Alice Schwarzer in anderen Medien

Was haben Alice & Greta gemeinsam?

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Ich stelle mir vor, dass Ihnen Mitte der 70er-Jahre etwas Ähnliches passiert ist, wie Greta Thunberg jetzt: Sie wurden eine sehr bekannte Frau. Wann haben Sie das realisiert? Wie war das für Sie?

 

Stimmt. Nach dem Streitgespräch mit Esther Vilar im Fernsehen zu dem Erscheinen vom „Kleinen Unterschied“ war ich plötzlich in aller Munde und ein feministischer Star. Das hat mich allerdings eher verlegen gemacht. Denn die Frauenbewegung war ja eine Basisbewegung, ganz wie die Klimabewegung, und ich wollte die anderen nicht verdecken.

Haben Sie diese Welle der Aufmerksamkeit für Ihre Anliegen erwartet?
Nein. So etwas kann man sich doch in der kühnsten Phantasie nicht vorstellen. Ich war sehr überrascht.

Viele Frauen haben über die Befreiung der Frauen publiziert und viele gegen die Klimakatastrophe: Wie kommt es, dass plötzlich eine Person für diese Fragen steht?
Ich denke, da spielen viele Faktoren eine Rolle. Der richtige Zeitpunkt, die Mechanismen der Medien – aber auch die persönliche Leistung und das Charisma einer Person.

Die Bauerstochter Jeanne d’Arc wollte Frankreich befreien, Rosa Park stand im Bus nicht auf, Sie mobilisierten für die Befreiung der Frau, Greta Thunberg streikt gegen die Klima-Ignoranz: Gibt es einen spezifisch weiblichen Mut? Hatte den auch der Mann mit den Einkaufstüten, der sich 89 in Peking vor die Panzer stellte?
Frauen haben weniger zu verlieren. Sie gehören nicht richtig dazu. Und dadurch sind sie dann eben manchmal auch radikaler. Was natürlich keine biologische Frage ist. Und ja, selbstverständlich gehört auch der Mann in Peking 1989 dazu oder der in Prag 1968, der den sowjetischen Panzern entgegengelaufen ist. Aber da haben autoritäre Regime verhindert, dass wir auch nur die Namen erfahren.

Neben der Anerkennung haben auch Sie, wie Greta Thunberg, sehr viel Ablehnung erfahren. Was löst diese starken Gefühle aus?
Die Kritik und Aggressionen wären ja gar nicht auszuhalten ohne die gleichzeitige Zustimmung und Zuneigung. Letzteres, das Positive, ist vermutlich auch bei Greta überwiegend, ganz wie bei mir. Aber die Medien verzerren das gerne. Sie reagieren in der Regel – nach anfänglicher Euphorie – stärker auf Kritik.

Haben Sie die Bosheiten zur Kenntnis genommen? Bleiben Wunden?
Ich habe natürlich irgendwann angefangen, mich zu schützen. Doch viele der Bosheiten waren so durchschaubare, lächerliche Klischees, dass sie mir nichts anhaben konnten. Ich war damals ja keine 16, wie Greta, sondern eine 32-jährige Frau, die schon ein gerüttelt Maß an Lebenserfahrung hatte. Als es also hieß, ich sei eine frustrierte Männerhasserin, konnte ich gut mit den Schultern zucken. Aber es bleibt natürlich trotzdem was hängen. Ich erinnere mich, dass ich nach der Bild-Schlagzeile von der „Hexe mit dem stechenden Blick durch die Brille“ erstmal jahrelang immer Kontaktlinsen im Fernsehen getragen habe.

Waren Sie je in Gefahr durch einen Ihrer Gegner?
Ich glaube nicht. Ich habe es auf jeden Fall nie wirklich ernst genommen. Ich lebe bis heute genau so frei, wie ich vor meiner öffentlichen Existenz gelebt habe. Ich kaufe auf dem Wochenmarkt ein, fahre mit der Straßenbahn etc. Ich halte dieses Theater mancher sogenannter Prominenter oder Politiker mit den Bodyguards übrigens oft für reine Wichtigtuerei.

Wie schwer war es für Sie, die Erwartungen zu tragen, die an Sie gestellt wurden?
Ich habe mich nie darum gekümmert. Ich habe einfach immer weiter gearbeitet. Wenige Monate nach dem Bestsellererfolg mit dem „Kleinen Unterschied“ habe ich begonnen, die EMMA vorzubereiten. Ich habe überhaupt Tendenz, mich relativ wenig darum zu kümmern, was andere denken. Ich mache einfach immer das, was mir sinnvoll scheint – ohne vorher groß darüber nachzudenken, wie die anderen das finden.

Wie viel kann eine Person tatsächlich bewegen? Wie viele starke Menschen müssen hinter einem stehen?
Wie wir an Greta und auch an mir sehen, kann ein einzelner Mensch sehr wohl sehr viel bewegen. Dafür muss auch niemand hinter einem stehen. Die Zeit muss einfach reif sein für den Funken, den der Einzelne wirft.

Wie groß war und ist der Impuls, die ganzen Dinge richtigzustellen, die in Sie hineinprojiziert werden?
Riesig groß! Mit dem einengenden Klischee von „der Schwarzer“ habe ich mich bis heute nicht abfinden können. Man will doch in seinem Wesentlichen wahrgenommen werden. Sieh mich an!

Wie bleibt eine Ikone auf dem Boden und hebt nicht ab?
Das ist eigentlich ziemlich einfach. Man steht ja nicht morgens auf, guckt in den Spiegel und sagt sich: Ich bin berühmt. Diese Kategorie hat überhaupt keine Relevanz für einen selbst, sondern nur für die anderen. Und für Frauen ist Berühmtheit oft sogar eher eine Belastung. Berühmte Männer sind sexy, berühmte Frauen sollen trotzdem „ganz Frau“ bleiben, also schön bescheiden sein und sich nicht so wichtig nehmen.

Was würden Sie Greta für den Umgang mit dieser enormen Aufmerksamkeit raten?
Einfach weiter das zu machen, was sie für sinnvoll hält - und nicht das, was die Medien erwarten.

Wünschten Sie sich ab und an wieder Alice von Nebenan zu sein?
Das bin ich ja immer gleichzeitig geblieben, die Alice von nebenan. Für meine Freundinnen und Freunde, meine Nachbarn, die Verkäuferinnen auf dem Wochenmarkt oder die Köbesse in der Kölsch-Kneipe.

Haben Sie Greta schon aus der Nähe erlebt?
Nein. Aber ich schaue mir mit Interesse ihre Fotos an. Sie wird ja gerade erwachsen.

Wie finden Sie ihre Aktion? Würden Sie auch die Schule schwänzen?
Na klar! Das war doch der Kick bei der ganzen Aktion. Ohne Schuleschwänzen hätten Greta und ihre Follower keine Aufmerksamkeit erreicht. Und es hat ja auch eine große symbolische Bedeutung, will sagen: Wir lernen auf der Straße mehr als in der Schule.

Wo wird Fridays for future nächstes Jahr stehen: Dahingeschmolzen oder in Parlamenten?
Morgen noch nicht in den Parlamenten, aber vielleicht übermorgen. Wobei sie dann hoffentlich nicht so vergesslich sein werden, wie die 68er es sind, die Karriere gemacht haben.

Das Gespräch führte Andreas Juhnke. Es erschien zuerst in der Zeitschrift "Tina".

 

 

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