Alice Schwarzer in anderen Medien

In der Kronen Zeitung

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Krone: Wir führen dieses Interview per Mail. Wo sind Sie gerade, während Sie mir schreiben?
Alice Schwarzer Ich sitze im Büro an meinem Schreibtisch im FrauenMediaTurm. Und wenn ich aufstehe und den Kopf recke, sehe ich den Rhein und die Spitzen des Kölner Doms.

Am Montag erinnert der Internationale Frauentag an die Diskriminierung und Ausbeutung von Frauen und Mädchen in aller Welt. Wie werden Sie ihn verbringen?
Ich werde in Berlin sein und nach langer, langer Zeit ein paar liebe Menschen wiedersehen.

Sie schreiben in EMMA, der Tag sei „gönnerhaft“ und lenke von realer Gleichberechtigung ab. Warum gehört er in Ihren Augen abgeschafft? Sie sprechen sogar von einem „Witz“. Wie meinen Sie das?
Ein Tag im Jahr für die Hälfte der Menschheit - das ist doch wirklich lachhaft. Der 8. März kommt ja aus den ex-sozialistischen Staaten, da war das so eine Art roter Muttertag. Die Frauen bekamen lauwarmen Sekt und rosa Nelken - und dann konnten sie wieder ihre zwei Schichten schieben: voll im Beruf und voll im Haushalt. Das ist ein bisschen besser geworden, aber eben nur ein bisschen. Der Sekt ist jetzt vielleicht besser gekühlt. Nein, da wären mir 365 Tage für Menschen lieber - und für die Tiere und die Natur gleich dazu.

Aber noch immer verdienen Frauen deutlich weniger, sind großteils für Hausarbeit und Kindererziehung zuständig. Was ist so falsch, das jedes Jahr und immer wieder zu betonen? Wie sonst sollten/müssten Frauen auf ihre Situation aufmerksam machen?
Falsch ist, dass nicht allgegenwärtig ist und grundsätzliche Anstrengungen gemacht werden, diese fatale Arbeitsteilung abzuschaffen. Nach der sind die Männer zuständig für die Welt und die Frauen fürs Haus. Sicher, immer mehr Frauen sind jetzt auch verantwortlich für die Welt, das ist gut - aber nur eine Minderheit der Männer fühlt sich auch wirklich zuständig fürs Haus. Das muss sich ändern. Und wenn Familienpause oder Teilzeitarbeit wegen der Kinder, dann bitteschön für beide!

Frauen sitzen heute an den Hebeln der Macht - Kamala Harris, Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Christine Lagarde. Sind diese Frauen ein Vorbild?
Ja, das sind sie. Auch wenn man mit dem, was sie tun, nicht immer einverstanden sein muss. Und auch, wenn die Welt nicht automatisch besser wird, nur weil Frauen sie mitlenken. Und Kamala Harris war ja nicht zufällig Anfang des Jahres Covergirl bei „Emma“. Es macht uns Frauen einfach Mut zu sehen: Auch Frauen können mächtig sein! In Deutschland gibt es ja schon lange diesen Witz: Fragt ein kleiner Junge seine Mutter: „Mama, können eigentlich auch Männer Kanzlerin werden?“ - Ja, sie können. Wir Frauen sind ja gar nicht so.

Corona trifft Frauen besonders hart. Homeoffice und Homeschooling lasten hauptsächlich auf ihren Schultern. Ist das der Politik genügend bewusst?
In dieser Krisenzeit wird es mal wieder offensichtlich: Auch wenn ein Kind Eltern hat, sind es doch mal wieder die Frauen, die hauptzuständig sind. Auch die berufstätigen Frauen. Es gibt zum Glück immer mehr Ausnahmen, aber in der Regel sind im gemeinsamen Homeoffice die Männer mal wieder wichtiger. Und da reden wir noch nicht von der dunklen Seite der Familien: der Gewalt. Wir alle wissen, dass die Gewalt gegen Frauen und Kinder kein Ausrutscher ist, sondern epidemische Ausmaße hat. Sie ist der dunkle Kern des Machtverhältnisses der Geschlechter. Jetzt steigt sie dramatisch, weil die Opfer noch isolierter sind als zuvor.

Wie sehr belastet Sie persönlich die Pandemie?
Ich bin privilegiert. Ich kann zu Hause auf dem Land arbeiten. Aber die Ödnis der Städte verstört mich schon sehr. Ich sehne mich nach Kaffeehaus-Terrassen und Kinos.

Als „Ikone des Feminismus“ …
Ikone? Was ist das? Ich bin ein lebendiger Mensch, ein sehr lebendiger. Doch ich freue mich, wenn ich Frauen Mut mache. Seit dem Erscheinen des zweiten Teils meiner Autobiografie, dem „Lebenswerk“, erhalte ich wieder verstärkt Briefe von Frauen und auch so manchem Mann. Sie schreiben mir, wie sehr ich ihnen in ihrem Leben Mut gemacht habe. Und weiterhin mache. Nicht nur durch das, was ich sage und schreibe, sondern auch dadurch, dass ich mich nicht unterkriegen lasse.

… haben Sie viele Kämpfe geführt: gegen das Abtreibungsverbot, gegen Pornografie, den politischen Islam, um nur einige zu nennen. Welcher war Ihr wichtigster?
Sie haben schon drei der wichtigsten genannt. Beim Abtreibungsverbot und der Pornografie geht es ja um die Schlacht um den Körper der Frauen. Die hat sich mit dem Schönheits- und Schlankheitsterror eher verschärft. Und was den radikalen Islam angeht: Der will denkende Menschen auf die Knie zwingen. Die aufgeklärten Muslime allen voran. Und die Frauen werden zwangsverschleiert, also entindividualisiert und unsichtbar gemacht. Dieser Islamismus ist natürlich eine große Gefahr für uns alle. Ganz wie die fundamentalistischen Christen. In Amerika hatten die Evangelikalen, für die Gott die Welt in sieben Tagen erschuf, zu 80 Prozent Trump gewählt. Wir sehen, wohin das führt.

Sie werden nächstes Jahr 80 und sind noch immer Herausgeberin von EMMA, der ersten feministischen Zeitschrift. Werden Sie sich je zurückziehen?
Halt! Noch bin ich 78. Das hört sich doch schon besser an, oder? Aber die Wahrheit ist, dass man immer nur für die anderen alt ist. Für sich selber ist man mal 18, mal 48, mal 78. Darum: Solange ich keine körperlichen Einschränkungen habe, und die habe ich nicht, werde ich selbstverständlich weiter leben und arbeiten wie bisher. Schließlich bin ich genauso alt wie der frisch gewählte Präsident von Amerika. Da werde ich ja wohl noch die Energie für EMMA und ein paar Bücher haben.

Woher kommt Ihr Kampfgeist?
Das war für mich von Kindesbeinen an selbstverständlich. Meine Großeltern, bei denen ich aufgewachsen bin, haben die Nazis gehasst und ihren Opfern geholfen. Und auch später wurde bei Schwarzers nie weggeguckt. Ich kann einfach Unrecht nicht ertragen!

Sie haben unlängst verraten, dass Sie „Bergdoktor“ schauen. Im Ernst?
Das ist ja nicht sehr originell, den Bergdoktor zu gucken. Das tun Millionen. Und ich finde gut gemachte Unterhaltung, dazu mit einer Portion Feminismus, gut. Männer, die sich Gedanken über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie machen, und Frauen, die auch schon mal einen jüngeren Liebhaber haben. Passt doch.

Was an Ihnen ist eigentlich „typisch weiblich“?
Viel. Zu viel. Das Fürsorgliche. Das immer für alles verantwortlich Sein. Das trotz alledem zu oft Lächeln.

Und welche männliche Eigenschaft haben Sie sich angewöhnt?
Die habe ich mir nicht angewöhnt, die hatte ich schon immer. Ich bin von meinen Großeltern für Mut und Intelligenz gelobt worden. Die haben einfach versäumt, mich zum Mädchen zu dressieren.

Wie gehen Sie mit Hass gegen Ihre Person um und trifft er Sie härter, wenn er von Frauen kommt?
Ich versuche, es zu ignorieren. Das fällt mir relativ leicht. Schließlich wiegen die Bestätigungen, Zuneigung, ja Liebe, die mir seit Jahrzehnten entgegengebracht wird, so viel schwerer.

Das Gespräch führte Conny Bischofberger, es erschien am 7. März 2021 in der Kronen Zeitung.

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