vorgeworfen wurde Alice Schwarzer seit ihrem Aufstieg zur Vorzeigefeministin, sich zur Alleinrepräsentantin der Frauenbewegung gemacht zu haben. Zum Großteil dürfte das allerdings an ihrem Einzelgängertum liegen, einem Beharren darauf, sich weder falsche Freunde noch Feinde aufdrücken zu lassen. Mit der Ansicht etwa, Feminismus habe kein Parteibuch, stand sie lange allein. Jetzt ist eine Frau Kanzlerin, und eine konservative Familienministerin fordert den Ausbau von Krippenplätzen. "Kein Bundesland hat so wenig Krippenplätze wie das neununddreißig Jahre lang SPD-regierte Nordrhein-Westfalen!", schreibt Schwarzer in "Die Antwort" im Kapitel zur deutschen Familienpolitik. Geglaubt hat man es selber vorher nicht. Schwarzer hat recht behalten.

"Wir brauchen keinen neuen Feminismus", urteilt sie mit Blick auf die Gegenwart: "Was wir brauchen, ist ein neuer Elan für den bestehenden Feminismus. Und Frauen, die öffentlich sagen: Ich bin stolz, eine Feministin zu sein." Die Definition ist klar: gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten.

Es gibt einen berühmten Essay der amerikanischen Schriftstellerin Ruth Klüger - sie überlebte in Deutschland den Holocaust und emigrierte 1947 in die Vereinigten Staaten. In dem Essay 'Frauen lesen anders' erzählt Klüger von einem Museumsbesuch, wo sie das Bild "Der Raub der Sabinerinnen" betrachtet. Und bei jeder Führung wie auch in den Katalogen, schreibt Klüger, heiße es dazu, man möge die Komposition bewundern, den Farbkonstrast würdigen. Zu sehen sei allerdings ein Gewaltakt, von muskulösen Männern an halbnackten Frauen verübt, unwilligen Menschen, die von Stärkeren verschleppt werden. "Ich höre zu, ich schaue hin, und ich frage mich betreten: Warum sagt niemand etwas zum Inhalt?" So Klüger.

Die Suche nach Männlichkeit

Und genau das tat immer Alice Schwarzer: Etwas zum Inhalt sagen. Bis zur Schmerzgrenze geht ihr Realismus, wenn sie Tabuthemen wie Pornographie, sexuelle Gewalt oder Prostitution aufgreift. Es ist dabei der journalistische Kern der Arbeiten, der bis heute ihre Stärke ausmacht.

Im Jahr 1975 war sie eine der Ersten, die mit "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" auf häusliche Gewalt und sexuelle Demütigung von Frauen aufmerksam machte. Inzwischen hat das Buch mehr als fünfundzwanzig Auflagen erlebt, es wurde in zehn Sprachen übersetzt; es findet Leserinnen von Frankreich bis China.

Auch "Die Antwort" wird Diskussionsstoff liefern. Über Männer- und Frauenrolle heute. Als 1949 Simone de Beauvoirs Klassiker "Das andere Geschlecht" erschien, ließ sich Albert Camus zu der Bemerkung hinreißen: "Sie haben den französischen Mann lächerlich gemacht!"

In der gegenwärtigen Suche nach Männlichkeit sieht auch Schwarzer eine direkte Reaktion auf die Emanzipation. Und darin aber eine Chance: "Ich glaube auch, dass es für die männlichen Menschen eine gute Sache ist, nicht mehr in diesem Rollenzwang zu sein, nicht so männlich sein zu müssen, wie sie es oft ja auch gar nicht können oder wollen."

Alice Schwarzers Buch ist auch ein Zeitdokument der letzten dreißig Jahre, auf Geschichte kommt sie immer wieder zu sprechen: auf ihren ersten Besuch in Iran 1979 oder ihr Vorbild Simone de Beauvoir während der Jahre in Paris. Einmal, erzählt Schwarzer, habe sie im EMMA-Editorial einen Text der englischen Schriftstellerin Virginia Woolf abgedruckt. Er war so aktuell wie in seinem Entstehungsjahr 1929.

Ob einen diese ewige Wiederkehr des Gleichen denn nicht wütend mache? Oder abgeklärt? "Na, ironisch auf jeden Fall", antwortet Schwarzer und lacht ihr Alice-Schwarzer-Lachen. Die Sonne malt nun die Silhouette des Bayenturms auf die Straße. Und während man die Wendeltreppe wieder nach unten steigt, macht sich das Gefühl breit, den heimlichen Grund ihrer guten Laune zu verstehen.

Julia Voss, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.5.2007

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