Alice Schwarzer schreibt

NEIN zur Intervention in Syrien

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Und die modernen „Interventionen“, wie die Kriege heute so verharmlosend heißen? Fangen wir an mit dem Kosovokrieg, dem Sündenfall Deutschlands. Der brachte 1998/1999 nicht nur Jugoslawien zu Fall, sondern stürzte weite Teile des Landes in einen bis heute andauernden Bürgerkrieg. Ganz zu schweigen von den Tausenden von Toten und 800.000 Flüchtlingen.

Es war die rotgrüne Regierung mit dem unsäglichen Auschwitz-Vergleich von Außenminister Fischer, die die erste Beteiligung des traumatisierten und friedensentschlossenen Nachkriegsdeutschlands an einem Krieg überhaupt möglich, ja salonfähig machte. Eine konservative Regierung wäre wohl mit einer solchen Absicht an der links verorteten Friedensbewegung gescheitert. Doch nun war die „Friedensbewegung“ selbst an der Macht. Da sieht so was schon ganz anders aus. Darum wurde in Deutschland auch gegen den ersten Irakkrieg, den so genannten Golfkrieg (1990) protestiert, aber der zweite Irakkrieg (2003) relativ protestlos hingenommen.

Moderne „Inter-
ventionen“ - wie Kriege heute so verharmlosend heißen?

Doch zurück zum Kosovo. Worum ging es da? Um kollidierende Interessen vom offensiven Westen gegen den auseinanderbrechenden Ostblock. Der Westen setzte in diesem Krieg auf die UCK, die von Islamisten unterlaufenen und Saudi-Arabien finanzierten „Rebellen“. So konnte der Kosovo zum Einfallstor für die „Gotteskrieger“ nach Mitteleuropa werden (siehe auch „Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“, KiWi, 2002).

Dem folgte 2001 nach 9/11, dem symbolhaften Sturz der TwinTowers, die von Amerika initiierte Intervention der Alliierten in Afghanistan. Vorwand: Die Jagd auf Bin Laden (der erst zehn Jahre später in Pakistan gefasst wurde). Auch um die Rechte der Frauen sollte es angeblich gehen. Das war nicht ganz ohne Ironie. Denn die waren am stärksten während der sowjetischen Besatzung Afghanistans (1968-1989). In der Zeit hatten Mädchen und Frauen ein gleiches Recht auf Bildung, sie waren selbstverständlich Ärztinnen oder Ingenieurinnen und unverschleiert sowieso. 1989 verjagten die vom Westen kräftig unterstützten Mujahedin und Taliban die Sowjets – und jetzt ging es erst richtig los. Vor dem Terror der Taliban flohen die Frauen nun sogar in den Iran. Es ist eben alles relativ.

Zwölf Jahre später marschierte der Westen ein, inklusive deutscher Truppen. Es hat sehr lange gedauert, bis die Alliierten sich eingestanden, dass sie dramatisch gescheitert waren. Das Resultat: etwa 100.000 Tote auf afghanischer Seite, überwiegend ZivilistInnen, die zu Dreiviertel auf das Konto der Alliierten gehen – und über 3.000 tote Soldaten, darunter 53 Deutsche.

Nun werden auf deutschen Flughäfen wieder Särge mit „militärischen Ehren“ empfangen. Darin liegen junge Männer und Frauen, die „für ihr Vaterland“ starben. Doch in Afghanistan toben die Konflikte heftiger denn je, weil die Machtverhältnisse unklarer sind denn je und jeder versucht, seinen Anteil zu sichern. Es herrscht Kriegsrecht. Jeder gegen jeden – und alle gegen die Frauen. Die sich klammheimlich zurückziehenden Alliierten hinterlassen verbrannte Erde.

Es werden wieder Särge mit „militärischen Ehren“ empfangen

Folgte 2003 der zweite Irakkrieg. Gegen ihn protestierte die rotgrüne Regierung unter Kanzler Schröder offiziell, aber beteiligte sich heimlich durch strategische Unterstützung. Und die damalige Parteivorsitzende der CDU, Angela Merkel, pilgerte, gläubige Zustimmung signalisierend, zum kriegsführenden Präsidenten Bush. Der hatte dem säkularen Diktator Saddam Hussein den Krieg unter dem Vorwand erklärt, er horte Massenvernichtungswaffen. Die Kriegslüge war von Anfang an durchschaubar und ist seit langem widerlegt. Auch in dem Fall ging es um wirtschaftliche (Öl, Bodenschätze) und geopolitische (Nachbar Iran) Interessen. Resultat des anderthalbmonatigen Krieges und der fast neunjährigen Besatzung: bis zu 940.000 Tote auf irakischer Seite (Quelle IPPNW) und 4.804 gefallene SoldatInnen bei den Alliierten. Heute ist der Irak in den Fäusten der Islamisten, Mafiosi und Clans.

2011 dann Libyen. Die Nato bombardiert. Allen voran plädieren die USA und Frankreich für die Intervention. Wieder setzt der Westen bei dem Kampf gegen einen säkularen Diktator auf die Islamisten. Wieder geht es um Macht und Öl. Er wird sich wohl auch im Fall Libyen verrechnet haben. Die nicht zuletzt dank der vom Westen angezettelten Kriege erstarkenden Islamisten, die auf einer allgemeinen Re-Islamisierung der Bevölkerung in Nahost und Nordafrika aufbauen können, haben keineswegs die Absicht, den Hund an Herrchens Leine zu spielen. Sie wollen selber an die Macht, nach ihren Spielregeln. Die erste ist die Einführung der Scharia. Inzwischen wissen alle, was das bedeutet, vor allem für die Demokratie und die Frauen.

Am Ende des Libyen-Kriegs waren 100.000 Tote und Verletzte zu beklagen. Der Bürgerkrieg dauert an. Heute herrscht in Libyen das Gesetz der Kalaschnikow. Der säkulare Alleinherrscher Gaddafi ist tot, erschlagen wie ein Hund. Diverse Stämme ringen um die Macht, die Islamisten sind Ante Portas, das Land droht zu zerbrechen.

100.000 Tote waren am Ende in Libyen zu beklagen.

In Libyen hielt Deutschland sich zurück. Endlich. Die Kanzlerin sagte Nein! Und ihr liberaler Außenminister folgte dem Kurs. Dafür haben Merkel und Westerwelle sich nicht zuletzt von linken und liberalen Medien schelten lassen müssen. Die führen zunehmend leichtfertig das Argument „Menschenrechte“ im Munde, eine längst inflationäre Münze. Doch wir haben sehr gut daran getan, nicht auch noch in den Libyen-Krieg zu ziehen. Die Geschichte gibt Deutschland schon jetzt recht.

Denn es gibt nur einen einzigen Weg, Unrechtsregime zu erschüttern oder gar zu beenden: Die langfristige Unterstützung von wirklich demokratischen Kräften innerhalb eines Landes – ohne eigennütziges, kurzfristiges Interesse, dafür mit Weitsicht. Doch wer hat die?

Im Fall Syrien offensichtlich niemand. Ganz zu schweigen davon, dass schon jetzt keiner mehr durchblickt. Syrien grenzt an die Türkei (wo ein beleidigter Erdogan sitzt), den Irak (wo die Islamisten herrschen), die noch stabilen Länder Libanon und Jordanien – sowie Israel (das zittert). Und es gehen wichtige Öl- und Gaspipelines des Westens durch das Land. Fällt Präsident Assad – mit dem bis vor ganz kurzem alle bestens konnten – wird das Chaos nicht kleiner, sondern größer. Und die Flammen greifen auf die Nachbarländer über.

Wie oft will der Westen noch Intervenieren - und das Leid vermehren?

Mit einer Intervention des Westens ist im Falle Syrien allerdings weniger zu rechnen. Denn im Jahre 2012 stehen sich die beiden Machtblöcke – hier Amerika und Europa, da China und Russland – gleich stark gegenüber. Der Westen kann es kaum wagen, gegen das dreimalige Veto von Russland und China im UN-Sicherheitsrat einzumarschieren. Doch der säkulare Assad wird wohl stürzen. Und wer davon mal wieder profitiert, zeichnet sich schon jetzt ab: Gegen alle Hoffnungen der säkularen Opposition: die Gotteskrieger. Die fressen neuerdings zwar zunächst einmal Kreide, wie Mursi in Ägypten, denn die Unschuld für eine offene Machtergreifung durch die Islamisten – wie 1979 durch Khomeini im Iran – ist vorbei. Doch letztendlich wird es auf dasselbe rauslaufen: auf den Gottesstaat. Denn nach dem Krieg bleiben die seelischen und körperlichen Wunden. Die Männer haben sich ans Töten gewöhnt und vor allem für die Frauen geht der Krieg weiter.

Wie oft will der Westen eigentlich noch beitragen zu vermehrtem Leid der Bevölkerung und zur Iranisierung der Welt?

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