Alice Schwarzer schreibt

Was geschah wirklich an Silvester?

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Die EMMA-Redaktion ist nur eine Viertelstunde zu Fuß vom Bahnhofsplatz entfernt. Und viele der zahllosen, aus der ganzen Welt angereisten JournalistInnen ließen es sich in den Wochen nach Silvester nicht nehmen, zu uns zu kommen und zu fragen: Was war da ­eigentlich los? Wie konnte das passieren? Und welche Schlüsse zieht ihr als Feministinnen daraus? Denn, das war für die meisten klar: Zufall war das nicht!

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Die ausländischen Journalisten zogen alle sehr rasch den Vergleich mit den Vorfällen auf dem Tahrir-Platz in Kairo (wie auch EMMAonline ab dem 4. Januar). Da war das Phänomen erstmals 2011 vor den Augen der Weltöffentlichkeit aufgetaucht: bandenmäßige Übergriffe junger Männer auf Frauen, Umzingeln und sexuelles Malträtieren. In Kairo hatten die marodierenden Männergruppen über Monate gegen die Frauen gewütet und versucht, sie nach Hause zu verjagen, weil sie gewagt hatten, auf der Straße zu demonstrieren.

In Nordafrika und Nahost ist die Methode schon länger bekannt: von Algier über Tunis bis in die arabischen Länder. Sie tauchte erstmals auf, als die Frauen in den 1960er Jahren begannen, das Haus zu verlassen. Auf Arabisch gibt es sogar einen eigenen Begriff für diese Art von Terror gegen Frauen: Taharrush Jamai (sexuelle Gruppen-Gewalt).

Ein rechtsfreier
Raum mitten in
einer deutschen
Großstadt

Nun also ein Tahrir-Platz mitten in Köln. Zehn Stunden lang ein rechtsfreier Raum auf dem zentralsten Platz der Millionen-Stadt. Vor den Augen der anscheinend hilflosen Polizei werden Frauen Opfer sexueller Gewalt, bis hin zu Vergewaltigungen. Frauenklatschen im Herzen von Westeuropa. So etwas hat es in meinem Leben noch nie gegeben. Mindestens 596 Akte sexueller Gewalt gegen Frauen an Silvester allein in Köln (gesamt inklusive Diebstähle 1120). Sowas kann doch nicht unbemerkt bleiben – oder?

Liest man rückblickend die Polizeiberichte, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll: Pressemitteilung am 1. Januar, 8.57 Uhr Es herrschte eine „ausgelassene, weitgehend friedliche Stimmung“, die Polizei war „gut aufgestellt und präsent“. Dann ein interner Bericht am 1. Januar, 14.36 Uhr: Es sei zu „Anzeigenerstattungen“ gekommen. Erst am 4. Januar um 10.10 Uhr folgt ein „ergänzender Bericht“, der einräumt, „dass die vorliegenden Meldungen nicht das von den Zeitungen dargestellte Ausmaß der Übergriffe darstellen“. Das Ausmaß durfte das NRW-Innenministerium dann der Presse entnehmen. 

Ohne die Enthüllungen der Medien, allen voran der sozialen Medien, wäre die Silvesternacht in Köln bis heute „weitgehend friedlich“ verlaufen. Und die so negierten Opfer wären wohl vollends verzweifelt. 

Okay, der Polizeipräsident von Köln musste nach Tagen zurücktreten. Aber sein oberster Chef, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, machte glücklos weiter. In einem Bericht vom 19. Januar räumte Ralf Jäger (SPD) zwar ein, dass es an Silvester in mehreren Städten in NRW (so auch in Düsseldorf und Bielefeld) „tumultartige“ Verhältnisse gegeben habe und die Taten „zumeist offenbar sexuell motiviert“ gewesen seien. Und ebenso, dass die Mehrheit der Männer „Nordafrikaner und Araber“ gewesen seien, die größtenteils in das zentral gelegene Köln aus anderen Städten angereist seien. Viel mehr wusste der Minister nicht.

Warum ist die Frage, ob die Männer sich ver-
abredet hatten,
so wichtig?

Nur eines wusste der NRW-Innenminister schon am 19. Januar ganz genau: Dass es „keine Anhaltspunkte dafür (gibt), dass das Auftreten der Gesamtgruppe oder von Teilgruppen organisiert bzw. gesteuert war“. Dabei hatte Bundesjustizminister Maas (SPD) bereits am 5. Januar erklärt: „Niemand kann mir erzählen, dass das nicht abgestimmt und vorbereitet war.“ Innenminister de Maizière hatte am 11. Januar sinniert, die Überfälle seien „möglicherweise organisiert“ gewesen. Und der Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, hatte am 24. Januar nachgesetzt: „Sie (die Männer) haben sich gezielt verabredet, da sie auch aus dem überregionalen Raum kamen.“ 

Warum aber ist diese Frage, ob die Männer sich verabredet hatten oder nicht, eigentlich so wichtig? Weil eine Verabredung auf ein zielgerichtetes Vorgehen deuten würde – in welcher Form auch immer. Sicherlich nicht hierarchisch per Ordre du Mufti, sondern eher dezentral und flashmobartig. Dafür käme nur eine Gruppierung infrage: die Islamisten. Ob die nun gerade aus Marokko oder Syrien eingereist sind oder schon seit Jahren bei uns leben bzw. sogar hier geboren sind – sie alle verbindet das grüne Band des politisierten Islams, der die Scharia über das Grundgesetz stellt und die Frauen unter die Männer.

Diese Islamisten haben dem Westen den Krieg erklärt. Führen sie jetzt also auch mitten in Europa die Kriegswaffe sexuelle Gewalt ein? Die Waffe, die Frauen bricht und Männer demütigt (weil sie „ihre“ Frauen nicht schützen können). Die Waffe, die in den islamistisch terrorisierten Ländern bzw. Communities (wie den Banlieus von Paris) längst an der Tagesordnung ist: vom Alltagsterror der Jugendbanden bis hin zu den „Sexsklavinnen“ des IS. Diese Scharia-Muslime Islamisten hassen nicht nur die Frauen, Juden und Homosexuellen, sondern das Leben überhaupt. Wollen sie jetzt also auch in Europa die Frauen und die Lebensfreude aus dem öffentlichen Raum vertreiben? Und bei der Gelegenheit auch unsere „Willkommenskultur“ erschüttern?

Für die Silvesternacht in Köln – und weiteren zwölf Städten in insgesamt fünf Ländern – gibt es nur zwei Erklärungen. Die erste lautet: Es war Zufall, dass sich weit über tausend Männer aus Nordafrika und Nahost an diesem Abend auf dem zentral liegenden Bahnhofsplatz versammelt haben. Die zweite lautet: Die Mehrheit hatte sich verabredet. Aber wozu? Kein Mensch feiert auf dem öden Bahnhofsvorplatz. Silvester wird in Köln am Rhein gefeiert. Diese Männer hatten sich offensichtlich nicht verabredet, um zu feiern. Sie hatten sich verabredet, um Frauen zu klatschen.

Dafür genügt ein halbes Dutzend Provokateure und das „arabische Telefon“, "Brüder" und Mitläufer, Flüchtlinge oder auch Stammkunden der salafistischen Moschee in Köln-Kalk bzw. der orthodoxen Moschee in Duisburg-Marxloh. Plus frisch Agitierte aus den ­benachbarten Flüchtlingslagern.

Die sexuelle Gewalt ist eine traditionelle Kriegswaffe

An Variante 1 zu glauben, wäre, mit Verlaub, rassistisch. Denn das hieße, dass jeder beliebige „Muslim“, der zufällig auf einem Platz ist, bei sexuellen Überfällen auf Frauen mitmacht oder sie zumindest duldet. Das halte ich – nicht zuletzt dank eigener Erfahrung mit Männern aus diesem Kulturkreis – für schwer vorstellbar.

Variante 2 wäre die politische Erklärung. Und die logische. Denn die sexuelle Gewalt ist eine traditionelle Kriegswaffe, und die Islamisten haben dem Westen den Krieg erklärt. War also Köln ein Signal? 

Weltweit wurde ab dem Bekanntwerden der Silvestervorfälle diese These diskutiert: Dass dahinter eine zielgerichtete, politische Intention stecke – so wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Nur in Köln beharrte die Polizei zunächst auf einer „rein kriminellen Motivation“. Drei Wochen nach Amtsantritt jedoch erklärte Jürgen Mathies, der neue Polizeipräsident, am 12. Februar: „Nach unserer Annahme lief das über die sozialen Netzwerke.“ Die Männer hätten sich über Facebook für „eine große Party“ verabredet. Nun zog auch der Polizeipräsident den Vergleich zu der sexuellen Gruppengewalt in Kairo.

Endlich hat also auch die Polizei die richtigen Fragen an die Vorkommnisse. Die wird sie brauchen, denn vor ihr liegt eine Herkulesaufgabe: Die 130-köpfige Sondertruppe „Neujahr“ wühlt sich zurzeit durch 400 Stunden Videomaterial und rund 1,6 Millionen Telefondatenbewegungen, plus 300 Zeugenvernehmungen. Da tritt man der kommunalen Polizei wohl kaum zu nahe, wenn man vermutet, dass sie dafür weder fachlich noch personell gerüstet ist.

Herrschte im stark grünen Köln bisher eine besonders strikte politische Correctness? Eine, die nicht sagen und nicht wahrhaben will, dass es mit spezifischen Menschengruppen spezifische Probleme geben kann. Eine, die im Namen einer falschen Toleranz die Probleme lieber vertuscht, als sie zu bekämpfen.

Das Leugnen der Probleme ist verantwortlich für den Zulauf zu Rechtspopulisten

Das geht in Deutschland nun schon seit 25 Jahren so. Seit Ende der 1980er Jahre agitieren die Islamisten, ideologisch von Iran und Pakistan und ­finanziell von Saudi-Arabien aufgerüstet, in den türkischen Communities mitten in Köln oder Berlin, Paris oder London. Und wir haben weggesehen. Wir haben es zugelassen, dass diese radikale Minderheit die friedliche Mehrheit der Muslime unter Druck setzt und terrorisiert. Diese Rattenfänger haben den Eltern für das Verschleiern der Töchter Geld gezahlt, und sie haben die Söhne in den „heiligen Krieg“ gelockt.

Dabei sind die Islamisten nur die Spitze des Eisberges. Darunter sind die Orthodoxen, rückwärtsgewandten Muslime. Diese schriftgläubigen Scharia-Muslime geben den Ton an in den muslimischen Organisationen. Sie repräsentieren zwar nur eine einstellige Prozentzahl der MuslimInnen in Deutschland, haben sich aber zur Stimme aller aufgeschwungen. 

Diese Muslimverbände haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Zeit damit verbracht, die Scharia in unser Rechtssystem zu infiltrieren; sie haben Prozesse für das Lehrerinnen-Kopftuch in der Schule unterstützt, wenn nicht initiiert; sie haben Eltern bei den Klagen zur Suspendierung von Schülerinnen vom Schwimmunterricht bzw. von Ausflügen etc. begleitet. Kurzum: Sie kämpfen für eine Segregation der Geschlechter – was das Gegenteil von Gleichberechtigung ist!

All das registrieren zunehmend viele Menschen mit Unbehagen, haben aber bisher geschwiegen, weil sie Angst hatten, als „Rassisten“ stigmatisiert zu werden. Es wäre besser gewesen, wir hätten darüber geredet. Denn ich bin überzeugt, dass es heute keine Pegida und keine AfD gäbe, hätten nicht alle Parteien sowie die Mehrheit der Medien in Deutschland über 25 Jahre weggesehen. Jetzt sind viele Menschen es einfach leid, dass  ihr steigendes Unbehagen darüber nicht ernstgenommen wurde. Die Silvesternacht hat die Omertà gebrochen. 

Quasi alle Frauen auf der Flucht wurden Opfer sexueller Gewalt

Tragischerweise birgt genau diese Entwicklung die bisher oft so einschüchternd beschworene Gefahr des Rassismus. Rassismus war hierzulande bisher ein kleineres Problem als in den Nachbarländern, denn Deutschland hatte seine Lektion nach den Nazis gelernt. Jetzt aber laufen wir Gefahr aufzuholen. Wir erleben gerade einen starken Zulauf zu Rechtspopulisten – und ein Ansteigen rassistischer Vorurteile.

Dabei hat die Frauenverachtung dieser Männer aus Nordafrika und dem Nahen Osten ja Gründe. In ihrer Kultur sind Frauen total rechtlos, dank islamischem Familienrecht. Frauen sind traditionell abhängig von Vätern, Brüdern, Ehemännern. Und Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein Herrenrecht. 

Verschärfend kommt hinzu, dass viele Flüchtlinge aus (Bürger)Kriegsgebieten kommen. Sie haben also Schreckliches erlebt oder getan, oft beides. Was Brutalisierung und Traumatisierung durch Krieg anrichten, wissen wir. Solche Männer müssten therapiert werden, um von der Gewalt wieder runterzukommen. Aber wir brauchen ja schon Monate, um sie überhaupt zu registrieren. Wie von FlüchtlingshelferInnen zu hören ist, sind quasi alle Frauen auf der Flucht Opfer sexueller Gewalt geworden, nicht selten durch Mitflüchtende. 

Im Lichte dieser unbarmherzigen Realitäten erweist sich der linke, akademische Kulturrelativismus als elitär, ja reaktionär. Diese Art von blinder „Fremdenliebe“ ist letztendlich nur die andere Seite der Medaille des einstigen „Fremdenhasses“ der Eltern und Großeltern. Auch sie leugnet die Realität, leugnet, dass die wahre Integration eine Herkulesaufgabe sein wird. Aber sein muss.

Alice Schwarzer - aktualisiert am 21.3.2016

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Sexualstrafrecht: Nein heißt Nein?

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Schon wenige Tage nach den dramatischen sexuellen Übergriffen der Silvesternacht hatten sich PolitikerInnen in vollmundigen Ankündigungen überboten. Die Täter, verkünden sie, müssten bestraft werden. Bundeskanzlerin Merkel will mit der „vollen Härte des Rechtsstaats“ zuschlagen; Vizekanzler Gabriel fordert „Null Toleranz gegenüber Kriminalität und sexuellen Übergriffen“ und will Täter „schneller und effizienter abschieben“; Justizminister Maas erklärt: „Wer glaubt, sich bei uns über Recht und Gesetz stellen zu können, der muss bestraft werden“ und solle dann auch ausgewiesen werden.

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In der Regel enden Taten wie in der Kölner Silvesternacht straflos

Das klang gut. War aber völlig unrealistisch. Denn wer einen Blick in das Sexualstrafrecht und einschlägige Gerichtsurteile wirft, muss feststellen: Das, was die marodierenden Männer am Kölner Hauptbahnhof oder auf der Hamburger Reeperbahn getan hatten - Frauen an den Busen oder zwischen die Beine gefasst - ist in den meisten Fällen gar nicht strafbar.

Wer glaubt, „sexuelle Belästigung“ sei im deutschen Recht ein Straftatbestand, irrt. „Belästigung“ ist lediglich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geregelt und betrifft ausschließlich sexuelle Übergriffe im Beruf. Im Strafgesetzbuch hingegen kommt diese Art sexueller Gewalt überhaupt nicht vor.

Dort gibt es im § 177 zwar die „sexuelle Nötigung“, aber: Die „sexuellen Handlungen“, die der Täter vornimmt, müssen „von einiger Erheblichkeit“ sein, damit sie tatsächlich strafbar sind. So haben es RichterInnen entschieden. Mehrere Urteile, darunter auch solche des Bundesgerichtshofs, kamen zu dem Schluss: Ein Griff an die Genitalien oder an den Po ist unerheblich.

Hinzu kommt: Das Opfer muss Widerstand leisten, damit der Täter weiß, dass die Frau nicht von ihm angefasst werden möchte. Ein Mann, auch ein fremder, darf also zunächst davon ausgehen, dass eine Frau sexuellen Kontakt mit ihm möchte. Also zum Beispiel mit ihm schlafen, wenn er sie nach einer Party nach Hause bringt; oder von ihm auf der Kaufhaus-Rolltreppe an den Po gefasst werden; oder am Kölner Hauptbahnhof in den Schritt. Sollte sie das wider Erwarten nicht wollen, muss sie das dem Mann deutlich machen. Fehlt ihr dazu die Zeit, weil der Täter ihr blitzschnell an den Busen oder zwischen die Beine greift, oder der Mut, weil der Täter einschüchternd groß ist, oder weil es mehrere sind, fällt der sexuelle Übergriff nicht unter den § 177.

Viele sexuelle 
Übergriffe 
fallen nicht 
​unter den § 177

Deshalb ist auch der „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ (bff) mehr als skeptisch, was die angekündigte Bestrafung der Silvester-Täter anbelangt: „Dem bff sind schon lange zahlreiche Fälle bekannt, in denen Frauen an öffentlichen Orten belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst wurden. In der Regel enden diese Taten für die Täter straflos, weil aufgrund der Überrumpelung der Betroffenen keine Nötigungsmittel angewendet werden müssen, um die sexuelle Handlung zu begehen. Solche Überraschungsangriffe sind so die Erfahrung der Fachberatungsstellen und von Rechtsanwältinnen nicht durch den Straftatbestand der sexuellen Nötigung erfasst und damit systematisch straffrei.“

Der Verband befürchtet deshalb, dass die Bestrafung der Täter so sie denn überhaupt gefunden werden „hauptsächlich wegen der zusätzlich begangenen Diebstahl- und Raubdelikte stattfinden wird und nicht aufgrund der sexuellen Übergriffe“. Fazit: Der Straftatbestand der sexuellen Nötigung bedarf „dringend einer Reform“.

Die hat Justizminister Heiko Maas (SPD) jetzt vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu, auch wenn der Minister, der nun unter Zugzwang steht, versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Fakt ist: Maas hatte in Sachen § 177, dem so genannten Vergewaltigungsparagrafen, noch im September 2014 „keinen Handlungsbedarf“ gesehen. Erst der öffentliche Druck von Frauenorganisationen inklusive einer Petition mit 20.000 Unterschriften (inklusive der seiner Kollegin Manuela Schwesig) scheinen ihn offenbar von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt zu haben. Im September 2015 präsentierte der Justizminister also einen Entwurf, der aber rasch wieder in der Versenkung verschwand und nun nach der Silvesternacht wieder ans Licht geholt wurde.

Erst der öffentliche Druck brachte die Reform wieder auf den Tisch

Der Entwurf erfasst nicht nur die sexuelle Nötigung, sondern auch die Vergewaltigung, also den erzwungenen „Beischlaf“ oder andere Taten, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. Denn auch hier gilt bisher: Das Opfer muss Widerstand leisten. Ein Nein reicht nicht aus.

Die Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen haben rund 100 bewiesene Vergewaltigungsfälle dokumentiert, in denen die Täter freigesprochen oder gar nicht erst ein Verfahren eröffnet wurde. Die Begründungen verschlagen einem bisweilen den Atem. Allen voran die des Bundesgerichtshofs, der 2006 einen Freispruch wie folgt erklärte: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt“. Andere Richter folgen diesem höchstrichterlichen Vorbild.

Der letzte spektakuläre Fall dieser Art war der Freispruch von Roy Z. durch das Landgericht Essen im September 2012. Der 31-jährige schwere Alkoholiker, dessen Gewalttätigkeit aktenkundig war, hatte in seiner Marler Wohnung eine 15-Jährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte zuvor gesagt: „Nein, ich will das nicht“, die Vergewaltigung aber aus Angst über sich ergehen lassen. Die Richterin sprach den Täter frei. Begründung: „Er konnte ja nicht wissen, dass sie das nicht wollte.“

Ein "Nein, ich will das nicht" reicht nicht aus: Freispruch!

Folge: Obwohl die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung steigt, sinkt die Verurteilungsquote. Nur jede zehnte Anzeige endet, so hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) herausgefunden, mit einer (Bewährungs-)Strafe für den Täter, in Bundesländern wie Berlin sogar nur jede 25.

Jetzt, nach der Silvesternacht-Katastrophe, kommt Bewegung in die Sache. Endlich. An dem neuen Gesetzentwurf gibt es einige gute Aspekte und einen schlechten. Gut an diesem Entwurf ist:

1. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig sind“.

2. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig“ sind.

3. Er erfasst auch Fälle, in denen das Opfer „im Falle des Widerstandes ein erhebliches Übel befürchtet“.

4. Und falls der fehlende Widerstand des Opfers „auf einer Behinderung beruht“, soll dies künftig als „besonders schwerer Fall“ gelten. Bis dato war es ein minder schwerer Fall.

Eine Frage aber bleibt: Warum muss das Opfer eigentlich Widerstand leisten? Warum gilt nicht das ebenso einfache wie klare Prinzip „Nein heißt Nein!“, wie es auch die sogenannte Istanbul-Konvention fordert? Dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ fordert in Artikel 36: „Das Einverständnis (zum Geschlechtsverkehr, Anm.d.Red.) muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“
Der deutsche Justizminister hat sich dazu in seinem Gesetzentwurf nicht durchringen können.

Jetzt ist die CDU an dem SPD-Minister vorbeigeprescht. Anfang des Jahres hat der Bundesvorstand der CDU die so genannte „Mainzer Erklärung“ verabschiedet. Darin heißt es: „Sexualdelikte sind keine Kavaliersdelikte. (...) Deshalb sorgen wir dafür, dass gemäß Art. 36 der Istanbul-Konvention die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung geschlossen wird. Für den Straftatbestand muss ein klares ‚Nein‘ des Opfers ausreichen.“

Österreich hat vorgemacht wie es gehen kann

Während die SPD bisher davon ausgeht, dass der konservative Koalitionspartner den Maas-Entwurf durchwinkt, bestätigt die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Annette Widmann-Mauz, auf EMMA-Anfrage: „Nein heißt Nein! Deshalb müssen wir die Istanbul-Konvention umsetzen und die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung schließen. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers muss dahingehend verändert werden.“ Auch das sogenannte Begrapschen solle ein „neuer Straftat bestand“ werden.

Österreich hat gerade vorgemacht, wie das geht. Seit 1. Januar 2016 wird dort bestraft, wer „mit einer Person gegen deren Willen (…) den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt“. Und auch das so genannte Grapschen steht nun, klar definiert, unter Strafe: Seit Jahresanfang drohen in unserem Nachbarland sechs Monate Haft, wenn „der Geschlechtssphäre zuordenbare Körperstellen entwürdigend berührt“ werden.

Leider hat sich Justizminister Maas davon nicht inspirieren lassen. Und die CDU-MinisterInnen haben es durchgewunken - trotz "Mainzer Erklärung". Die CDU/CSU-Fraktion scheint das zu Recht irritierend zu finden. Nach dem Kabinetts-Beschluss erklärte sie in einer Pressemitteilung: "Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesminister Maas bietet allerdings noch keinen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Wir werden daher im parlamentarischen Verfahren auf Änderungen drängen." Und weiter: "Ein Nein muss immer beachtet werden."
 

Zur Petition des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) an Justizminister Heiko Maas: "Schaffen Sie ein modernes Sexualstrafrecht. Nein heißt nein."

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