Interview - Der Spiegel, 15.11.2004: Die

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Der SPIEGEL Seit Jahrzehnten wird tatenlos zugesehen, wie ein Teil der hier lebenden Türkinnen völlig entrechtet wird. Warum regt sich in der deutschen Gesellschaft so wenig Widerstand dagegen?
Alice Schwarzer
Weil jedes Anprangern dieses Missstands sofort als Rassismus gebrandmarkt wird. Dabei hat der gesunde Menschenverstand keineswegs immer Unrecht: Eine Frau, die unter ihren Stoffbergen dahinstolpert, während ihr Mann lässig in Jeans ausschreitet; oder ein Mädchen, das zwangsverheiratet wird - das ist ein Skandal, egal, zu welchem Kulturkreis man gehört.
Von rechts werden Sie wohl kaum Rassismusvorwürfe hören...
Halten Sie alle Konservativen für Rassisten? Vor allem Linke plädierten bisher für eine "Toleranz der Unterschiede". Doch wer so argumentiert, hält Musliminnen für eine andere Sorte Mensch, in einer anderen Kultur, deren Regeln akzeptiert werden müssen, auch wenn sie frauen- und menschenfeindlich sind.
Sie selbst wenden sich seit 1979 immer wieder gegen die Unterdrückung muslimischer Frauen. Was sind Ihre Erfahrungen?
Einschüchterung! Das ging los nach meiner Iran-Reise 1979, zwei Wochen nach Machtergreifung Khomeinis, als ich in EMMA und in der Zeit über diese neue Variante des Faschismus schrieb. Die haben von Anfang an ja kein Geheimnis aus ihren Absichten gemacht, ganz wie die Nazis 1933. Man heftete mir damals sofort das Etikett "Rassistin" und "Schah-Freundin" an. Und bis heute will in Deutschland niemand zur Kenntnis nehmen, dass zum Beispiel die so genannten "Rebellen" in Tschetschenien bereits seit 1994 die Scharia praktizieren! Dagegen habe ich noch keine Menschenrechtler protestieren gehört.
Wie erklären Sie sich diese Reaktionen?
Das ist nackte Frauenverachtung. Aber auch Selbsthass. Und dann diese deutsche Glaubenssehnsucht. Nachdem die Nazis alles Fremde verteufelt haben, wollen die Kinder nun alles Fremde lieben, mit fest verschlossenen Augen. Nachdem ihre linken Götter untergegangen sind, wollen sie an diese neuen Göttern glauben.
Hat sich nicht gerade die Linke der Ausländerfrage angenommen?
Ja, aber oft im Gewand einer Multi-Kulti-Ideologie, die ich für verlogen halte. Sie verschleiert, dass wir anderen nicht mit der Grundhaltung der Gleichheit begegnen, sondern gönnerhaft. Diese ganz besondere Fremdenliebe ist nur die andere Seite der Fremdenverachtung. Und sie erinnert mich fatal an die gute alte Stellvertreterpolitik gewisser 68er, die immer schon besser wussten, was für das dumme Volk gut ist. Wir haben ja gerade in Holland gesehen, wohin so eine falsch verstandene Toleranz führen kann. Diese selbstgerechten Fanatiker glauben, sie hätten selbst mitten in unseren Demokratien das Recht, "Ungläubige" abzuschlachten - um so jede Kritik an ihrem Wahn mundtot zu machen.
In Deutschland hat erst das Kopftuchverbot die Aufmerksamkeit auf die Lebensumstände muslimischer Frauen gelenkt. Marieluise Beck, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, glaubt, dass sich kopftuchtragende Frauen leichter integrieren können - schon deshalb, weil sie das Haus verlassen dürfen.
In dem die grüne Politikerin so frenetisch zu der Minderheit der demonstrativ das islamische Kopftuch tragenden Musliminnen hält, fällt sie der Mehrheit in den Rücken, die sich bewusst nicht verschleiert. Weiß die Integrationsbeauftragte eigentlich, welchen moralischen Druck eine Kopftuch-Lehrerin auf muslimische Schülerinnen und deren Eltern ausüben kann? Schließlich gilt den Islamisten eine Unverschleierte als Hure.
Greift da nicht das Grundrecht auf Religionsfreiheit?
Das hat nichts mit Religion zu tun, das ist Politik. Hinzu kommt: Eine Lehrerin hat sich in der Schule nicht selbst zu verwirklichen, sondern die Demokratie zu repräsentieren. Wenn das islamische Kopftuch erlaubt sein soll, warum nicht gleich auch der Tschador und die Burka? In schwedischen und englischen Schulen sind übrigens schon Schülerinnen in der Burka aufgetaucht.
Die Gerichte beschäftigen sich bereits seit Jahren mit dementsprechenden Klagen von Muslimen. Wie beeinflusst das islamische Recht die deutsche Rechtsprechung?
Schleichend. Die Islamisten machen in Deutschland seit Mitte der 80er Jahre gezielt Propaganda. Offensive Nummer eins: die soziale Unterwanderung der eigenen Leute. Offensive Nummer zwei: die Aufweichung des demokratischen Bildungswesens. Offensive Nummer drei: die juristische Unterwanderung des Rechtsstaates. In orchestrierten Aktionen wird seit einigen Jahren versucht, die Scharia in das deutsche Recht zu infiltrieren. Die Flagge dieses Kreuzzuges ist das Kopftuch. Der in diesem Bereich aktive Prof. Mathias Rohe, ein in Erlangen lehrender Richter am Oberlandesgericht, bestätigte schon 2002 auf Nachfrage ganz offen: "In Deutschland wenden wir jeden Tag die Scharia an. Wenn Jordanier hier heiraten, dann verheiraten wir sie nach jordanischem Recht." Also inklusive dem "Recht" auf Polygamie.
Der Politikprofessor Bassam Tibi fordert in Ihrem Buch "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz", dass sich Ausländer in Deutschland an der europäisch-westlichen Leitkultur orientieren müssen. Schließen Sie sich dem an?
Ich würde es nicht so formulieren, das Vokabular ist mir fremd.
Aber Sie denken es.
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Damals im Deutschen Herbst, zu Zeiten des RAF-Terrors, sollte man jeden Morgen das Hohelied aufs Grundgesetz singen. Mir war das sehr unsympathisch. Inzwischen aber ist das Grundgesetz mir lieb und teuer geworden. Ich finde es eine wunderbare Errungenschaft, hinter die wir nicht zurückfallen sollten.
Sie wollen sich des Islamismus per Grundgesetz erwehren?
Selbstverständlich! Wir haben unsere Freiheiten wie Aufklärung und Demokratie mühsam erkämpft und dürfen nicht hinter das Erreichte zurückfallen. Die Menschenrechte sind universell gültig und unteilbar, unabhängig von Kultur und Religion.
Was muss die Politik tun, um Frauenrechte zu sichern und dem Einfluss von Islamisten entgegen zu wirken?
Es gibt viel zu tun, weil alles vernachlässigt wurde. Die Beherrschung der deutschen Sprache und die Akzeptanz unseres Rechtssystems muss zum Einbürgerungskriterium werden. In den betroffenen Stadtvierteln muss offensiv Jugendarbeit betrieben werden, damit die Mädchen und Jungen nicht noch mehr voneinander entfremdet und in demokratiefeindlichen Moscheevereinen verhetzt werden. In den Vierteln, den Schulen und an den Unis müssen wir der Rattenfänger-Propaganda der Islamisten offensiv und konstruktiv etwas entgegen setzen. Und wir müssen vor allem den akut bedrohten Frauen und Mädchen konkret helfen.
Die Mehrheit der Muslime schweigt zu diesen Themen. Sollten nicht die Betroffenen selbst ihre Stimmen erheben - auch im Kampf gegen die Radikalen?
Dieses Schweigen ist zu ende. Die Mutigsten beginnen gerade, die Stimme zu erheben. Und sie bezahlen es teuer. Nach der Ermordung von Theo van Gogh steht Ayaan Hirsi Ali, eine holländische Abgeordnete somalisch-muslimischer Herkunft, als zweite auf den gefundenen Todeslisten. Sie ist untergetaucht. Sollen wir jetzt alle aus Angst schweigen? Nein. Jetzt ist der Schulterschluss mit den demokratisch gesinnten Musliminnen und Muslimen gefragt.
Der Spiegel, 15.11.2004. - Das Interview führten Michaela Schießl und Caroline Schmidt.

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