Alice Schwarzer schreibt

Die Entblößung der Bettina Wulff

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Es gibt viele gute Gründe, mit Bettina Wulff solidarisch zu sein, angefangen bei den Rotlicht-Gerüchten bis hin zu der Häme so mancher der jetzigen Kommentare. Schade nur, dass sie die nun selber zunichte macht – mit der Veröffentlichung ihres Buches. Der Wiederherstellung der Ehre von Bettina Wulff dient das nicht, im Gegenteil: Die indiskrete Plapperei der ehemaligen First Lady bestätigt den schon vor dem Eklat um Hauskredit und Luxusurlaube dämmernden Verdacht, dass das Ehepaar Wulff die falsche Besetzung war für Schloss Bellevue. Aber deswegen haben ihre Kritiker noch lange nicht in allen Punkten recht.

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„Nur“ 19 Prozent der Bevölkerung hätte laut einer Mitte September veröffentlichten Umfrage vor der Veröffentlichung von Bettina Wullfs Buch überhaupt von dem Gerücht gehört, dass sie früher als Prostituierte gearbeitet habe. Sie solle sich also nicht so anstellen. Nur? Das wäre immerhin jeder und jede Fünfte in diesem Land. Von den zwei, drei Dutzend Menschen, auf die es einem im Leben ankommt, ganz zu schweigen. Im Leben von Bettina Wulff waren das: der achtjährige Sohn, der im Internet surft; die Eltern, der Bruder, die Nachbarn, die besten Freundinnen.

Die Eltern jedenfalls waren so beklommen, dass sie die Tochter in all den Jahren, in denen das Gerücht via Internet dräute und wuchs, nicht einmal darauf angesprochen haben. Bis heute nicht. Vielleicht fürchteten sie die Antwort. Denn wo Rauch ist, ist ja auch Feuer. So sagt der Volksmund. Und so denkt er auch.

Der Frau des so ruhmlos entsorgten Bundespräsidenten schien es darum angemessen, zu ihrer Verteidigung gleich ein ganzes Buch zu schreiben: „Jenseits des Protokolls“. Darin stellt sie unmissverständlich klar: An diesem Gerücht ist nichts dran. Nicht nur die Eltern werden erleichtert sein.

Was nun den Ehemann angeht: Dem war die Wahrheit offensichtlich immer schon klar. Denn eigentlich war ja er gemeint mit dem entehrenden Gerücht über seine Frau. Schließlich haben Frauen traditionell keine Ehre, sie haben höchstens eine zu verlieren. Nein, ihn wollte man verunsichern, erniedrigen, einschüchtern. Und das scheint gelungen zu sein.

Vielleicht nicht zuletzt aus Angst vor dem dräuenden Rotlicht-Skandal hat Christian Wulff sich so erstaunlich bänglich und halbherzig gegen die Anwürfe in Sachen Hauskredit und Luxusurlaube verteidigt. Immer in der Angst: Wird morgen in fetten Lettern auch noch die „Enthüllung“ verbreitet, die First Lady sei früher als „Lady Victoria“ in Hannover oder als „Gesellschaftsdame“ in einem Berliner Großbordell zu kaufen gewesen?

Für Bettina Wulff selber muss es zumindest in den letzten Monaten der Amtszeit ihres Mannes, als der in allen Berliner Redaktionen hinter der Hand betratschte Skandal immer näher rückte, die Hölle gewesen sein. Eine Frau, deren Name bei Google in Sekundenbruchteilen mit der Ergänzung „Prostituierte“ auftaucht – eine solche Frau möchte doch irgendwann am liebsten morgens gar nicht mehr aufwachen.

Ich bin auf die Affäre Präsidenten-Gattin erstmals im Herbst 2011 angesprochen worden. Von einem Kollegen – ein ganz besonders seriöser, den ich noch nie hatte klatschen hören. Er fragte mich: Und was sagen Sie denn dazu? Wozu? Na, dass die Frau des Präsidenten früher mal als Escort-Girl gearbeitet hat. Ob ich das nun normal fände – oder doch irritierend? Wie bitte?! Ach, das wüsste ich noch gar nicht? Aber das wäre doch seit Wochen Tagesgespräch in allen Berliner Redaktionen!

Eines war für mich sofort klar: Dass, wenn es so sein sollte, keiner das Recht hätte, das zu enthüllen. Aber ich stellte mir dann doch die Frage, ob unser Bundespräsident womöglich erpressbar sei. Ich ging also auf Googlerecherche – und in der Tat, da blinkte mir nach der Eingabe von Bettina Wulffs Namen sofort das Wort „Prostituierte“ entgegen. Aber die Blondine, die da als Beweis abgebildet war, hätte jede sein können.

Ein halbes Jahr nachdem der Bundespräsident zurückgetreten ist, ging seine Frau nun in die Offensive. Sie will ihren guten Ruf und ihr selbstbestimmtes Leben wiederhaben. Dazu hat sie auch Google verklagt – ein Prozess, der kaum zu gewinnen ist. Aber egal, wie es ausgeht: Die gesellschaftliche Debatte darüber ist eröffnet.

Wulff klagt gegen die Methode der „Autovervollständigung“ von Namen bei der Google-Suche. Dagegen, dass schon bei der Eingabe ihres Namens ergänzend der Begriff „Prostituierte“ aufblinkt. So, als gehörte das zwingend zusammen. Google weist aber jede Verantwortung von sich. Die 2008 eingeführte Methode habe sich schließlich bei Recherchen großartig bewährt. Rufschädigung? Verleumdung? Üble Nachrede? Iwo, das sei ein rein technisches Verfahren, in dem sich eben spiegele, wie viele Menschen wie oft nach bestimmten Zusammenhängen gesucht hätten.

Peter Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte, sieht das anders. Er sagt: „Ich halte es für recht und billig, wenn Betroffene auch die Möglichkeit haben, bei Eingabe ihres Namens als Suchbegriff ehrverletzende Assoziationen auszuschließen.“ Und auch Innenminister Friedrich erklärte jetzt erstmals, es müsse etwas geschehen für einen besseren Persönlichkeitsschutz im Internet. Bei der Justizministerin wird er damit keine offenen Türen einrennen.

Ganz anders Google Frankreich. Dort war der Internetkonzern bereit, den Begriff „Juif“ (Jude) als Ergänzung von Namen zu streichen. Denn hinter der Etikettierung bzw. Brandmarkung eines Menschen als „Jude“ stehen auch über ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust immer noch vor allem antisemitische Motive.

Und die Brandmarkung einer Frau als „Nutte“? Ist das keine Frauenfeindlichkeit, kein Sexismus? Sollen wir uns nicht so anstellen, wir Frauen? Oder fehlt uns einfach eine Lobby? Es gab in Frankreich sicherlich jüdische Interessengruppen, die Druck auf Google gemacht haben. Aber es gibt bisher in der Tat keine Frauen, die Google in Sachen Sexismus zur Verantwortung ziehen. Bettina Wulff ist die Erste.

Doch Bettina Wulff geht es leider um noch mehr. Sie beklagt in ihrem Buch, so lange zurückgesteckt zu haben in ihrer Beziehung. Und sie kündigt an: „Ich will mich endlich einmal um meinen eigenen Kern kümmern, um mich selbst, meine Träume und Wünsche.“

Was immer der Kern der 38-Jährigen sein mag – das sind neue Töne in Deutschland. Im Ausland ist es schon seit Jahren so, dass Ehefrauen von Spitzenpolitikern nicht automatisch zu relativen Wesen regredieren. So blieb die Frau von Premierminister Blair aktive Juristin und die von Präsident Jospin lehrende Philosophin.

Hierzulande ist die beruflich hoch qualifizierte Hannelore Kohl neben dem Kanzler im Licht bis zur Selbstvernichtung im Dunkeln versunken. Und auch die nächste Generation, Doris Schröder, hat Eigenständigkeit und Beruf aufgegeben. Bettina Wulff nun versichert, sie würde das nicht noch mal so machen – auch wenn sie es in der Amtszeit ihres Mannes genau so getan hat. Auch das nehmen ihr jetzt manche übel. Sie sei illoyal mit ihrem Mann, heißt es. „Warum tut eine Frau ihrem Mann so was an?“ jammert Bild auf Seite 1. Klar, wenn so was erst mal die Runde machen würde …

Mit einem fundierten Interview wäre der Gekränkten allerdings mehr gedient gewesen. Oder der Beschränkung auf drei von 16 Kapiteln: der Zurückweisung der infamen Rotlicht-Gerüchte sowie der Schilderung der dramatischen letzten Monate in Schloss Bellevue aus ihrer Sicht. Zu Recht beklagt Bettina Wulff sich über ihre Entblößung im Internet und manchen Medien. Nun aber entblößt sie sich selber. Und den Politiker Wulff gleich mit.

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