Alice Schwarzer schreibt

Unsere Füße gehören uns!

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Am letzten Samstag wollte ich Schuhe kaufen. Ich habe, das sei gleich gestanden, für Schuhe und Handtaschen ein besonderes Faible. Also klappere ich die zwei, drei Läden ab, die die schicksten, pfiffigsten Schuhe haben. Im ersten kommt mir eine junge Verkäuferin in Jeans, weißen Häkelsöckchen und – auf Zehnzentimeter-Absätzen (sic!) entgegen. Meine Frage: Ob es das, was da im Schaufenster steht, auch mit niedrigerem Absatz gibt.  Tja... Vielleicht dieses Modell? Oder jenes? – Nein, nein. Ich will die Schuhe ja zum Rock, sie sollen also nicht ganz so klobig sein. - Tja... Also dann haben wir nur noch solche wie im Schaufenster. – Na gut, dann probiere ich sie mal an...

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Gesagt, getan. Das erste Paar passt nicht. Ist das denn auch wirklich Neununddreißigeinhalb? – Ja. – Aber ich komme doch schon mit dem Vorderfuß kaum rein. – Tja... die modischen Schuhe sind jetzt so.

Ich gebe so schnell nicht auf. Versuche ein zweites, ein drittes Paar. Zwecklos. Ich wage noch nicht einmal, sie ganz über die Füße zu streifen. Aus Angst um meine Füße und aus Angst um die Schuhe. Beim vierten Paar packt mich die Wut. Ich brummle was von: Wirklich eine Zumutung; wohl völlig verrückt geworden, die Schuhindustrie in diesem Jahr; was Frauen sich alles gefallen lassen müssen etc. und brause raus.

Ähnliche Szenen im zweiten und dritten Laden. Ein paar Schaufenster mute ich mir noch zu und dann habe ich begriffen. Es gibt in diesem Jahr nur zwei Schuhsorten: die klassischen und/oder unmodischen, in denen frau laufen kann; und die modischen, in denen sie nicht nur nicht vom Fleck kommt, sondern auch permanente Pein zu erdulden hat.

"Nun stöckeln sie wieder" (NRZ) oder „Wieder schick – Rückkehr zum Sex-Appeal?" (Spiegel) lese ich in der Presse. Mit „Sex-Appeal" ist wohl gemeint, dass wir uns in Gebilde zwängen, die kein Gehwerk sind, sondern ein Klotz am Bein. Enge Schnitte und hohe Absätze verkrüppeln Zehen und Kreuz. Und das nennt man schick? Ist denn Leiden erotisch?

Was bedeutet dieser neue Trend? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das neue Schuhdiktat nicht von den Schuhträgerinnen, sondern von der Schuhindustrie kommt. Fast unausweichlich sind sie, die sogenannten „Stilettos", das habe ich an diesem Samstagvormittag am eigenen Leibe erfahren. Nun kann man aber einen Trend nur lancieren, wenn er entweder einem latenten Bedürfnis entspricht, oder man die Möglichkeit zu seiner Durchsetzung hat, notfalls auch gegen den Willen der Betroffenen. In diesem Falle scheint mir, in tragischer Verquickung, beides zuzutreffen.

"Wir haben es hier – wie bei allen Äußerungen der Mode und der Kosmetik – mit einer Art von unterschwelligem Zwang zu tun, der eben einfach bestimmte Forderungen von Weiblichkeit oder Schönheit aufstellt, denen frau folgen muss, um Erfolg und Anerkennung zu finden", schrieb Barbara Bredow schon vor Jahren in 'Schuhwerke-Aspekte zum Menschbild'.

Der Schuh ist der Mittler zwischen Mensch und Erde. Kein Kleidungsstück wird so stark von seinem/seiner Besitzer(in) geprägt wie der Schuh. Und – auch die Umkehrung gilt! – kein Kleidungsstück prägt seinen/seine Besitzer(in) so stark wie der Schuh.

In der Psychoanalyse steht der Schuh für die Vagina, der Fuß für den Penis. Und es gilt nicht nur: Wie man sich bettet, so liegt man, sondern auch: Wie man sich beschuht, so fühlt man/frau.

Erinnert sein bei jedem Schritt, wie wesentlich Hüftschwung, Passivität, Hingabe für den Wert einer Frau ist. Die so Beschuhte, sie kann nicht anders. Sie kann nicht anders gehen als mit einem durch die Absätze verschobenen Körper, wiegenden Hüften und dem permanenten Wissen um ihre Körperlichkeit in Fesseln.

Stilettos sind keine Siebenmeilenstiefel. In ihnen geht man nicht voran, sondern schwankt auf der Stelle. Die "Chopinen", ein Stelzschuh aus dem Venedig des 15./16. Jahrhunderts, wurde wie folgt beschrieben: „Sie waren in der Tat so hoch, dass die Frauen, die sie trugen, wie Riesinnen erschienen. Manche sind auch beim Gehen nicht vor dem Hinfallen sicher, wenn sie nicht von ihren Dienerinnen gut gestützt werden." Nun sollen die Dienerinnen ja rar geworden sein...

Ist es ein Zufall, dass diese Schuhe (verbunden mit der entsprechenden Mode) in Zeiten aufkommen, in denen Frauen im Aufbruch sind? Ist es ein Zufall, dass wir gerade jetzt am Laufen gehindert werden sollen? Ist es ein Zufall, dass wir ausgerechnet in dem Augenblick, in dem wir endlich die Welt erobern wollen, in Schrittchen auf der Stelle trippeln sollen?

Warum fanden chinesische Männer den Fäulnisgeruch der verkrüppelten Füße ihrer Frauen erotisch? Weil dieser Geruch das Parfüm ihrer Herrschaft der Moschus ihrer Überlegenheit war.

In Stilettos einen partnerschaftlichen Stadtbummel oder eine Waldwanderung machen? In Stilettos dem Vergewaltiger entkommen? Schon der Gedanke ist lachhaft! Was treiben wir also überhaupt in diesen Dingern? Wo haben wir unseren Kopf und Körper gelassen? "Mein Bauch gehört mir!" lautete früher eine ein wenig verkürzte Parole des Kampfes gegen den § 218. "Unsere Füße gehören uns!" müssten wir heute sagen. Und wir wollen auf ihnen fest und sicher stehen können. Denn wir haben uns viel zu lange einsperren und fesseln lassen. Wir haben noch so viel zu tun. So weit zu gehen.

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