Alice Schwarzer in anderen Medien

In der "Unimag"-Redaktion

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Bereits im Herbst 1970 wurde die 1942 in Wuppertal geborene Alice Schwarzer eine der Pionierinnen, die die Pariser Frauenbewegung initiierten. „Die Zeit war reif“, wie sie schreibt. Als Simone de Beauvoir und 342 weitere Frauen sich im April 1971 eigener Abtreibungen bezichtigten, um gegen das gesetzliche Verbot zu protestieren, brachte Schwarzer in Deutschland ein ähnliches Projekt ins Rollen. Die „Neue Frauenbewegung“ in Deutschland erhielt dadurch großen Zulauf. Im Jänner 1977 gründete sie die Frauenzeitschrift Emma, deren Verlegerin und Chefredakteurin sie seither ist. Bis zum heutigen Tage schrieb Schwarzer 21 Bücher, editierte 23 weitere. Aus der Öffentlichkeit ist sie nicht wegzudenken, „wo sie mit temperamentvollen, rechthaberischen und scharfzüngigen Beiträgen polarisiert, aber auch für Unterhaltung sorgt“, wie Dieter Wunderlich schreibt.

UNIMAG: Frau Schwarzer, Sie gaben dem Feminismus in Deutschland eine kraftvolle Stimme. Was waren Ihre Beweggründe?
Alice Schwarzer: Ich bin als Kind unter nicht immer einfachen, aber sehr geschlechtergerechten Verhältnissen aufgewachsen. Ich wurde nicht wie ein Mädchen behandelt, sondern wie ein Mensch und für Mut, Klugheit und Widerständigkeit gelobt. Irgendwann im Teenageralter fiel mir auf, dass das nicht selbstverständlich war. Und es auch nicht für alle Frauen galt. Das wollte ich nicht hinnehmen.

Mit 28 Jahren fingen Sie an der Reform-Universität Vincennes an, der „Roten Fakultät“ – wie war das Studentenleben dort geprägt?
Die Fakultät war in der Zeit das Herz der Post-68er-Revolten. Es wurde mehr diskutiert als gelehrt, auch mit den Professoren. Wir hatten fantastische Lehrer und haben uns selbstverständlich mit denen geduzt.

Sie beendeten das Studium aber nie. Warum?
Das war nicht mein Ziel. Ich wollte lernen, war aber nicht interessiert an einem akademischen Abschluss. Ich stand ja schon mitten im Beruf und hatte mich aus Wissensdurst und politischem Engagement eingeschrieben.

Was konnten Sie dennoch von Ihrem Studium mitnehmen?
Sehr viel! „Der kleine Unterschied“ zum Beispiel, mein berühmtestes Buch, das 1975 erschien und ein internationaler Bestseller war, ist stark von meinem Studium bei Michel Foucault geprägt. Der hat damals in Vincennes gelehrt. Es geht im „kleinen Unterschied“ um die Funktion von Liebe und Sexualität bei der Unterdrückung und Selbstunterdrückung von Frauen. Bei Foucault hatte ich den Kurs „Sexualität und Macht“ belegt und verdanke ihm unter anderem die Kenntnis der großen Klassiker unter den Sexualforschern, wie Robert Stoller.

An der Universität Vincennes kam auch die französische Frauenbewegung in Gang – wie kam es dazu? Was war Ihre Rolle?
Ganz so kann man das nicht sagen. In Vincennes war zwar die erste Protestdemo im Frühling 1970, bei der die Frauen mit den Parolen über den Campus gezogen sind: „Wir sind alle hysterisch. Wir sind alle lesbisch. Wir sind alle frustriert.“ Ich war da gerade wieder in Köln, beim WDR. Der zündende Punkt war also die Niederlegung des Kranzes „Für die unbekannte Frau des unbekannten Soldaten“ am 26. August am „Denkmal für den unbekannten Soldaten“, unter dem Arc de Triomphe. Und diese Urgruppe war keineswegs überwiegend studentisch geprägt, darunter waren Schriftstellerinnen wie Monique Wittig und Christine Rochefort oder auch eine Stripteasetänzerin und eine Putzfrau. Wenige Wochen danach stieß ich dazu. Im September 1970 waren wir ein, zwei Dutzend Frauen – im November schon ein paar hundert. Und dann ging es ab.

1968 schrieben Sie: „Das Motiv meines ganzen Handelns ist die Gerechtigkeit. Alles andere wäre für mich ein verpasstes Leben.“ 48 Jahre später gibt es noch immer Diskussionen um Frauenquote, Diskriminierung im Job („gleicher Lohn für gleiche Arbeit“) usw. Ist Ihre Forderung nach Chancengleichheit für Mann und Frau Utopie?
Überhaupt nicht. In den letzten 40 Jahren hat die Gleichberechtigung der Geschlechter ja enorme Fortschritte gemacht. Sowohl die jungen Frauen wie auch die jungen Männer leben freier als ihre Eltern und erst recht als ihre Großeltern. Auch wenn vieles noch nicht erreicht ist: so gibt es weiterhin Männergewalt, die vorrangige Zuständigkeit von Frauen für die Kinder sowie ungleiche Chancen. Und es drohen neue Gefahren: die epidemische Pornografisierung von Kultur und Medien, und damit ein verstärkt erniedrigendes Frauenbild. Auch die Verharmlosung und Akzeptanz der Prostitution ist eine Falle. Aber ich verstehe die Ungeduld: 40 Jahre sind viel für ein Menschenleben – aber nur ein Wimpernschlag in der Menschheitsgeschichte.

Sie warnten schon vor längerer Zeit vor den „Gefahren des politischen Islam“. Was meinen Sie damit?
Um zu verstehen, was ich meine, müssen Sie nur in die Länder schauen, die von den Islamisten beherrscht oder bedroht werden: Da sind Frauen total entrechtet, nach dem Gesetz Unmündige, und Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein Herrenrecht. Doch diese Islamisten in Iran, Saudi-Arabien oder Afghanistan begnügen sich nicht mit der Herrschaft in ihren Ländern, sie wollen die Weltherrschaft. Und sie agitieren seit den 1980er Jahren auch mitten unter uns. Dabei geht es nicht um Religion, sondern um Politik; nicht um Glauben, sondern um Macht.   

Haben es die „Bahnhofsklatscher“ und die „Willkommenskultur“ zu weit getrieben?
Was Sie „Bahnhofsklatscher“ nennen, sind junge Männer überwiegend aus Marokko und Algerien, eine Minderheit auch aus Syrien. Das sind Länder, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten radikalisiert haben: von einem gemäßigten Islam zu einem unmäßigen Islamismus. Der Islamismus ist die Ideologie, die diesen perspektivelosen, entwurzelten jungen Männern das Überlegenheitsgefühl gibt, inklusive der Überlegenheit des Mannes über die Frau. Eine Frau, die in der Silvesternacht auf der Straße ist, die ist für sie eine Hure. Sie hat es nicht besser verdient.

Zu den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht haben Sie das Buch „Der Schock“ publiziert. Inwiefern war es für Sie ein Schock?
Es ist ein Schock, dass mitten in Deutschland der zentralste Platz einer Großstadt über mindestens zwölf Stunden ein quasi rechtsfreier Raum ist. Über sechshundert Frauen wurden von rund 2.000 Männern sexuelle Gruppengewalt angetan – unter den Augen der hilflosen deutschen Polizei. Ich gehe davon aus, dass diese Männer sich nicht zufällig in Köln getroffen haben, sondern von drei, vier Provokateuren via Social Media dahin gelockt worden sind – und dann in Schwärmen losgelegt haben. Das hat es zu meinen Lebzeiten noch nie gegeben. Das ist der Schock.

Im Buch schreiben sie u.a.: „An der Schwelle zu Europa sind rechtsfreie Räume entstanden, wie in Syrien oder Libyen. Und von da ist es nur ein Sprung in das Herz Europas“, oder auch die Täter in Köln seien „fanatisierte Anhänger des Scharia-Islam“. Sprechen Sie damit nicht der AfD, Pegida oder auch der FPÖ aus der Seele? – Auf der anderen Seite wurden/werden Sie als „Rassistin“ beschimpft und als „Rechtspopulistin“ diffamiert. Wie politisch ist Ihr Feminismus?
Ich frage mich nicht, wem ich aus der Seele spreche, sondern: Was ist die Wahrheit? Und die Wahrheit müssen wir sagen, wenn wir die Verhältnisse verändern wollen. Ich bin übrigens überzeugt davon, dass die Rechtspopulisten in Westeuropa allem voran so einen Zulauf haben, weil die demokratischen Parteien den Menschen nicht die Wahrheit sagen: Nämlich, dass der politisierte Islam – nicht der Islam als Glaube! – ein gewaltiges Problem ist. Und es ist ein Versuch der Einschüchterung, jeden, der es wagt, die Islamisten zu kritisieren, des „Rassismus“ zu bezichtigen. Dabei liegt es doch auf der Hand: Der schriftgläubige, fundamentalistische Islamismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts. Wer sich dem nicht entgegenstellt – nun, der oder die macht sich mit schuldig.

Das Gespräch führte Lukas Fischnaller für unimag, 1.10.2016. 

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