Alice Schwarzer in anderen Medien

"Nicht alles, was Frauen tun, ist gut"

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Ihre Lesung vor einer Woche im Zürcher Kauflauten verlief turbulent: Eine Gruppe von rund zehn Frauen im Publikum störte den Anlass. Erleben Sie das häufig?
In dieser Heftigkeit habe ich das seit langem nicht mehr erlebt. Ich fand es amüsant.

Sie reagierten tatsächlich heiter. War Ihnen keine Sekunde unwohl?
Nein. Das Ganze war ja offensichtlich organisiert und damit ziemlich durchsichtig. Es wäre interessant, zu wissen, um was für eine Gruppierung es sich gehandelt hat. Aber wissen Sie, meine Generation hat ja noch diese ganzen dogmatischen Gruppen nach 68 erlebt, die Maoisten und die kommunistischen Splittergruppen, die in die Frauenzentren kamen und rumpöbelten. So was nehme ich sportlich.

Die Störung richtete sich nicht gegen Ihr neues Buch "Der Schock", in dem Sie die sexuelle Gewalt gegen Frauen in der Kölner Silvesternacht analysieren, sondern gegen Sie, die Figur Alice Schwarzer. Sie provozieren 2016 immer noch.
Das ist in der Tat ein Phänomen. Wie kann es sein, dass ein Mensch, der keine Funktion hat – ich bin ja nicht in einer Partei, ich bin Journalistin, mein Magazin heißt EMMA –, immer noch diese öffentliche Erregung hervorruft? Das hört und hört nicht auf. Die Medien machen da übrigens gern mit. Immer noch erscheinen Artikel voller Albernheiten und Klischees über mich. Nach so langer Zeit!

Es macht Ihnen doch Spass.
Na ja, Spaß... Aber ich habe dadurch eine öffentliche Stimme und kann Debatten mitbeeinflussen. Aber dieses erregt Fiebrige ist irritierend. Mein Umfeld sagt mir seit Jahren: Du hast erst deine Ruhe, wenn du schweigst. Aber das steht natürlich nicht zur Debatte.

Hätten Sie es vor ein paar Jahren für möglich gehalten, dass das weibliche Geschlecht wieder dermaßen im Fokus stehen würde – wegen Burkini, Burka und weil Frauen mitten in einer deutschen Stadt zu Freiwild werden?
Es ist eine Gegenbewegung im Gange. Stellen Sie sich vor, es wären in Köln gezielt Hunderte Ausländer von deutschen Männern eingekreist und erniedrigt worden. Das Land hätte kopfgestanden! Die Lichterketten hätten bis über die Alpen geschienen! Aber es wurden nur Frauen erniedrigt. In Deutschland und in der Schweiz gibt es nach wie vor traditionelle Gewalt gegen Frauen, Benachteiligungen, die gläserne Decke, niedrigere Gehälter etc. Das ist allerdings alles relativ .

Relativ in Bezug auf was?
Relativ angesichts dessen, was auf uns zukommt: der religiöse Fundamentalismus. Und zwar nicht nur der islamistische, sondern auch der christliche, in den USA ist der bereits massiv auf dem Vormarsch. Der religiöse Fanatismus will zurück in die dunkelsten Zeiten, und da stehen nicht zufällig die Rechte der Frauen als erste im Fokus. Ich rede nicht vom Islam als Religion, sondern vom politisierten Islam. Bei diesem Islamismus ist das Ziel Nummer eins, die Frauen wieder zu entrechten und unsichtbar zu machen. Danach kommen alle anderen dran: die Juden, die Homosexuellen, die Intellektuellen, die Künstler, einfach alle, die noch nicht auf den Knien liegen.

In Ihrem neuen Buch "Der Schock" bezeichnet die algerische Soziologin Marieme Hélie-Lucas diesen politischen Islam als "neuartige, extreme Rechte". Ihnen warf man Rassismus vor, weil Sie die These vertreten, der Angriff von Köln sei organisiert gewesen.
Die Islamisten haben den Begriff Islamophobie erfunden. Damit versuchen sie, alle mundtot zu machen, die es wagen, die Exzesse des politisierten Islams zu kritisieren. Nicht nur ich, auch kritische Musliminnen und Muslime wie die türkischstämmige Soziologin Necla Kelek oder Autor Kamel Daoud in Algerien werden der Islamophobie und des Rassismus beschuldigt. Es ist ein billiges und durchschaubares Manöver, das mich nicht einschüchtert. Bedauerlich ist nur, dass so viele Linke und Liberale darauf hereinfallen.

Weshalb tut sich ausgerechnet die Linke, der die Frauen ja viel zu verdanken haben, so schwer mit der Islamismuskritik?
In den Siebzigern hiess es: Klassenwiderspruch geht vor Geschlechterwiderspruch. Heute heißt es: Rassismus vor Sexismus. Wir Frauen bleiben relative Wesen.

Wie erklären Sie sich, dass Frauen gegen ein Burkaverbot sind?
Sie durchschauen die politische Dimension nicht. Denn einmal abgesehen von den arabischen Touristinnen, die in Zürich oder München shoppen, sind die paar Hundert Frauen unter der Burka meistens Konvertitinnen. Sie sind oft verheiratet mit militanten Islamisten, die ihre Frauen zur politischen Provokation funktionalisieren. Es geht bei der Burka also nicht um ein paar Masochistinnen, die die westliche Freiheit nicht aushalten und lieber unter die Burka schlüpfen. Es geht um das Symbol und die Signalwirkung. Die Burka ist kein Kleidungsstück, sondern die Fahne der Islamisten.

Hierzulande opfern manche die Frauen aus Ideologiegründen: Weil Teile der SVP für ein Burkaverbot Unterschriften sammeln, sind sie dagegen, obschon sie die Burka schrecklich finden.
Was ist denn das für eine abstruse Argumentation! Mein Problem sind nicht die Rechten, sondern alle demokratischen Parteien, die rumdrucksen, es nicht wagen, Stellung zu beziehen, und damit die Frauen wieder einmal allein lassen. Es ist doch auch eine Frage der Solidarität mit den Millionen von Frauen, die in den islamischen Ländern unter die Burka, unter dieses Leichentuch gezwungen werden, und denen Sanktionen bis zum Tod drohen, wenn sie sie nicht überziehen.

Die Bevölkerung ist Umfragen zufolge deutlich für ein Verbot. Hätten Sie das erwartet?
Die Menschen haben offenbar einen pragmatischen Zugang zum Thema. Es hat sich ja auch viel getan in den Köpfen der Männer: Vier von fünf Deutschen zum Beispiel sind für ein Verbot der Burka, in der Schweiz sind die Zahlen ähnlich. Und meist argumentieren die Leute völlig frei von Ideologie oder Religion, sondern sagen: Es kann doch nicht sein, dass in unserem Land Frauen öffentlich so erniedrigt werden. Vielen Medien aber passt das nicht.

Inwiefern?
Die zählen lieber Burkas und schreiben dann, es gäbe doch kaum welche, wo denn das Problem sei. Sie ziehen die Debatte ins Lächerliche. Aber es ist nicht lustig. Es geht um Menschenwürde. Parteien und Medien unterscheiden nicht zwischen dem Islam und dem politischen Islam. Sie lassen sich ein auf den ganzen Kulturrelativismus und die Sonderregelungswünsche der Islamisten, was absurd ist. Dabei gibt es keinen Grund zurückzuweichen. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, wählen freiwillig ein westliches Land. Wenn sie sich dafür entscheiden, müssen sie akzeptieren, dass hier demokratische Regeln gelten. Aber viele haben offenbar immer noch nicht gemerkt, dass der politisierte Islam den Rechtsstaat missbraucht, um ihn abzuschaffen.

Konkret?
Rassismus, Antisemitismus und Sexismus haben dieselben Strukturen und dieselben Folgen für die Opfer. Doch obschon der Sexismus aufgrund der großen Zahl unseres Geschlechts am verbreitetsten ist, wird er am meisten relativiert oder totgeschwiegen. Man redet dann lieber über die Freiwilligkeit.

Frauen sollten anziehen können, was sie wollen?
Richtig. Dann heißt es: Frau Schwarzer, Sie sind doch für die Selbstbestimmung der Frau, da können Sie nicht die Burka verbieten wollen! Nur: Nicht alles, was Frauen tun, ist gut. Wenn wir die Freiwilligkeit als Argument heranziehen, dann müssten wir auch alle Frauenhäuser schließen. Weil die meisten Opfer häuslicher Gewalt mehrfach zurückgehen zu dem Mann, der sie misshandelt. Schließt man deshalb alle Frauenhäuser und sagt: Die Frauen gehen ja freiwillig wieder nach Hause? Eben.

Und wenn jetzt doch eine findet, sie fühle sich nun mal wohler in der Burka?
Wenn ein Schwarzer während der Sklaverei erklärte, es gehe ihm gut bei seinem Herrn, der sei nett und anständig mit ihm, dann fand man auch nicht, man müsse die Sklaverei deswegen nicht bekämpfen. Sondern man war gegen die Sklaverei, weil man der Meinung war, dass sie der Menschenwürde elementar widerspricht. Und so sah das vermutlich auch die Mehrheit der Sklaven, es war egal, ob es ein einzelner anders sah. Dasselbe gilt für die im Islamismus versklavten Frauen. Auch sie sind in der Mehrheit dagegen. In Deutschland tragen vier von fünf Musliminnen kein Kopftuch – jede zweite, die sich als tief religiös bezeichnet, hat noch nie Kopftuch getragen.

Nicht nur die Burkadebatte wird erbittert geführt, generell ist der Ton bei Geschlechterthemen oft sehr aggressiv, und die sozialen Medien tragen auch nicht zu einer stilvolleren Debattenkultur bei. Wie halten Sie das aus?
Ich lese keine Kommentare im Netz, ich lasse diesen Schmutz nicht an mich heran. Trotzdem entgeht auch mir nicht, dass alle Schleusen offen sind. Oft treten Gruppierungen wie etwa Maskulisten, also Frauenhasser, organisiert auf. Wenn ich huste, sind die zur Stelle. Dadurch, dass sie organisiert sind, erwecken sie den Eindruck, eine große Menge zu sein, was nicht der Fall ist. Das Problem ist nur, dass wir auf der Gegenseite nicht organisiert sind: Wir sind ein Haufen Deppen, der beim Kaffee jammert. Dabei ist die Frauenbewegung die soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts – keine andere Bewegung hat unsere Gesellschaft dermaßen verändert. Und dies ohne Milliarden aus Saudiarabien. Da dürfen wir bewegte Frauen uns nicht wundern, dass wir Ärger haben.

Das Interview erschien in der Schweizer Sonntagszeitung, das Gespräch führte Bettina Weber.

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