Der ganz faule Kompromiss

© Bettina Flitner
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Ja, das Fernziel für eine menschliche Gesellschaft wäre ein Ende der Prostitution; also das Ende des Rechts von Männern, Frauen zu kaufen. Das ist die Utopie, so wie einst die – wahr gewordene – Utopie vom Ende des Sklaventums. Das bescheidene Nahziel waren im Jahr 2015 in Deutschland, der europäischen Drehscheibe des Menschenhandels, ein paar kleine Reformen. Reformen, die einen größeren Schutz der Frauen in der Prostitution möglich gemacht hätten, sowie die Verfolgung der Profiteure leichter: der Bordellbetreiber, Zuhälter und Menschenhändler.

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Diese Hoffnung hat sich jetzt weitgehend zerschlagen. Die Pro-Prostitutionslobby, die schon 2002 die skandalöse Liberalisierung der Prostitution durch Rot-Grün durchgesetzt hatte, hat auch jetzt wieder gesiegt.

International gilt
Prostitution als
Verstoß gegen
Menschenwürde

Konträr zu dem internationalen und europäischen Trend, nach dem Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde verstanden wird und es Richtung Ausstiegshilfe für Frauen sowie Bestrafung der Freier geht, konträr dazu haben sich in Deutschland die Parteien mit dem großen C im Namen von den Sozialdemokraten wieder einmal den Schneid abkaufen lassen. Alle entscheidenden Forderungen, die sie hatten, sind abgeschmettert. Fast alle Forderungen, die die Sozialdemokraten – gemeinsam mit der Prostitutionslobby! – hatten, sind durchgedrückt. Entscheidend waren drei Punkte:

1. Das Mindestalter von 21. Die CDU/CSU war dafür - die SPD dagegen. Das Mindestalter sollte von 18 auf 21 Jahre raufgesetzt werden, um besonders die jungen Frauen vor Manipulation und Loverboys zu schützen. Und auch, weil die in die Prostitution gelockten oder gezwungenen Frauen wg. Nachfrage immer jünger werden. Abgeschmettert. Es bleibt bei dem Mindestalter von 18. Einzige Konzession: Es soll ein "Schutzparagraph" für unter 21-Jährige eingeführt werden mit "besonderem Rechtsanspruch auf Beratung und Betreuung durch das Jugendamt". Ob ausgerechnet das Jugendamt gegen die organisierte Kriminalität, die das Rotlichtmilieu beherrscht, ankommt, ist allerdings sehr fraglich.

2. Eine monatliche Gesundheitsuntersuchung sollte Pflicht werden. Dafür war die CDU/CSU - die SPD war dagegen. So sollte zum einen die Gesundheit von Frauen geschützt werden: sowohl die der Frauen in der Prostitution wie auch die der Frauen zuhause, der Freundinnen und Ehefrauen der Freier. Zum anderen sollte den oft in Bordellen oder in so genannten „Modelwohnungen“ versteckt oder auf der Straße arbeitenden Frauen die Chance zu sozialen Kontakten zu gegeben werden. Denn die Frauen, die sich in Deutschland prostituieren, kommen heute zu 80-90 Prozent aus Osteuropa oder anderen bitterarmen Ländern und können oft kaum ein Wort Deutsch. Die Pflicht zur monatlichen Gesundheitsuntersuchung: Abgeschmettert. Einzige Konzession: eine „medizinische Beratung“ (die keine Untersuchung sein muss) alle sechs Monate für 18-21-Jährige, einmal im Jahr für die Älteren.

3. Die individuelle Anmeldepflicht bei jedem Ortswechsel. In der Regel werden die Frauen alle paar Wochen von den Frauenhändlern von einer Stadt in die nächste verschoben, denn die Freier wollen „Frischfleisch“. Bei vielen der Frauen weiß kein Mensch, wo sie sich gerade befinden – und merkt auch keiner, ob es sie überhaupt noch gibt. Denn zu den klassischen Methoden der Frauenhändler gehört, dass sie die Frauen systematisch isolieren. Eine Anmeldepflicht bei jedem Ortswechsel und möglichst bei der Polizei, die dicht dran ist am Prostitutionsmarkt, hätte das in Zukunft verhindern können. Doch die wird es nicht geben. Einzige Konzession: Unter 21-Jährige müssen sich immerhin einmal im Jahr anmelden, über 21-Jährige alle zwei Jahre. Und dem soll jeweils eine medizinische und soziale Beratung vorausgehen.

Gewonnen haben
die Prostitutions-
lobby & die
Freiergesellschaft

In diesen Details stecken ein paar kleine Hebel, die Ämter wie Polizei nutzen könnten, um den in Deutschland total deregulierten Prostitutionsmarkt in Ansätzen zu durchdringen; und so den Mädchen und Frauen ein klein wenig beistehen und die Händler mit der Ware Frau ein klein wenig leichter verfolgen zu können. Was daraus dann letztendlich wirklich gemacht wird, liegt an den Zuständigen und ihren Möglichkeiten.

Und die Freierbestrafung? Die Zuständigkeit dafür liegt bei Justizminister Maas. Denn in Deutschland war bisher noch nie ernsthaft von dem so genannten "schwedischen Modll" die Rede. Danach wird die Prostitution bekämpft, indem man gegen die, die überhaupt erst den Markt schaffen, eben die Freier, vorgeht. Auch die CDU/CSU hat bisher nur die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten gefordert, die allerdings hatte sie sogar ins Parteiprogramm geschrieben. Und nun? Nach sehr, sehr langem Zögern ist der deutsche Justizminister zwar endlich der Aufforderung der Europäischen Union nachgekommen und hat einen ersten lauen Entwurf zur Anpassung des deutschen Rechts an die EU-Richtlinien in Sachen Menschenhandel vorgelegt - die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten darin jedoch mit keinem Wort erwähnt. Wird die Union also auch an diesem Punkt den Wünschen der Prostitutionslobby den Vortritt lassen?

Das Einzige, worauf die Koalition sich geeinigt hat, ist die Kondompflicht. Die ist im Prinzip gut – unter den gegebenen Umständen jedoch eine Lachnummer. Die überwältigende Zahl der betroffenen Frauen muss sich weiterhin unter Umständen prostituieren, unter denen eine gesetzliche Kondom-Pflicht der reinste Hohn ist.

Und die Freier-
Bestrafung?
Wird auch die
von SPD gekippt?

EMMA kämpft seit Jahrzehnten für Prostituierte und gegen Prostitution. Für Menschlichkeit und gegen die gesellschaftliche wie politische Akzeptanz des Frauenkaufs. Wir haben in den verganenen 15 Monaten sehr viel erreicht. Wir haben es geschafft, ein totales Tabuthema auf die Tagesordnung zu zwingen – und Menschen und Medien dazu gebracht, nachdenklicher zu werden.

Doch was das neue Gesetz angeht, haben wir verloren. Wir sind einfach zu wenige, und die anderen sind zu mächtig. Gewonnen hat wieder einmal die milliardenschwere Prostitutionsbranche mit ihren LobbyistInnen. Gewonnen hat die Freier-Gesellschaft! Verloren haben die 80-90 Prozent der Elendsprostituierten, also hunderttausende von Frauen. Verloren haben aber auch alle Frauen und Männer in Deutschland. Denn sie leben in einem Land, in dem die Politik auf den Schutz der Ausgeliefertsten sowie auf die Menschenwürde aller pfeift.

Alice Schwarzer

Aktualisiert am 5. Februar 2015

PS: In der nächsten EMMA-Ausgabe, die ab dem 26. Februar am Kiosk ist, wird EMMA über die Hintergründe der Entscheidung berichten.

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Fakten gegen Scheinargumente

© Bettina Flitner
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"Die Altersgrenze von 21 treibt die Unter-21-Jährigen in die Illegalität"

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Für Prostituierte gilt überhaupt keine Illegalität aufgrund des Alters. Eine 17-Jährige zum Beispiel macht sich heute trotz der Altersgrenze von 18 nicht strafbar. Strafbar machen sich nur Zuhälter und Bordellbetreiber, ihnen droht die Illegalität. Sie haben darum ein Interesse an der Beibehaltung der niedrigen Altersgrenze. Auch wächst der Markt für junge Frauen und ist besonders profitabel: Die Kunden verlangen immer jüngere Prostituierte. Die bringen mehr Geld, sind abhängiger und können länger und leichter ausgebeutet werden. Und zunehmend werden immer mehr junge, auch deutsche Frauen, über die Loverboy-Masche in die Prostitution gelockt. Eine Erhöhung des Schutzalters wäre auch für sie wirksam.

Alle Prostituierten wären durch eine Anhebung der Altersgrenze geschützter, unter vielerlei Aspekten: Je jünger eine Frau ist, umso beeinflussbarer und manipulierbarer ist sie (durch Familie, Zuhälter, Menschenhändler). Und je früher eine Frau in die Prostitution abgleitet, umso tiefer und länger steckt sie drin, umso schwerer ist für sie der Ausstieg.

Übrigens: Der Gesetzgeber trägt in vielen Fällen dem Unterschied zwischen 18 und 21 Jahren Rechnung: im Jugendstrafrecht zum Beispiel. Oder beim Zugang zu Spielbanken etc.. Warum sollten Unter-21-Jährige keinen Zugang zu Spielbanken haben - aber Zugang zu Bordellen?
 
"Die Anmeldepflicht ist eine Zwangsmaßnahme und Stigmatisierung"

Jeder Mensch, der gewerblich tätig ist, muss sich anmelden. Prostituierte erwerben überhaupt erst durch die Anmeldung Rechte auf Sozialleistungen (die sich u.a. nach der Länge ihrer Tätigkeit richten). Hinzu kommt: Nur Dank der Anmeldung weiß man überhaupt von der Existenz der Frauen. Anmelden sollten die Frauen sich nicht beim Einwohnnermeldeamt, sie wechseln eh alle paar Wochen die "Wohnung", sondern bei der Kriminalpolizei. Da sind ihre Daten auch geschützter.

Bisher wissen die Frauen, die in der Mehrheit aus dem Ausland kommen und oft kein Wort Deutsch sprechen, häufig selbst nicht, in welcher Stadt sie überhaupt sind, denn sie werden als "Frischfleisch" von Bordell zu Bordell verladen. Sie könnten verschwinden - und niemand würde es merken. Eine Anmeldepflicht würde sie also schützen. Auch würde die Anmeldepflicht endlich belastbare Zahlen liefern - und angemessene Maßnahmen möglich machen.

Die Einzigen, die ein Interesse daran haben, dass es keine Anmeldepflicht gibt, sind die Zuhälter und Betreiber von Prostitutionsstätten. Sie können so übrigens auch die Größenordnung ihrer Geschäfte leichter verschleiern. Kein Interesse an einer Anmeldepflicht besteht natürlich auch bei den deutschen Gelegenheitsprostituierten, vor allem aus Steuergründen.

"Die Kondompflicht ist überflüssig, weil nicht anwendbar"

Seit wann ist es ein Kriterium für ein Gesetz, ob es einfach "anwendbar" ist? Dann könnten wir zum Beispiel auch das Gesetz gegen den Missbrauch von Kindern wieder streichen. Und nicht nur das. Das Kriterium für ein Gesetz sollte seine Notwendigkeit sein. Die Notwendigkeit, die Prostituierten vor Ansteckung zu schützen (und damit auch die Freier und ihre Ehefrauen bzw. Freundinnen). 80 Prozent aller Freier wollen Verkehr "ohne". Eine Kondompflicht würde auch die Freier in die Pflicht nehmen, die sich bei Verstoß dagegen strafbar machen. Und sie würde Bordellbetreibern wie Prostituierten ein Argument gegen den Verkehr ohne Schutz in die Hand geben - und der Polizei die Möglichkeit zur Kontrolle.

"Regelmäßige Gesundheitskontrollen sind Zwangsuntersuchungen"

Es gibt etliche infektionsrelevante Berufe, bei denen regelmäßige Gesundheitskontrollen eine Selbstverständlichkeit sind, zum Beispiel die Bäckereifachverkäuferin. Da hat noch nie jemand protestiert. Bei Prostituierten wären die monatliche Gesundheitschecks mit einer psychosozialen Beratung zu koppeln.

Die Routinekontrolle der Prostituierten wäre aus vielerlei Gründen sinnvoll: zum Schutz ihrer eigenen Gesundheit ebenso wie als Mittel gegen ihre Isolation. Viele, vor allem die ausländischen Prostituierten - die aus finanziellen Gründen oft auch in den Räumen, in denen sie die Freier bedienen, leben müssen - kommen kaum aus den Bordellen raus. Sie wissen oft noch nicht einmal, in welcher Stadt sie sich befinden. Eine regelmäßige Gesundheitskontrolle wäre also auch ein Kontakt außerhalb dieses Universums - und eine Chance zur Belehrung der Prostituierten über ihre Rechte bzw. zur Hilfe in Not.

Auch könnte bei diesen Gesundheitsuntersuchungen erkannt werden, ob die Frauen Gewaltopfer sind. Und übrigens würde damit auch den von Privatuntersuchungen und illegalen Rezepten profitierenden Ärzten und Apothekern das Wasser abgegraben. Dass die freiwillige Untersuchungsmöglichkeit, die seit Abschaffung der Pflichtuntersuchung in vielen Kommunen besteht, von der Zielgruppe der Elends- und Zwangsprostituierten nicht genutzt wird, zeigen die Untersuchungszahlen der Gesundheitsämter.

Aus Österreich ist übrigens zu hören, dass die Prostituierten, die über Deutschland ins Land kommen, auffallend häufiger krank sind. Eben weil sie nicht nur ungeschützten Verkehr über sich ergehen lassen müssen, sondern oft nicht krankenversichert sind. Genau das ist auch der Grund, warum viele Prostituierte sich diese Gesundheitskontrollen wünschen - und Schlange stehen in den Hilfsprojekten, wo sie angeboten werden.

"Das Weisungsrecht darf nicht abgeschafft werden"

Prostituierte sind selten Angestellte, sondern arbeiten meist als "Selbständige" in den Bordellen und Modelwohnungen oder auf der Straße. Das existierende Weisungsrecht gilt zwar eigentlich nur im Angestelltenverhältnis, wird aber auch bei "selbständig Tätigen" häufig von "Vermietern" und Bordellchefs in Anspruch genommen. Es entrechtet die Frauen und ist vergleichbar mit dem - zum Glück längst abgeschafften - Züchtigungsrecht für Kinder.

Seit der Reform von 2002 haben Bordellbetreiber laut Rechtsprechung ein Weisungsrecht u.a. in den folgenden Punkten:
- Arbeitszeit (Zeitpunkt, Länge)
- Berufskleidung (sie können zum Beispiel ein Nacktgebot erteilen).
- Preisgestaltung (dazu gehört auch die Zwangseinhaltung von Pauschalsteuern).
- Arbeitsplatzgestaltung (Handyverbot, Redeverbot untereinander etc.) 
Aber Prostitution darf nicht fremdbestimmt ausgeübt werden. Die Frauen müssen uneingeschränkt über sich selbst verfügen können. Das vor der Reform nicht existierende Weisungsrecht muss daher ersatzlos gestrichen werden.

"Die Kriminalisierung von Prostituierten verhindern"

Es gibt schon lange keine Kriminalisierung von Prostituierten mehr in Deutschland - und die ist selbstverständlich auch nicht mit dem neuen Gesetz beabsichtigt. Frauen und Männer machen sich in Deutschland nicht mehr strafbar, indem sie sich prostituieren. Strafbar machen sich ggf. nur die wahren Profiteure der Prostitution: Zuhälter, Bordellbetreiber, Schlepper, Menschenhändler. Darum geht es den BefürworterInnen der Prostitution: Dass man in Deutschland auch in Zukunft ungehindert und straffrei mit der Ware Frau handeln kann. Jahresumsatz der Prostitutionsbranche allein in Deutschland im Jahr 2013 laut Statistischem Bundesamt 14,6 Milliarden Euro, Profitraten bis zu 1.000 Prozent. 

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