Über Alice

Feministin im Ritterstand - 12.12.04

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Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin, kommt zu hohen Ehren.

 

"Männerschreck", "frustrierte Tucke", "Nachteule mit dem Sex einer Straßenlaterne". Fast 30 Jahre nachdem ein Teil der Deutschen Alice Schwarzer mit derben Schimpfwörtern demütigen und zum Schweigen bringen wollte, verleiht Frankreich der führenden Feministin des deutschsprachigen Raumes den bedeutendsten Orden des Landes und hebt sie in den Stand des "Ritters der Ehrenlegion".
"Diese Auszeichnung hätten Sie längst bekommen müssen. Für alles, was Sie sind und was Sie tun", sagte Claude Martin, der französische Botschafter in Berlin letzten Mittwoch, bevor er Alice Schwarzer eine sternförmige Medaille an das Kleid steckte.
Vieles, was Alice Schwarzer ist und tut, hat seinen Ursprung in Frankreich, in Paris. "Ich bin nicht als Feministin vom Himmel gefallen", sagt sie. Als uneheliches Kind im Dezember 1942 in Wuppertal geboren, wächst sie "in Trümmern" auf, aber "frei und geliebt" bei ihren Großeltern. Nach kaufmännischen Tätigkeiten geht Alice mit 22 Jahren nach Paris. Mit Putzen verdient sie sich das Geld für einen Sprachkurs an der Universität Sorbonne, wo sie Bruno begegnet, mit dem sie neun Jahre verbunden bleibt.
Nach zwei Jahren bei den Düsseldorfer Nachrichten kehrt sie nach Paris zurück und berichtet als freie Korrespondentin über Streiks, Studentenproteste und manchmal über die neueste Mode. Gleichzeitig studiert sie Soziologie und Psychologie und freundet sich mit Feministinnen und radikalen Frauenrechtlerinnen an. Sie debattieren bis in die Nacht, tippen Flugblätter, hocken mit protestierenden Prostituierten in den Cafés und zetteln die Pariser Frauenbewegung an.
Im April 1971 beginnt für Alice Schwarzer das "Abenteuer, dessen Ende auch heute noch nicht in Sicht ist". Die französische Frauenbewegung hatte die Kampagne gegen das Abtreibungsverbot gestartet. Schwarzer wollte die Debatte auch in Deutschland lancieren. Doch dort herrschte Funkstille. Nur nach hartnäckigem Suchen und Überzeugen konnte sie im Stern eine Liste von 374 zum Teil weltbekannten Namen deutscher Frauen veröffentlichen, die sich des strafbaren Schwangerschaftsabbruchs bezichtigten, um das Verbot zu bekämpfen. Auch ihr Name war dabei, obwohl sie wie andere nie abgetrieben hatte: "Es ging um polititsche Provokation, nicht um ein persönliches Bekenntnis." Die Stern-Ausgabe wurde zum Skandal, die Unterschriftenaktion zur größten Bürger(innen)initiative Deutschlands und zur Initialzündung der neuen Frauenbewegung.
Alice Schwarzer wurde aber erst 1975 auf das öffentliche Parkett gespült. Ihr Buch "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" wurde zum Schreckgespenst der einen und zur Galionsfigur der anderen. Erstmals sprachen Frauen öffentlich über Kinder, Arbeit und Sexualität - die Grundfesten der traditionellen Rollenverteilung gerieten ins Wanken. "Das Buch wirkte direkt in das Leben der Menschen, bei Ehestreits saß ich sozusagen auf der Ritze", hielt Schwarzer unlängst fest.
Anders als andere Frauen lehnte sie sich nicht aus Demütigung auf. Aus Stolz sei sie Feministin geworden. Seit der Pubertät begriff sie - oder eben nicht -, dass Frauen anders behandelt werden als Männer. Doch "Frauenkampf ist nicht in erster Linie ein Kampf gegen Männer", sagt sie, "allerdings richtet er sich gegen Männer, wo diese auf Kosten von Frauen an ihren Privilegien festhalten". Kein Wunder lehnt sie es ab, dass die Familienarbeit an den Frauen hängen bleiben soll: "Windeln wechseln hat doch nichts mit der Gebärmutter zu tun."
Schwarzers Markenzeichen ist ihr Draht zu Frauen aller Schichten. Ihre Porträts und veröffentlichten Gespräche mit Größen wie Simone de Beauvoir und Elfriede Jelinek sind ebenso engagiert wie ihre Arbeit mit und für unzählige Unbekannte. Dahinter steckt eine einfache Überzeugung: Frauen und Männer sind gleichwertig. Wo dies nicht der Fall ist, klagt sie an. In ihrer Frauenzeitschrift EMMA weist sie seit 25 Jahren auf die Gefahren des Islamismus hin und hat das Kopftuch als Flagge der Kreuzzügler bezeichnet. Die "pseudotolerante Multi-Kulti-Ideologie" vieler Linken hält Schwarzer für verlogen. "Menschenrechte" haben für sie nichts mit einer Kultur zu tun, sondern "sind zentrale Werte und unveräußerlich".
Lange war Schwarzer nur die unerbittliche Emanze und Aufklärerin. Dank zahlreicher zum Teil legendärer Fernsehauftritte hat auch die Öffentlichkeit mitbekommen, wie viel Charme, Lebenslust und Witz in dieser Frau steckt. Oder ist dies alles nur Altersmilde? Schwarzer will nichts davon wissen. Auch von etwaiger Altersmüdigkeit ist bei der 62-Jährigen nichts zu spüren. "Es gibt noch viel zu tun", sagt sie. Schließlich ist Alice Schwarzer zum Ritter geschlagen worden - und nicht zur Ritterin.

Larissa Bieler, NZZ am Sonntag, 12.12.2004

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