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Staatspreis NRW für Alice Schwarzer

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Seit 1986 haben wir 38 Frauen und Männer mit dem Staatspreis ausgezeichnet. Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, aus Wissenschaft und Wirtschaft, aus Literatur und Publizistik, aus Theologie und Philosophie, aus politischer und gewerkschaftlicher Arbeit. Persönlichkeiten, die sich durch ihre herausragenden Lebensleistungen und ihre Verbundenheit mit unserem Land Nordrhein-Westfalen auszeichnen. In diesem Jahr steht die Verleihung des Staatspreises erstmals im Zeichen der Frauen-Power. Zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen erhalten den Staatspreis 2004 und eine weitere Frau leitet durch das Programm.

Ich bin zwar nicht so bibelfest wie Johannes Rau, aber ich weiß, dass im 1. Korintherbrief sinngemäß steht: „Die Frau schweige in der Gemeinde.“ Ein Gebot, an das sich Anneliese Brost und Alice Schwarzer nie gehalten haben. Vorab ein paar Worte über die beiden zukünftigen Staatspreisträgerinnen: Unsere Preisträgerinnen verbindet einiges. Beide sind in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, beide leben in Nordrhein-Westfalen Anneliese Brost in Essen und Alice Schwarzer in Köln.

Beide sind beruflich eng mit der Publizistik und dem Journalismus verbunden. Und: Beide sind „emanzipierte Frauen“. Aber jede hat auf ihre eigene Art dazu beigetragen, dass die Gleichberechtigung der Frauen in den letzten Jahrzehnten entscheidend vorangekommen ist. Anneliese Brost gehörte 1946 zum Gründungsteam der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

Das war in einer Zeit, in der die Menschen morgens ihre Bleistifte zur Arbeit mitbringen mussten und abends die Glühbirnen diebstahlsicher wegschlossen. Nur so konnten Anneliese Brost und andere dazu beitragen, dreimal wöchentlich eine vier Seiten starke Tageszeitung auf den Markt zu bringen. Das verlangte von ihr Elan und Leidenschaft in einer Zeit, als die Erwerbstätigkeit von Frauen eher eine Folge der allgemein herrschenden Not war.

Mit viel Schwung überwand sie auch Widerstände der Männerwelt, und das auf ihre eigene charmante und doch resolute Art. So hat Anneliese Brost ihren ganz persönlichen Beitrag zur Emanzipation von Frauen geleistet. Alice Schwarzer verschloss keine Glühbirnen, sondern ließ uns allen ein Licht aufgehen – manch einem früher, manch einem später. Ein Licht, das die dunklen Stellen unserer Gesellschaft ausleuchtete, an denen Frauen ausharren sollten und mussten.

Alice Schwarzer hat die Frauen ins Licht der Gesellschaft geführt. Sie sorgt als Begründerin der zweiten Frauenbewegung dafür, dass wir heute auf dem besten Weg sind zu gleichen Rechten und Chancen von Frauen und Männern.

Diese große Aufgabe ist bei weitem nicht abgeschlossen. Ein Beispiel: Nur 3,5 Prozent der Führungspositionen in den hundert größten Unternehmen Deutschlands haben Frauen inne. Es gibt also noch viel zu tun. Und dafür brauchen wir engagierte Menschen, streitbare Kämpferinnen und Frauen, die immer wieder darauf hinweisen und durch ihr eigenes Tun und Leben beweisen, dass es anders geht, als „Mann“ sich das noch vor gar nicht langer Zeit so gedacht hat (und manch einer vielleicht immer noch denkt).

Der Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2004 wird also zwei starken Frauen zuerkannt, die beide mit den und über die Medien unsere Gesellschaft geprägt und verändert haben. (...)

***

Laudatio für Alice Schwarzer:

„Über das vergangene Jahr kann ich mich wirklich nicht beklagen“, so schreiben Sie, liebe Alice Schwarzer, auf Ihrer Homepage. Zu Recht: Für Sie brachte das Jahr 2004 die Goldene Feder, das Publikums-Bambi und die Ernennung zum „Ritter der Ehrenlegion“ durch den französischen Präsidenten. Sie danken auf Ihrer Homepage allen, die Ihnen zum einen oder anderen so herzlich gratuliert haben. Nun, damit können Sie dann gleich weiter machen, denn auch das Jahr 2005 fängt mit dem Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Sie ja wohl nicht schlecht an! So wie ich mich eben bei Anneliese Brost für ihr großartiges Engagement bedankt habe, so möchte ich das auch bei Ihnen tun.

Ich tue das als Stellvertreter einer Generation, die durchaus noch sehr unterschiedliche Formen des Umgangs zwischen Frauen und Männern kennen gelernt hat. Ich tue das stellvertretend für diejenigen, die erleichtert zur Kenntnis nehmen, was sich durch Ihr Engagement in den vergangenen 30 Jahren alles verändert hat. Und ich tue es stellvertretend für eine junge Generation, für die die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zum Grundverständnis unserer Gesellschaft gehört – wohl wissend, dass sie dies durchaus noch nicht immer und überall ist. Ihr Werk und Ihren Einsatz für die Rechte der Frauen zu würdigen, setzt eine Reise durch mehr als 30 Jahre publizistischer Tätigkeit und durch zahlreiche Bücher und Artikel voraus. Auch hier gilt: Ich will nicht von allem etwas erwähnen, sondern die Schwerpunkte herausstellen, die uns für die Verleihung des Staatspreises NRW an Sie besonders bedeutsam erscheinen.

Kurz und klar beschreibt Alice Schwarzer den Ausgangspunkt ihrer jahrzehntelangen Aktivitäten: „Da war etwas, was mich seit meiner Pubertät irritierte: Frauen wurden anders behandelt, als Männer. Das war ich nicht gewohnt in meiner Familie, und das wollte ich nicht hinnehmen in der Welt“. Dieses „nicht hinnehmen wollen“ treibt sie nun seit Jahrzehnten an. Denn: Langwierig und kompliziert war und ist es, die Voraussetzungen für diese Beobachtung in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verändern.

Schon der Anfang war eindrucksvoll: Alice Schwarzer begann als Volontärin bei den „Düsseldorfer Nachrichten“ und arbeitete dann als Reporterin bei „Pardon“, um schließlich als Korrespondentin nach Paris zu gehen. Dort gründete sie im Herbst 1979 zusammen mit französischen Frauen die Pariser Frauenbewegung: Das „Mouvement de libération des femmes“ (MLF). Vielleicht bedurfte es eines Umwegs über Frankreich, um auch in Deutschland eine Frauenbewegung in Gang zu setzen, die sich nicht in Geschäftsordnungsanträgen oder Splittergruppen erschöpfte, sondern wirklich gemeinsam eine Sache voranbringen wollte: Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Gesellschaft.

Den ersten medialen Donnerschlag zündete Alice Schwarzer am 6. Juni 1971 im „Stern“ mit dem „Appell der 374.“ 374 Frauen, die bekannten: „Ich habe abgetrieben.“ Man kann zu Recht sagen: Dieser Appell hat die deutsche Gesellschaft damals erschüttert. Die Veröffentlichung hat eine Lawine an Reaktionen ausgelöst, immer mehr Frauen wollten sich beteiligen und setzten sich offensiv für eine Reform des § 218 ein – mit Erfolg: Das Gesetz wurde reformiert. Schon an diesem Punkt ist wichtig: Es ging und es geht nicht darum, ob man für oder gegen Abtreibung ist. Es ging und es geht auch nicht darum, ob Alice Schwarzer für oder gegen Abtreibung ist (sie hat sich dezidiert gegen Abtreibung geäußert). Es ging und es geht darum, was die gesetzliche Regelung der Abtreibung für Frauen bedeutet. Ob Frauen mit diesem Thema, mit dieser großen Verantwortung alleine gelassen werden, in die Illegalität getrieben werden, oder ob sie in einer Gesellschaft verankert sind, die sich ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst ist und Hilfe anbietet.

Diese feine Differenzierung zwischen der moralischen Bewertung von Themen auf der einen Seite und der Bedeutung dieser Themen für die Rolle der Frau und ihrer Rechte auf der anderen Seite hat sich immer wieder als publizistische Frontlinie entpuppt. Alice Schwarzer polarisiert. Anders wäre es ihr auch nie gelungen, die gesellschaftliche Diskussion über Frauenfragen so voranzutreiben, wie wir es alle in den vergangenen 30 Jahren beobachten konnten.

Wenn man sich ansieht, liebe Frau Schwarzer, wie die Medien in diesen Jahrzehnten mit Ihnen umgegangen sind, dann kann einem schon anders werden. Begriffe wie „Männerschreck“, „Agitatorin“ gehören noch zur harmloseren Kategorie (andere will ich lieber bei einer Staatspreisverleihung gar nicht nennen …). Am Beispiel Ihrer Person beschrieb „Die Zeit“ im Juli 1976 „Wie Journalismus zur Menschenjagd wird“. Dass Sie das aus- und durchgehalten haben, dass Sie den Kampf für die Rechte der Frauen nicht aufgegeben haben, dass Sie Ihre persönlichen Interessen, auch die „publizistische Unversehrtheit“ Ihrer Person, der Frauenfrage untergeordnet haben, das finde ich bewundernswert. Das ist ihre Lebensleistung, die diesen – und nicht nur diesen – Preis rechtfertigt.

Gewiss hat es auch mit diesen ersten, zum Teil dauerhaften Erfahrungen zu tun, dass Sie die Zeitschrift „Emma“ gegründet haben, die am 26. Januar 1977 zum ersten Mal erschien. „Emma“ ist Ihr Medium, Ihre Plattform als Verlegerin, Herausgeberin und Publizistin. Und für „Emma“ gilt abgewandelt zweifellos der berühmte Satz: „The Medium is the Message“. Die „Emma“ ist ein wesentlicher Baustein, in dem, was Sie über 30 Jahre geschaffen haben, ebenso wie die gemeinnützige Stiftung „FrauenMediaTurm“ mit einem der ersten feministischen Archive. Ihr Kampf für die Rechte der Frauen ist kein Kampf gegen Männer, sondern ein Kampf gegen die Ungerechtigkeiten, die eine männerbestimmte Gesellschaft für Frauen bedeutet und bereithält.

Dabei verliefen die Linien der Auseinandersetzungen keineswegs immer zwischen Frauen und Männern, sondern Sie mussten sich häufig auch mit Frauen auseinandersetzen, die keineswegs Ihrer Meinung waren. Eines der berühmtesten Beispiele dafür ist Ihr Streitgespräch im WDR-Fernsehen mit Ester Vilar aus dem Jahre 1975. Ester Vilar hat in ihrem Buch „Der dressierte Mann“ beschrieben, wie Männer von den Frauen ausgebeutet würden. Das war natürlich eine krasse Gegenthese zu Ihrem Ansatz, und dieser Gegensatz wurde zum ersten Mal im Fernsehen ausgefochten.

Wer heute nicht mehr begreifen kann, was daran so spannend gewesen sein soll, der muss sich nur gut ein Vierteljahrhundert später Ihre Talkshow mit Verona Feldbusch bei Johannes B. Kerner (2001) vor Augen führen. Es gibt gewiss eine Reihe von sehr wichtigen Unterschieden zwischen beiden Sendungen. Es gibt aber auch eine Gemeinsamkeit: Wenn Frauen sich dezidiert mit Frauen auseinandersetzen, so bekommt diese Auseinandersetzung schnell das Etikett des „Zickenkriegs“ aufgedrückt. Und manch eine Frau sorgt auch bewusst dafür, diesen Eindruck zu erwecken.

Die Medien haben Ihnen oft Unrecht getan, liebe Frau Schwarzer. Aber Sie haben sie auch zu nutzen gewusst. Und Sie haben sich in diesem Wechselwirkungsspiel mit den Medien über 30 Jahre hinweg verändert. Sie sind vom Männerschreck zum Medienstar geworden. Aber nicht nur das: Vielleicht haben Sie sich von der Initiatorin zur Verstärkerin entwickelt, vielleicht von der Rebellin zur Reformerin. Welche Begriffe wir auch immer dafür finden mögen, Ihr Kernansatz bleibt: Klare Worte fordern klare Worte heraus. Das gilt für jede Phase Ihres Tuns und das ist wohl auch der Hebel Ihres Erfolgs.

Sie haben sich nicht lange mit der Analyse biologischer Differenzen zwischen Männern und Frauen abgegeben. Sie wollten die Machtfrage beantworten, die dahinter liegt. Sie wollten die Rechte der Frau einfordern, egal ob es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, um sexuelle Befreiung und sexuelle Gewalt, um Pornographie, um Abtreibung ja auch um Frauen in der Politik. Sie haben an all diesen Themen durchdekliniert, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. „Es gab mal einen Slogan, der hieß: „Die Zukunft ist weiblich“. Dazu schreiben Sie in Ihrer „Zwischenbilanz“ mit dem Titel „Alice im Männerland“: „Ich fand den immer schrecklich. Denn so wenig, wie ich die männliche Gegenwart wünschenswert finde, so wenig hoffe ich auf eine weibliche Zukunft. Ich glaube nicht daran, dass Frauen das bessere Geschlecht sind (und Männer das schlechtere). Es sind einfach (die Macht-)Verhältnisse, die den einen mehr Gelegenheiten zu Übergriffen geben als den anderen. Ich wünsche mir also ganz einfach eine menschliche Zukunft.“

Wie sehr Frauenrechte und Menschenrechte verknüpft sind, zeigt auch die aktuelle Diskussion über die multikulturelle Gesellschaft und das, was für manche Frauen damit verbunden ist. Alice Schwarzer hat kürzlich in einem Spiegel-Interview gesagt, sie halte die „Multikulti-Ideologie“ für verlogen. Denn sie verschleiere, dass wir anderen nicht mit der Grundhaltung der Gleichheit begegnen, sondern gönnerhaft. Gerade mit Blick auf die Situation der Frauen in islamischen Gesellschaften lässt sich dieser Gedanke noch zuspitzen: Wer unter dem Vorwand des Respekts vor anderen Kulturen auch die Unterdrückung der Frauen in diesen Kulturen respektiert und akzeptiert, der hat nicht begriffen, dass Frauenrechte und Menschenrechte unteilbar zusammenhängen.

Dass Alice Schwarzer sich auch für die Rechte der Frauen in den Gesellschaften einsetzt, die ganz andere Restriktionen enthalten, als wir sie in Deutschland kennen oder gekannt haben, das erfordert nicht nur unermüdlichen Einsatz, sondern es erfordert auch Mut. Mut, sich politisch unbeliebt zu machen; Mut, Dinge zu sagen und beim Namen zu nennen, die anderen Menschen in anderen Kulturkreisen nicht gefallen, ja sie zu radikalen Stigmatisierungen veranlassen. Auch dadurch lässt Alice Schwarzer sich nicht abschrecken.

Unsere Gesellschaft hat sich gewandelt, die Herausforderungen im Einsatz für die Rechte der Frau haben sich verlagert und Alice Schwarzer hat sich verändert. Auf der Suche nach einer Beschreibung dieses Veränderungsprozesses hat kürzlich jemand behauptet, es handele sich hier um „Altersmilde“, um diesen Begriff dann ganz schnell wieder zurückzunehmen. Auch „Altersweisheit“ beschreibt nicht das, was Alice Schwarzer heute auszeichnet.

Vielleicht kann man es so beschreiben: Unsere Gesellschaft ist bei Ihnen angekommen. Angekommen bei Ihren Forderungen nach Gleichberechtigung für die Frauen, für die es sich weiterhin und immer noch zu kämpfen lohnt. Sie ist angekommen bei der Überzeugung, dass Frauenrechte nicht auf moralische Bewertungen, sondern auf die Rolle der Frau und ihrer Rechtsposition in unserer Gesellschaft abzielen. All das hat Alice Schwarzer erreicht mit ihrem kommunikativen Talent, gegen das sich nicht einmal Günther Jauch erwehren kann.

125.000 Euro haben Sie am 24. Mai beim Promi Spezial von „Wer wird Millionär“ für ein deutsch-tschechisches Projekt gegen Kindesmissbrauch erkämpft. Am Ende scheiterten Sie ausgerechnet am medizinischen Fachbegriff für „grundlose Fröhlichkeit“. In der Reaktion auf Ihre umfängliche Suche nach Unterstützung für die Beantwortung dieser Frage sagte Günther Jauch etwas sehr philosophisches: „Hinterher gibt es nur eine Verantwortliche, und das sind Sie. Dann waren nicht die Gesellschaft schuld, kein Mann und auch nicht die Verhältnisse“.

Der Staatspreis Nordrhein-Westfalen ist nicht ganz so hoch dotiert wie Ihre Gewinnsumme bei „Wer wird Millionär“. Aber daran, dass Sie ihn bekommen, ist auch nicht die Gesellschaft schuld, kein Mann und auch nicht die Verhältnisse, sondern ganz allein Sie und Ihre Arbeit. Wir wollen uns auch heute nicht der grundlosen Fröhlichkeit – die übrigens „Witzelsucht“ heißt – hingeben. Aber ich möchte Sie, liebe Frau Schwarzer und Sie, liebe Frau Brost bitten, nun mit uns in den Zustand der 'begründeten Fröhlichkeit' einzutreten und gemeinsam mit uns zu feiern. Sie beide sind heute unsere Ehrengäste – im doppelten Sinne des Wortes.“

Alice Schwarzer drittelt das Preisgeld in drei Teile: 5.000 Euro gehen an die tapfere Organisation Solwodi, die seit 20 Jahren gegen Menschenhandel und Prostitution kämpft (Spendenkonto: Landesbank Saar - Girozentrale Saarbrücken BLZ 590 500 00, KTO 178 980 08); 5.000 Euro gehen an die "Mädchen und Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis, die zwischen Tradition und Emanzipation in Konflikt geraten" und 2.500 Euro gehen an die Flut-Opfer in Burma (Myanmar), "von denen niemand redet".

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