Alice Schwarzer in anderen Medien

Der STERN meets Alice

Alice Schwarzer im STERN-Gespräch mit Andreas Hoidn-Borchers und Axel Vornbäumen.
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DIE 50ER JAHRE

Frau Schwarzer, Sie haben Ihre Kindheit in einem Dorf in Franken verbracht, bevor Sie dann in den 50er Jahren nach Wuppertal zogen. Gibt es ein bestimmtes Geräusch, einen Geruch aus dieser Zeit, den Sie mit Ihrer Kindheit verbinden?
Das Geräusch ist der fallende Pfennig, den ich bei uns in der katholischen Kirche immer in einen Mohren geworfen habe, damit er nickt. Das war auch der Hauptgrund, warum ich zum Erstaunen meiner Familie so oft in die Kirche marschierte. Und dann ist da der Geruch von Heu. Mich hat das Dorfleben nicht gestört. Im Gegenteil: Es war Freiheit, Sinnlichkeit.

Sie wuchsen bei Ihren Großeltern auf. Sehnsucht nach einer „normalen Familie“ gehabt?
Meine Großeltern waren für mich eine normale Familie. Sie waren Mitte 40, als ich auf die Welt kam, und ich habe sie Mama und Papa genannt. Meine Mutter hatte den Status einer älteren Schwester. Sie tauchte nur ab und zu auf.

Jemals in der Schule dafür gehänselt worden?
Oh ja! Meine Mutter hatte ein Jahr nach meiner Geburt in Wien geheiratet und sich zwei Jahre später scheiden lassen. Irgendwann - ich weiß nicht, woher sie das hatte, zischte eine Klassenkameradin eine gehässige Bemerkung. Ich bin dann aufgelöst nach Hause gerannt und habe unsere Familiendokumente durchstöbert, die in so einem roten Samtkasten aufbewahrt wurden. Den hatte meine Großmutter 1899 als Kind geschenkt bekommen, in Zandvoort. Der Deckel ist muschelverziert - und ich benutze ihn bis heute. Da fand ich das Hochzeitsfoto meiner Mutter mit ihrem kurzzeitigen Ehemann, hinten darauf das Datum 1943. Das war der Moment, in dem ich, 1942 geboren, still für mich alleine erfuhr, dass ich unehelich bin.

Und?
Ich habe die Drei ausgekratzt und daraus eine Zwei gemacht! Mit dem Foto als „Beweis“ bin ich am nächsten Tag in die Schule marschiert. Von da an war Ruhe.

Ihr erstes Schlüsselerlebnis, dass es Jungs im Leben besser haben als Mädchen?
In der Tanzschule „H. H. Koch“ in Wuppertal-Elberfeld. Da war ich 16. Wir Mädchen saßen in einer Reihe, und Frau Koch sagte: „So, nun fordern die Herren die Damen auf.“ Mir wurde heiß und kalt. Ein Gefühl des totalen Ausgeliefertseins. Es kam dann aber der mit Abstand bestaussehende Junge auf mich zugeschossen, der sah aus wie ein junger Kennedy. Das Beste: Er forderte mich von der ersten bis zur letzten Stunde auf. Ohne was von mir zu wollen. Und wir waren beide aus dem Schneider.

Peter Kraus oder Elvis Presley?
Schon die Frage beleidigt mich. Sie sprechen mit einer 300-prozentigen Rock 'n' Rollerin! Ich wäre für Elvis bis ans Ende der Welt gelaufen. Ich habe mal mit Udo Lindenberg darüber gesprochen: Wir sind beide stolz, die erste Protest-Generation gewesen zu sein: in Jeans und supercool.

Wie spießig ging es zu im Hause Schwarzer?
Überhaupt nicht! Sie verwenden gerade einen Schlüsselbegriff der Familie Schwarzer. Spießig sein war das Schlimmste. Spießig waren Sammeltassen. Handtücher für die Aussteuer oder Betonfrisuren. Oder auch alle, die italienische Gastarbeiter als „Spaghettifresser“ beschimpften. Und empört waren wir drei über die Wiederaufrüstung. Bei uns ging es ziemlich alternativ und links zu.

Wie weit war Deutschland in den Fünfzigern von der Gleichberechtigung entfernt - auf einer Skala von eins bis zehn. Die Eins steht für sehr weit entfernt.
Ich sage mal: vier.

DIE 60ER JAHRE

Gauloises oder Roth-Händle?
Nichts davon. Immer Nichtraucherin gewesen. Beim ersten Zug in der Milchbar Bel Etage habe ich so gehustet, dass ich es lieber gelassen habe.

Sie zogen 1963 nach Frankreich. Hatten es Frauen dort leichter?
Ich bin ja nicht als Frauenrechtlerin nach Frankreich gegangen. Paris war ein Sehnsuchtsort, war Horizonterweiterung. In der Kategorie Frauenrechte habe ich damals überhaupt nicht gedacht. Obwohl man als junge Frau seine Grenzen aufgezeigt bekam. Selbst nette Männer sagten Sätze wie: Alice, eine Frau macht nicht so große Schritte. Oder: Alice, eine Frau lacht nicht so laut. Ich bekam dann jedes Mal eine Rabenwut und lachte extralaut.

In Israel stand Adolf Eichmann vor Gericht - je für die Todesstrafe gewesen?
Nein! Selbst für Eichmann nicht. Obwohl ich aus einer sehr bewussten Anti-Nazi- Familie komme.

19. September 1965: Sie durften das erste Mal wählen - Brandt oder Erhard?
Natürlich SPD! Wenn meine Großmutter denken würde, ich hätte jemals CDU gewählt - sie würde sich im Grab umdrehen. Ich bin 1965 extra von Paris nach Wuppertal gefahren, um meine bedeutende Stimme abzugeben.

Welche Farbe hatte Ihr erster Minirock?
Es war ein todschickes Minikleid aus London, dunkelblau. Es hatte coolerweise lange Ärmel. Das trug ich mit flachen Schuhen, weil - kurzer Rock und High Heels: Das ist spießig.

Wann haben Sie zum ersten Mal das Wort Feministin gehört?
Schwer zu sagen. In den USA gab es ab den späteren Sechzigern den „Women's Lib“ - die verbrannten angeblich ihre BHs. Und aus den Niederlanden hörte man von den „Dollen Minas“ einer Frauengruppe, die mit Demo-Pissen dagegen protestierte, dass es keine Damentoiletten gab. Saukomisch. Ich glaube, in dem Zusammenhang tauchte dann das Wort Feminismus auf.

Für Uschi Obermeier was übrig gehabt?
Ich fand sie immer sehr hübsch.

Die Pille war Befreiung.
Natürlich! Ich flehe Sie an! Ich gehöre ja noch der Generation Vor-Pille an. Ein uneheliches Kind wäre für mich nicht infrage gekommen. Und ein Kind zur unpassenden Zeit auch nicht.

Beate Klarsfelds Ohrfeige für Kiesinger gefeiert?
Imponiert hat es mir schon. Es war ja eine Tat, die heute undenkbar wäre. Damals waren uns Gesetze und Regeln völlig egal. Wenn man etwas richtig fand, dann hat man nicht gefragt: Darf man das? Oder wer fördert das denn? Man hat es einfach gemacht!

Ihre Lieblingskollegin bei der Zeitschrift Pardon?
Ich war die einzige Journalistin bei Pardon Reporterin und Nachfolgerin von Wallraff. Pardon war ja, neben Konkret, die mediale Hochburg der Achtundsechziger. Aber eigentlich waren die da auch ganz schön spießig. Ich weiß noch, wie zum Abschied der geschätzte Kollege Pit Knorr auf einem Fest bekifft zu mir sagte: Bist ja ganz nett, nur schade, dass du frigide bist. Es hat mir die Sprache verschlagen. Nur: Warum hätte ich mit einem von denen ins Bett gehen sollen? Ich hatte ja meinen Freund in Paris. Aber so war das damals: Wer zweimal mit derselben pennt, gehörte schon zum Establishment.

Wie sieht es mit dem Stand der Gleichberechtigung aus?
Schon besser. Wir bewegen uns auf die Fünf zu.

DIE 70ER JAHRE

Bei „Love Story“ geweint?
Nein. Aber bei „Harold und Maude“.

6. Juni 1971 - Der Stern erscheint mit dem Cover „Wir haben abgetrieben!“ Jemals gedacht, dass Sie in der Dauerausstellung im „Haus der Geschichte“ landen würden?
Ich neige nicht dazu, mir Gedanken darüber zu machen, was für Ehren ein Engagement einbringt. Die Aktion hatte ja einen Vorlauf in Frankreich beim Nouvel Observateur. Ich habe sie dem Stern angeboten, aber stets auf dem politischen Kontext bestanden. Ich wollte, dass das etwas auslöst. Das hatte mir der Stern auch zugesagt. Ich hatte dann die Unterschriften von 374 Frauen, das Selbstbekenntnis: „Ich habe abgetrieben - und fordere das Recht für jede Frau dazu.“ Diese Unterschriften hatte nur ich. Ich hatte also die beschissene Verantwortung dafür.

Dann gab es aber Ärger?
Und wie! Ich wollte, dass es präsentiert wird wie eine kollektive Frauenaktion. Nannen aber wollte unbedingt Romy Schneider alleine auf den Titel heben.

Das war Ihnen zu unpolitisch?
Natürlich! Es wurde gebrüllt bis nachts um vier. Ich habe mich quergestellt. Ich hatte ja die Unterschriften in der Tasche. Sie mussten einlenken. Dafür bin ich dann von manchen von Herzen gehasst worden.

Wenn Gudrun Ensslin oder Andreas Baader bei Ihnen geklingelt hätten, hätten Sie Ihnen für ein paar Tage Unterschlupf gewährt?
Den beiden nicht. Baader, dieser Zuhälter! Bei Ulrike Meinhof hätte ich gezögert. Doch ich gehöre zu den wenigen sogenannten linken Journalisten, die schon 1977 den ganzen RAF-Kitsch öffentlich kritisiert haben. Trotzdem habe ich im Herbst 1977 eine Wohnung in Köln nicht bekommen, die mir der Makler schon zugesagt hatte. Begründung: Der Vermieter hielt mich für eine „Sympathisantin“ In der Zeit galten Feministinnen entweder als Lesben oder als Terroristinnen. Das zischten die Jungs in der Kneipe hinter einem her.

Ihre Erklärung, warum die RAF so viele Frauen anzog?
Manche kamen ganz schlicht als Bräute dazu. Baader entfaltete da seine Wirkung als Latin Lover. Aber in der Mehrheit waren das Frauen, die etwas abzurechnen hatten mit Männern ihrer Vätergeneration. Es fällt doch auf, wie oft in deren Biografien Missbrauch auftaucht. Die Abrechnung mit den Vätern haben sie dann erweitert auf Vater Staat.

Jemals einen Kinderwunsch gehabt?
Es gab Zeiten, in denen ich es für selbstverständlich gehalten habe, ein Kind zu haben - weil: So war ein Frauenleben. Ich hatte sogar schon geplant, wo das arme Kind zur Schule gehen soll, nämlich in die Odenwaldschule!, und dass es die deutsch-französische Staats-bürgerschaft haben sollte. Dann aber habe ich bei meinen Freundinnen in der Frauenbewegung gesehen, wie schwierig es war, ein Kind mit dem Beruf zu vereinbaren. Klar ist: Hätte ich ein Kind gehabt, gäbe es die EMMA nicht.

Würden Sie den „Kleinen Unterschied“ heute noch mal so schreiben?
Ganz so nicht für Deutschland, hier hat sich seit 1975 ja einiges getan zwischen Frauen und Männern. Aber für Osteuropa oder Asien schon. Gerade ist „Der kleine Unterschied“ in Südkorea erschienen. Das Buch hatte ja damals so ins Schwarze getroffen, dass ich auf der Ritze in zig Ehebetten gelandet bin: für Schwarzer - oder gegen Schwarzer?! „Der kleine Unterschied“ hat das Leben vieler Menschen verändert. So ein Glück hat man als Autor selten. Ich verdanke dem Buch allerdings auch meinen bis heute fulminanten Ruf als Männerhasserin. Völliger Quatsch!

Je bedauert, EMMA nicht „Alice“ genannt zu haben?
Um Gottes willen! Erstens: EMMA ist nicht nur ich. Und zweitens: Es ist eine gute Namenswahl, weil es damals so ein klassischer, altmodischer Name war. Ich wollte ja nie ein Blatt für Emanzen machen, sondern eines, das alle Frauen lesen wollen.

Stand der Gleichberechtigung?
Da haben wir schon die Familienrechtsreform von 1976 hinter uns. Da sind wir bei sieben.

DIE 80ER JAHRE

Ina Deters „Neue Männer braucht das Land“ mitgeträllert?
Ina Deter kenne ich seit 1974. Da hatte ich, zusammen mit Freundinnen, in Berlin das erste Frauen-Rockfest angezettelt. Riesenevent. Bis morgens um vier tanzten über 2000 Frauen. Fantastisch. Die Deter klettete mit Pumps auf die Bühne, sie ist ja so klein. Außerdem trug sie enge Jeans und schminkte sich einen Daisymund, sehr lustig! Sie ist prompt ausgebuht worden von dieser rigiden Berliner Szene, die ich bis heute hasse.

An der großen Anti-Nachrüstungs-Demo im Bonner Hofgarten teilgenommen?
Nein. Die Friedensbewegung hat ja zum Teil sehr biologistisch argumentiert: Frauen sind für den Frieden, weil sie von Natur aus friedlicher bzw. weil sie Mutter sind. Das fand ich grau-en-voll. Frauen sind nicht von Natur aus friedlicher, sie haben einfach nicht die Macht, Kriege anzuzetteln. Ihre Art Kriege sind psychologischer Natur, von hintenherum. Der Terror der Schwachen und Sklaven.

Neidisch auf die taz weil die das „I“ durchgesetzt hat?
Hat sie das? Ich meine, EMMA war das. Und erfunden hatte es, glaube ich, Arno Schmidt.

War Kohl = Birne?
Billige Komik, ganz übel. Das fand ich schon beim Umgang mit Strauß. Man sollte den politischen Gegner in der Sache kritisieren, aber nicht als Person körperlich diffamieren. Ich habe das selber ja immer wieder erlebt. Geht gar nicht.

Die Grünen - eher Hoffnung erfüllt oder doch Enttäuschung?
Ich habe sie von Anfang an kritisch begleitet. Auch machen manche bis heute eine bigotte Frauenpolitik. Das ist generell das Problem mit den Linken. Die Konservativen sind gelassener, die sind keine Feministen und wollen keine sein. Sie verstehen autonome Feministinnen wie mich nicht als Konkurrenz. Die Linken aber sagen: Feministen sind wir selber. Da geht es um Deutungshoheit.

1989: das Jahr des Mauerfalls und der Einführung der Frauenfußball-Bundesliga. Was war wichtiger?
Ich bitte Sie - der Mauerfall natürlich. Ich bin sofort nach Berlin geheppt. Unter den Linden haben wir eine Gruppe Studentinnen und Studenten kennengelernt, wir alle waren sehr aufgewühlt. Und da habe ich gesagt: Wisst ihr was, jetzt zeige ich euch mal eine der schönsten Seiten vom Goldenen Westen. Hopp, ins Auto. Und dann habe ich alle in der Paris Bar zum Champagner eingeladen. Danach habe ich ihnen noch einen Kopierer besorgt für ihre politische Arbeit.

Stand der Gleichberechtigung?
Mehr als sieben kann ich nicht geben. Denn erst in den Neunzigern wird die Straffreiheit für Vergewaltigung in der Ehe abgeschafft.

DIE 90ER JAHRE

Haben Sie als frankophile Rheinländerin manchmal gedacht: fürchterlicher Osten?
Was dran. Meine rheinische Großmutter pflegte zu sagen: Berlin? Dass ich nicht lache, das war vor 250 Jahren noch eine Schweinefurt. Außerdem galt in meiner Familie: Das kommt davon, wir Deutschen haben den Krieg angefangen. Mitte der Sie¬ziger habe ich dann für zwei, drei Jahre in Berlin gelebt, in Kreuzberg, da wurde mir die Tragik dieser Teilung klar. Ich fand also die Wiedervereinigung gut, aber die Überwältigung des Ostens durch den Westen falsch. In der Nacht der ersten gesamtdeutschen Wahl hat mir übrigens Lothar Bisky die DDR- Zeitungen und Zeitschriften plus Pressehochhaus am Alex angeboten, für eine D-Mark. Ich sollte den ganzen Laden als Verlegerin übernehmen.

Sofort abgelehnt?
Ich habe ein paar Tage lang ernsthaft darüber nachgedacht - und dann Nein danke gesagt. Es war mir zu viel und zu heikel.

1992 - Sie werden 50. Krise?
50 habe ich gar nicht gemerkt. Erst 70 kam mir komisch vor.

Für RTL haben Sie im Wahljahr 1998 die Bonner Spitzenpolitiker interviewt. Der beste?
Schäuble. Ganz klar. Der souveränste. Ganz arrogant war zu meiner damaligen Überraschung Schröder.

Eine Erklärung, warum Helmut Kohl Ihnen bei der Gelegenheit anvertraut hat, dass seine Frau als Mädchen von russischen Soldaten vergewaltigt worden war?
Das hat mich auch überrascht. Er muss sich das vorgenommen haben, er hatte wohl gespürt, dass sich das Problem seiner Frau zuspitzt, und gedacht: Wenn eine mit ihr reden kann, dann die Schwarzer. Ich habe lange darüber nachgedacht, bin aber zu dem Schluss gekommen: Das kann ich nicht machen. Es schien mir übergriffig. Später habe ich das bereut.

Halten Sie Helmut Newtons Bilder immer noch für faschistisch?
Faschistoid, das ist ein kleiner Unterschied. Ja. Frauen als inszenierte Herrenmenschinnen darzustellen, dahinter steht ein bestimmtes Menschenbild. Pornografisierte Leni Riefenstahl. Er hat ja selber gesagt, ich bin ein Shooter, kein Künstler. Da hat er ganz recht.

Hatten Sie damals schon ein Handy?
Bestimmt nicht. Ich bin in dem Bereich ganz altmodisch. Sie sehen dort auf dem Tisch meine Schreibmaschine, auch wenn daneben mein geliebtes iPad liegt. Heute besitze ich zwar ein Handy, aber ich nutze es eigentlich nur auf Reisen. Und erkenne meist selber den Klingelton nicht. Diese permanente Verfügbarkeit finde ich unangenehm.

Froh, dass das 20. Jahrhundert vorbei war?
Warum sollte ich? Es war für mich ein nicht endendes Abenteuer. Fantastisch.

Stand der Gleichberechtigung?
Da sind wir bei acht.

DIE NULLER JAHRE

Liegt bei Ihrem Friseur die EMMA?
Ja. Die bringe ich ihm immer mit. Ich lese da jedes Mal diese grauseligen Frauenzeitschriften, um die ich sonst einen großen Bogen mache. Und denke: Wie absurd, dass ausgerechnet ich eine Frauenzeitschrift mache, denn wenig langweilt mich so. Aber EMMA ist ja auch ein politisches Magazin für Frauen.

Bei 9/11 gedacht, dass nun alles anders wird?
Ich war entsetzt, aber es war für mich keine Überraschung. Ich war ja 1979 mit einer kleinen Gruppe französischer Feministinnen dem Hilferuf iranischer Frauen nach der Machtergreifung Chomeinis gefolgt. Auch wirklich beeindruckende Frauen haben mir dort mit dem liebenswürdigsten Lächeln gesagt: natürlich Steinigung bei Ehebruch! Oder bei Homosexualität. Das steht so im Koran. Ich habe damals geschrieben, was kommen wird. Es kam noch schlimmer. Denn natürlich konnte ich nicht ahnen, dass die Islamisten weltweit in die Offensive gehen. Dieser politisierte Islam ist keine Religion, sondern eine Ideologie. Das sind Rechtsradikale. Wir hatten damals über zwei Jahrzehnte islamistischer Propaganda und Unterwanderung hinter uns, ohne das als solche zu erkennen oder zu benennen. Mir war also bei 9/11 klar: Jetzt geht es richtig los.

Innerlich gejubelt, als Angela Merkel am 22. November 2005 vereidigt wurde?
Nicht nur innerlich. Ich muss zugeben, dass ich einen Moment lang tief gerührt war, als da zum ersten Mal eine Frau die Hand hob. Pfuhh. Ich dachte: Jetzt wissen alle kleinen Mädchen in Deutschland, dass sie nicht Friseuse werden müssen, sondern auch Kanzlerin werden könnten. Ein großer Schritt.

„Doch durchhalten wird auch eine Kanzlerin nur, wenn sie ein echtes Trojanisches Pferd ist, das heißt, wenn sie andere mit einschleust: bewusste Frauen und menschliche Männer“ schrieben sie in EMMA. Hat Merkel das geschafft?
Ich fürchte, nein. Die Jungs haben diesen Unfall der Geschichte ja nicht wirklich geschluckt. Jetzt sind sie wieder auf dem Sprung. Vielleicht hat auch Merkel ein bisschen zu viel gemauert.

Der Unfall der Geschichte scheint sich zu wiederholen. Jetzt ist wieder eine Frau CDU-Vorsitzende.
Genau! Das finde ich gut. Es zeigt, dass Merkel keine Ausnahme war. Was Annegret Kramp-Karrenbauer angeht, da bin ich als Feministin wirklich gespannt: Einerseits ist sie klar feministischer. Andererseits scheint sie konservativer: also in Sachen Abtreibung eher auf Vatikankurs. Aber vielleicht ändert sich das ja noch.

Lieber eine rechte Frau als ein linker Mann?
Nein! Die Faustformel lautet: bei gleichen Qualitäten von Mann und Frau - lieber die Frau.

Jemals in diesen Jahren gedacht: Meine Mission ist erfüllt?
Wie sollte ich? Es taucht ständig Neues auf. Und: Das Erreichte ist ja nicht gesichert. Nehmen Sie nur mal die sehr überschaubare Frage der Abtreibung. Das Recht auf Abtreibung ist wieder in Gefahr. Sicher, wir Frauen haben in den letzten 50 Jahren sehr viel mehr erreicht, als wir uns erträumen konnten. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht. 4.000 Jahre Patriarchat überwindet man eben nicht in 40 Jahren.

Ihre Werbung für Bild: der größte Fehler?
Ich habe nicht für Bild geworben. Ich habe an einer Imagekampagne teilgenommen. Aus Daffke. Stimmt schon, hätte ich mir sparen können. Aber wenn ich mich langweile, mache ich gerne Sachen, über die andere sich aufregen. Ich stelle mir dann die Schlagzeilen in der taz oder der Süddeutschen vor. Ich bin ja vor fast 30 Jahren auch als erste Intellektuelle in eine Unterhaltungssendung gegangen, „Ja oder Nein". Ich halte einfach die Trennung in E und U, dumpfe Unterhaltung fürs Volk gegen Erhabenes für die Elite, für falsch. Nichts ist schwerer als gute, sinnvolle Unterhaltung.

Stand der Gleichberechtigung?
Naja, acht.

Die 10ER JAHRE

Sie haben Brigitte Bardot attestiert, gelassen zu altern. Gelingt Ihnen das auch?
Das hoffe ich doch. Ich bin 76. Steht zumindest auf dem Papier. Und schreiben die lieben Kollegen in jedem Dreizeiler über mich. Aber innerlich ist man natürlich nicht alt, sondern mal 18, mal 55 - und manchmal bin ich sogar schon 60.

Sonntags „Tatort“?
Nie. Schon deshalb nicht, weil ich die ewigen Frauenleichen leid bin. Diese Gewalt. Ich will das nicht in mich reinkriechen lassen.

„Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“ - was hätten Sie Rainer Brüderle an der Bar geantwortet?
Heute hätte ich wahrscheinlich gesagt: „Sie sind aber charmant.“ Als junge Frau aber wäre ich ihm wohl an den Kragen gegangen. Da war ich strenger. Weil strapazierter.

Wenn Sie die AfD-Wählerschaft ansehen: Ist das der letzte Beweis, dass Frauen klüger sind als Männer?
Diese rechten und rechtspopulistischen Parteien haben in der Tat traditionell weniger Frauen als Wähler. Das belegen alle Wahlstatistiken. Ansonsten sind selbstverständlich auch Frauen vor politischer Dummheit nicht gefeit. Aber ich bin keine Freundin der Dämonisierung der AfD. Es gibt Rechtsradikale in der AfD, die soll man bekämpfen. Aber mit den Wählern und Wählerinnen, die den anderen Parteien weggelaufen sind, halte ich einen Dialog und die Frage „Warum?“ für sinnvoll.

Facebook, Twitter, Instagram - junge Frauen, die sich exhibitionieren. War alles umsonst?
Das nicht. Geschichte geht nun mal nicht geradlinig voran. Wenn man keine äußeren Fesseln mehr hat, stößt man auf die inneren. Ich stelle fest, dass wieder mal der Körper der Frauen zum Schlachtfeld wird. Auch die Frauen selbst beschäftigen sich ohne Ende mit ihrem Körper, ihrer Selbstdarstellung. Gleichzeitig wollen sie keine Objekte sein. Das ist widersprüchlich. Jeder Mann durchschaut das sofort, verdammt noch mal! Ein Mann muss eine Frau doch ernst nehmen können. Außerdem kann ein Blick in die Augen tausendmal erotischer sein als aufgeblasene Lippen und Brüste.

2012, der „Playboy“ gratuliert zu Ihrem Siebzigsten: „Alice Schwarzer und Hugh Hefner hatten immer Ähnliches im Sinn: Die sexuelle Befreiung der Frau.“ Stimmt?
Das ist die Art von Humor, die ich schätze.

Sind Unisextoiletten ein Fortschritt?
Entsetzlich. Da hat man gleich wieder die Voyeure am Hals.

Sie haben im Sommer Ihre langjährige Partnerin Bettina Flitner geheiratet. Spießig geworden?
Machen Sie sich keine Hoffnung.

Stand der Gleichberechtigung?
Wir sollten uns gut festhalten an der Acht, damit wir nicht wieder auf die Fünf rutschen.

WAS BLEIBEN WIRD

Ihr bestes Jahrzehnt?
Ich bin immer im Heute.

Bestes Jahrzehnt der Republik?
Von der Atmosphäre her ganz klar die Siebziger. Da war wirklich was los. Aufbruch. Euphorie. Hoffnung.

Eine gute Bundespräsidentin wäre?
... eine echte Überraschung!

Alles in allem: zufrieden mit der Aufarbeitung der Nazi-Zeit?
Ja. Wir Deutschen haben unsere Geschichte ganz gut bewältigt. Deshalb hatten wir auch bis vor Kurzem keine erfolgreiche rechte oder rechtspopulistische Partei.

Auch deswegen: stolz, Deutsche zu sein?
Zu Stolz sehe ich keinen Anlass. Aber nicht zuletzt weil ich lange in Frankreich gelebt habe, war ich mir immer sehr stark der Tatsache bewusst, Deutsche zu sein. Das ist mein Land, meine Sprache, meine Geschichte. Ich bin mit verantwortlich.

Im Zeitalter der künstlichen Reproduzierbarkeit wird Sex überflüssig - wäre das ein Vorteil?
Es wäre ein Vorteil, wenn man beim heterosexuellen Sex keine Angst mehr vor einer unerwünschten Schwangerschaft haben müsste. Die Trennung von Schwangerschaft und Sexualität macht den Sex für die Frauen freier.

Die Liste der zehn wichtigsten Frauen der Bundesrepublik: Elisabeth Selbert, Marion Gräfin Dönhoff, Beate Uhse, Alice Schwarzer, Romy Schneider, Petra Kelly, Angela Merkel, Steffi Graf, Jil Sander, Friede Springer, Claudia Schiffer. Einverstanden?
Ich weiß schon, es sind elf - und ich soll jetzt eine Frau rausnehmen. Joschka Fischer hat sich auf Ihrer Politiker-Liste ja selber rausgenommen. Wäre mir zu kokett. Es gibt eh schon zu wenige Frauen auf den Wichtig-Listen... Ich nehme also auch Fischer raus. Ich finde, da dürfen es auch mal elf sein.

Das Gespräch führten Andreas Hoidn-Borchers und Axel Vornbäumen, es erschien im Stern 3/2019.

 

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