Stimmung wie im Krematorium
Alice Schwarzer weiß, wie man Reklame macht: Für die neue EMMA ließ sie erstmals eine Männerredaktion ran. Holger Fuß, bekanntlich Wiener-Mann fürs Grobe, war mit dabei. Und wurde vom Saulus zum Paulus!
"Wir sitzen hier stellvertretend für den deutschen Mann", sagt Alexander. Geschieht uns ganz Recht. Als ob wir nichts besseres zu tun hätten! Hören Alice Schwarzers Aufruf in "Wetten, dass...?" - Sendung am 14. Mai, Deutschlands Männer mögen doch bis Monatsende Fotos, Bilder, Texte für die nächste EMMA aus Männerhand einsenden, und eine Handvoll Kollegen möchten sich bitte als EMMA-Redakteure melden, und rufen prompt an! SWF 3-Reporter Gunnar Schultz-Burkel, 39; Thomas Schmitz-Günter, 34, vom Heidelberger Stadtblatt Communale; Alexander Bütün, 27, Pressechef des niedersächsischen Fußballverbandes; WAZ-Lokalchef Hermann Henkel, 50, aus Gelsenkirchen; Stern-Reporter Niklas Frank, 49; der freie Graphiker Christoph Pracht, 30, und ich.
Welch eine Kamikaze! Sich in eitler Hektik darauf einzulassen, binnen dreier Tage 32 EMMA-Seiten aus dem Männerhirn zu stampfen, mithin dem von uns Kerlen stets verlachten Frauenkampfblatt die Spinnwegen aus dem Schritt zu fegen. Stattdessen steht am Abend des zweiten Tages weder ein Text noch ein Vor-Layout, geschweige denn ist irgendwo eine Blattlinie auszumachen. Eine Stimmung wie im Krematorium. Schon grübeln die ersten, wie sie daheim unsere symbolträchtige Niederlage rechtfertigen, ja, wie das Mannesgeschlecht sich je von diesem feministischen Punktesieg wieder erholen könnte. "Das ist ein Politikum in diesem Lande!" Thomas ist kreidebleich. "Ich habe auch nicht wirklich an die 32 Seiten geglaubt, aber an die 20 Seiten hätte ich uns schon zugetraut."
Natürlich sind die Männer an dieser Katastrophe Schuld - nicht wir, sondern die anderen. Die auf den Schwarzer-Aufruf mit unerhörten Papierverschwendungen an Lyrik, Prosa, Zeichnungen und Fotoserien reagierten.
Fassungslos sichteten wir am ersten Tag jammervolle Versuche unserer Geschlechtsgenossen, sich mit EMMA und den Feministinnen auseinanderzusetzen. Schreibt ein Politologe aus Lohmar zu seiner Abhandlung über die Sterilisation des Mannes - Ideologie und Wirklichkeit: "Ich schreibe aus eigener Erfahrung: Bin seit 1982 glücklich sterilisiert." Ein 35-jähriger Oberhausender hat "Drogen, Strich und Ehe persönlich kennen gelernt". Ein "Diplom-Journalist" aus Minden schickt uns "Widersprüche im Fitness-Studio" dergestalt: "Heute treiben Frauen ungehemmt Sport, eine Errungenschaft des Feminismus." Verse wie "Die eigene Frau sie geht fremd, dass ich sie nicht mehr kenne. Doch liegt nicht auch der Grund darin, dass ich sie 'eigen' nenne?" Und Schrebergartenphilosophien über "Die Eitelkeit ist der Hodensack der Frau" schüren die blanke Verzweiflung.
Ich wähne mich bereits beim falschen Geschlecht. Redaktionsbulle Herrmann kauert zusammengesunken vor diesem geistigen Exitus des männlichen Deutschland. "Wie soll das nur weitergehen? Sowas kann man doch nicht drucken!" Und Niklas, mit valentineskem Schnarrton: "Wir müssen sofort mit knallharter Polemik dieses Volk ablösen".
Ein Brainstorming in den Cölner Hofbräuhaus richtet bloß ein lähmendes Gezänk an. Sollen wir uns mit gespreizter Feder mit den feministischen Grundfragen befassen und von Paragraph 218 über Vergewaltigungsstrafrecht hin zum Pornografie-Verbot alles abkochen, oder wollen wir ein provokantes männliches Happening setzen, dass den grämlichen EMMA-Leserinnen heilsam unter die Röcke geht? Thomas und Alexander plädieren für ein Sowohl-als-auch, wir restlichen beharren auf der Eulenspiegel-Tour, und Christoph, der Grafiker, will einfach nur ganz schnell Texte sehen.
In der abendlichen Gesellschaft mit den EMMAs in Paulas Wirtshaus umspielen wir charmant unsere tagesbelichtete Ideenlosigkeit. Wer hätte das gedacht! Ich, einst von ihr verfemter new boy, ein moderner Zuhälter, weil Reporter des von ihr attackierten Wiener, sitze nun einträchtig neben Domina Alice (46), und wir schauen uns verblüfft in die Augen. Sie drückt mir den Arm und kann gar nicht begreifen, wie "ein so begabter junger Mensch" jemals bei einem "solchen" Blatt arbeiten konnte. Und ich kann gar nicht begreifen, dass ich die Frau jemals für eine vertrocknete, frustrierte Zicke gehalten habe. Stattdessen erlebe ich einen witzigen, sinnlichen, unverstockten Brummkreisel, nach allen Seiten unentwegt parlierend, mit unendlich sentimentalen Augen.
Kaum zu glauben, dass ich mir am Abend zuvor noch angestrengt überlegt habe, wie ich mich für EMMA durchstyle. Kommt sonst selten vor. Ein leichter, weiter Leinenanzug wäre bei dem Wetter zwar angebracht, für die EMMA-Arbeit jedoch sicher gefährlich. Würde einfach zu mackermäßig wirken! Auch die schwarze Lederjacke kommt nicht in Frage. Ich entscheide mich für ein unauffälliges Beinkleid mit grauem Secondhand-Jackett. Die grüne Pilotensonnenbrille beschließe ich sorgsam zu verbergen.
Völlig unnötig. Die EMMAs hatten Chauvis bestellt und Chauvis bekommen. Interessiert äugt EMMA-Hauscartoonistin Franziska Becker mein unrasiertes Kinn auf Karikaturqualitäten ab. Fotografin Bettina Flitner knipst uns filmweise runter wie auf Zoobesuch. Und die Redaktions-Damen kramten eine Liebenswürdigkeit zutage, als würden sie ausländischen Gästen die Stadt zeigen.
Anderntags fühlen wir uns auf EMMA-Terrain schon so vertraut, dass uns das schlechte Gewissen heimsucht. Sind wir nicht eigentlich Verräter? Sitzen wir hier nicht auf Feindesland und besorgen denen das Geschäft? Wieso hocken die Mädels zurückgezogen auf ihren Buden und arbeiten nicht mit uns zusammen? Und spricht nicht ein ziemlicher Hochmut, gar Spott aus ihrem Lächeln, wenn sie so kommentarlos an uns vorüberhuschen? Weshalb sollen wir für die denn überhaupt ein Heft machen?
Weil uns nichts rechtes einfallen will, fühlen wir uns auf einmal total verschaukelt. In dieser kurzen Zeit ist keine noch so schmale Männer-EMMA zu machen. Die Frauen wollen uns reinlegen, uns der militanten Weiberwelt vorführen, zeigen, wie wir Männer uns blamieren, wenn wir mal dürfen. Zeit läuft.
Und dann all diese verfluchten Pressefuzzis! Ununterbrochen klingelt einer am Telefon wegen eines Interviews. Rias, Radio Bremen, Radio Schleswig-Holstein, WDR, Kölner Stadtanzeiger, Abendzeitung München, Frankfurter Rundschau -wann sollen wir eigentlich Zeitung machen? Das Magazin "Hier und Heute" vom WDR-Regionalfernsehen schickt einen Smartie namens Martens samt Team vorbei. Wichtigtuerisch stakst er mit dem Mikrofon von Mann zu Mann; seine Fragen erfüllen längst den Tatbestand der Nötigung: "Wollen Sie EMMA umkrempeln? Kommen Sie als Feminist oder Chauvi? Machen Sie eine Zeitschrift für Frauen oder Männer oder andere?" Herr Martens selbst steht der Frauenbewegung "tolerant" gegenüber, so was wie wir würde er aber "niemals machen", denn "die Feministinnen sind zuerst an der Frau interessiert und dann erst am Menschen. Auch wenn das ihr gutes Recht ist."
Noch nie hat sich jeder von uns so sehr geschämt, ein Mann zu sein. Nervös hasten wir in unsere Hotels, um uns den ersten Texten zu widmen. Auf dem Weg dorthin komme ich an einer Video-Peepshow vorbei. Und bin entschlossen, reinzugehen. Aus Trotz, weil wir Männer uns auch die blödesten Spelunken nicht einfach von ein paar Miliz-Emanzen verbieten lassen. Vor dem Eingang zucke ich vernehmlich zusammen: "Wenn du jetzt da reingehst, hat Alice dich besiegt!", fährt es mir durch den Kopf.
Am Abend haben wir uns erst mal selbst besiegt. Von unseren männlichen Selbstbetrachtungen hat einzig Thomas eine wahre Lachnummer hingelegt: "Noch nie habe ich mit so vielen Frauen zutun gehabt, die so wenig Interesse an mir geäußert haben." Unser Feingeist! Dem unsere Ideen stets zu zeitgeistig, zu flott, zu platt waren! Selten bin ich in die Situation gekommen, die Beziehungsfragen alle selber stellen zu müssen: "Was machst du, wie lebst du? Ist das Ausdruck von Schwäche oder von Stärke?"
Unser Heimweg gleicht einem Bittgang zur Gnadenkapelle. Wir Versager! Alice wird sich ein Monogramm in den Bauch beißen vor Ärger. Aus lauter Beflissenheit überlegt sich Alexander bereits, wie er schon um sechs Uhr früh in die Redaktion gelangen könne, um das Heft zu retten. "Übernachte doch in der Redaktion", schlägt Christoph vor. Nur das nicht! Alex wird aschfahl: "Da habe ich Angst."
Mittwoch 8.30 Uhr. Der Countdown läuft. Alle Presseanfragen werden abgeschmettert. Alice läuft zur Hochform auf. Hat sich heute auf Fruchtbarkeitsgöttin gestylt, was wir auch bitter nötig haben. Coole Sonnenbrille, getönte Lippen und ein Umhang, der variierenden Ausschnitt freigibt: "Die Prinzessin sperrt die schönen Buben ein, Freunde! Jetzt wird Stroh zu Gold gemacht!" Mit ihrem Umhang wie mit einer Federboa spielend, umtänzelt sie unseren gemeinsamen Redaktionstisch und flötet zur Verlagsassistentin rüber: "Monika, meinst du, dass wir den Herren die Wünsche von den Lippen ablesen können? Kaffee. Textetippen. Brötchen. Veilchensträuße?" Nach jeder Tischrunde fährt sie mir durchs Haar und kiekst: Seht ihn euch an: "Wie verletzlich unser junger Chauvi doch ist! Ist das süüß! Daran werde ich später nicht ohne Zärtlichkeit zurückdenken!"
Die Sache ist klar. Geiselnahme! Kneipenbesuche sind gestrichen. Fressalien werden gebracht, Getränke sind im Kühlschrank. Jawohl, auch Kölsch! Gekonnt inszeniert die Muttergottes vom Kolpingplatz unsere Bunkersituation. Hier kommen wir nicht raus, ehe das Blatt im Satz ist. "Im Motivieren von Vereinen kenne ich mich aus", bekundet sie mit einer Liebenswürdigkeit, die keinen Widerspruch duldet.
Was bei uns Solidarität, Vereinsmeierei, Männerbündlertum provoziert. Noch elf Stunden! In einem Affentempo machen wir eine Zeitung. Setzen der sperrigen Weiblichkeit unsere unsicher sich vortastenden Schweinigeleien entgegen. Immer entlang der Prämisse, das EMMA-Publikum das Gruseln zu lehren.
Christoph schlägt vor, reihenweise Frauen hinzurichten: Jeder nimmt sich eine vor und knallt sie nieder. Ulla Hahn etwa, "weil sie Marcel Reich-Ranicki hemmungslos am kleinen Poeten zupft". In einem Psychotest entwerfen wir Fragen wie: "Sie werden gerade vergewaltigt. Formulieren Sie die Anzeige? Ziehen Sie sich zurück? Feuern Sie ihn an?"
"Wi-der-lich!", meint Alex. "Aber schön, nicht?" "Wenn das Ding am 24. Juni erscheint, treffen wir uns alle in Kanada", orakelt Herrmann. Niklas schüttelt mit verlogenem Grinsen den Kopf: "Unfassbar! Wieviel Mist in einem drinsteckt!" Allmählich kapieren wir, weshalb wir tagelang arbeitsunfähig waren. Wir haben uns verstellt! Und auf nette Jungs gemacht! Was wir eben nicht sind. Wir versuchten uns geschickt den EMMAs anzubiedern, ein bisschen rau, aber deshalb ganz griffig. Doch keine Sorge. Wir sind nicht allein. "Die Alice hat bei der Ulla Hahn ganz furchtbar gelacht", flüstert Niklas mir zu. "Die ist nämlich genauso sexistisch wie wir!"
Holger Fuß, Wiener, Juli 1988