"Ich bin viel zu weiblich" - 2.8.1990

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Wie sie ist? Nett, klug, witzig, warmherzig, offen, charmant, fürsorglich, lebendig... So neugierig bin ich noch nie nach einem Interview von Freunden und Kollegen ausgefragt worden, die sich selbstverständlich alle schon immer gedacht haben wollen, dass sie keine Hexe ist. Aber so ganz sicher ist man sich auch im Märchen erst dann, wenn die Welt wieder in Ordnung ist.

Hat die Zeit ihr den Giftzahn gezogen? Ist die Galionsfigur der deutschen Frauenbewegung, auf die man jahrelang einprügelte, nun weichgeklopft? Oder warum ist Deutschlands Oberfeministin als Ratefüchsin ins Netz des Showbiz gelangt? Weil sie schlau ist? Das auch. Als Quizkollegin ist sie allemal die ausgefuchsteste, die witzigste im Quartett.
Brauchte sie Geld? "Ich bin nicht käuflich."
Weil sie Blacky so mag? "So graumeliert, das ist nicht meine Flirtschiene."
Was dann? "Ich kann das doch ganz gut! Warum nicht mal eine andere Seite von mir zeigen?" Sie zeigt Humor, die "frustrierte Tucke" ("Süddeutsche Zeitung"), die "Nachteule" ("Münchner Abendzeitung"), "Miss Hängetitt" (Stern-Leser). Vor allem schwarzen.
Eine Schauspielerin, die immer das zänkisch böse Weib mimt, aber in Wirklichkeit vor Liebreiz überschwappt, ist sie dennoch nicht. In der Sache war und ist Alice Schwarzer eine scharfzüngige, beinharte Person, die ihre gelegentlich einschüchternde Arroganz perfekt einzusetzen weiß. Immer wieder hat sie, die Linke, sich mit der Linken angelegt und so manche Kollegin aus früheren EMMA-Zeiten mit ihrer Dominanz in die Flucht geschlagen. Die EMMA, Alice Schwarzers inzwischen 13 Jahre altes Kind, hat ihr Redaktionsbüro am Kolpingplatz in Köln. Dort im dritten und vierten Stock herrscht freundlich alternative Atmosphäre; junge Frauen meist Mitte/Ende Zwanzig, die monatlich ihre EMMA (80.000 Auflage, schuldenfrei) produzieren). EMMA ist lockerer geworden. Inzwischen finden sich im Kontaktanzeigenteil auch Gesuche nach dem Traummann.
Es ist 20.30 Uhr. Anderswo ist längst Dienstschluss. Die Chefin, ausnahmsweise in Hose (eigentlich trägt sie viel lieber Röcke), drückt mir erwartungsgemäß fest die Hand. Sie ist kleiner, die große Alice Schwarzer, als ich dachte.
Geh'n wir einen trinken! Mit großen Schritten steuert sie eine Kneipe in der Innenstadt an. Danach muss sie unbedingt wieder an den Schreibtisch. Ein workaholic? Nein, sie arbeitet zwar viel und gern. Aber sie kann genauso gut ausspannen, faulenzen, am Strand ein Buch lesen. Dass einer kein Privatleben habe, hält sie für eine eher traurige Mitteilung. Sie ordert Frankenwein ("Corbière trinken wir doch immer!") und ist schon mittendrin im ungebremsten Redefluss. Eine glänzende Entertainerin. Zum Beispiel, wenn sie ihr großes journalistisches Vorbild Marion Gräfin Dönhoff auf Besuch in der EMMA-Redaktion trefflich imitiert. Sie hat ein äußerst komisches Talent, wo sie sitzt, wird am lautesten diskutiert und gelacht. Eine Rheinländerin von Geburt und Temperament.
"Mein Gott! Elf Uhr, haben wir viel geschwätzt!" Sie steht abrupt auf und rauscht mit wehendem schwarzen Mantel davon. Für den nächsten Tag sind wir im "Dom-Hotel" verabredet. Sie will unbedingt mit Blick auf den Kölner Dom sitzen. Sie liebt diese Stadt. Nicht so großkotzig preußisch wie Berlin. Draußen heizen Jungens mit ihren Skateboards über den Platz. "Für jedes Mädchen, das ich da mal sehe", verspricht Alice Schwarzer", "steck ich 'ne Kerze im Kölner Dom an!"
Die Frau scheint heute auf der Hut. Es geht um ihr Bild in der Öffentlichkeit, und da will sie selbst für die richtigen Pinselstriche sorgen. Aus Vorsicht, aber auch aus Eitelkeit. Mit verschränkten Armen kommt das Kommando: "Fragen Sie, aber seien Sie darauf gefasst, dass ich nicht alles beantworte!" Sie möchte nicht lesen, was sie für Kaffeetassen hat. Diese Homestorys auf den Sofas! Wie Pornos kämen ihr die manchmal vor. Nie mehr würde sie einen Journalisten in ihre Kölner Stadtwohnung lassen ("dabei würde mir die bestimmt zur Ehre gereichen"). Ihren zweiten Wohnsitz hat sie auf dem Land ("Wie man das so macht, wenn man kann"). Sie lebt allein mit Katze Lilly. Basta!
Über die Kindheit erzählt sie gern und ausführlich. Fast keine erfolgreiche Frau, hat sie in ihrem Buch "Warum gerade Sie?" festgestellt, kommt aus "normalen" familiären Verhältnissen. Berühmte Frauen hätten vielfach Brüche: in ihrer nationalen Identität, in ihrer Identität als Frau, in ihrer Klassenherkunft. Sie seien unehelich, vaterlos oder - im Gegenteil - "Vatertöchter".
Lebensbedingungen, die auch die Schwarzer selbst vorzuweisen hat. Die materielle Realität ihrer ehemals bürgerlichen Familie nennt Alice Schwarzer "proletarisch". Im Krieg, am 3. Dezember 1942, kommt sie unehelich zur Welt. Bei ihrer Geburt im Rote-Kreuz-Krankenhaus Wuppertal muss sich ihre 22 Jahre alte Mutter von einem Arzt die Frage gefallen lassen: "Na, rein geht's besser als raus?"
Alice wächst bei Mutters Eltern auf. Sie sind für sie "Mama" und "Papa". (Groß-)Mama ist die intellektuelle Autorität der Familie, eine Antifaschistin und fanatischer Tierliebhaberin. Der Großvater, ein sensibler, zärtlicher Mann, übernimmt die Mutterpflichten für Alice. Die Enkeltochter hat ihn als mustergültiges Beispiel positiver Unmännlichkeit in Erinnerung. Er ist Tabakwarenhändler von Beruf und hat unter dem herrischen Missmut seiner scharfzüngigen Ehefrau, die sich mit ihrem Frauenschicksal nicht recht abfinden kann, heftig zu leiden.
"Mit 'nem bisschen Psychologie", liefert Alice Schwarzer die Analyse ihrer Lebensgeschichte gleich mit, "ist es doch einfach zu sehen, dass ich gar keinen Männerhass haben kann." Ihre Kindheit habe sie damit verbracht zu sehen, wie eine Frau einen Mann fertigmachte. Selbstverständlich ist sie auf der Seite des "Papas". Der liebt und bestätigt in ihr das Mädchen, indem sie tun und lassen kann, was sie will. Und sie will auf die Bäume, sich die Welt erobern, wie es sonst nur die Jungens tun. Puppenkämmen ist ihr zu blöde. Über die Welt der klassischen Mädchenspiele kann sie auch heute nur angeekelt die Nase rümpfen. Verdummend! Eng! Tot!
"Mit meiner Identität als Frau bin ich also gar nicht so sehr im unreinen", erklärt sie. Ihre Weiblichkeit hat Alice Schwarzer äußerlich nie versteckt. Yves Saint Laurent trug sie schon in Pariser Studententagen. "Ausverkauf", murmelt sie, "Keine Frage des Geldes, sondern des Geschmacks." Selbst in den Hoch-Zeiten der Frauenbewegung hat sich Alice dem Neutralisierungsdruck standhaft verweigert. Wem Jeans stehen, bitte, hat sie damals gesagt, ich bin hier in dieser verdammten Frauenbewegung, damit ihr eure Hosen und ich meinen Rock tragen kann!
Die Schulzeit verläuft chaotisch. Alice, begabt, aber undiszipliniert, wechselt von einer Schule zur nächsten und landet schließlich auf der Handelsschule. Die nicht gerade harmonische Ehe der Großeltern bedeutet für den Teenager zunehmend eine Belastung. Eine Zeit, über die sie nicht spricht. Über ihre leibliche Mutter schon gar nicht. Zu schwierig. Zu privat.
Über die spätere Pubertät kann sie erzählen; die hat schließlich nicht nur persönlichen, sondern exemplarischen Charakter. Man darf sie sich ruhig so vorstellen: mit Prinzessabsätzen, Sechserlocken à la Froboess und Tüllrock. Sie lacht prustend: "Ich sah aus wie ein Transvestit!" Natürlich hat sie auch gezittert in der Tanzstunde: Werde ich aufgefordert? Sie wurde. Mit 19 Jahren ("war halt dran") schlief sie das erste Mal mit einem Mann. Ein Schlüsselerlebnis war das nicht gerade. Dass Jugendliche heute schon mit 13, 14 Jahren ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln, betrachtet sie mit Stirnrunzeln. "Das können die doch seelisch noch gar nicht verkraften!"
Nach diversen Gelegenheitsjobs setzt sie sich nach Paris ab. Um Französisch zu lernen. Sie ist ehrgeizig genug, um dafür putzen zu gehen; dann Aufnahmeprüfung zur Journalistenschule, sie fällt durch und wird doch Journalistin, volontiert bei den Düsseldorfer Nachrichten und landet nach einem kurzen Gastspiel bei Moderne Frau als Reporterin im linken Männerladen Pardon.
Ein halbes Jahr lang hält sie es dort aus. Die Kollegen schenken ihr zum Abschied einen Cartoon: Alice als römische Wölfin mit lauter Babys an den Zitzen; einer haut ihr noch auf die Schulter: Bist ja ganz nett, nur schade, dass du so frigide bist! Sie hat dazu geschwiegen, die schlagfertige Schwarzer: "Ich war wie erstarrt. Ich konnte nichts sagen. Das haben die sich geleistet, weil ich mit niemandem aus der Redaktion geschlafen hab'."
Zurück in Paris arbeitet sie als freie Journalistin, studiert Gesellschaftswissenschaften und baut die Frauenbewegung mit auf. Der Kampf gegen den § 218 treibt sie wieder nach Deutschland. Sie hat nie wirklich abgetrieben, aber im Kopf tausend Mal. Ihre ganze frühe Sexualität ist beherrscht von der Angst, schwanger zu werden. Als Anfang 1971 die französischen Feministinnen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch auf die Straße ziehen, mobilisiert sie die Schwestern in der BRD. Im Juni 1971 kann der Stern 374 Namen von Frauen veröffentlichen, die sich der illegalen Abtreibung bezichtigen, um den § 218 zu Fall zu bringen. Diesen Kampf hat sie, auch wenn sie es leid ist, sich immer wieder darüber die Finger wund schreiben zu müssen, bis heute nicht verloren gegeben.
Anfang 20 gehörte die Vorstellung von Mutterglück durchaus noch in ihre Lebensplanung. Heiraten wollte sie ihren damaligen Freund, und auch ein Kind haben. Ein Mädchen wünschte sie sich, das im Geiste schon in allen Eliteschulen der Welt angemeldet wurde. Nur nicht sofort. Erst die Arbeit! Dann kam die Frauenbewegung. Das Private wurde politisch, Alice zog mit Frauen zusammen.
Das Abenteuer der biologischen Schwangerschaft, grinst sie ironisch, habe sie allerdings nie gereizt. Dies Frauen mit den dicken Bäuchen, wie Kriegsversehrte würden die manchmal daherschreiten. "Klapperstprch wär' doch besser!"
Alice Schwarzer hat die Lernsucht. Weiterdenken findet sie "passionierend!" Intelligenz "erotisch". Klugen Menschen ("Ich habe die Angewohnheit, mich mit anspruchsvollen, schwierigen Menschen zu umgeben!") gilt ihre ganze Sympathie. Irmtraud Morgner oder Simone de Beauvoir, mit denen sie eng befreundet war, gehören dazu, Mit ihnen teilt sie auch die Abneigung gegen den ganzen Weiblichkeitsmythos; von wegen naturgegebener positiver Eigenschaften der Frau!
Der Druck des Sich-ständig-beweisen-Müssens, scheint von ihr abgefallen. Über viele Dinge, bei denen sie früher vor Wut um sich gebissen hat, kann die 47-Jährige heute nur lachen.
Vor kurzem saß sie mit drei Freundinnen bei einem Glas teuren, köstlichen Weins in einer New Yorker Intellektuellenkneipe. Der Kellner brachte eine zweite Flasche: Von dem Herrn da drüben! "Ich", schauspielert sie die Situation nach, "drehe mich um und will dem edlen Spender zuprosten." Die beiden anderen Frauen, bedeutend jünger, fanden das unmöglich und schickten die Flasche zurück.
Vielleicht, denkt sie laut, habe ihre größere Gelassenheit auch damit zu tun, dass sie als Frau Mitte Vierzig schon einige Zeit aus dem Brennfeuer herausgerückt sei. "Man ist mit 20, 30 Jahren, blond wie ich war und so weiter, doch viel mehr dieser ganzen Anmache ausgeliefert. Ich bin froh drum", lacht sie, "herrlich! Gibt einem doch mehr Freiheit!"
Na klar, auch eine Alice Schwarzer ist nicht immer "auf der Höhe des Programms". Sie lächelt manchmal zuviel, und dieses mütterlich besorgte "schmeckt's" oder "frierste?" rutscht ihr auch immer wieder raus. "Ich bin halt zu weiblich!", sagt sie und grient. Und meint es ernst.
Es ist halb zwei Uhr nachts, wir schlendern in der Dunkelheit zum Rhein runter und erzählen uns dabei Gruselgeschichten. Hier, irgendwo in der Nähe, wohnt Alice Schwarzer. Ich soll, bestimmt sie fürsorglich, ein Taxi nehmen. "Man weiß ja nie!"
Annette Rupprecht, Der Stern, 2.8.1990

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