Alice Schwarzer in anderen Medien

"Wir waren alle naiv"

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Christoph Schwennicke: Frau Schwarzer, ein Jahr „Wir schaffen das“ und Grenzöffnung. Was sind Ihre spontanen Erinnerungen?
Alice Schwarzer: Ich sah im Fernsehen die Kanzlerin „Wir schaffen das!“ sagen und war erstmal stolz. Ja, das machen wir jetzt, dachte ich. Das steht gerade uns Deutschen gut an. Bald darauf erreichten uns bei Emma Hilferufe von Helferinnen, die sagten: „Die Frauen sind hier in Gefahr. Ich werde auch blöd angemacht, der Mann will das Essen nicht annehmen, weil ich unrein bin.“ So ging das in einem fort. Als wir dann in der Emma im Oktober 2015 besondere Schutzmaßnahmen für Frauen und Kinder in Flüchtlingslagern forderten, sind Linke und Liberale prompt mit der Rassismuskeule auf uns losgegangen.

Die positive Anfangsstimmung manifestierte sich bei der Ankunft der Flüchtlinge aus Ungarn Anfang September in München.
Bei den Bildern vom Münchner Bahnhof bin ich erstmals nachdenklich geworden. Ich dachte: Da kommen Flüchtlinge, die haben Schweres hinter sich, was gibt es da zu klatschen? Da habe ich gemerkt, dass viele Menschen sich in dieser Attitüde gefielen. Es ging mehr um sie selbst als um die Flüchtlinge. Ein Hauch von Kitsch wehte mich an – der ja immer das Gegenteil der Lebensrealität ist.

Zwischen München und heute liegt die Silvesternacht von Köln. Was hat sie bewirkt?
Köln war der große Schock. Danach konnte eigentlich keiner mehr wegsehen und romantisieren. Und gleichzeitig war es immer noch tabu, die Realität zu benennen! Und dann hat sich auch noch herausgestellt, dass die Täter überwiegend Flüchtlinge waren. Und wieder kam das absurde Argument, wenn man das benannte: Das ist Rassismus.

Wie erklären Sie sich diese Vorwürfe?
Ich habe lange darüber nachgedacht. Inzwischen ist mir klar, was man in Deutschland nicht begriffen hat. Die Länder Algerien und Marokko sind schon seit Jahren von einer gemäßigten Religiosität in einen fanatisierten, maßlosen Islamismus gekippt. Diese entwurzelten Männer, die aus diesen Ländern zu uns geschwemmt kommen, müssen gar nicht vom IS angeworben werden. Die sind in den letzten Jahren schon vom politisierten Islam geformt worden. Das heißt konkret: Sie verachten jede Frau, die sich am Abend frei auf der Straße bewegt. Die ist für sie eine Hure, eine anständige Frau ist zu Hause.

Ich gehe davon aus, dass die Versammlung der über 2000 Männer von drei, vier Provokateuren ausgelöst worden ist. Danach hat das Ganze via moderne Medien im Lawinenprinzip funktioniert. Die Aggression galt übrigens den Frauen ebenso wie dem Kölner Dom, diesem hohen christlichen Symbol. Der war schon ab 18 Uhr heftig mit Böllern attackiert worden, sodass beinahe Panik bei den rund 3.000 Besuchern der Abendandacht ausgebrochen wäre. Was die Frauen auf dem Platz angeht, da haben die jungen Männer nicht zufällig eine Methode gewählt, die man aus ihrer Region kennt, den sogenannten Höllenkreis.

Sie waren kurz nach Köln in Algerien. Welche Reaktionen haben Sie dort erlebt? 
Nirgendwo habe ich so viel Kritik an unserer Flüchtlingspolitik erlebt wie in Algerien. Bei gleichzeitig ungebrochener Bewunderung für Kanzlerin Merkel übrigens. Kollegen wie fortschrittliche Intellektuelle haben zu mir gesagt: „Seid ihr eigentlich verrückt geworden, die alle zu nehmen? Wir kennen die. Die standen schon bei uns an den Ecken und dealten. Wir sind froh, dass sie weg sind.“ Mit diesen perspektivlosen und islamistisch verhetzten Männern werden wir in Deutschland nicht das letzte Mal Probleme gehabt haben.  

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass ausgerechnet die Linke über diese Probleme hinwegsieht und die Rechte der Frau hintanstellt?
Da kommen Männer aus tief patriarchalen Strukturen, in denen Frauen völlig entrechtet sind, bei denen der politisierte Islam noch Öl ins Feuer gießt und die teilweise traumatische Erfahrungen im Bürgerkrieg gemacht haben. Für weite Teile der Linken zählen diese Argumente nicht. Die Linke sagt: „Das sind für uns Opfer und ihr seid Rassisten.“ Das ist übrigens ein alter Konflikt zwischen dem Feminismus und der Linken, diese Hierarchie der Opfer. Früher hieß das: Der Klassenwiderspruch geht vor, der Geschlechterwiderspruch ist nur ein Neben-Widerspruch. Heute heißt es: Der Rassismus geht vor, der Sexismus hat sich unterzuordnen.

Die Linke ist doch aber sonst stark im Kritisieren und Hinterfragen. Warum nicht bei diesem Thema? 
Die Linke befindet sich seit 1979, seit der Machtergreifung Khomeinis, in einer seltsamen Kumpanei mit dem Islamismus. Von Anbeginn an hat die weltweite Linke kokettiert mit dem islamistischen sogenannten Volksaufstand. Aus vielerlei Gründen. Die Entrechtung der Frauen kam da so manchen westlichen Großstadtrebellen gerade recht. Da konnten sie sagen: „Da seht ihr mal, meine Lieben, da geht‘s euch doch Gold dagegen.“ In Deutschland kam die verständliche Angst dazu, nicht wieder etwas falsch zu machen. In Erinnerung an den Fremdenhass der Nazis wollte man nun die Fremden lieben. Um jeden Preis. Doch diese blinde Fremdenliebe ist nur die Kehrseite des Fremdenhasses.

Das politische Klima in Deutschland hat sich in dem einen Jahr völlig verändert, die AfD hat sich zu ungeahnten Höhen aufgeschwungen. Was ist da passiert? 
Die von Linken und Liberalen aufoktroyierten Denkverbote tragen zu einer Polarisierung Deutschlands bei. Dabei hat dieses Land nach 1945 wirklich enorm dazugelernt. Wir hatten früher eine relativ kleine Gruppe Rechtsradikaler und eine sehr geringe Anzahl von Rechtspopulisten. Das hat sich leider geändert. Was an den Denkverboten liegt. Was sollen die Leute denn machen? Die haben ein wachsendes Unbehagen, die haben Ängste, reale und irreale. Selbst in meinem Dorf, wo zwei nette Flüchtlingsfamilien einquartiert sind, gibt es schon Frauen, die sagen: „Ich kann mit meinen Kindern nicht mehr ins Schwimmbad gehen wegen der jungen Flüchtlinge, die da Randale machen.“ Und wenn man diese Ängste und Lebenswirklichkeiten mit Tabus belegt, dann flüchten sich Menschen in falsche Lösungen, wie sie die AfD anbietet.

Ein letztes Wort zur Flüchtlingskanzlerin. 
Ich habe Angela Merkel nie idealisiert, begleite ihre Amtszeit aber grundsätzlich offen und oft beeindruckt. Ich glaube, sie war zu Beginn über diesen Flüchtlingsstrom ehrlich entsetzt und hat sich daran erinnert, dass sie eine Christin und ein guter Mensch ist. Das ist sympathisch. Es war aber auch naiv, wie wir inzwischen wissen. Wir waren alle naiv. Schon lange allerdings frage ich mich: Warum hat die klarsichtige Merkel ausgerechnet beim politischen Islam diesen blinden Fleck? Zu meinem Erschrecken hat sie im Laufe dieses Jahres Sätze gesagt wie diesen: „Wenn uns etwas am Islam nicht passt, dann müssen wir eben mehr in die Kirche gehen und so gegenhalten.“ Was für ein tragisches Missverständnis! Bei den Attentätern geht es, ganz wie bei der Schriftgläubigkeit der rückständigen Muslimverbände in Deutschland, doch nicht um Religion, sondern um Ideologie. Wir ringen hier nicht um Glaubensfragen, sondern um Machtfragen. Es ist existenziell, das zu begreifen.

Das Gespräch erschien auf Cicero-online. 

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"Der Schock – die Silvesternacht von Köln", hrsg. von Alice Schwarzer (KiWi). mehr

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