"Dann hätte ich EMMA nicht machen können"
Frank Meyer: Das ist schon beeindruckend. 1.000 Briefe in drei Jahren haben sich der Franzose Bruno und die Deutsche Alice Schwarzer geschrieben, alles Liebesbriefe. Bruno war eine der großen Lieben im Leben von Alice Schwarzer, und davon erzählt sie unter anderem in ihrer jetzt erschienenen Autobiografie "Lebenslauf". Frau Schwarzer, seien Sie uns willkommen!
Alice Schwarzer: Ja, grüße Sie, Frank Meyer!
Sie waren zehn Jahre lang mit Bruno zusammen, Sie haben sogar an Kinder oder wenigstens ein Kind gedacht. Warum ist denn die Sache mit Bruno auseinandergegangen?
Ja, wie Sie schon ganz richtig gesagt haben, war es in der Tat eine große Liebe, und es ist ein toller Mann, das ist er immer noch. Aber das kommt ja vor, dass nach zehn Jahren man sich irgendwie auseinanderlebt. Und es hatte auch damit zu tun, dass ich nach Deutschland zurück wollte, nach fünf Jahren Arbeit nur unter Franzosen, und das nur in Deutsch, da arbeitet man recht einsam, ja? Und das ging dann doch nicht mit meinem Franzosen. Der ist sehr parisien?
Sie hatten zusammen mit Bruno sogar schon einen Namen für eine Tochter, schreiben Sie, einen unmodernen, alttestamentarischen Namen. Warum haben Sie sich dann dagegen entschieden, ein Kind zu bekommen?
Ja, sagen wir so, ich hatte mich nicht wirklich dafür entschieden, ein Kind zu bekommen. Bei meiner Generation gehörte es einfach dazu. Man ging davon aus, irgendwann kriegte man ein Kind. Und als immer bewusst werdendere Frau sah ich dann - es waren ja auch etliche Mütter in der Frauenbewegung -, was das bedeutete, ein Kind zu haben, und wie schwer es war, ein Kind zu verbinden mit der Leidenschaft für den Beruf und der Leidenschaft für die Politik. Und dann habe ich meinen sogenannten Kinderwunsch - ein Wort, das es früher noch nicht gab - mal überprüft und habe gesehen: So dringlich war das eigentlich gar nicht. Und ich bin bis heute überzeugt, dass es für mich die richtige Entscheidung war. Denn eines ist ganz klar: Mit Kind hätte ich "Emma" nicht machen können, die ich ja nun seit 34 Jahren mache. Und da kann ich mich nicht nach offenen Krippenzeiten richten und ob es eine Ganztagsschule gibt. Da muss man ganz dran bleiben.
Über Bruno haben wir gesprochen. Männer spielen überhaupt eine überraschend große Rolle in Ihrem Buch. Sie haben es auch einem Mann gewidmet, nämlich ihrem Großvater Ernst Schwarzer. Warum ihm?
Ich glaube, ich verdanke ihm mein Leben. Also, meine Mutter war 22, ich bin im Krieg auf die Welt gekommen, und war das Resultat eines Urlaubsflirts von einem Soldaten eben, der von der Front kam. Und als meine Mutter dann noch mal überlegte, was hat der Mann für eine Bedeutung für sie, da sah sie, dass sie mit ihm eigentlich gar nichts anfangen kann. Und mit der Schwangerschaft konnte sie auch nichts anfangen. Die war ja auch nicht gewünscht. So kam es, dass ich bei den Großeltern gelandet bin - sehr früh -, und dann haben die Umstände eine Rolle gespielt: Mein Großvater, der sehr jung war, auch die Großmutter, die waren beide Mitte 40, hatte erst mal seinen kleinen Laden zerbombt und so weiter, hatte Zeit, und da hat sich der Großvater, den ich Papa nannte - die Großmutter nannte ich Mama - hat sich meiner angenommen, hat mich gewickelt, hat mich gefüttert, und so weiter. Meine Großmutter interessierte sich nicht dafür, die las lieber und redete über Politik und war in der Tat eine wahnsinnig interessante Frau, sehr Anti-Nazi, sehr mutig, die mich ohne Zweifel geprägt hat, aber mütterlich war sie nicht. Mütterlich war mein Großvater.
Das ist ja interessant: Sie hatten einen Mann als Mutter.
Ja, so ist es. Ich hatte einen Mann als Mutter. Und ich halte das für den Schlüssel meines Weges. Es ist also nicht so, dass Männer mir fremd waren, oder dass ich von ihnen eingeschüchtert gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Der mir emotional nächste, prägendste Mensch war dieser Großvater, der nicht nur fürsorglich war, sondern auch sehr humorvoll, und der sehr respektvoll mit mir umgegangen ist, und so kam es, dass ich dann, als ich als Teenager in die Welt ging, ein bisschen erstaunt war: Wieso sollte ich denn jetzt weniger wert sein? Ich war doch so selbstbewusst und frei in dieser sehr anstrengenden Familie. Es war eine schlechte Ehe, meine Großmutter war frustriert, weil sie Hausfrau war, mein Großvater war zu sanft, sich energisch genug gegen sie zu wehren, was man vielleicht auch gar nicht gekonnt hätte. So gab es Anspannung wie in vielen Familien, das galt es zu überleben. Aber eben, ich war eine von dreien und wurde respektiert, und das habe ich dann später nicht eingesehen, dass ich weniger wert sein soll. Also sozusagen meine Kritik an Männern kommt eigentlich aus der Achtung vor ihnen und dass ich weiß, sie sind auch Menschen, beziehungsweise sie können es sein. Und ich weiß, es gibt eben auch fürsorgliche Männer und politische Frauen.
Wenn Sie die Rollenverteilung jetzt schildern bei Ihren sozialen Eltern - also der Großmutter, dem Großvater - aber das eigentliche Vorbild war dann die wütende, die aufmüpfige, die politisch engagierte Großmutter, oder?
Das kann man nicht so sagen. Sie hat mich natürlich stark geprägt. Sie hatte wirklich einen visionären politischen Verstand, und sie war sehr unangepasst. Sie hat, obwohl sie eigentlich eine schüchterne Frau war, politisch sehr viel erkannt und gewagt, und im Dritten Reich auch Menschen geholfen, und so weiter - was man eben macht, wenn man nicht wegguckt -, hätte auch gut im KZ landen können.
Sie schreiben zum ersten Mal eben über Ihr Familienleben, auch über Ihr Sexualleben, über das erste Mal, über Beziehung zu Männern, zu Frauen, da haben Sie sich bisher immer sehr bedeckt gehalten. Warum hatten Sie jetzt den Wunsch, das öffentlich zu machen?
Wissen Sie, eigentlich bin ich ein Mensch, der nicht so gern auch noch sein Leben auf die Straße trägt. Und wir wissen ja auch, was mit den Menschen passiert, die so was tun. Aber irgendwie begannen die Klischees über die Emanze Schwarzer sich langsam so haushoch zu türmen, dass mir nach einem Befreiungsschlag war. Und ich dachte auch: Zum einen ist natürlich mein Leben, das zum Teil typisch und zum Teil ganz untypisch ist, als Mädchen und junge Frau in der Nachkriegszeit interessant, wie ich mich sozusagen zur Frau entworfen habe, auch in diesen Briefen an Bruno, wie ich mir das vorstelle, eine Beziehung, und so weiter - ich wollte immer meinen Namen behalten und all diese Geschichten, die eine Frühfeministin sozusagen schon drin hat -, und zum anderen bin ich natürlich Teil des politischen Lebens seit 40 Jahren in diesem Land. Und da, denke ich, ist es auch sehr interessant, dass man mal genau erzählt, wie ist das eigentlich alles entstanden? Was ist das eigentlich, die Frauenbewegung? Was habe ich getan? Warum bin ich keineswegs die Stimme der Frauenbewegung - das wollte ich auch nie sein, sondern warum habe ich auch mit so mancher Feministin inhaltliche Konflikte gehabt und habe sie noch? Und das war für mich selber, muss ich sagen, auch ziemlich spannend und aufregend, das alles noch mal aufzudröseln.
Sie sind ziemlich offen, was die frühe Zeit angeht. Man muss ja auch dazu sagen, die Autobiografie endet 1977, da ...
... mit der ersten "Emma"-Ausgabe, ja.
... da soll ein zweiter Band noch folgen, auf den wir gespannt sind. Sie ...
Ja, aber jetzt haben Sie ja erst mal genug mit diesen 500 Seiten zu tun!
Sie schreiben da, dass sie heute eine Lebensbeziehung haben mit einer Frau, aber das halten Sie sehr knapp, diesen Abschnitt. Wird man darüber mehr erfahren, über Ihre heutigen Beziehungen, im zweiten Band?
Ja, dann bleibt mir ja nichts anderes übrig, wissen Sie? Wenn man eine Autobiografie schreibt, und gar noch als Feministin, dann muss man natürlich auch sein sogenanntes Privatleben thematisieren. Das heißt nicht, dass man die Fenster aufreißen muss und alle Menschen durch sein Privatestes latschen lassen muss, aber das Entscheidende muss man schon sagen. Aber ich hoffe doch, dass man der zu öffentlichen Person Alice Schwarzer noch einen kleinen Rest Privatheit lässt.
Was ich interessant fand, dass ein Thema sich durchzieht durch Ihr Buch, zumindest von dem Moment an, wo Sie in die Frauenbewegung eintreten, dass Ihnen eigentlich die Angriffe durch andere Frauen immer am meisten wehgetan haben. Darauf kommen Sie immer wieder zu sprechen. Warum hat Sie das so geschmerzt?
Ja, wissen Sie, dass ein Mann kritisch ist mit einer Feministin, die sagt, Jungs, rücken, ja, hier stimmt was nicht, die Welt muss neu verteilt werden, das versteht man ja sehr gut. Da geht es um Interessenverlust und damit kann man sich auseinandersetzen. Aber dass natürlich Frauen Feministinnen in den Rücken fallen, das tut weh, weil man sich sagt: Mensch, ihr, das ist doch ein Bumerang, was ihr da macht, mal unabhängig von sachlichen Differenzen, die es auch innerhalb des Feminismus geben kann und die völlig legitim sind. Aber wissen Sie, das ist alles keine Überraschung. Ich erinnere mich an einen sehr frühen Spruch einer amerikanischen Feministin, die gesagt hat Anfang der 70er-Jahre: Der erste Schritt der Frauenbewegung ist nicht die Versöhnung mit den Männern, der erste ist die Versöhnung mit den Frauen, denn die Frauen haben eine lange, lange Geschichte von Rivalität und Konkurrenz. Sie dürfen nicht vergessen, dass über Jahrtausende eine Frau abhängig war, wirklich existenziell abhängig war, von dem Wohlwollen eines einzelnen Mannes, und jede andere Frau für sie eine Konkurrenz. Und das steckt uns noch tief in den Knochen, leider.
Bevor man diese Wanderung durch Ihr Buch, durch Ihr Leben beginnt, kann man Ihr Vorwort zu dieser Autobiografie lesen, und da schreiben Sie: "Ich bin gespannt auf diesen Streifzug durch mein eigenes Leben, doch ich habe auch Angst davor." Wovor hatten Sie da Angst?
Ja, das kennen Sie ja sicherlich auch aus Ihrem eigenen Leben. Das Leben besteht ja nicht nur aus einer Kette von Siegen, sondern es gibt auch Niederlagen, es gibt Verletzungen, und wenn Sie eine Autobiografie schreiben, dann müssen Sie auch durch diese Passagen durch. Und da ich versucht habe, ein ehrliches Buch zu schreiben und auch mit mir selbst schonungslos - anders hat das ja keinen Sinn, also man muss den Leuten ja nicht so einen Bären erzählen -, habe ich auch durch diese Passagen wieder durch gemusst. Und das hat mir doch manchmal das Herz schwer gemacht.
Und was war eine Niederlage, eine Verletzung, wo Sie mit sich zu kämpfen hatten, die jetzt in dieses Buch zu bringen?
Das, was wir eben gesagt haben: Die Differenzen im Namen des Feminismus, also die ...
Die Kämpfe mit anderen Frauen?
Die Kämpfe mit anderen Frauen. Das finde ich schon das Schwierigste, und das ist ja etwas, was gerade wieder ganz routiniert gespielt wird. Und da finde ich aber interessant, dass Folgendes passiert: Dass zum Beispiel eine Feministin wie ich gar keine Frau mehr kritisieren darf, und schon gar nicht, wenn sie jünger ist, das ist anscheinend ganz furchtbar tabu, egal was diese Frau vertritt. Ich muss sagen, das finde ich fast frauenverachtend, weil ich finde natürlich nicht alle Frauen toll, und schon gar nicht alle Positionen, die ein weiblicher Mensch vertritt. Ich nehme Frauen ernst, ich kritisiere Frauen wie Männer, und so wird es bleiben.
Frau Schwarzer, vielen Dank für das Gespräch!
Deutschlandradio Kultur, 22.9.2011